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Die Gespenster – Dritter Teil – 5. Erzählung

Die Gespenster
Kurze Erzählungen aus dem Reich der Wahrheit von Samuel Christoph Wagener
Allen guten Schwärmern, welchen es mit dem Bekämpfen und Ablegen beunruhigender Vorurteile in Absicht des Geisterwesens ernst ist, liebevoll gewidmet von dem Erzähler Friedrich Maurer aus dem Jahr 1798
Dritter Teil

Fünfte Erzählung

Die Flammengeister im Keller des Schlosses Tratzberg in Tirol

Nahe bei der Stadt Schwatz am Inn, in der Grafschaft Tirol, liegt ein altes, der freiherrlichen Haldischen Familie gehöriges Schloss mit einem Keller, in oder vielmehr neben welchem einst eine Menge Flammengeister auf eine auffallende Art hausten. Die dortige Haushälterin ging einmal des Nachts – wie denn dies am Tage in wirtschaftlichen Angelegenheiten oft geschah – mit einem Licht in der Hand,– zum Vorratskeller des Schlosses.

Der Zahn der Zeit hatte durch die eine Kellerwand ein Loch gefressen. Von ungefähr sah sie in dieses Loch hinein und erblickte im Hintergrund desselben – was sie gewiss nicht erwartet hatte – einen unterirdischen Geist, der sich wie eine kleine lichte Flamme äußerte. Sie erschrak, eilte zu Menschen zurück, erzählte dem Gesinde und dann auch der Herrschaft von ihrem Schreckensanblick. Alle eilten voller Neugierde zum Keller, guckten in das Loch der verfallenen Wand, wo sich die spukende Flamme gezeigt hatte, und bemerkten sämtlich das Nämliche. Da aber die gemauerte Wand, in welcher das Loch war, sie von dem unbekannten Flammenraum trennte, so konnte man dem Ursprung der Erscheinung nicht sogleich weiter nachspüren.

Der Herr vom Schloss wusste nichts von einem vermauerten Nebenkeller, zu welchem die Öffnung in der Wand hinzuführen schien. Er ließ daher – nach Sitte der dortigen erzkatholischen Gegend – einige Klostergeistliche kommen, die sich auf das Gespenstervertreiben, Schatzgraben und Teufelsbeschwören verstehen wollten. Diese rieten sogleich zum Nachgraben und versicherten, nichts sei gewisser, als dass da, wo der Flammengeist gesehen werde, ein vergrabener Schatz liege.

Der Hausherr ließ nun das Loch in der Wand sogleich vergrößern, damit man sich der feurigen Erscheinung nähern könnte. Kaum aber hatten die Arbeitsleute ein großes Stück von der Mauer eingerissen, so sahen sie ein offenes Gewölbe vor sich, aber jene Flamme war verschwunden. Entsetzen überfiel sie und sie entfernten sich aus Gespensterfurcht, unter dem Vorwand, dass sie nun, da der Geist verschwunden sei, nicht wüssten, wo sie des Schatzes wegen weiter abbrechen oder nachgraben sollten.

Bald darauf hatte die Haushälterin wieder ökonomische Geschäfte im Keller und erblickte den Flammengeist abermals, und zwar viel größer als vorher. Sie stand nachdenkend still, entschloss sich aber, mit einer seltenen Unbefangenheit, der spukhaften Erscheinung ungeachtet, ihren Geschäften dreist nachzugehen. Diesem Entschluss zufolge musste sie sich derselben bis auf wenige Schritte nähern. Nun aber überfiel sie ein unwillkürliches Zittern und Zagen, denn sie erblickte ein kleines geöffnetes Totengewölbe vor sich, und in demselben nicht mehr einen feurigen Geist, sondern sehr viele, in der Gestalt blauer Flämmchen.

Kaum hatte ihr zitterndes Knie Kraft genug, der Gesellschaft dieser unterirdischen Geister zu enteilen. Da ihr die Mönchsberedsamkeit in den Kopf gesetzt hatte, dass sie und kein anderer bestimmt sei, den Schatz im Keller zu heben, so brachte man sie dennoch wieder dahin, dass sie ihre Berufsgeschäfte im Keller mutig fortsetzte.

Am folgenden Tag bildete sie sich ein, die Flämmchen, deren sie diesmal dreiunddreißig zählte, in der nämlichen Ordnung zu erblicken, in welcher bei einem feierlichen Leichenbegängnis die Lichter um ein Paradesarg herum zu stehen pflegen. Dieser Anblick erschütterte sie heftig, denn sie hielt ihn für die Vorbedeutung irgendeines wahren Sterbefalls. Sie beschloss daher nochmals und ernstlicher als vorhin, den überaus graulichen Keller fernerhin nicht wieder zu betreten. Dennoch glückte es den überaus zudringlichen katholischen Geistlichen, die gutmütige Einfalt am folgenden Tag noch einmal zu überreden, das ihr dargebotene Glück – wie man es nannte – nicht von sich zu stoßen, sondern dem Wink des Schicksals zu dem brennenden Geld hin zu folgen.

So führte die Pfaffendummheit das gutwillige Opferlamm zur Schlachtbank!

Der diesmalige Gang der Hausjungfer kostete sie das Leben: Die Flammengeister mordeten sie. Man harrte, seitdem man oben ein unterirdisches Poltern gehört hatte, ihrer Rückkehr vergebens.

Der Spukschauplatz Tirol war damals noch zu erzkatholisch, das heißt in diesem Fall, zu abergläubig, als das irgendjemand sich in den Keller hätte wagen sollen, um die Hilfsbedürftige auf frischer Tat, wo vielleicht noch Rettung möglich gewesen wäre, dem Tod zu entreißen. Weil aber unter anderen auch der Wein zum Hausbedarf in jenem Keller war, so fanden die durstigen Geisterbanner, die das Bedürfnis ihrer Bäuche mehr als das Leben der Verunglückten beherzigten, doch bald für gut, einen feierlichen Einzug der sämtlichen zuvor eingeweihten Hausgenossen in den großen Keller hinein zu veranstalten. Wer daran teilnahm, der hielt in der einen Hand ein Licht, in der anderen einen Rosenkranz oder etwas anderes. Noch war der Zug nicht ganz hinein, noch waren alle fern von der Wandöffnung, als sie schon einen erstickenden Geruch empfanden und Mund und Nase zuzuhalten genötigt wurden. Die gemordete Hausjungfer fand man auf dem Boden lang ausgestreckt und bereits in Fäulnis übergegangen.

Angst und Schrecken war auf aller Gesichter lesbar. Niemand bezeigte fernerhin Lust, in diesem fürchterlichen Keller zu verweilen oder Schätze zu suchen. Man schleppte den toten Körper mit hinaus und beerdigte ihn noch an demselben Abend. Es versteht sich, dass eine so wunderbar und so plötzlich durch Gespenster ermordete Person auch im Grab keine Ruhe hatte. Sie zeigte sich vielmehr spukend dem Gesinde im ganzen Schloss. Alles, was hier zum Pöbel gehörte und – dahin gehörten vorzüglich die klösterlichen Schatzgräber – flüsterte sich rührende Sächelchen ins Ohr.

Indessen hatte der Herr vom Hause aus dem benachbarten Silberbergwerk einige Bergknappen kommen lassen. Sie schlugen da ein, wo die Flammengeister einen Schatz angezeigt haben sollten, und wandten dabei alle die Vorsicht an, welche ihnen als erfahrene und fachverständigen Bergmänner höchst nötig schien. Mit Recht vermuteten sie da böse Dünste, wo die Haushälterin so plötzlich getötet worden war. Einige mit Sand leicht bedeckte Knochen, welche sie vorfanden, bestätigten diese Vermutung. Etwas tiefer fanden sie eine Menge solcher Überbleibsel verscharrter Leichen. Endlich stießen sie auf einen kiesigen Felsen und erkannten in ihm den sichersten Bürgen, dass hier jedes fernere Suchen nach Geld vergeblich sei. Als treuherzige und ehrliche Leute eröffneten sie dies dem Besitzer des Schlosses unverhohlen. Überhaupt nahmen sich diese besseren Naturkundigen die Freiheit, in dem hochadligen Kopf voller Gespensterwahn und Schatzgräbertorheiten ein kleines Licht anzuzünden.

»In dem Ihnen bisher unbekannten vermauerten Nebenkeller«, begannen sie in ihrer Art sich auszudrücken, »war aus den vielen vergrabenen Leichnamen ein mephitischer Dunst oder jene erstickende Luft aufgestiegen, welche wir Bergknappen Schwaden nennen. Diese Schwaden sind unsere gefährlichsten Feinde und werden in vielen Bergwerken gefunden. Sie töten oft auf der Stelle, wenn man ihnen nicht durch kluge Vorsicht ausweicht, und entzünden sich, wenn man sich ihnen mit einem Licht nähert. In einiger Entfernung glänzen sie wie blaue Flämmchen. Erhellt man die Gegend, wo sie schweben, so verschwinden sie, oder vielmehr sie scheinen zu verschwinden. Das Nämliche geschieht, wenn man die Luft auf irgendeine Art stark in Bewegung setzt oder gar einen Luftzug veranlasst. Sie sind mit dem sogenannten Tückebolden oder nächtlichen Irrlichtern in sumpfigen Gegenden von einerlei Natur und Herkunft. In einem verschlossenen Raum, zum Beispiel in Kellern und Gewölben, schweben sie, vermöge ihrer Schwere, kaum einen Fuß hoch über der Erde. Und da sie jedes lebendige Wesen, welches sie einatmet, auf der Stelle ersticken, so werden sie zum Beispiel einen kleinen Hund in dem nämlichen Keller töten, in welchem der mit dem Kopf erhabenere, erwachsene Mensch ohne Gefahr umhergeht. Wahrscheinlich bückte sich die erstickte Hausjungfer in ihren Geschäften bis tief an den Boden des Kellers und sog da die erstickende Luft ein. Zugleich mochten auch, während der längeren Zeit, dass die Ausgeberin vor ihrem letzten Gang Anstand genommen hatte, in den Keller zu gehen, die bösen Dünste sich zu sehr gesammelt und, von dem Licht der Ausgeberin entzündet, jenen betäubenden Knall gegeben haben, der schon, mittelst des dadurch veranlassten Entsetzens, ein furchtsames und abergläubiges Frauenzimmer zu töten imstande war.«

Seitdem die Haldische Familie dem Rat der sehr vernünftigen Bergleute folgte, alle ausdünstende Überreste der im Keller Verscharrten herausschaffen und eine Luftröhre anlegen ließ, welche die etwa noch zurückgebliebenen oder sich wieder aufs Neue sammelnden bösen Dünste zu Tage abführte, hat sich seitdem hier nie wieder ein Gespenst sehen oder hören lassen.