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Neue Gespenster – 21. Erzählung

Samuel Christoph Wagener
Neue Gespenster
Kurze Erzählungen aus dem Reich der Wahrheit
Erster Teil

Einundzwanzigste Erzählung

Freifrau von Armfeld, geborene Hildebrand zu Bystad in Schweden

Herr Hildebrand, ein sehr angesehener Schwede und unter den Bürgerlichen in Schweden unstreitig die begütertste Privatperson im ganzen Königreich, besaß unter anderen auch das schöne und einträgliche Eisenwerk Bystad in der Landschaft Nerike. Zu diesem Eisenwerk gehörte eine eigene Kirche, in deren Nachbarschaft der Küster wohnt. Im Jahre 1785 ging dieser einst spät am Abend vor der Kirche vorbei. Töne des Schreckens und Entsetzens drangen aus der Kirche zu seinen Ohren. Es war ihm, als hörte er ein aus der Erde hervordringendes Stöhnen, Wimmern und Wehklagen. Durch die Vorurteile der Erziehung von Jugend an furchtsam, fand der Küster keinen Beruf, über den Ursprung dieser Wundertöne – der ihm so nahe lag – ruhig nachzudenken. Vielmehr eilte er, ohne Herz und Kopf, über Stock und Block zu seiner Behausung, um die Nachricht von dem schlecht genug bestandenen Abenteuer den seinen mitzuteilen. Hu! Wer wollte auch in einer so beängstigenden Nähe bei unruhigen Toten vorwitzig verweilen, wer über Wunder dieser Art, die dem Ohr so grauenvoll klingen, auch nur einen Augenblick kaltblütig nachdenken!

Indessen erregte die Erzählung von dem Vernommenen doch endlich die Neugierde einiger sogenannten Beherzten. Man beschloss, zwar nicht ganz nahe an die Kirche hinzugehen, aber vorsichtig sich ihr wenigstens bis dahin zu nähern, wo man ohne Gefahr, von den Geistern selbst überrascht und erschreckt zu werden, deren Wimmern und Wehklagen behorchen könnte. Man schlich vorwärts und horchte bei jedem bedachtsamen Fortschritt. Hu! Es war entsetzlich, wie bei nächtlicher Stille schon in bedeutender Ferne das durchdringende Gekreische und ein erschütterndes Wimmern bis zu den Ohren der Horchenden drang. Herzen von Stein und Erz hätten darüber erweicht werden mögen!

Wirklich wurden auch unsere Horchenden bis zu stillen Tränen gerührt und tief erschüttert. Die Mühe und das vermeinte Risiko, sich dem Tummelplatz der Geister noch mehr zu nähern, wurde ihnen von den Wehklagen erspart; denn ihres Horchens Zweck – Überzeugung durch eigene Ohren und Befriedigung der sie treibenden Neugierde – war ohnedies schon erreicht. Zwar sahen sie nirgends etwas Geistähnliches, aber das Zetergeschrei der Fegefeuerseelen, die hier zu hausen schienen, wurde immer schrecklicher. Dass aber dieses Angstgeheul keinem anderen als solchen qualvoll geläuterten Seelen angehören könne und müsse, war ihnen zweifelsohne gewiss, denn sie glaubten mit Überzeugung, mitten unter dem kirchlichen und unterirdischen Jammergeschrei auch die Worte Gott, Jesus, Maria, Erbarmen dunkel vernommen zu haben.

Jawohl Jesus! Maria! Denn wer anderes als die können euch Unglücklichen helfen, dachten sie mitleidig seufzend und eilten zurück, um nicht länger die Zeugen einer so erschütternden Szene zu sein. Triefend vom Angstschweiß hüllten sie sich tiefer als je in die Betten und träumten von marternden Teufeln und von Seelen, welche eine verspätete Reue zur grauenvollen Verzweiflung bringt.

Am nächstfolgenden Morgen führten Dienstgeschäfte den Küster und Neugierde einige andere Menschen, die von dem spukenden nächtlichen Wimmern gehört hatten, in die Kirche. Der Kommenden harrte ein entsetzlicher Anblick. Eine Wöchnerin lag tot in ihrem Blut und hatte ein totes Kind im Arme. Die Sache hing also zusammen: Des erwähnten Herrn Hildebrands Frau Tochter, erst mit dem Freiherrn von Horn, dann mit dem Freiherrn von Armfeld verheiratet, war schwanger und wünschte auf dem väterlichen Landgut Bystad ihre Niederkunft zu halten. Die Geburtsschmerzen erschöpften und überstiegen ihre Kräfte. Sie starb nach langer Marter unentbunden. Ihr Tod war indessen nur Scheintod. Gleich einer Gestorbenen lag sie ohne Empfindung in einer 24-stündigen Ohnmacht. Da die sie umgebenden Menschen – unstreitig gemeine und unwissende Leute – nicht im Geringsten an der Wirklichkeit ihres Todes zweifelten, so wurde von ihnen der Befehl, die vermeintlich Tote in das Familiengewölbe am Hochaltar in aller Stille beizusetzen, sogleich vollzogen.

Gegen die Nacht war die Scheintote aus ihrer tiefen Ohnmacht erwacht. Mit der Rückkehr des Bewusstseins und der Empfindung hatten sich auch die Geburtsschmerzen wieder eingestellt. Die während der Ohnmacht schlummernde Natur hatte hinreichende Kräfte gesammelt, um die Geburt fördern zu können. Der neue Mensch, im Sarg geboren, war da. Aber nirgends eilte der unglücklichen Schwachen und ihrem Säuglinge eine mitleidige Menschenhand zur Hilfe.

Sie hatte in der Angst den Deckel des Sarges, der unbefestigt über ihr lag, mit schwacher Hand aufgehoben und von sich auf den Boden hinab gestoßen.

All ihr Wimmern und Flehen, ihr Kreischen und Rufen nach Hilfe war umsonst. Sie, deren Vater über Millionen zu gebieten hat, war und blieb hilflos und einsam in der grauenvollsten Verlassenheit. Zwar wurden ihr Wehklagen und ihre Seufzer von Menschenohren vernommen, aber Irrtum und Wahn, Verstandesfinsternis und Unaufgeklärtheit hatten den Küster und all die übrigen Kinder der Dummheit und des Aberglaubens betört und für die Stimme menschlicher Wehmut und Verzweiflung taub gemacht.

So ganz verlassen von aller Welt und mit dem schrecklichsten Tod ringend, nahm sie nun ihre Zuflucht zum Himmel und erflehte das ihr von Menschen verweigerte Erbarmen von des Erbarmens Vater, von ihm, der aller Menschennot ein Ende macht und für das Übermaß erduldeter Leiden einst schadlos halten will. Daher die vom Küster bis in die Ferne hin vernommenen Worte: Gott! Jesus! Maria! Erbarmen!

 

***

 

Wehe denen, die, solcher nicht ganz seltenen Tatsachen ungeachtet, an der Möglichkeit des Wiedererwachens im Sarg und der dadurch veranlassten langen Qual noch zweifeln können und deren Beredsamkeit diese Zweifel – zum Unglück für die Scheintot sterbende Menschheit – selbst in Wochenblättern für das Volk und in viel gelesenen Monatsschriften geltend zu machen weiß!

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