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Der Detektiv – Band 26 – Der Saal ohne Fenster – Teil 6

Walter Kabel
Der Detektiv
Band 26
Kriminalerzählungen, Verlag moderner Lektüre GmbH, Berlin, 1920
Der Saal ohne Fenster

Teil 6

Schreiber kehrte gegen neun Uhr von der Radpartie bestaubt, müde, schwitzig, aber mit tadelloser Laune zurück.

Aß mit Hartwich im Garten Abendbrot, gähnte viel, scherzte mit Hanni und erklärte, er würde nun wie ein Toter schlafen.

Um halb zehn verschwanden die Freunde in ihrem Zimmer.

Schlossen sich ein, legten sich auf das Sofa.

»Los!«, befahl Hartwich. »Zuerst Bericht über Becherts Feststellungen.«

Max Schraut im Depeschenstil: »Gerda Gardani, Hilda Novarra und Luigi Luisiano sind alte Bekannte und … bankrott. Vermögensverhältnisse oberfaul. Die Novarra wohnt bei der Gardani, und Luigi, der Kunstpfeifer, haust in der Drei-Zimmer-Wohnung der Mutter der Novarra, die schlicht bürgerlich Neumann heißt. Alle drei verdienen zurzeit nichts. Die Gardani ist von den Filmfabriken in Verruf erklärt, weil sie dreimal kontraktbrüchig geworden war.«

»Gut – genügt …. Und in Pankow?«

»Das Haus Pankow, Essener Straße 64, gehörte einem August Bröseke, der früher Kunstreiter war.«

»Aha!«, machte Harst.

»Ich ließ mir diesen Bröseke von dem im Haus Nr. 64 wohnenden Friseur telefonisch beschreiben. Mit unserem Bröseke hier keinerlei Ähnlichkeit: Der Echte ist klein, mager, trägt gefärbten Schnurrbart und braune Perücke, eitler alter Narr, der lediglich um seine drei Mädels Fanni, Anni, Hanni zu beneiden sei, sagte der Friseur.«

»Aha!«

»Dann Punkt drei: der Kriminalbeamte! – Ist eingetroffen, heißt Meisel und ist derselbe Meisel, den wir schon kennen. Tüchtiger Kerl!«

»Stimmt! – Und der Arzt?«

»Den Doktor Moitosch aus Werder habe ich glücklich abgefasst und eingeweiht. Der Hortensia Bienert geht es tadellos. Der Schädelbruch ist nur leicht, und lediglich eine tiefe Bewusstlosigkeit kann Bröseke den Tod vorgetäuscht haben. Der Arzt betonte, dass die Hortensia bei klarem Verstand sei, nur leichtes Fieber habe und offenbar nicht reden wolle. Er hat recht gütig auf sie eingesprochen und sie gefragt, wer sie niedergeschlagen habe. Sie hat geschwiegen, und auch mit Rütter und seiner Schwester hat sie noch kein Wort gewechselt.«

»Hm – schon faul!«

»Weshalb denn?«

»Weil wir bei der ganzen Geschichte auf dem Holzwege sind.«

»Also: Bröseke-Merina ist hier ein Unschuldslämmchen! Hat den Saal nur für Champignons zugemauert!«

»Nein … nicht für Champignons. Die Beete, die Rütter gesehen hat, sind längst nicht mehr da.«

»Und?«, fragte Schraut sehr gedehnt.

»Wir hätten lieber in Berlin bleiben sollen. Das hier ist kein Kriminalfall – trotz der verscharrten Leiche.«

»So?«

»Ja – so! Das ist etwas anderes, freilich ebenso Interessantes. Und da wir die Geschichte nun einmal begonnen haben, müssen wir sie auch zu Ende führen, müssen es schon Rütters wegen, um dessen Beamtengewissen durch den Beweis zu beruhigen, dass der Saal ohne Fenster die Behörden nichts angeht.«

Schraut schlackerte mit dem Kopf.

»Lieber Harald, das ist mir zu hoch, das verstehe ich nicht! All die Heimlichkeiten, all diese merkwürdigen Dinge, die mit dem Pankower Hausverkauf beginnen und dann hier weiterspielen, wo die echten Töchter des echten Bröseke die falschen Töchter des falschen Bröseke, eines Zuchthäuslers, markieren und wo … Himmel, da wird einem ganz schwindelig, wenn man sich das alles so recht vergegenwärtigt!«

Harst lachte leise.

»Nicht wahr – und dann noch der feine Hausknecht, heimlich Verlobter einer Oberregierungsratstochter, und die eifersüchtige Hortensia und das Motorboot Poseidon nebst Inhalt! Ach ja – das ist allerhand!«

»Was ist es?«

»Bitte – streng mal deinen geehrten Grips etwas an, mein Alter! Wenn es sich um kein Verbrechen handelt, was kann es dann nur sein?«

Schraut grübelte nach.

Der arme Schraut zermarterte sich den Schädel.

»Filmaufnahme!«, sagte er schließlich, nur um etwas zu sagen.

»Blech!«

»Ich ahnte es: Blech!« Und Max Schraut seufzte.

Harst holte die Uhr hervor. Im dunklen Zimmer leuchtete das Zifferblatt.

»Elf. Es wird Zeit!«

»Und wozu?«, fragte Schraut unsicher.

»Zum Angriff auf den Saal ohne Fenster! Man glaubt uns längst im tiefen Schlaf. Wir können in aller Gemächlichkeit beginnen. Suche unser Handwerkszeug hervor.«

 

*

 

In dem Häuschen des Landjägers Rütter unten am See brannte im Stübchen Therese Rütters das Krankenlämpchen am Lager Hortensias.

Ein Lämpchen mit grünem Seidenschirm.

Ein Lämpchen, das Hortensia sehr angenehm war.

Soeben hatte sich Fräulein Therese hereingeschlichen, um zu lauschen, ob Hortensia auch schliefe oder ob sie irgendwelche Wünsche habe.

Und da hatte die Kranke zum ersten Mal etwas gesprochen.

»Sie sind so gut zu mir … so gut … Aber Sie sollen meinetwegen nicht wachen. Ich fühle es, ich bin ganz fieberfrei.«

Therese war glücklich, dass der seltsame Gast das Schweigen endlich brach.

Und Hortensia bat nun um ein wenig Kaffee – kalten Kaffee. Das würde sie erfrischen.

Therese sah ein, dass eine Nachtwache wirklich nicht mehr nötig war.

Eine halbe Stunde darauf schlief sie fest vorn im Arbeitszimmer ihres Bruders auf dem breiten Sofa.

Hortensia Bienert schlief nicht …

 

*

 

Ebenso wenig schlief der frische alte Pastor von Reddin, der ewig junge …

Um neun Uhr abends hatte ihn eine Depesche seiner Frau aus Magdeburg erreicht.

Helga während Herreise aus dem Zug verschwunden. Schaffner behauptet, in Brandenburg ausgestiegen. Hat Depesche hierhergeschickt, dass erst morgen Abend einträfe. Was tun? Anna.

Kein Wunder, dass auch dem Herrn Pastor ob dieser etwas unklaren Alarmnachricht so etwas wie ein Fluch entschlüpfte.

Kein Wunder, dass er wie ein gereizter Löwe in seinem Studierzimmer auf und ab lief und Helga mit Schmeichelnamen belegte, die in keinem Lexikon zu finden sind.

Ja – der alte Herr Herms war eben ein temperamentvoller Mann!

Schließlich beruhigte er sich etwas und begann nun die Sachlage bei einer Zigarre kühl zu prüfen.

Trank dabei drei Flaschen Patzenhofer dunkel und kam endlich zu dem Entschluss, sofort trotz der nächtlichen Stunde nach Dalchow zu radeln und im Grünen See den Wirt herauszuklopfen und zu fragen, ob der Hausdiener Viktor Manz daheim sei.

Denn natürlich hatte diese blonde kleine Kanaille sich auf der Fahrt nach Magdeburg nur dünne gemacht, um ihren Liebsten zu besuchen und ihn zu fragen: »Bist du ein Verbrecher, süßer Viktor?«

»Die verflixte Liebe!«, brummte der Pastor, als er seine Tretmaschine die Steinstufen hinab auf die Dorfstraße trug.

Er schwang sich in den Sattel, der alte junge Pastor, und gondelte gen Dalchow.