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Adventskalender 2021 – 11. Türchen

Richard von Volkmann-Leander
Träumereien an französischen Kaminen
Märchen, Leipzig 1874
Der Wunschring

Ein junger Bauer , mit dem es in der Wirtschaft nicht recht vorwärts gehen wollte, saß auf seinem Pflug und ruhte einen Augenblick aus, um sich den Schweiß vom Angesicht zu wischen.

Da kam eine alte Hexe vorbeigeschlichen und rief ihm zu: »Was plagst du dich und bringst es doch zu nichts? Geh zwei Tage lang gerade aus, bis du an eine große Tanne kommst, die frei im Wald steht und alle anderen Bäume überragt. Wenn du sie umschlägst, ist dein Glück gemacht.«

Der Bauer ließ sich das nicht zweimal sagen, nahm sein Beil und machte sich auf den Weg. Nach zwei Tagen fand er die Tanne. Er ging sofort daran, sie zu fällen. In dem Augenblick, wo sie umstürzte und mit Gewalt auf den Boden schlug, fiel aus ihrem höchsten Wipfel ein Nest mit zwei Eiern heraus. Die Eier rollten auf den Boden und zerbrachen, und als sie zerbrachen, kam aus dem einen Ei ein junger Adler heraus. Aus dem anderen fiel ein kleiner goldener Ring.

Der Adler wuchs zusehends, bis er wohl halbe Manneshöhe hatte, schüttelte seine Flügel, als wollte er sie ausprobieren, erhob sich etwas über die Erde und rief dann: »Du hast mich erlöst! Nimm zum Dank den Ring, der in dem anderen Ei gewesen ist! Es ist ein Wunschring. Wenn du ihn am Finger umdrehst und dabei einen Wunsch aussprichst, wird er alsbald in Erfüllung gehen. Aber es ist nur ein einziger Wunsch im Ring. Ist der getan, so hat der Ring alle weitere Kraft verloren und ist nur wie ein gewöhnlicher Ring. Darum überlege dir wohl, was du dir wünschst, auf das es dich nicht nachher gereue.«

Darauf erhob sich der Adler hoch in die Luft, schwebte lange noch in großen Kreisen über dem Haupt des Bauers und schoss dann wie ein Pfeil in den Morgen.

Der Bauer nahm den Ring, steckte ihn an den Finger und begab sich auf den Heimweg. Als es Abend war, kam er in eine Stadt. Da stand der Goldschmied im Laden und hatte viel köstliche Ringe feil. Da zeigte ihm der Bauer seinen Ring und fragte ihn, was er wohl wert wäre.

»Einen Pappenstiel!«, versetzte der Goldschmied.

Da lachte der Bauer laut auf und erzählte ihm, dass es ein Wunschring sei und mehr wert als alle Ringe zusammen, die jener feil hielte.

Doch der Goldschmied war ein falscher, ränkevoller Mann. Er lud den Bauer ein, über Nacht bei ihm zu bleiben, und sagte: »Einen Mann, wie dich, mit solchem Kleinod zu beherbergen, bringt Glück. Bleibe bei mir!« Er bewirtete ihn aufs Schönste mit Wein und glatten Worten, und als er nachts schlief, zog er ihm unbemerkt den Ring vom Finger und steckte ihm stattdessen einen ganz gleichen, gewöhnlichen Ring an.

Am nächsten Morgen konnte es der Goldschmied kaum erwarten, dass der Bauer aufbräche. Er weckte ihn schon in der frühesten Morgenstunde und sprach: »Du hast noch einen weiten Weg vor dir. Es ist besser, wenn du dich früh aufmachst.«

Sobald der Bauer fort war, ging er eilig in seine Stube, schloss die Läden, damit niemand etwas sähe, riegelte dann auch noch die Tür hinter sich zu, stellte sich mitten in die Stube, drehte den Ring um und rief: »Ich will gleich hunderttausend Taler haben.«

Kaum hatte er dies ausgesprochen, so fing es an, Taler zu regnen, harte, blanke Taler, als ob es aus Mulden gösse, und die Taler schlugen ihm auf Kopf, Schultern und Arme. Er fing an kläglich zu schreien und wollte zur Tür springen, doch ehe er sie erreichen und aufriegeln konnte, stürzte er, am ganzen Leib blutend, zu Boden. Aber das Talerregnen nahm kein Ende. Bald brach von der Last die Diele zusammen und der Goldschmied mitsamt dem Geld stürzte in den tiefen Keller. Darauf regnete es immer weiter, bis die Hunderttausend voll waren. Zulegt lag der Goldschmied tot im Keller und auf ihm das viele Geld.

Von dem Lärm kamen die Nachbarn herbeigeeilt. Als sie den Goldschmied tot unter dem Geld liegend fanden, sprachen sie: »Es ist doch ein großes Unglück, wenn der Segen so knüppeldick kommt.«

Darauf kamen auch die Erben und teilten.

Unterdessen ging der Bauer vergnügt nach Hause und zeigte seiner Frau den Ring.

»Nun kann es uns gar nicht fehlen, liebe Frau«, sagte er. »Unser Glück ist gemacht. Wir wollen uns nur recht überlegen, was wir uns wünschen wollen.«

Doch die Frau wusste gleich guten Rat. »Was meinst du«, sagte sie, »wenn wir uns noch etwas Acker wünschten? Wir haben gar so wenig. Da reicht so ein Zwickel gerade zwischen unsere Äcker hinein; den wollen wir uns wünschen.«

»Das wäre der Mühe wert«, erwiderte der Mann. »Wenn wir ein Jahr lang tüchtig arbeiten und etwas Glück haben, können wir ihn uns vielleicht kaufen.«

Darauf arbeiteten Mann und Frau ein Jahr lang mit aller Anstrengung, und bei der Ernte hatte es noch nie so geschüttet wie dieses Mal, sodass sie sich den Zwickel kaufen konnten und noch ein Stück Geld übrig blieb.

»Siehst du!«, sagte der Mann, »wir haben den Zwickel und der Wunsch ist immer noch frei.«

Da meinte die Frau, es wäre wohl gut, wenn sie sich noch eine Kuh wünschten und ein Pferd dazu.

»Frau«, entgegnete abermals der Mann, indem er mit dem übrig gebliebenen Geld in der Hosentasche klapperte, »was wollen wir wegen solch einer Lumperei unseren Wunsch vergeben. Die Kuh und das Pferd kriegen wir auch so.«

Und richtig  nach abermals einem Jahre waren die Kuh und das Pferd reichlich verdient.

Da rieb sich der Mann vergnügt die Hände und sagt e: »Wieder ein Jahr den Wunsch gespart und doch alles bekommen, was man sich wünschte. Was wir für ein Glück haben!«

Doch die Frau redete ihrem Mann ernsthaft zu, endlich einmal an den Wunsch zu gehen. »Ich kenne dich gar nicht wieder«, versetzte sie ärgerlich. »Früher hast du immer geklagt und gebarmt und dir alles Mögliche gewünscht, und jetzt, wo du es haben kannst, wie du es willst, plagst und schindest du dich, bist mit allem zufrieden und lässt die schönsten Jahre vergehen. König, Kaiser, Graf, ein großer, dicker Bauer könntest du sein, alle Truhen voll Geld haben und kannst dich nicht entschließen, was du wählen willst.«

»Lass doch dein ewiges Drängen und Treiben«, erwiderte der Bauer. »Wir sind beide noch jung, und das Leben ist lang. Ein Wunsch ist nur in dem Ringe, und der ist bald vertan. Wer weiß, was uns noch einmal zustößt, wo wir den Ring brauchen. Fehlt es uns denn an etwas? Sind wir nicht, seit wir den Ring haben, schon so heraufgekommen, dass sich alle Welt wundert? Also sei verständig. Du kannst dir mittlerweile immer überlegen, was wir uns wünschen könnten.«

Damit hatte die Sache vorläufig ein Ende. Und es war wirklich, als ob mit dem Ring der volle Segen ins Haus gekommen wäre, denn Scheuern und Kammern wurden von Jahr zu Jahr voller und voller. Nach einer längeren Reihe von Jahren war aus dem kleinen armen Bauer ein großer, dicker Bauer geworden, der den Tag über mit den Knechten schaffte und arbeitete, als wollte er die ganze Welt verdienen, nach der Vesper aber behäbig und zufrieden vor der Haustür saß und sich von den Leuten einen guten Abend wünschen ließ.

So verging Jahr um Jahr. Dann und wann, wenn sie ganz allein waren und niemand es hörte, erinnerte zwar die Frau ihren Mann immer noch an den Ring und machte ihm allerhand Vorschläge. Da er aber jedes Mal erwiderte, es habe noch vollauf Zeit, und das Beste falle einem stets zuletzt ein, so tat sie es immer seltener, und zuletzt kam es kaum noch vor, dass auch nur von dem Ring gesprochen wurde. Zwar drehte der Bauer selbst den Ring täglich wohl zwanzig Mal am Finger um und besah sich ihn, aber er hütete sich, einen Wunsch dabei auszusprechen . Dreißig und vierzig Jahre vergingen, und der Bauer und seine Frau waren alt und schneeweiß geworden, der Wunsch aber war immer noch nicht getan. Da erwies ihnen Gott eine Gnade und ließ sie beide in einer Nacht selig sterben.

Kinder und Kindeskinder standen um ihre beiden Särge und weinten. Als eines von ihnen den Ring abziehen und aufheben wollte, sagte der älteste Sohn: »Lasst den Vater seinen Ring mit ins Grab nehmen. Er hat sein Lebtag seine Heimlichkeit mit ihm gehabt. Es ist wohl ein liebes Andenken. Und die Mutter besah sich den Ring auch so oft; am Ende hat sie ihn dem Vater in ihren jungen Tagen geschenkt.«

So wurde denn der alte Bauer mit dem Ring begraben, der ein Wunschring sein sollte und keiner war, und doch so viel Glück ins Haus gebracht hatte, wie ein Mensch sich nur wünschen kann. Denn es ist eine eigene Sache mit dem, was richtig und was falsch ist; und schlecht Ding in guter Hand ist immer noch sehr viel mehr wert als gut Ding in schlechter.