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Neben dem Verstand

Ich bin lediglich das Produkt einiger Faktoren, die zufälligerweise und über alle Umwege hinweg zu meiner Existenz geführt haben. Im Großen und Ganzen gilt mein Leben wohl als gesichert. Mal abgesehen von möglicherweise eintretenden unglücklichen Umständen bin ich herangewachsen innerhalb einer Gesellschaft, die für meinen Schutz und meine Freiheit bürgt, solange sie nicht die Freiheit anderer gefährdet.
Ich habe keine natürlichen Feinde – jedenfalls nicht, dass ich wüsste. Und dennoch: Etwas Rätselhaftes ist in mein Leben getreten.

(Benedikt Franke – Das Auge im Schlüsselloch)

Marion Feiler – Was nicht im Ausweis steht

Alles, was eine Person definiert, steht schließlich im Ausweis. Doch Annkatrin Weber zweifelt daran, dass das dort genannte tatsächlich alles sein soll. Schließlich steht da noch nicht einmal, ob man ein Mensch ist. Auch daran zweifelt Annkatrin, seit sie im Spiegel gesehen hat, wie sie sich verändert.

Runa Schellenberg – Zwischenwelt

Sie erwacht an einem unbekannten Ort, umgeben von fremdartigen Wesen. Und doch weiß sie instinktiv, was zu tun ist. Sie muss der Herrin des Hauses gegenübertreten.

Nick Scuro – Die Uhr

Kurz, nachdem bei seiner Frau ein bösartiger Tumor diagnostiziert wurde, beginnt Jack ein unaufhörlich lauter werdendes Ticken zu hören, das außer ihm niemand wahrnimmt. Nach und nach gelangt er zu der Überzeugung, was dieses Ticken sein könnte.

Gabriele Behrend – Schwester

In der Nacht, als Silla erfährt, dass sie gegen ihren Willen an einen groben Mann verheiratet werden soll – wer kein Geld für Speis und Trank hat, hat auch nicht das Vorrecht der Wahl – träumt Silla von einer irren, blutüberströmten Frau. Tags darauf ist ihr Buhle tot; umgebracht wie von einem Tier.

Benedikt Franke – Das Auge im Schlüsselloch

Handlungsreisende sind gewöhnlich etwas zerstreut. Im Kopf schon beim nächsten Termin und so die Gegenwart vergessend. Doch wie weint kann diese Zerstreuung gehen? Kann man tatsächlich auch körperlich woanders sein, während man noch hier ist?

Hannah Wölfl – Lykanthropie

Sie flieht durch das Gebäude. Sie müsste sich nur verwandeln können, um ihren Häschern zu entkommen. Doch es ist kein Vollmond und ihre Verfolger versuchen ihr einzureden, sie sei gar kein Werwolf.

Susanne Haberland – Das seltsame Ende des Hauptmanns Jack Slasher

Eines Abends überfällt die Bande von Jack Slasher die Kutsche eines gewissen Dr. Jekyll und der Hauptmann bringt ein seltsames Pulver in seinen Besitz. Das was passiert, wenn ein ohnehin schon kräftiger und grobschlächtiger Mensch, dieses Präparat einnimmt?

Sascha Gundel – Außer mir

Immer wieder bedrängt sie die Stimme, endlich die Wahrheit zu erkennen, aufzugeben und sie anzuerkennen, sich nicht weiter selbst zu belügen. Dann zeigt ihr die Stimme, was tatsächlich passiert ist.

N.C. Shepard – Jenseits des Fensters

Nach einem Unfall findet sich der Erzähler in einer ganz und gar menschenleeren Welt wieder, die er zu durchstreifen beginnt. Und doch scheint es noch ein anderes Lebewesen dort zu geben. Nach und nach gelingt es den beiden, zu kommunizieren und als der Erzähler in die reale Welt zurückkehrt, kehrt er nicht alleine zurück.

Laura A. Stern – Geliebter Feind

Die Muse. Zuerst schöpferische Verführerin; kaum wird man dem Schaffensdrang Herr. Plötzlich verschwunden bleibt nur Leere und Verzehrung.

Bianca Mödersheim – Der Kutscher

Als die Toten wieder aus ihren Gräbern steigen, wird Erik Stanley Wilson vom Priester zum Kutscher. So zieht er durch Land, auf der Suche nach untoten Kreaturen, um diese zu bekämpfen

Kim Luominen & Lina Nacht – Den Letzten beißen die Hunde

Nur ein kurzzeitiger, gut bezahlter Job am Fließband sollte es sein. Nur solange, bis er genügend Geld hat, seinen Traum vom eigenen Plattenladen zu verwirklichen. Dann beginnen die Blackouts und jeden Abend findet er eine Tüte mit einer neuen Platte an seiner Haustür.

Mirjam H. Hüberli – Vertraute Fremde

Gelockt von Wasser und Gesang sucht sie sich unbewusst ihren Weg. Und am Ziel wird sie bereits von ihresgleichen erwartet.

Sarah Steinger – Fassade der Schändung

Immer wieder führt Evelyn ihre Schwangerschaft an, wenn ihr die fordernden Berührungen von Luca zuwider werden. Wie soll er auch ahnen, dass sie Angst hat vor dem Ding in sich, dass es kein Kind der Liebe ist, das in ihr heranwächst, sondern ein scheußliches Monster.

Heike Ebelt – FremdARTig

Unvermittelt beginnt Garret unter einem tranceartigen Zwang zu malen. Doch seine Bilder – so technisch vollendet sie auch sind – enthalten stets ein Merkmal des Schreckens.

Katrin Wilke – Drang

Ein schwerer Unfall auf der Heimfahrt von seiner Geschäftsreise verwandelt sein Auto in einen Schrotthaufen. Doch er will unbedingt nur einmal seinen neugeborenen Sohn. Und so schleppt er sich zu Fuß weiter nach Hause; blutend und mit gebrochenen Gliedern, die eigentlich gar nicht mehr gehen dürften.

Peter Stohl – Tod in den Dünen

Bald ist es soweit. Bald wird der Autor seinen Kontakt treffen, der so viel Wert darauf legt, nicht mit ihm in Verbindung gebracht zu werden. Bald kann er töten und schreiben.

Dana da Arcon – Tanz

Um sein Volk zu retten, ist es notwendig zu tanzen und die Göttin so dazu zu bringen, es regnen zu lassen. Er wählt ich einen Trommler als Begleiter. Der Trommler liebt den Tänzer und er wird alles tun, ihn zu retten, sobald die Göttin dessen Körper übernommen hat und die ersten Tropfen fallen.

Christian Künne – Die Wasser des Lethe

Als Cupid den Inhalt des letzten Fläschchens in seinen Körper schießt, geht es ihm endlich besser. Doch sobald die Wirkung der Flüssigkeit aufgebraucht ist, muss er den Preis dafür zahlen.

Lea Daxelmüller – Wer Asche hütet, den hat sein Herz getäuscht

Als der Bestatter Enoch Sax die Leiche der jungen Philomena Schwänlein, derzeitiger Liebling des Wiener Varietes, zur Einäscherung überstellt bekommt, regt sich etwas in ihm. Schließlich verzehrt er sich schon lange Zeit in unerwidertem Verlangen nach der schönen Philomena.

Linnea Schneider – Neben dem Verstand

Eines Tages findet Alissa auf ihrem Küchentisch einen Brief mit einer seltsamen Nachricht ohne Adresse und ohne Briefmarke. Der Vorgang wiederholt sich und Alissa verfällt zunehmend in Panik. Dringt tatsächlich jemand heimlich in ihre Wohnung ein, um ihr diese Nachrichten zu hinterlassen?

Ein gellender Schrei. Er lässt mich zunächst heftig zusammenzucken – dann aufschrecken. Dann höre ich hastige und laute Atemzüge. Doch stelle ich erst Sekunden verspätet fest, dass sie ebenso die meinen sind wie der Schrei von eben.

(Sarah Steinger – Fassade der Schändung)

Der noch junge Sphera Verlag (leider ist kein Herausgeber genannt) hat hier eine beachtliche Anzahl origineller und technisch beeindruckender Geschichten zusammengestellt. In den 21 Geschichten mit einem Umfang von 2 bis 14 Seiten trifft der Leser auf Protagonisten, die manchmal unmerklich aus der Realität driften, oftmals über eine eigene Art der (Selbst-) Wahrnehmung verfügen oder sich urplötzlich einer abnormen Situation gegenüber sehen.
Dabei konzentrieren sich die Stories vorwiegend auf die Personen und ihr Innenleben, so dass man hier keine handlungsgetriebenen Kurzgeschichten im klassischen Sinne erwarten sollte.
Stets bleibt die Frage, was nur im Kopf der Protagonisten geschieht und was der Realität zugeordnet werden kann. Eine unsichere Gratwanderung, die die Autoren geschickt ausnutzen, um ihr Publikum zu verunsichern und die Realität ihrer Geschichten aufzulösen.

Innerhalb dieses vermeintlich engen und schwierigen Rahmens gelingen den durchweg unbekannten Autoren allerdings überraschend abwechslungsreiche und auch in der Ausführung bemerkenswerte Geschichten, wie etwa Benedikt Frankes Das Auge im Schlüsselloch, das mit seiner Zwillings-/Doppelgängerthematik ein klassisch-fantastisches Motiv benutzt, dies aber in einen modernen Rahmen bettet, sodass diese Geschichte fast angerhubersche Qualitäten entwickelt. Ein großer Einfluss vieler Autoren hier dürfte Edgar Allan Poe als Großvater und Großmeister des psychologischen Horrors sein. Nick Scuros Die Uhr lässt natürlich an Poes Das verräterische Herz denken; Lea Daxelmüllers Wer Asche hütet, den hat sein Herz getäuscht erinnert mit der leidvollen Hingabe an eine Tote gleich an eine ganze Reihe poescher »Helden«. Auch Franz Kafka ist als Einfluss auszumachen (Den Letzten beißen die Hunde), oder Oscar Wildes Dorian Gray (FremdARTig). Für Das seltsame Ende des Hauptmanns Jack Slasher verwendet Susanne Haberland Robert Luis Stevensons klassische Parabel von Dr. Jekyll und Mr. Hyde, um diese ins Gegenteil zu verkehren.

Doch bei aller Anlehnung an bekannte Motive muss man den Autoren durchweg attestieren, dass es ihnen gelungen ist, diese originell aufzufrischen und so etwas Neues zu schaffen.
Leser, denen Boris Kochs und Eddie Angerhubers Allem Fleisch ein Greuel (Edition Medusenblut) gefallen hat, können hier unbesehen ein Auge riskieren.

Äußerlich gestaltet der Sphera-Verlag seine Veröffentlichungen bisher in einem einheitlichen, geradlinigen Layout mit hohem Wiedererkennungswert. Weder besonders reißerisch, noch total schmucklos. Das Buch wirkt damit »aufgeräumt« und sogar edel. Auch das etwas größere Taschenbuchformat und die Verarbeitung (durch BOD) trägt zum guten Eindruck bei.

Fazit:
Sehr empfehlenswerte Sammlung für die Freunde des psychologischen Schreckens. Den Autoren gelingen durchweg originelle und bemerkenswert professionell wirkende Geschichten ohne ihre Vorbilder zu verleugnen.

Copyright © 2012 by Elmar Huber

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Neben dem Verstand
Geschichten vom Fremden in mir
Fantastische Kurzgeschichten
Sphera Verlag, Hinterzarten
Januar 2012
188 Seiten, 12,90 Euro
ISBN: 9783942903035
Coverbild: H. P. Morel

www.sphera-verlag.de