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Der Detektiv – Das Gespensterwrack – Teil 4

Walter Kabel
Der Detektiv
Kriminalerzählungen, Verlag moderner Lektüre GmbH, Berlin, 1920
Das Gespensterwrack

Teil 4

Die Geheimtür hatte sich nach außen geöffnet. Dahinter gähnte ein dunkles Loch. Harst leuchtete hinein. Ah, das hätte ich doch nicht erwartet!, dachte er. Allerhand Achtung! Die Leute, die sich diesen Schlupfwinkel ersonnen haben, verdienen die höchste Anerkennung!

Das dunkle Loch war eine tiefe Aushöhlung in einem der beiden Rifffelsen, zwischen denen der Hardanger eingekeilt war. Ursprünglich hatte diese vielleicht vier Meter tiefe und zwei Meter hohe Grotte einen breiten Ausgang zum Wasser hin gehabt, der dann aber durch die Schiffswand, die stellenweise eingedrückt war, fast lichtdicht abgeschlossen wurde, bis eben ein paar findige Köpfe, die die Grotte vorher gekannt haben mussten, sie aufs Neue zu einem verbrecherischen Zweck durch die Anlage der kleinen Tür öffneten.

Harst betrat die Höhle. Der Lichtkegel der Lampe blieb sofort auf drei Skeletten haften, die links auf einer flachen Kiste lagen.

Er untersuchte sie. Sie waren aus leichten weiß gestrichenen Weidenzweigen gefertigt, die Schädel aber aus Pappe. Sie wogen daher auch kaum ein paar Pfund. Daneben lehnten mehrere lange Eisenstäbe, die an einem Ende zu einem großen Ring, am anderen zu Haken gebogen waren. Die Haken passten in eiserne Ö mehr, was noch interessanter war.

Er verließ dann das Versteck, schloss die Geheimtür und wollte auf Deck zurückkehren, hatte auch schon die Treppe erreicht, die zu der Heckluke emporführte, als er oben eilige Schritte und einen halblauten Zuruf vernahm. Es waren englische Worte gewesen, und sein feines Gehör hatte des Malers Burton Stimme zu erkennen geglaubt, wenn er auch nicht verstanden hatte, was jener sagte.  Schleunig huschte er wieder bis in den Maschinenraum hinab, kroch in den Kessel und blieb hier tief gebückt stehen. Pechschwarze Finsternis umgab ihn; tiefste Stille ringsum. Nur wenn er ganz genau horchte, glaubte er das Glucksen der Wellen an den Bordwänden des Wracks zu hören.

Eine geraume Weile verstrich. Dann draußen im Maschinenraum ein paar Geräusche. Harst griff nach hinten in die Beinkleidtasche und holte seine kleine Mehrladepistole hervor, entsicherte sie und starrte unausgesetzt dorthin, wo das Loch des Kessels sich befinden musste.

Nun erschien ein heller Kreis. Es war das Loch, durch das eine breite Lichtbahn in den Kessel hinabfiel. Und nun … nun tauchte eine Hand auf, eine Hand mit einer brennenden Laterne, deren weißes Licht das Acetylengas verriet … nun der Kopf eines Mannes … Burtons.

Der Schein der Laterne traf Harst. Ehe er aber noch zuspringen und den Arm packen konnte, verschwanden Lichtbahn, Hand und Kopf und mit dumpfem Knall fiel der schwere Eisendeckel der Kesselluke zu.

Harst schaltete seine Lampe ein. Er war gefangen. Und durch die dicke Kesselwandung hindurch hörte er nun ein lautes Hohngelächter.

Stille nun wieder … atembeklemmende Stille. Nur das leise Glucksen der Wellen drang mitunter bis in Harsts eisernes Grab hinein.

Nach einer Weile erhob er sich und prüfte den Verschluss des Loches. Er erkannte sehr bald, dass es ausgeschlossen war, ohne fremde Hilfe ins Freie zu gelangen. Dieser Kerker war sicherer als die beste Gefängniszelle.

Er setzte sich wieder. Er berechnete: Sechs Stunden etwa hatte er noch zu leben. Gegen ein Uhr morgens würde die Luft in dem Kessel durch seine Lungen verbraucht und in Stickstoff verwandelt sein. Dann war es aus mit ihm. Also gegen ein Uhr. Und erst um zwei Uhr hatte er den Jungen mit dem Beiboot hier in die Nähe des Wracks bestellt. Eine Stunde zu spät, sonst hätte er versuchen können, den aufgeweckten kleinen Burschen durch Schüsse seiner Pistole, die hier in dem Kessel durch die den Knall verstärkenden Eisenwandungen wie Kanonenschläge klingen mussten, herbeizulocken! Eine Stunde zu spät!

Er nahm die Laterne, leuchtete jeden Zentimeter der runden Wandung und der kreisförmigen Seitenteile ab. An einem dieser Seitenteile gab es verschiedene Löcher, die Einmündungen von Dampfröhren für das Manometer, die Wasserstandsgläser und anderes. Doch es waren keine Öffnungen, durch die Luft eindrang. Und genau so war es mit den beiden größeren Löchern in dem oberen Teil der Wandung, durch die der Dampf einst mit ungeheurem Druck zu den Zylindern gepresst worden war. Auch Löcher, aber keine Luftzufuhr!

Er sah nach der Uhr. Ganz entgeistert stierte er auf das Zifferblatt. Das … das war ja unmöglich … unmöglich! Bereits halb eins, bereits fünf und eine halbe Stunde dahin! Er hielt die Uhr ans Ohr. Sie ging, war nicht etwa mittags stehen geblieben.

Kraftlos sank er zurück. Eine Ohnmacht befiel ihn. Dann ein Hochschnellen des Oberkörpers, er war wieder zu sich gekommen, stierte in den Lichtschein der am Boden liegenden Taschenlampe, sah rote, grüne, violette Kreise, Sternchen, ganze Feuerräder, spürte das überhastete Arbeiten seiner Lungen, hörte ein donnerndes Brausen in seinen Ohren, wollte aufspringen, schlug der Länge nach hin, raffte sich wieder auf, sah plötzlich vor sich die Truggestalten der drei Skelette einen wilden Tanz aufführen, riss in einem Anfall letzter, unsinniger Wut die Pistole aus der Tasche, feuerte auf die gegenüberliegende Wandung … auf die Gespenster.

Ein Gedanke blitzte in dem Hirn des Todgeweihten auf ein winziger Hoffnungsschimmer.

Wieder hob er die Pistole. Die Kugel traf dieselbe Stelle. Nochmals schoss er … nochmals, acht Kugeln trafen denselben Fleck. Nun die Lampe. Nachsehen, ob ein Erfolg zu bemerken.

Da … ein jubelnder Schrei.

Das zackige kleine Loch ließ den dünnen Bleistift, den er hineingeschoben hatte, hindurch.

Gerettet! Luft, nur Luft! Er presste die Lippen an die Kesselwandung, an die winzige Öffnung, sog langsam die kühle Luft des Maschinenraumes ein, atmete bald ruhiger, merkte, dass die Ohrgeräusche nachließen, dass sein Herz nicht mehr wie der Klöppel eines Weckers raste, dass seine Gedanken sich klärten.

Karl Malke hatte zuerst gehorsam und geduldig in der kleinen Bucht die Nacht und die Stunde erwarten wollen, bis es Zeit würde, sich zum Wrack zu begeben. Je mehr aber die Zeiger seiner Nickeluhr sich der Mitternachtsstunde näherten, desto unruhiger wurde er. Immer wieder dachte er daran, dass vielleicht gerade heute, wo doch die volle Mondscheibe so klar am Himmel stand, die Skelette auf dem Deck des Hardanger erscheinen würden und dass er, wenn er nur vorsichtig war, ganz gut aus der Ferne diese Gespenster mithilfe des hier an Bord befindlichen Fernglases beobachten könnte.

Neugier und Abenteuerlust siegten. Kurz vor zwölf war es, als er mithilfe der beiden Ruder das leichte Aluminiumboot in den Fjord hinaustrieb. Dann warf er den Motor an. In weitem Bogen näherte er sich zwanzig Minuten später dem Kanal zwischen den Inseln, der auf den Liegeplatz des Wracks zuführte. Nun gebrauchte er nur noch die Ruder. Nun bog er um eine bewaldete Landzunge herum, nun lag der Hardanger vor ihm auf vielleicht 300 Meter Entfernung, nun das Glas an die Augen.

Ah … tatsächlich … die Skelette wanderten auf Deck umher.

Ein Frösteln lief dem Jungen über die Haut hin. Das … das da drüben sah wirklich zum Fürchten aus!

Er schaute und schaute. Plötzlich nichts mehr. Mit einem Schlag waren die weißen Knochenmänner verschwunden.

Karl wischte sich die kalten Schweißtropfen von der Stirn, murmelte befreit aufatmend: »He, nicht für ’ne Million ginge ich an Bord des Wracks!«

Ganz still saß er nun im Boot, merkte nicht, dass eine Strömung es dem Hardanger näher und näher trieb. Erst als es kaum noch hundert Meter entfernt war, blickte er auf, griff hastig nach den Rudern.

Da – ein schwacher Knall aus der Richtung des Wracks her.

Er horchte regungslos. Abermals ein Knall, … noch einer … noch einer … acht im Ganzen.

Wie gelähmt war er nun. Er ahnte, dass Harst in Gefahr war, Harst, zu dem er wie zu einem höheren Wesen aufschaute. Was tun … was nur tun?

Er zauderte nur Sekunden. Dann heran an das Wrack. Dort hingen Eisenteile der Brücke fast bis zum Wasser herab. Dort konnte man an Deck. Nun stand er auf dem Gespensterwrack, nun duckte er sich in den Schatten der Reling.

Da … aus der Tiefe des Schiffsinneren herauf drang durch die offene Luke des Hinterdecks ein dumpfer Ruf ganz … ganz schwach an sein Ohr. Stille – wohl fünf Minuten lang. Dann abermals der schwache Schrei. Es konnte nur ein Hilferuf sein; nur Harst konnte ihn ausgestoßen haben.

Karl kroch auf die Luke zu, trotz der Angst, die er nun doch vor dem dunklen Schiffsinneren empfand, trotz der Schweißperlen, die ihm über das Gesicht rannen. Er biss die Zähne zusammen. Hinab Stufe für Stufe, hinab in die Finsternis! Streichholz auf Streichholz zündete er an, tappte weiter.

Abermals der Schrei – nur deutlicher.

Und so führte ihn dann endlich der fünfte Hilferuf, den Harst nun besonnen nur in langen Zwischenräumen ertönen ließ, in den Maschinenraum vor den Kessel.

Nochmals der Schrei! Also im Kessel … in diesem Kessel steckte Harst!

Da meldete er sich, pochte an die Wandung, rief: »Herr Harst, ich bin es, Karl Malke!«

Und sofort die Antwort: »Braver Junge! Schraube den Deckel oben los!«

Er tat es. Und heraus kletterte einer, der dem Jungen nun wortlos die Hand drückte.

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