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Max Reiter – Erinnere dich!

Max Reiter – Erinnere dich!

Arno Seitz ist Dozent für Amerikanistik an der Berliner Universität. Als er am Nachmittag nach seinem Seminar in den antiquarischen Büchern und Musik-CDs stöbert, die vor der Uni angeboten werden, spricht ihn jemand von hinten an. Er erkennt die Stimme sofort. Es handelt sich um Kaitlan Kempf, seine Freundin aus New York, deren Nachricht, dass sie in Berlin gelandet ist, er nicht auf seinem Handy gelesen hat, da es auf stumm geschaltet war.

Die beiden umarmen und küssen sich, und Arno schaut sich Kaitlan an und bemerkt, dass sie ihm von Mal zu Mal strahlender erscheint. Sie sind seit eineinhalb Jahren liiert und führen eine Fernbeziehung.

Kaitlan, Germanistin an der Columbia University in New York, erzählt ihm, sie sei so spontan nach Deutschland geflogen, weil sie eine Auszeit von Amerika brauche. Das Klima dort sei gerade unerträglich aufgeheizt und aggressiv. Es seien nicht nur Trump und seine Leute, sondern auch die, die einmal vernünftig waren. Sie würden rigoros, wollten nur noch die eigene Wahrheit gelten lassen, keiner wolle mehr zuhören, und jeder hasse jeden. Es sei schlimm, egal, auf welcher Seite man stehe. Wenn sie sich vorstelle, dass Trump wiedergewählt werde, und danach sehe es aus …

Nach dem Essen in einem indischen Restaurant sagt Kaitlan, sie denke darüber nach, ein Sabbatical einzulegen und ein Buch zu schreiben. Arno hält dies für eine gute Idee. Dann sagt sie, sie überlege ernsthaft, aus New York wegzugehen, und zwar nach Berlin. Arno ist davon gar nicht angetan. Kaitlan betont, sie werde nicht bei ihm einziehen.

Nachdem sie miteinander geschlafen haben und Kaitlan unter der Dusche steht, denkt Arno eine Weile nach. Er ist auf eine Fernbeziehung mit Kaitlan eingestellt, Tage, manchmal Wochen, mal diesseits, mal jenseits des Atlantiks. Jedes Mal ist es, als würden sie sich neu ineinander verlieben. Und in den Zeiten ohne den anderen zehren sie von den schönen Erinnerungen. Außerdem sehen sie sich von Angesicht zu Angesicht per Computerbildschirm.

Alltagsbeziehungen möchte Arno stattdessen lieber nicht mehr haben, vor allem nicht mit Kaitlan. Er hat nämlich eine aufreibende Kurzehe mit einer darauffolgenden Scheidung, die sich in die Länge zog, hinter sich. Er denkt, er brauche so etwas nie wieder.

Dann tritt Kaitlan aus dem Bad und hält plötzlich eine Postkarte in der Hand. »Wiedersehen macht Freude, zwanzig Jahre Abitur«, liest sie vor. Arno reagiert wegen ihrer Übergriffigkeit heftig. Sie entschuldigt sich. Er gewinnt die Fassung wieder und sagt, er werde dort eh nicht hingehen. Sie versteht nicht, warum nicht und sagt, es sei doch schön, alte Freunde wiederzusehen und in Erinnerungen zu schwelgen.

Er erklärt ihr, dass vor etwa zwanzig Jahren eine Mitschülerin verschwunden und nie wieder aufgetaucht ist. Nicht einmal ihre Leiche. Er war damals der Freund dieses Mädchens. Auch, als sie verschwand, war er bei ihr. Es geschah bei einer zweitägigen Wanderung in den Bergen. Man legte sich in einer Berghütte gemeinsam schlafen, und am kommenden Morgen war sie fort. Sie musste in der Nacht oder am frühen Morgen aufgestanden und nach draußen gegangen sein. Was dann passierte, weiß keiner.

Kaitlan ist berührt und erfährt, dass das Mädchen Maja hieß und Arnos erste große Liebe war. Sie sagt, er solle an diesem Abiturtreffen teilnehmen. Sie spüre schon länger, dass er etwas aufzuarbeiten habe. Es sei etwas Dunkles in ihm, und er müsse Licht in die Sache bringen.

In der Nacht fragt sich Arno, ob Kaitlan ihn für psychisch gestört hält und deshalb für sie die Beziehung mit ihm nie so verbindlich war, wie für ihn. Ist sie seinem Problem deshalb nie auf den Grund gegangen, weil ihre Beziehung es ihr nicht wert war? Wie soll es jetzt weitergehen?

Eine lange Geschichte beginnt, an deren Anfang die Beziehung zwischen Arno und Kaitlan endet und Arno alle Höhen und Tiefen des seelischen Befindens kennenlernt, was aber nicht mit Kaitlan, sondern mit seiner alten Liebe Maja zu tun hat.

 

Max Reiter, mit bürgerlichem Namen Andreas Götz, schreibt mit Erinnere dich! einen ausgesprochen spannenden Psychothriller.

Jemand der sich Lost & Found nennt, kommuniziert mit Arno Seitz über ein Handy und zwingt ihn, sich die Einzelheiten seiner Beziehung mit Maja, die als Abiturient hatte, in Erinnerung zu rufen. Es gelingt Arno offenbar immer besser, sich die Dinge Gedächtnis zu rufen, und das, an was er sich da zu erinnern glaubt, wird für ihn selbst immer bedrohlicher.

Demgegenüber wird die Erinnerung an die Ereignisse um die Bergwanderung vor zwanzig Jahren, die er zuvor hatte und die ihn sich selbst gegenüber in positivem Licht erscheinen lässt, immer blasser, bis sie schließlich von seinen negativen Erinnerungen völlig zugedeckt wird.

Dazu trägt Lost & Found am anderen Ende der Leitung Wesentliches bei, denn er – oder sie – scheint ganz genau zu wissen, was damals in den Bergen geschehen ist. Selbst die Stimme von Maja, die Arno ganz genau kennt, imitiert Lost & Found am anderen Ende der Verbindung mit Hilfe eines Computerprogramms so genau, dass Arno zuerst denkt, er spreche tatsächlich mit Maja selbst.

Der Autor versteht es meisterhaft, den psychischen Druck auf Arno per Handy und den Wandel der echten Erinnerungen, die er zuvor hatte, hin zu völlig anderen Erinnerungen, die nicht den Tatsachen entsprechen, darzustellen.

Ob es allerdings tatsächlich möglich ist, in der beschriebenen Weise einen – zugegeben sehr sensiblen – Menschen so stark zu manipulieren, wie dargestellt, entzieht sich meiner Kenntnis. Allerdings ist es sehr interessant, eine Geschichte wie die vorliegende zu lesen, gleich, ob das Beschriebene möglich oder doch nur Fiktion ist.

Fazit:

Max Reiter schafft mit Erinnere dich! einen Kriminalroman, der an Spannung kaum zu überbieten ist. Ich kann diesen Psychothriller demjenigen Leser empfehlen, der Interesse an Krimis über perfide psychologische Manipulation hat.

Der Autor:

Andreas Götz alias Max Reiter ist 1965 geboren. Er studierte Germanistik, Theaterwissenschaft und Amerikanistik und arbeitet als Journalist, Übersetzer und freier Autor. Er verfasst u.a. Hörspieltexte und schreibt für diverse Rundfunkanstalten. Sein Wohnsitz ist München.

Als Autor hatte er zunächst große Erfolge mit ersten Jugendromanen. Dann schrieb er Kriminalromane, die in den 50er-Jahren spielen. Die Idee zu Erinnere dich! kam ihm bei einem Klassentreffen. Manche der alten Geschichten, die man dort erzählte, hatte er anders im Gedächtnis oder gar vergessen. Dann aber gab es auch Geschichten, an die er sich äußerst ungern erinnerte. Meist ist so etwas eher harmlos. Was aber, wenn etwas geschah, was ganz und gar nicht harmlos ist?

Quellen:

Bilder:

  • Cover des Romans. Mit freundlicher Genehmigung der S. Fischer Verlage.
  • Autor: Andreas Götz. Foto: Stefan Gelberg. Ebenfalls mit freundlicher Genehmigung der S. Fischer Verlage.

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