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Oberhessisches Sagenbuch Teil 118

Oberhessisches Sagenbuch
Aus dem Volksmund gesammelt von Theodor Bindewald
Verlag von Heyder und Zimmer, Frankfurt a. M., 1873

Die Springwurz

In einem Oberhessischen Dorf wohnte ein blutarmer Bauernbursche, der Soldat werden sollte, und hatte doch nicht die geringste Lust dazu. In dem Brast darüber ging er an einem Sonntag einstmals ganz allein in einen dichten Wald, um seine betrübten Gedanken loszuwerden. Allein es wollte ihm kein Trost kommen. Währenddessen sah er an einem Baum hinauf und wurde gewahr, dass ein schwarzer Star in ein Astloch schlüpfte, in welchem er sein Nest mit Jungen hatte.

Da fiel ihm ein, von seinem Ellervater gehört zu haben, wenn man solch einem Vogel den Zugang zur Wohnung fest verkeile, sodass er nicht wieder hinein könne, dann fliege er weit fort und suche sich die ihm allein bekannte wunderbare Springwurz. Mit dieser im Schnabel berühre er dann das zugekeilte Loch und bald springe das davon auf. Dann aber vernichte er die Springwurz wieder, am liebsten durch Feuer.

Der Bursche, ein gescheiter Kerl, beschloss sie ihm abzujagen und sich durch ihren Besitz glücklich zu machen. Um den Star zu täuschen, nahm er ein feuerrotes Tuch, breitete es unter den Baum, und richtig, mein Star, der dasselbe für Feuer ansah, ließ die Springwurz darauf fallen. Mit einem Griff hatte er das kostbare Ding und verbarg es sorgsam unter seinem weißen Kittel.

Nun machte ihm das Soldat werden nicht so viele Gedanken mehr, denn er besaß ein Mittel, sich in allen Nöten zu helfen. Seine Löhnung schickte ihm nicht, denn mit alle Tage zwei Kreuzern und anderthalb Pfund Brot mag der Teufel auskommen! Darum beschloss er denn bald nach seiner Ankunft in der Stadt die Kraft seiner Springwurzel auf die Probe zu stellen.

Bei nachtschlafender Zeit ging er an ein großes Kaufmannshaus, horchte, ob innen alles still war, dann hielt er die Springwurz an das Schloss. Es sprang auf. Er hielt sie vor den Laden, er sprang auf, und so vor die Geldkiste. Sie sprang auf und endlich unter das darin liegende Geld, so teilte es sich in drei Haufen. Der erste Teil war, was der Kaufmann für die Ware bezahlt hatte, der zweite war sein erlaubter Verdienst, der dritte, was er den Leuten über Gebühr abgenommen hatte. Dieses letzte Häufchen teilte der Soldat und nahm sich die Hälfte davon mit.

So vermochte er eine Zeit lang herrlich und in Freuden zu leben, wie der feinste Offizier. Seine Kameraden wunderten sich oft, woher der von Haus aus arme Schlucker das viele Geld bekam. Allein er ließ sie fragen und schwätzen, solange sie wollten, und sagte nichts. So behielt er sein Kleinod bis an sein Ende und konnte sich mit demselben alles verschaffen, was seinen Augen gefiel und sein Herz sich wünschte. Es ist nur jammerschade, dass man nun nicht mehr weiß, wohin die Springwurz gekommen ist; es sollte ihr an Liebhabern wohl nirgends fehlen.