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Sagen der mittleren Werra 94

Vom Bruitborn beim Ringelstein

Von dem oberhalb des alten Ringelsteins gelegenen Bruitborn erzählt man sich hier folgendes Stückchen. Einst raubte ein Ritter vom Ringelstein eine gar tugendhafte Salzunger Bürgertochter grade an ihrem Hochzeitstag und wollte sie auf einem Umweg zu seinem Schloss bringen. Als sie nun dort oben an dem Born rasteten und die Jungfrau in ihrer Not inbrünstig zu Gott und ihrer Schutzheiligen um Rettung und Beistand aus der Bedrängnis flehte, fand sie auch bald Gelegenheit, von dort aus auf einem der Ritter Pferde nach ihrer Heimat wieder zu entfliehen, wurde jedoch noch gerade vor ihrem Haus von dem ihr nachsetzenden Ringelsteiner eingeholt. Hier aber war die Jungfrau rasch vom Pferd und schleuderte dem Räuber, der mit seinem Schwert nach ihr hieb, noch zur rechten Zeit die Tür vor der Nase zu, worauf sich der Jungfernräuber wieder schnell aus dem Staub machte. Den Schwerthieb aber in der Tür hat man in dem Haus noch lange als Wahrzeichen sehen können.

Die weiße Jungfer vom Ringelstein

»Es war vor vielen Jahren, als meine Eltermutter noch lebte«, begann eine alte Kräutersammlerin aus Waldfisch, »da erschien einem armen, aber braven Schnitter nachts eine weiße Jungfrau von wunderbarer Schönheit im Traum. Sie erzählte ihm, dass sie durch einen Zauber in dem alten Schloss Ringelstein gebannt gehalten werde und nur von Zeit zu Zeit auf der Oberfläche der Erde erscheinen und um ihre Erlösung bitten dürfe. Dies sei eben jetzt der Fall und ihn habe sie nun dazu auserlesen; er solle sich daher um eine bestimmte Stunde in der Johannisnacht zum Ringelstein auf den Weg machen, dort wolle sie ihm wieder erscheinen. Er möge daher nicht erschrecken und ja keine der Fragen, die sie ihm vorlegen würde, auch wenn sie noch so sehr darum bitten würde, beantworten, denn von seinem Schweigen hänge ihre Erlösung ab. Sein Lohn würden dann die verwünschten Schätze im Ringelstein sein, die sie ihm eröffnen und zeigen werde.

Als nun der Morgen graute und der Schnitter er­wachte, erzählte er alles seiner jungen Frau. Diese aber schüttelte den Kopf und meinte, es sei dummes Zeug. Als nun aber das Fräulein die zweite und dritte Nacht dem Schnitter auf dieselbe Weise erschien, sagte die Frau: ›Weißt du was, lieber Mann, ich dächte doch, wir probierten die Sache einmal. Die Jungfrau wird uns ja an Leib und Seele kein Leid zufügen. Allein jedoch lass ich dich nicht ziehen, ich gehe mit.‹ Der Schnitter war’s zufrieden und so zogen sie selbander zum Ringelstein. Richtig kam ihnen auch die schöne Jungfrau ent­gegen; auch beantworteten sie anfangs keine ihrer Fragen.

Da jedoch das Fräulein gar zu flehentlich bat, konnte es die Schnitterin nicht mehr über sich gewinnen und ließ ihrer Zunge freien Lauf. Doch kaum waren die Worte heraus, so öffnete sich der Boden und die weiße Jungfrau verschwand hände­ringend und laut wimmernd vor den Augen des erschrockenen Ehepaares. An der Stelle aber, wo sie verschwunden war, stand nun ein großer schwarzer Hund mit feurigen Telleraugen.«