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Der Welt-Detektiv Band 6

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Die drei Musketiere – Zwanzig Jahre danach – 4. – 6. Bändchen – Kapitel X

Alexandre Dumas
Zwanzig Jahre danach
Viertes bis sechstes Bändchen
Fortsetzung der drei Musketiere
Nach dem Französischen von August Zoller
Verlag der Frankh’schen Buchhandlung. Stuttgart. 1845.

X. Die Place Royal

Man ging schweigend bis in die Mitte des Platzes. Da aber in diesem Augenblick der Mond aus den Wolken hervortrat, so bedachte man, dass man an dieser entblößten Stelle zu leicht gesehen werden könnte, und zog sich unter die Linden, wo der Schatten stärker war.

Es waren Bänke in bestimmter Entfernung voneinander aufgestellt. Die vier Männer hielten vor einer derselben an. Athos machte ein Zeichen. D’Artagnan und Porthos setzten sich, Athos und Aramis blieben vor ihnen stehen.

»Nach einem kurzen Schweigen, bei welchem jeder die Verlegenheit fühlte, in die ihn das Anfangen der Erörterung setzte, sprach Athos: »Messieurs, ein Beweis der Macht unserer alten Freundschaft ist unsere Gegenwart an diesem Ort. Keiner hatte gefehlt, Keiner hatte sich also einen Vorwurf zu machen.«

»Hört, Monsieur Graf«, erwiderte d’Artagnan, »statt uns Komplimente zu sagen, die wir vielleicht, weder die einen noch die anderen verdienen, erklären wir uns als Leute von Herz.«

»Das ist ganz mein Wunsch«, antwortete Athos. »Ich weiß, dass Ihr offenherzig seid; sprecht auch mit Eurer ganzen Offenherzigkeit: Habt Ihr mir oder dem Monsieur Abbé d’Herblay etwas vorzuwerfen?«

»Ja«, sprach d’Artagnan. »Als ich die Ehre hatte, Euch in Eurem Schloss Bragelonne zu besuchen, überbrachte ich Euch Anträge, die Ihr wohl begriffen habt. Statt mir zu antworten, wie einem Freund, spieltet Ihr mit mir wie mit einem Kind, und diese Freundschaft, welche Ihr so sehr rühmt, hat sich nicht durch das Zusammenstoßen unserer Schwerter, sondern durch Eure Heuchelei in Eurem Schloss gebrochen.«

»D’Artagnan!«, sagte Athos mit einem Ton sanften Vorwurfes.

»Ihr habt Offenherzigkeit von mir verlangt«, sprach d’Artagnan, »hier ist sie. Ihr fragt mich, was ich denke, ich sage es Euch. Und nun habe ich Euch, Monsieur Abbé d’Herblay, dasselbe zu eröffnen. Ich handelte ebenso bei Euch und Ihr habt mich ebenfalls getäuscht.«

»Ja der Tat, Monsieur, Ihr seid seltsam«, sprach Aramis, »Ihr kamt zu mir, um mir Vorschläge zu machen. Aber habt Ihr mir sie auch gemacht? Nein! Ihr habt mich nur ausgeforscht, und weiter nicht. Nun, was habe ich Euch gesagt? Mazarin wäre ein Knauser, und ich würde Mazarin nicht dienen. Das ist das Ganze. Sagte ich Euch, ich würde keinem anderen dienen? Im Gegenteil, ich gab Euch, glaube ich, zu verstehen, dass ich den Prinzen gehörte. Wir haben sogar, wenn ich mich nicht täusche, ganz angenehm über den sehr wahrscheinlichen Fall gescherzt, dass Ihr von dem Kardinal den Auftrag erhalten würdet, mich zu verhaften. Wart Ihr Parteimann? Ja, allerdings. Nun wohl, warum sollten wir unsererseits nicht auch Parteimänner sein. Ihr hattet Euer Geheimnis, wie wir das unsere hatten. Wir haben dieselben nicht ausgetauscht: desto besser. Das beweist, dass wir unsere Geheimnisse zu bewahren wissen.«

»Ich mache Euch keinen Vorwurf, Monsieur«, sagte d’Artagnan, »nur weil der Monsieur Graf de la Fère von Freundschaft gesprochen hat, unterweise ich Euer Benehmen einer Prüfung.«

»Und was findet Ihr dabei?«, fragte Aramis stolz.

Das Blut stieg d’Artagnan auch in den Kopf. Er erhob sich und antwortete: »Ich finde, es ist das Benehmen eines Zöglings der Jesuiten.«

Als Porthos d’Artagnan sich erheben sah, erhob er sich ebenfalls. Die vier Männer standen also einander aufrecht und drohend gegenüber.

Bei der Antwort von d’Artagnan machte Aramis eine Bewegung, als wollte er die Hand an sein Schwert legen.

Athos hielt ihn zurück und sprach: »D’Artagnan, Ihr kommt heute noch ganz wütend über unser gestriges Abenteuer hierher. D’Artagnan, ich hielt Euch für so hochherzig, dass eine Freundschaft von zwanzig Jahren bei Euch eine Niederlage der Eitelkeit von einer Viertelstunde überstehen müsste. Lasst hören, sagt mir: Glaubt Ihr, mir also etwas vorwerfen zu können? Habe ich gefehlt, so werde ich meinen Fehler gestehen.«

Die ernste, klangreiche Stimme von Athos übte immer noch über d’Artagnan ihren alten Einfluss aus, während die von Aramis, in den Augen seiner schlechten Laune schrill und spitzig werdend, ihn aufbrachte. Er antwortete auch Athos: »Ich glaube, Monsieur Graf, Ihr hättet mir in Eurem Schloss Bragelonne eine vertrauliche Mitteilung zu machen gehabt, und dieser Monsieur«, fuhr er, Aramis bezeichnend, fort, »hätte mir eine ähnliche in seinem Kloster machen sollen. Ich würde mich dann nicht in ein Abenteuer geworfen haben, wo Ihr mir den Weg versperren musstet. Weil ich jedoch diskret war, muss man mich nicht ganz und gar für einen Dummkopf halten. Hätte ich die Verschiedenheit der Leute, welche Monsieur d’Herblay auf einer Strickleiter empfängt, von der der Menschen, welche er auf einer hölzernen Leiter empfängt, ergründen wollen, so würde ich ihn wohl zum Sprechen genötigt haben.«

»In was mischt Ihr Euch ein?«, rief Aramis bleich vor Zorn bei dem Zweifel, der sich in seinem Inneren erhob, er könnte, von d’Artagnan bespäht, mit Frau von Longueville gesehen worden sein.

»Ich mische mich in das, was mich angeht, und gebe mir das Ansehen, als hätte ich nicht bemerkt, was mich nicht angeht. Aber ich hasse die Heuchler, und in diese Kategorie setze ich die Musketiere, welche die Abbé spielen, und die Abbés, welche die Musketiere spielen. Und dieser Monsieur«, fügte er, sich gegen Porthos wendend, bei, »dieser Monsieur ist meiner Meinung.«

Porthos, welcher noch nicht gesprochen hatte, antwortete nur mit einer Silbe und mit einer Gebärde. Er sagte Ja! und legte die Hand an den Degen.

Aramis machte einen Sprung rückwärts und zog den seinen. D’Artagnan beugte sich, bereit zur Verteidigung oder zum Angriff.

Nun streckte Athos mit der Gebärde des obersten Befehles, welche nur ihm eigentümlich war, die Hand aus, zog langsam den Degen aus der Scheide, zerbrach das Eisen über seinem Knie und warf die zwei Stücke zu seiner Rechten.

Dann sich gegen Aramis wendend, sagte er diesem: »Zerbrecht Euren Degen.«

Aramis zögerte.

»Es muss sein«, sprach Athos und fügte mit leiserem, sanfterem Ton bei: »Ich will es.«

Noch bleicher, aber beherrscht durch diese Gebärde, besiegt durch diese Stimme, zerbrach Aramis in seinen Händen die biegsame Klinge, kreuzte die Arme und wartete bebend vor Wut.

Diese Bewegung veranlasste d’Artagnan und Porthos, zurückzuweichen. D’Artagnan zog seinen Degen nicht, Porthos steckte den seinen wieder in die Scheide.

»Nie«, sprach Athos, langsam seine rechte Hand zum Himmel erhebend, »nie, ich schwöre es vor Gott, der uns in dieser feierlichen Nacht hört und sieht, nie wird mein Schwert die Euren berühren, nie wird, mein Auge einen Blick des Zornes, nie mein Herz einen Schlag des Hasses für Euch haben. Wir haben miteinander gelebt, miteinander gehasst und geliebt. Wir haben unser Blut vergossen und vermischt, und vielleicht, füge ich noch bei, besteht zwischen uns ein noch mächtigeres Band als das der Freundschaft, vielleicht besteht der Vertrag des Verbrechens; denn wir haben alle vier ein menschliches Wesen verurteilt und hingerichtet, das wir von dieser Welt auszuscheiden wohl nicht berechtigt waren, obwohl es mehr der Hölle als dieser Weit anzugehören schien. D’Artagnan, ich habe Euch immer wie meinen Sohn geliebt. Porthos, wir haben zehn Jahre Seite an Seite geschlafen; Aramis ist Euer Bruder, wie der meine, denn Aramis hat Euch geliebt, wie ich Euch noch liebe, wie ich Euch stets lieben werde. Was kann der Kardinal für uns sein, die wir die Hand und das Herz eines Mannes wie Richelieu bezwungen haben! Was kann dieser oder jener Prinz für uns sein, die wir die Krone auf dem Haupt eines Königs befestigt haben? D’Artagnan, ich bitte Euch um Verzeihung, dass ich gestern den Degen mit Euch gekreuzt habe. Aramis tut dasselbe für Porthos. Und nun hasst mich, wenn Ihr könnt, aber ich, ich schwöre Euch, dass ich trotz Eures Hasses nur Achtung und Freundschaft für Euch haben werde. Nun wiederholt meine Worte, Aramis, und wenn sie wollen und Ihr wollt, so verlassen wir, unsere alten Freunde auf immer.«

Es herrschte einen Augenblick ein feierliches Schweigen, welches von Aramis unterbrochen wurde.

»Ich schwöre, »sagte er mit ruhiger Miene und redlichem Blicke, aber mit einer Stimme, in welcher ein letztes Zittern der Aufregung vibrierte, »ich schwöre, dass ich keinen Hass mehr gegen diejenigen hege, welche meine Freunde waren; ich schwöre, dass ich es bedaure, Euren Degen berührt zu haben, Porthos; ich schwöre endlich, dass sich nicht nur der meine nicht mehr gegen Eure Brust wenden, sondern dass in der Tiefe meiner geheimsten Gedanken für die Zukunft nicht einmal ein Schein von feindseligen Gefühlen gegen Euch mehr übrig bleiben wird. Kommt, Athos.«

Athos machte eine Bewegung, um sich zu entfernen.

»Oh! Nein, nein! Geht nicht«, rief d’Artagnan, hingerissen von einer der unwiderstehlichen Aufwallungen, welche die Wärme seines Blutes und die angeborene Rechtschaffenheit seiner Seele verrieten. »Geht nicht, denn ich habe auch einen Eid zu leisten. Ich schwöre, dass ich den letzten Tropfen meines Blutes, den letzten Fetzen meines Fleisches geben würde, um die Achtung eines Mannes, wie Ihr Athos, die Freundschaft eines Mannes, wie Ihr, Aramis, zu erhalten.«

Und er stürzte in die Arme von Athos.

»Mein Sohn!«, rief Athos, ihn an sein Herz drückend.

»Und ich«, sagte Porthos, »schwöre nichts, aber ich ersticke, Sacrebleu! Wenn ich mich gegen Euch schlagen müsste, ich glaube, ich würde mich durchbohren lassen, denn ich habe auf vergangener Welt nur Euch geliebt.«

Und der ehrliche Porthos zerfloss in Tränen, während er sich Aramis in die Arme warf.

»Meine Freunde«, sprach Athos, »das ist es, was ich erwartete, das, was ich von zwei Herzen wie die Euren hoffte; ja, ich habe es gesagt und wiederhole es, unsere Geschicke sind unwiderruflich verbunden, obwohl wir verschiedenen Wegen folgen. Ich achte Eure Meinung, d’Artagnan, ich ehre Eure Überzeugung Porthos, aber obwohl wir uns für entgegengesetzte Sachen schlagen, bleiben wir doch Freunde. Die Minister, die Prinzen werden wie ein Strom hinziehen, der Bürgerkrieg wird wie eine Flamme erlöschen, aber wir, wir werden bleiben, das sagt mir ein Vorgefühl.«

»Ja«, sprach d’Artagnan, »seien wir stets Musketiere und behalten wir als einzige Fahne die berühmte Serviette der Bastille Saint-Gervais, auf welche der große Kardinal drei Lilien sticken ließ.«

»Ja«, sagte Aramis, »Kardinalisten oder Frondeure, was liegt uns daran! Finden wir nur wieder unsere guten Sekundanten für die Zweikämpfe, unsere ergebenen Freunde für die wichtigen Angelegenheiten, unsere lustigen Gefährten für das Vergnügen.«

»Und jedes Mal«, rief Athos, »so oft wir uns im Gefecht treffen, nehmen wir bei dem einzigen Wort Place Royale! den Degen in die linke Hand und reichen uns die Rechte, und wäre es mitten im Blutbad!«

»Ihr sprecht zum Entzücken«, sagte Porthos.

»Ihr seid der größte Mann«, erwiderte d’Artagnan, »und überragt uns um zehn Ellen.«

Athos lächelte mit einem Ausdruck unbeschreiblicher Freude.

»Dies ist also abgemacht«, sprach er. »Auf, Messieurs, Eure Hand. Seid Ihr ein wenig Christen?«

»Bei Gott!«, versetzte d’Artagnan.

»Wir werden es bei dieser Gelegenheit sein, um unserem Schwur treu zu bleiben«, sagte Aramis.«

»Ah, ich bin bereit, bei allem zu schwören, was man nur will, selbst bei Mahomet! Der Teufel soll mich holen, wenn ich je so glücklich gewesen bin, wie in diesem Augenblick.«

Und der gute Porthos trocknete seine noch feuchten Augen.

»Hat einer von Euch ein Kreuz?«, fragte Athos.

Porthos und d’Artagnan schauten sich an, wie Menschen, welche unversehens gefasst werden.

Aramis lächelte und zog aus seiner Brust ein Kreuz von Diamanten, welches an einer Perlenschnur an seinem Halse hing. »Hier ist eines«, sagte er.

»Nun wohl«, versetzte Athos, »schwören wir auf dieses Kreuz, das trotz seines Stoffes immerhin ein Kreuz ist, schwören wir, unter allen Umständen und immer vereinigt zu sein, und mochte dieser Schwur nicht nur uns allein, sondern auch unsere Nachkommen binden. Ist dieser Eid Euch genehm?«

»Ja«, antworteten sie einstimmig.

»Ah! Verräter«, sagte ganz leise d’Artagnan, indem er sich an das Ohr von Aramis neigte, »Ihr habt uns auf das Kruzifix einer Frondeuse schwören lassen.«

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