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Der Welt-Detektiv Band 6

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Der Wildschütz – Kapitel 4

Th. Neumeister
Der Wildschütz
oder: Die Verbrechen im Böhmerwald
Raub- und Wilddiebgeschichten
Dresden, ca. 1875
Viertes Kapitel

Das Verbrechen

Die unheimlichen Wanderer konnten etwa eine Stunde vom Waldschloss entfernt sein, als sie plötzlich Pferdegetrappel hinter sich vernahmen, welches sich ihnen schnell zu nähern begann. Vielleicht war es irgendein verspäteter Reisender, der sich veranlasst sah, den Wald bei Nacht zu passieren.

Der Anführer des kleinen Zuges hielt einen Augenblick an und begann seine Begleiter auf die nächste Umgebung aufmerksam zu machen. Nach dem in der Nähe befindlichen Denkmal zeigend, dessen Anblick vor kurzer Zeit die Furcht des zu Anfang erwähnten Reisenden erregt hatte, sagte er: »Wahrlich, ein allerliebster Ort, und sehr geeignet für einen Schwarzfuß, der im Begriff steht, dem erstbesten Reisenden ein Rendezvous zu geben. Diese Ansicht muss auch derjenige gehabt haben, welcher die Veranlassung zu diesem Denkmal gab. Lasst uns auf die Seite treten, wir wollen sehen, was sich tun lässt.«

Die Gauner huschten schnell wie der Wind über die holprige Straße und verbargen sich hinter den nächsten Bäumen, was auch Martin zu tun sich genötigt sah, damit sie von dem Herankommen­den unmöglich bemerkt werden konnten. Als der arglose Reiter jedoch im Begriff stand, vorüberzutraben, machte plötzlich einer der dicht neben Martin stehenden Räuber eine schnelle Bewegung mit der Hand, wobei jener mit Schrecken gewahrte, dass der Lauernde ein Schießgewehr hervorzog und kaltblütig auf den Vorüberkommenden anlegte. Martin hob entsetzt die Hand empor, als wollte er dem beabsichtigten Verbrechen Einhalt tun. Allein schon in der nächsten Sekunde krachte der Schuss und der Reiter stürzte mit einem dumpfen Schrei zu Boden.

Martin fühlte sich mehr tot als lebendig; er wäre beinahe auf dem Platz umgesunken, wo er stand, denn einen solchen Ausgang hatte er nicht erwartet. Als er sich endlich etwas gefasst hatte, erfuhr er, dass der Unglückliche der Pächter Andreas sei, auf dessen Beraubung es abgesehen war.

»Jetzt lasst uns eilen«, rief der grässliche Schütze, »wir müssen in einer halben Stunde die Pächterwohnung erreicht haben.«

Man ließ den Geplünderten liegen und nahm das herrenlose Pferd mit fort, denn man konnte dadurch die Bewohner am leichtesten täuschen und zum Öffnen des Hauses bewegen, somit auch jeden Argwohn bei ihrer Annäherung von sich entfernt halten.

Die Pächterei bestand aus einem ansehnlichen Wohnhaus und mehreren Nebengebäuden. Das Ganze bildete einen geschlossenen Hof, dessen Eingang bei Nacht durch ein festes Tor geschützt wurde. Übrigens lag die Besitzung einsam und fast von jeder Verbindung abgeschnitten, keine menschliche Wohnung war im weiten Umkreis zu erblicken.

Um sich eine Erholung zu verschaffen und die langen Abende zu kürzen, unternahm der Pächter zuweilen einen Ausflug zu Pferde zu den zunächst liegenden Ortschaften, wo er mit irgendeinem alten Freund ein Spielchen machte und wobei es nichts Auffälliges für die seinen war, wenn er manchmal erst nach Mitternacht vor den Toren seiner Pächterei anlangte.

Seine Gattin blieb dann gewöhnlich bis zu seiner Heimkehr wach, sowie der einzige Knecht, dem die Abwartung des Gaules oblag.

Es war auch an dem heutigen Abendesehr spät geworden; der Pächter kam noch nicht und seine Frau begann endlich unruhig zu werden. Sie horchte auf jedes Geräusch, allein sie fand sich am Ende immer getäuscht.

Endlich hörte sie deutlich Hufschlag in der Nähe des Hauses. Der Knecht begab sich sogleich hinab, um das verriegelte Tor zu öffnen, worauf ein Reiter hindurch kam, in welchem er weiter nie­manden als seinen Herrn vermuten konnte, da das Pferd beim ersten Blick von ihm erkannt wurde. Franz nahm sofort das Tier beim Zügel, und eben stand er im Begriff, seinen vermeintlichen Herrn herabzuhelfen, als er einen heftigen Schlag auf den Kopf erhielt, sodass er besinnungslos niederstürzte.

In demselben Moment wurden drei andere Gestalten neben dem Eingang sichtbar. Der Reiter, welcher nun abgestiegen war, winkte ihnen herbeizukommen, worauf zwei von ihnen den Knecht mit Stricken banden. Während der Dritte am Tor Wache hielt, be­gab sich der Anführer zum Wohngebäude. Hier angelangt, trat ihm die Gattin des Pächters mit einem Licht in der Hand entgegen. Man kann sich ihren Schreck denken, als sie statt des erwarteten Gatten den maskierten Fremden erblickte. Ein einziger Augenblick war hinreichend, ihr das Fürchterliche ihrer Lage klarzumachen. ein Ruf des Entsetzens entstieg ihrer laut klopfenden Brust. Als bald darauf die beiden anderen Kumpane hereintraten, sank sie nieder und flehte um Gottes Willen, man möge ihr kein Leid zufügen, indem sie alles herzugeben bereit sei.

Die angsterfüllte Frau öffnete hierauf Kisten und Schränke und übergab den Räubern, was vorhanden war, die, nachdem sie mehrere Beutel mit Geld erhalten und sich überzeugt hatten, dass nichts mehr von Wert zu stehlen sei, zu essen und zu trinken verlangten.

Auch dies wurde ihnen von der Pächterin gewährt. Während sie sich über den Wein und Braten hermachten, wurde die geängstigte Frau in ein Nebenzimmer gesperrt, aus welchem sie nicht entfliehen konnte. Kaum aber hatten sie sich niedergesetzt, als der Ton einer Pfeife vernehmbar wurde. Alle sprangen auf, eilten in wilder Hast hinaus und ließen alles stehen und liegen. In einigen Augenblicken waren die Räuber verschwunden, man hörte Stimmen in geringer Entfernung, bald danach kam ein ganzer Tross Menschen am offenstehenden Tor an. Unter den Angekommenen erblickte man vier Männer, die auf einer Bahre von Baumzweigen einen mit Blut bedeckten Schwerverwun­deten trugen.

Die Pächterin, welche unter den Ankommenden bekannte Stimmen vernommen hatte, war sogleich hinabgeeilt. Sie erkannte sofort in dem Verwundeten ihren Gatten und sank bei seinem Anblick ohn­mächtig nieder. Man brachte sie wieder ins Leben, und die Nachricht, dass der Beraubte noch am Leben sei, trug viel zu ihrer Fassung bei, denn die Kugel hatte nur seine Schulter scharf gestreift und es war keine ernstliche Gefahr für sein Leben vorhanden. Man legte nun einen Verband um die Wunde und brachte den Kranken ins Bett, ohne ihm von den Vorfällen, die sich während seiner Abwesenheit in seiner Wohnung zugetragen hatten, etwas mitzuteilen. Es ge­schah dies aus Schonung für ihn und es lässt sich leicht denken, dass es für den Verwundeten von großem Nutzen sein musste, vorläufig davon ununterrichtet zu bleiben, dass seine gefüllten Geldbeutel geraubt und alle Fächer geplündert waren.

 

*

 

Während in der Pächterwohnung die größte Aufregung herrschte, waren die gestörten Räuber auf dem Rückzug zu ihrem Versteck begriffen, welchen sie auch glücklich erreichten.

Hier angekommen, wandte sich der Anführer gegen Martin. Ihm einen Beutel mit Geld in die magere Rechte drückend, sagte er: »Freundchen, du hast deine Sache gut gemacht, ohne dich konnten wir in die Enge kommen. Ich erkenne den geleisteten Dienst und daher sollst du auch deinen Teil davon haben. Überhaupt ist ferner keine Rückhaltung gegen dich mehr nötig, du bist von nun an unser Verbündeter. Lassen wir die Masken fallen!«

Mit diesen Worten zog er die Larve herab und Martin erblickte ein bärtiges, ihm völlig fremdes Gesicht, dessen Züge von einem höhnischen Grinsen verzerrt wurden. Bald darauf nahm auch der Zweite die Vermummung weg, und auch er war Martin so unbekannt wie der Erstere. Sein Gesicht war blass und ein schwaches Bärtchen, welches die Oberlippe deckte, gab seinem zarteren Äußeren einigen Anstrich von Männ­lichkeit.

Martin starrte beide betroffen an, sein scheuer Blick haftete bald auf dem einen, bald auf dem anderen, worüber beide sich zu freuen schienen.

»Ha, ha, du kennst uns nicht, was wir dir gern glauben wollen!«, rief endlich der Bärtige. »Nun, vielleicht findest du in dem Dritten einen Bekannten wieder.«

Und mit diesen Worten zog er auch dem letzten Genossen die Maske weg.

»Herr Gott, das ist ja Georg, der Sohn des alten Bärenwirts!«, rief Martin überrascht. »So hättest du also die Veranlassung gegeben, mich in das Netz des Satans zu ziehen? O weh, du spielst deinem alten Vater übel mit! Möge er bald sterben, damit er nicht Zeuge von deinem Ende sei.«

»Du bist ein Schwätzer«, unterbrach Georg den Sprecher, »halt dein Maul, denn wir haben es längst gewünscht, mit dir in Ver­bindung zu stehen. Es wird dein Schaden nicht sein. Überhaupt haben wir noch wichtige Dinge in Ausführung zu bringen, wobei wir deine Geschicklichkeit besonders in Anspruch nehmen müssen. Doch für diese Nacht mag es genug sein, ich will dich nach Hause begleiten und dir den Rehbock in Sicherheit bringen helfen, welcher wohl ohne Zweifel noch auf seine Erlösung wartet.«

»So war es einer von euch, der mich aus meiner Wohnung lockte!«, fragte Martin, »ihr hattet alles schon im Voraus berechnet.«

»Nein, beim Kuckuck, von uns ist es keiner gewesen«, entgegnete der Bärtige. »Wir standen jedoch im Begriff, dich aufzusuchen, der Zufall kam uns erwünscht, wir fanden dich mit deiner Beute bereits auf halbem Weg.«

»Nun, wer sollte es dann gewesen sein?«, fragte Martin zweifelnd, »ich wüsste nicht, wem mein Schicksal so zu Herzen gegangen sein könnte.«

»Ich errate es jetzt«, versetzte Georg, »doch glaube es mir, der geheimnisvolle Wohltäter ist fast kein Haar besser als wir alle zusammengenommen. Er ist ein Narr und mag sich wohl hüten, dass man ihm nicht einmal sein Handwerk für immer legt. Doch jetzt komm, es ist Zeit, dass wir auseinander gehen.«

Man trennte sich und Martin folgte seinen Kumpanen aus der Höhle. Als er in Begleitung Georgs bei der Stelle anlangte, wo man ihn aufgegriffen hatte, fand sich auch das erlegte Wild noch vor, und mithilfe seines Gefährten gelang es ihm, dasselbe hinweg­zubringen.

Bei Martins Hütte angekommen, entfernte sich Georg, worauf der Erstere mit zitternder Hand die verschlossene Tür öffnete und in die öde Wohnung trat, in welcher Totenstille herrschte.

Ein drückendes Gefühl banger Ahnungen erfasste den Heimkehrenden. Das Bewusstsein der Teilnahme an dem in dieser Nacht begangenen Verbrechen verscheuchte seinen inneren Frieden, der ihn bisher trotz der vielfachen Drangsale, die er erdulden musste, nicht verlassen hatte. Endlich war er in dem elenden Zimmer angelangt, worin die Kranke lag. Er lauschte mit angehaltenem Atem, um die Ruhe der Schlummernden nicht zu stören, doch nicht das leiseste Geräusch ließ sich vernehmen. Es blieb alles still, worauf er erwartungs­voll an das Bett herantrat und ein Licht anzündete. Als nun endlich das Zimmer erleuchtet wurde, da wurde ihm eine Überraschung zuteil, wie er sie nimmer erwartet hätte.

Auf dem dürftigen Bett lag seine Frau bewegungslos hingestreckt; der abgezehrte Körper war kalt und erstarrt, Mund und Augen standen offen, es war in der Tat ein Anblick, der dem erschrockenen Martin die Haare zu Berge trieb und seine Blicke mit Entsetzen auf den erstorbenen Zügen der Entseelten ruhen ließ.

»Herr des Himmels, sie ist tot!«, rief er endlich im Ton rat­loser Verzweiflung. »O ich Bösewicht, wie konnte ich meine arme Frau verlassen, um während ihres Hinscheidens zum Verbrecher zu werden! Fluch über mich und jene Schurken, die mich so unbeschreiblich unglücklich gemacht haben!«

Bei diesen Worten ging er mehrmals im Zimmer auf und ab, dann aber sank er neben dem Bett auf die Kniee und begann laut zu schluchzen, sodass die Kinder durch seine Klagen aufgeweckt wurden. Es erschien eines nach dem anderen und alle schauten den Vater mit schüchterner Miene an, von ihm aber wandten sie sich zum Bett.

Ein einziger Blick sagte ihnen, was vorgefallen war, und auch sie brachen nun in lautes Jammern aus, während sie bemüht waren, die geliebte Mutter ins Leben zurückzurufen. Allein diejenige, welche immer mit treuer Liebe über die pflegebedürftigen Kleinen wachte, hatte für immer die Augen geschlossen.

Martin stand nun mit seinen Kindern verlassen auf der Welt. Seine Frau hatte ihn treu geliebt, und die Nacht ihres Todes machte auf sein Wesen einen tiefen Eindruck; der Gedanke an die erlebten Ereignisse zündete eine Hölle in seiner Brust an. Das schuldbewusste Auge suchte den Boden, und als ihn die Kinder jammernd umringten und seine Hände mit den ihren umklammerte, da dünkte es ihm, als hängen Zentnergewichte an denselben, die ihn niederzudrücken drohten. Er versuchte sich zu befreien, doch da es ihm nicht gelingen wollte, schleuderte er die armen Waisen mit Gewalt von sich. Sie wichen erschrocken zurück, um nun bei der Mutter Schutz zu suchen. Als die Entschlummerte regungslos blieb, bedeckten sie Lippen und Hände derselben mit Tränen und Küssen.

Martin war nicht imstande, bei diesem Auftritt gleichgültig zu bleiben. Es ergriff ihn vielmehr ein Gefühl der Reue und seine augenblickliche Härte verwandelte sich in schmerzliche Wehmut. Er wollte die gezeigte Heftigkeit wiedergutmachen und verteilte nun eine Anzahl Geldstücke unter die Bangenden, doch nicht ohne über deren abscheulichen Erwerb schamrot zu werden. Die Frage, woher er die blanken Münzen habe, blieb von ihm unbeantwortet.

Der Vater wurde beschämt von seinen Kindern. Der Schmerz dieser Letzteren war heftig gewesen, allein er begann sich bald zu mildern. Der Anblick der schönen Silberstücke zog die Gedanken der Kinder von dem erlittenen Verlust ab und ließ sie für den Augenblick ihren Kummer vergessen.