Heftroman der

Woche

Download-Tipp

Der Welt-Detektiv Band 6

Neueste Kommentare
Archive
Folgt uns auch auf

Der Hexer Band 11

Robert Craven (Wolfgang Hohlbein)
Der Hexer, Band 11
Engel des Bösen

Horror, Grusel, Heftroman, Bastei, Bergisch-Gladbach, 03. September 1985, 64 Seiten, 1,70 DM, Titelbild: James Warhola

Das rote, flackernde Licht der Fackel schien den toten Schädel in Blut zu tauchen, und die zuckende Schatten der hin und her tanzenden Flamme füllten die leeren Augenhöhlen mit scheinbarem Leben. Nur scheinbar? Howard erstarrte. Die Fackel in seiner Hand begann zu zittern. Ganz plötzlich bewegte sich der Schädel! Ein helles, schabendes Geräusch drang durch den grauen Knochen, und mit einem Mal rollte der Totenschädel zur Seite, wippte noch ein paarmal hin und her, und der Unterkiefer klappte zu einem hässlichen Grinsen herab. Aus dem offen stehenden Mund des Schädels kroch eine haarige, schwarze Ratte und huschte davon …

Leseprobe

Die Welt des Hexers
Was in den letzten Bänden geschah:

London im August 1885. Sei einer Séance bekommt Robert Craven Kontakt zum Geist eines vor zwanzig Jahren verstorbenen Mädchens: Cindy, eine Nichte der Adelsdame Audley McPhaerson. Lady Audley bittet ihn und Howard, dem vermeintlichen Hilferuf nachzugehen. Zur gleichen Zeit erwacht auf dem Friedhof von St. Aimes Cindys toter Körper zu neuem Leben, von Shadow, einem fremden Geist, beseelt. Sie schart eine Armee von Ratten um sich und macht die Bewohner von St. Aimes zu willenlosen Sklaven. Als sie Roberts Nachforschungen bemerkt, schickt sie den Freunden eine deutliche Warnung, sich nicht in die Geschehnisse einzumischen: ihre Ratten. Die Tiere entführen Lady Audley. Ausgerechnet jetzt will Captain Cohen von Scotland Yard Robert wegen der unheimlichen Geschehnisse unter Mordverdacht stellen. Erst, als er einen Angriff der Ratten miterleben muss, stellt er sich auf Cravens Seite und bittet auch seinen Bruder Stanislas, einen sonderlichen Ratten-Forscher, um Hilfe.

Langsam erkennt Robert die Zusammenhänge: Der Geist in Cindys Körper will Shub-Niggurath, einen der GROßEN ALTEN, erwecken! Dazu bringt er ihm Tote als Opfer. Und auch Lady Audley soll – zum Höhepunkt des Rituals – sterben.

Während Howard und Stanislas Cohen nach der Königin der Ratten suchen, die das graue Heer steuert, wagt Robert den Schritt durch das fehlerhafte Tor der GROßEN ALTEN. Seitdem der Schlüssel zu den Toren zerstört wurde, ist ein Betreten dieses unheimlichen Transportsystems gefährlicher denn je. Er gelangt zu einen Hünengrab in der Nähe von St. Aimes, wird von den Ratten überwältigt und erlebt auf dem Friedhof die Endphase der Beschwörung mit. Im letzten Moment schleudert er einen Shoggotenstern – und zerstört Shub-Nigguraths Körper. Doch der erwachte Geist des ALTEN fährt in die Statue eines stählernen Wolfes und entkommt. Und während dieser schrecklichen Sekunden erkennt Robert Cindys wahre Absichten: Sie wollte den ALTEN im Moment seines Erwachens vernichten! Für einen Moment sieht er ihre wirkliche Gestalt – Cindy ist ein ENGEL …

 

***

 

Howard unterdrückte im letzten Moment einen Aufschrei. Die Ratte verschwand aus dem Halbkreis des Fackelscheins, aber ihre Schritte waren noch sekundenlang als leises Trappeln und Schaben zu hören. Und selbst danach bildete Howard sich noch ein, die Blicke unsichtbarer kleiner Augen aus der Dunkelheit heraus zu fühlen.

Trotz der Kälte, die den Gang wie ein gläserner Hauch ausfüllte, perlte Schweiß auf Howards Stirn, und seine Handflächen fühlten sich feucht und klebrig an. Er hielt die Fackel viel fester, als nötig gewesen wäre. Sein Blick irrte unablässig durch den niedrigen, gewölbten Stollen, saugte sich an der samtschwarzen Wand aus Dunkelheit fest, die im gleichen Tempo vor dem flackernden Fackellicht zurückwich, in der sie sich bewegten, und versuchte Umrisse zu erkennen, wo nur Schwärze und Finsternis waren.

»Wohin … führt dieser Gang?«, fragte er. Seine eigene Stimme kam ihm fremd vor; die bizarre Akustik dieses unterirdischen Stollens verzerrte sie, und ihr Klang verriet mehr von seiner Nervosität, als ihm recht war.

Cohen, der wenige Schritte vor ihm ging und mit seinen breiten Schultern den Stollen beinahe auszufüllen schien, blieb mitten im Schritt stehen, drehte sich halb um und grinste flüchtig, ehe er antwortete. »Nach unten, Mister Lovecraft. Weiter nach unten.«

Howard wollte auffahren, aber Stanislas Cohen machte eine rasche, beruhigende Geste und fügte hinzu: »Zur Subway, um genau zu sein. Wenn auch zu einem Teil, den kaum noch jemand kennt.«

Howard sah den weißhaarigen Hünen fragend an. »Kaum noch? Wissen Sie, Cohen, ich bin Amerikaner und nur zurzeit in London, aber die Subway …«

»Ich weiß, was Sie sagen wollen«, unterbrach ihn Cohen. »Man hat gerade vor ein paar Jahren erst angefangen, die Untergrundbahn zu bauen.«

»Soviel ich weiß, sind gerade erst ein paar Meilen fertig«, bestätigte Howard. »Aber ein Gang, den kaum noch jemand kennt, bedingt ein ziemliches Alter.«

»Ich weiß«, antwortete Cohen. »Aber Sie werden schon sehen, was ich meine. Kommen Sie – wir haben nicht viel Zeit.«

Sie gingen weiter. Howard hielt sich dicht hinter Cohen, und trotz der Dunkelheit und der Massen von Schutt und Abfall, die den Boden bedeckten und das Gehen teilweise zu einem halsbrecherischen Abenteuer werden ließen, kamen sie schnell voran. Howards Orientierungssinn war genauso durcheinander geraten wie sein Zeitgefühl, seit sie das unterirdische Labyrinth betreten hatten, aber sie mussten weit mehr als eine Meile zurückgelegt haben, als Cohen abermals stehenblieb, den Zeigefinger auf die Lippen legte, seine Fackel löschte und Howard mit Gesten bedeutete, es ihm gleichzutun.

Howard legte gehorsam die Fackel zu Boden und hob den Fuß, zögerte aber, sie auszutreten. Für einen kurzen Moment glaubte er einen Totenschädel zu sehen, aus dessen leeren Augenhöhlen schwarze Ratten hervorquollen. Er schüttelte die Vorstellung ab, aber es gelang ihm nicht vollkommen; ein dumpfes, bohrendes Gefühl der Beunruhigung blieb zurück, das beinahe schlimmer war als wirkliche Angst. Die Vorstellung, hier unten schutzlos der Dunkelheit ausgesetzt zu sein, war ihm unerträglich. Aber es musste sein. Cohen hatte ihm lang und breit genug erklärt, wie licht- und geräuschempfindlich sie waren. Was ihnen beiden geschehen konnte, wenn ihr Vorhaben fehlschlug, hatte er ihm nicht erklärt.

Aber das war auch nicht nötig. Howards Fantasie reichte durchaus, es sich in allen Einzelheiten auszumalen. Leider. »Nun machen Sie schon!«, flüsterte Cohen ungeduldig, als Howard noch immer unentschlossen von der ohnehin nur noch glimmenden Fackel und der Wand aus Schwärze hin und her blickte, die den Gang wenige Schritte vor ihnen abschloss. Mit einem resignierenden Seufzen senkte er den Fuß auf das Ende der Fackel.

Die Dunkelheit schlug wie eine erstickende Woge über ihnen zusammen. Und danach – wie in einem zweiten, noch wuchtigeren Hieb – die Furcht. Es war ein bizarres Gefühl: für Sekunden hatte Howard seine Gedanken nicht mehr unter Kontrolle, und seine überreizte Fantasie gaukelte ihm Dinge vor, die nicht da waren – das Rascheln und Schleifen großer pelziger Leiber, die sie in der Dunkelheit umschlichen; ein leises, irgendwie boshaftes Quieken und Zischeln, das fast übermächtige Gefühl, beobachtet, nein, schlimmer noch – belauert zu werden …

Howard presste die Kiefer so fest aufeinander, dass seine Zähne hörbar knirschten. Sekundenlang blieb er noch mit geballten Fäusten und fast krampfhaft zusammengekniffenen Lidern stehen, ehe er es wagte, sich zu entspannen und vorsichtig die Augen zu öffnen.

Im ersten Moment sah er weiter nichts als undurchdringliche Schwärze, dann glaubte er einen sanften Hauch grünlichen Lichtes zu erkennen, irgendwo vor und unter ihnen, in unbestimmbarer Entfernung. Stoff raschelte, direkt neben ihm bewegte sich ein Schatten, und eine Hand berührte ihn an der Schulter.

»Alles wieder in Ordnung?«, fragte Cohen leise.

Howard nickte, dann fiel ihm ein, dass Cohen die Bewegung in der Dunkelheit schwerlich sehen konnte, und er sagte: »Ja. Aber wie… wie kommen Sie darauf, dass irgendetwas mit mir nicht in Ordnung wäre?«

Cohen löste die Hand von seiner Schulter, richtete sich neben ihm zu seiner vollen Größe auf und lachte leise. Es klang nicht sehr belustigt. »Weil Sie halb verrückt sind vor Angst, Lovecraft«, antwortete er. »Sie brauchen es gar nicht abzustreiten. Das geht hier unten jedem so. Selbst mir. Ich war schon unzählige Male hier unten, und es ist jedes Mal genauso schlimm wie am ersten Tag.« Er schwieg einen kurzen Moment, und als er weitersprach, war seine Stimme hörbar verändert.

»Ich weiß nicht, was es ist«, sagte er. »Es muss irgendetwas mit diesen Gängen zu tun haben. Vielleicht eine Art Gas, das hier unten in der Luft liegt.« Seine Stimme hörte sich nicht so an, als glaube er selbst an die Begründung, die er sich zurechtgelegt hatte. Aber die Worte brachten Howard auf etwas anderes, das Cohen gesagt und was er schon fast vergessen hatte.

»Wie meinen Sie das – diese Gänge? Vorhin …«

»Ich weiß, was ich vorhin gesagt habe«, unterbrach ihn Cohen. »Kommen Sie – es ist viel einfacher, wenn Sie selbst sehen, was ich gemeint habe.« Er drehte sich herum, ergriff Howard am Handgelenk und führte ihn wie ein kleines Kind hinter sich her. Trotz der beinahe vollkommenen Dunkelheit bewegte er sich mit traumwandlerischer Sicherheit. Entweder, überlegte Howard, hatte er Augen wie eine Katze, oder er war schon so oft hier gewesen, dass er buchstäblich jeden Fußbreit Boden kannte. Die zweite Erklärung schien ihm wahrscheinlicher.

Howards Geduld wurde auf keine allzu harte Probe gestellt. Der sonderbare Schein nahm rasch an Intensität zu und wurde zu einem fast taghellen, sanftgrünen Licht, das den gewölbten Stollen auf einer Länge von mehr als fünfzig Schritten erhellte. Und dann sah Howard auch, woher er kam.

Der Gang erstreckte sich gerade vor ihnen, so weit der Blick reichte (und sicher noch ein gutes Stück weiter), aber in einer Entfernung von kaum zwanzig Schritten klaffte im Boden ein kreisrundes, gut zwei Yards großes Loch, aus dem das grünliche, sonderbar flackernde Licht drang.

Nein, verbesserte sich Howard in Gedanken. Nicht drang. Floß. Es war das einzige Wort, das ihm passend erschien. Vorhin, als er den grünen Schein das erste Mal bemerkt hatte, war es ihm nur sonderbar vorgekommen; jetzt wirkte er bedrohlich. Es war das absonderlichste Licht, das er jemals gesehen hatte. Es schien sich – obgleich Howard sehr wohl wusste, dass dies eine physikalische Unmöglichkeit war – langsam zu bewegen, träge, wie in schwerfälligen, wellenförmigen Schüben, als wäre es gar kein richtiges Licht, sondern eine Art leuchtendes Gas oder Wasser. Und es war unangenehm.

»Was ist das?«, wisperte er.

Cohen blieb abrupt stehen, drehte mit einem wütenden Ruck den Kopf und starrte ihn an. »Sie sollen still sein, zum Teufel!«, zischte er. »Wir sind ihnen sehr nahe.« Er deutete auf den Schacht, der jetzt keine drei Schritte mehr vor ihnen lag. »Können Sie klettern?«

Howard nickte. Cohen machte eine Grimasse, die wie ein unausgesprochenes wenigstens etwas aussah, ging rasch bis zum Rand des Schachtes und kniete umständlich nieder. Als Howard neben ihm anlangte, sah er, dass eine Anzahl rostiger Eisenringe an seiner gegenüberliegenden Seite in die Tiefe führte. Sie waren nicht genau untereinander, sondern versetzt angeordnet und – obgleich ihm der Abstand seltsam falsch erschien – doch so, dass man sie mit einigem Geschick als Leiter benutzen konnte. Howard vermochte allerdings nicht zu erkennen, wo sie endeten, denn das fremdartige Licht war hier sehr viel intensiver, so dass sich der Schacht schon nach wenigen Yards in wirbelnden grünen Schleiern aufzulösen schien.

Cohen nickte ihm noch einmal aufmunternd zu, ging – ohne sich dabei aus der Hocke zu erheben, was seine Art der Fortbewegung einigermaßen komisch aussehen ließ – um den Schacht herum und begann unverzüglich die Ringleiter hinabzusteigen. Howard musste ihm folgen, ob er wollte oder nicht. Aber das unangenehme Gefühl, das er dabei hatte, wurde immer stärker; mit jeder Stufe.

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert