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Die drei Musketiere – Zwanzig Jahre danach – Kapitel XVIII

Alexandre Dumas
Zwanzig Jahre danach
Erstes bis drittes Bändchen
Fortsetzung der drei Musketiere
Nach dem Französischen von August Zoller
Verlag der Frankh’schen Buchhandlung. Stuttgart. 1845.

XVIII. Monsieur von Beaufort

Man vernehme, was sich ereignet hatte und was die Ursachen waren, welche die Rückkehr von d’Artagnan nach Paris notwendig machten.

Als sich eines Abends Mazarin, seiner Gewohnheit gemäß, zu einer Stunde, wo sich alle Welt entfernt hatte, zu der Königin begab und an dem Saal der Wachen vorüber kam, dessen eine Tür zu dem Vorzimmer ging, hörte er laut in diesem Saal sprechen. Er wollte wissen, worüber die Soldaten sich unterhielten, näherte sich, ebenfalls seiner Gewohnheit gemäß, mit Wolfstritten, stieß die Tür etwas auf und steckte durch die Öffnung den Kopf hinein.

Es war ein Streit unter den Wachen.

»Und ich erwidere Euch«, sprach einer von den Soldaten, »wenn Coysel dies vorhergesagt hat, so ist die Sache so gewiss, als ob sie bereits geschehen wäre. Ich kenne ihn nicht, aber ich habe gehört, er wäre nicht nur ein Astrologe, sondern auch ein Magier.«

»Pest! Mein Lieber, wenn er zu deinen Freunden gehört, so nimm dich in Acht, du leistest ihm einen schlechten Dienst.«

»Warum dies?«

»Weil man ihm leicht den Prozess machen könnte.«

»Ah, bah! Man verbrennt heutzutage die Zauberer nicht mehr.«

»Nicht? Es scheint mir jedoch, es ist noch nicht so lange her, dass der verstorbene Kardinal Urbain Grandier verbrennen ließ. Ich weiß, was davon zu erzählen, ich war Wache bei dem Scheiterhaufen und sah ihn rösten.«

»Mein Lieber, Urban Grandier war kein Zauberer, sondern ein Gelehrter, das ist ganz etwas anderes. Urbain Grandier weissagte nicht die Zukunft, sondern er kannte die Vergangenheit, was zuweilen noch viel schlimmer ist.«

Mazarin schüttelte beipflichtend den Kopf. Da er aber wissen wollte, über welche Weissagung man stritt, so blieb er auf der Stelle.

»Ich sage dir nicht«, versetzte der Soldat, »Coysel sei kein Zauberer, sondern ich sage dir, das wenn er seine Weissagung im Voraus bekannt macht, dies das Mittel ist, dass sie nicht in Erfüllung geht.«

»Warum?«

»Ganz gewiss, wenn wir nun miteinander schlagen, und ich sage dir, ich will dir eine Terze oder will dir eine Sekunde beibringen, so parierst du natürlich. Wenn nun Coysel so laut sagt, dass es der Kardinal hört, an dem und dem Tag wird der und der Gefangene flüchten, so wird der Kardinal offenbar seine Maßregeln so gut nehmen, dass der Gefangene nicht flüchten kann.

»Ei, mein Gott«, sprach ein anderer, der, auf einer Bank gelagert, zu schlafen schien und trotz seines scheinbaren Schlafes kein Wort von dem Gespräch verlor, »glaubt ihr, die Menschen können ihrem Geschick entgehen? Wenn es da oben geschrieben steht, dass Monsieur den Beaufort flüchten soll, so wird er flüchten, und alle Vorsichtsmaßregeln des Kardinals können es nicht verhindern.«

Mazarin bebte. Er war Italiener, das heißt, abergläubisch. Rasch trat er mitten unter die Wachen, welche ihn gewahr werdend, ihr Gespräch unterbrachen.

»Was sagtet Ihr, Messieurs«, sprach er mit seinem schmeichelnden Lächeln. »Ich glaubte, Monsieur von Beaufort wäre entwichen.«

»Oh! Nein, Monseigneur«, sprach der ungläubige Soldat, für den Augenblick ist noch keine Gefahr. Man sagte nur, er sollte entweichen.«

»Und wer sagt dies?«

»Wiederholt Eure Geschichte, Saint-Laurent«, sagte der Garde, sich gegen den Erzählenden umwendend.

»Monseigneur«, sprach dieser, »ich erzählte ganz einfach diesen Messieurs, was ich von der Weissagung eines gewissen Coysel gehört habe, welcher behauptet, so gut auch Monsieur von Beaufort bewacht sei, so werde er doch vor Pfingsten entkommen.«

»Und dieser Coysel ist ein Träumer? Ein Narr?«, versetzte der Kardinal, beständig lächelnd.

»Nein«, antwortete der Garde, hartnäckig in seiner Einseitigkeit.« Er weissagte viele Dinge, welche geschehen sind, zum Beispiel, die Königin würde einen Sohn gebären, Coligny in einem Duell mit dem Herzog von Guise getötet, der Koadjutor zum Kardinal ernannt werden. Die Königin gebar nicht nur einen ersten Sohn, sondern auch zwei Jahre später einen zweiten und Monsieur von Coligny wurde getötet.«

»Ja«, sagte Mazarin, »aber der Monsieur Koadjutor ist noch nicht Kardinal.«

»Nein, Monseigneur«, erwiderte der Garde, »aber er wird es werden.«

Mazarin machte eine Grimasse, welche sagen wollte, er hat das Barett noch nicht. Dann fügte er bei: »Es ist also Eure Meinung, mein Freund, Monsieur von Beaufort solle sich flüchten.«

»Das ist so sehr meine Meinung, Monseigneur«, sprach der Soldat, »dass ich, wenn Eure Eminenz mir zu dieser Stunde die Stelle von Monsieur von Chavigny, das heißt, die des Gouverneurs im Schloss Vincennes anböte, ich dieselbe nicht annehmen würde. Ja, am Tag nach Pfingsten wäre es etwas anderes.«

Es gibt nichts Überzeugenderes als eine große Überzeugung. Sie übt sogar ihren Einfluss auf Ungläubige aus. Weit entfernt, ungläubig zu sein, war Mazarin, wie gesagt, vielmehr abergläubisch. Er entfernte sich also ganz in Gedanken versunken.

»Der Knauser!«, sprach der Garde, welcher an der Wand lehnte. »Er stellte sich, als glaubte er nicht an Euren Magier, Saint-Laurent, damit er Euch nichts zu geben brauchte. Aber sobald er in seine Wohnung zurückgekehrt ist, wird er Eure Weissagung benutzen.

Statt seinen Weg zum Zimmer der Königin fortzusetzen, kehrte Mazarin wirklich zu seinem Kabinett zurück, rief Bernouin und gab Befehl, man solle ihm am anderen Morgen bei Tagesanbruch den Gefreiten holen, den er Monsieur von Beaufort beigegeben habe, und ihn wecken, sobald er kommen würde.

Ohne es zu vermuten, hatte der Garde die schmerzlichste Wunde des Kardinals mit dem Finger berührt. Seit den fünf Jahren, die Monsieur von Beaufort im Gefängnis saß, verging kein Tag, an welchem Mazarin nicht dachte, Monsieur von Beaufort werde früher oder später entkommen. Man konnte einen Enkel von Heinrich IV. nicht sein ganzes Leben lang gefangen halten, besonders wenn dieser Enkel von Heinrich IV. kaum dreißig Jahre alt war. Aber wie er den Kerker verlassen mochte, welchen Hass musste er nicht in seiner Gefangenschaft gegen denjenigen angehäuft haben, welchem er dieselbe zu danken hatte, … der ihn, reich, tapfer, berühmt, von den Frauen geliebt, von den Männern gefürchtet, gefasst hatte, um von seinem Leben die schönsten Jahre abzuschneiden, denn im Gefängnis leben ist kein Dasein. Mittlerweile verdoppelte Mazarin seine Wachsamkeit gegen Monsieur von Beaufort, nur war er dem Geizigen in der Fabel ähnlich, der neben seinem Schatz nicht schlafen konnte. Oft erwachte er plötzlich in der Nacht bei dem Traum, man habe ihm Monsieur von Beaufort gestohlen. Dann erkundigte er sich nach ihm, und bei jeder Erkundigung, die er einzog, musste er zu seinem Schmerz erfahren, der Gefangene spiele, trinke, singe und befinde sich ganz vortrefflich. Aber mitten im Spielen, Trinken und Singen unterbreche er sich immer wieder, um zu schwören, Mazarin soll ihm das Vergnügen, das er ihn in Vincennes zu genießen nötige, teuer bezahlen.

Dieser Gedanke beschäftigte den Minister gewaltig. Als Bernouin morgens um sieben Uhr in sein Zimmer trat, um ihn aufzuwecken, war auch sein ersten Worte:

»He, was gibt es? Ist Monsieur von Beaufort aus Vincennes entwichen?«

»Ich glaube nicht, Monseigneur«, antwortete Bernouin, dessen offizielle Ruhe sich nie verleugnete. »Aber in jedem Fall bekommt Ihr Nachricht von ihm, denn der Gefreite La Ramée, den man diesen Morgen in Vincennes geholt hat, ist da und erwartet die Befehle Eurer Eminenz.«

»Öffnet und lasst ihn eintreten«, sprach Mazarin und legte seine Kissen so zurecht, dass er ihn im Bett sitzend empfangen konnte.

Der Offizier (Gefreiter — Excempt — hatte in Frankreich einen viel weiteren Umfang. Der Gefreite bei den Garden zum Beispiel hatte den Rang eines Rittmeisters oder Hauptmanns.) trat ein. Es war ein großer, dicker, pausbäckiger Mann von gutem Aussehen. Er hatte eine gewisse ruhige Miene, welche Mazarin beunruhigte.

»Dieser Bursche sieht ganz aus wie ein Dummkopf«, murmelte er.

Der Gefreite blieb aufrecht und still an der Tür stehen.

»Nähert Euch, Monsieur«, sagte Mazarin.

Der Gefreite gehorchte.

»Wisst Ihr, was man hier sagt?«, fuhr der Kardinal fort.«

»Nein, Monseigneur.«

»Nun wohl, man sagt, Monsieur von Beaufort werde aus Vincennes entweichen, wenn er es nicht bereits getan hat.«

Das Gesicht des Offiziers drückte das tiefste Erstaunen aus. Er öffnete zugleich seine kleinen Augen und seinen großen Mund, um den Scherz besser zu kosten, den seine Eminenz an ihn zu richten ihm die Ehre erwies. Da er bei einer solchen Voraussetzung den Ernst nicht länger behaupten konnte, so brach er in ein so mächtigen Gelächter aus, dass seine dicken Glieder wie von einem heftigen Fieber bei dieser Heiterkeit geschüttelt wurden.

Mazarin war entzückt über diesen nicht sehr respektvollen Ausbruch, aber er behielt dessen ungeachtet seine ernste Miene bei. Als La Ramée genug gelacht und sich die Augen abgetrocknet hatte, dachte er, es wäre Zeit, zu sprechen, um die Unschicklichkeit seiner Lachens zu entschuldigen.

»Entweichen«, sprach er, »entweichen? Eure Eminenz weiß also nicht, wo Monsieur von Beaufort ist?«

»Allerdings, Monsieur, ich weiß, dass er im Kerker von Vincennes ist.«

»Ja, Monseigneur, in einem Zimmer, dessen Mauern sieben Fuß tief sind, mit Fenstern mit gekreuzten Gittern, an denen jede Stange so dick ist wie ein Arm.«

»Monsieur«, sagte Mazarin, »mit Geduld dringt man durch alle Mauern, und mit einer Uhrfeile durchsägt man eine eiserne Stange.«

»Aber Monseigneur weiß nicht, dass er acht Wachen bei sich hat, vier in seinem Vorzimmer und vier in seinem Zimmer, und dass diese Wachen ihn nie verlassen.«

»Aber er verlässt sein Zimmer, treibt das Kolbenspiel oder das Ballspiel.«

»Monseigneur, solche Unterhaltungen sind den Gefangenen gestattet. Wenn jedoch Seine Eminenz will, so wird man ihm dieselbe entziehen.«

»Nein, nein«, sagte Mazarin, welcher befürchtete, wenn man ihm diese Vergnügungen entzöge und sein Gefangener jemals Vincennes verließe, so würde er es noch mehr gegen ihn aufgebracht verlassen. »Ich frage nur, mit wem er spielt?«

»Monseigneur, er spielt mit dem Offizier von der Wache, oder mit mir, oder auch mit den anderen Gefangenen.«

»Aber nähert er sich beim Spiel nicht den Mauern?«

»Monseigneur, Euere Eminenz kennt die Mauern nicht? Die Mauern sind sechzig Fuß hoch, und ich zweifle, ob Monsieur von Beaufort so sehr des Lebens müde ist, dass er es wagen würde, von oben herabspringend den Hals zu brechen.«

»Hm«, sagte der Kardinal, der nun ruhiger zu werden anfing, »Ihr meint also, mein lieber La Ramée …«

»Wenn Monsieur von Beaufort nicht Mittel findet, sich in einen kleinen Vogel zu verwandeln, so stehe ich für ihn.«

»Nehmt Euch in Acht, Ihr behauptet zu viel«, versetzte Mazarin. »Monsieur von Beaufort sagte zu den Wachen, welche ihn nach Vincennes führten, er habe oft an den Fall, dass man ihn einkerkern würde, gedacht und habe für diesen Fall vierzig Manieren gefunden, aus dem Gefängnis zu entkommen.«

»Monseigneur, wenn unter den vierzig Manieren eine gute wäre«, antwortete La Ramée, »glaubt mir, so wäre er längst heraus.«

»Er ist nicht so dumm, wie ich wähnte«, murmelte Mazarin.

»Überdies vergisst Monseigneur, dass Monsieur von Chavigny Gouverneur von Vincennes ist«, fuhr La Ramée fort, »und dass Monsieur von Chavigny nicht zu den Freunden von Monsieur von Beaufort gehört.«

»Aber Monsieur von Chavigny entfernt sich.«

»Wenn er sich entfernt, bin ich da.«

»Aber wenn Ihr Euch selbst entfernt.«

»Oh, wenn ich mich selbst entferne, so ist an meiner Stelle ein kluger Bursche da, der Gefreiter Seiner Majestät zu werden trachtet und gute Wache hält, dafür stehe ich. Seit ich ihn vor drei Wochen in meinen Dienst genommen habe, kann ich ihm nur eins zum Vorwurf machen, dass er zu hart gegen den Prinzen ist.«

»Und wer ist dieser Cerberus?«, fragte der Kardinal.«

»Ein gewisser Monsieur Grimaud, Monseigneur.«

Was machte er, ehe er zu Euch nach Vincennes kam?«

»Er war in der Provinz, wie mir derjenige sagte, welcher mir ihn empfohlen hat. Er hat sich dort wegen eines bösen Streites irgendeine schlimme Geschichte zugezogen und es wäre ihm vielleicht erwünscht, sich Straflosigkeit unter der Uniform des Königs zuzuziehen.«

»Und wer hat ihn Euch empfohlen?«

»Der Intendant des Monsieur Herzogs von Grammont.«

»Man kann also Eurer Meinung nach auf ihn vertrauen?«

»Wie auf mich selbst, Monseigneur.«

»Er ist kein Schwätzer?«

»Jesus Christus, Monseigneur, ich glaubte lange, er wäre stumm. Er spricht und antwortet nur durch Zeichen. Es scheint, sein früherer Herr hat ihn so abgerichtet.«

»Nun wohl, sagt ihm, mein lieber Monsieur La Ramée«, versetzte der Kardinal, »wenn er gut und getreulich Wache halte, so werde man die Augen über seinen Provinzstreichen schließen, ihm eine Uniform auf den Rücken legen, um ihm Achtung zu verschaffen, und in die Taschen dieser Uniform einige Pistolen stecken, dass er auf die Gesundheit des Königs trinken könne.«

Mazarin ging sehr weit in Versprechungen. Er war gerade das Gegenteil von dem von La Ramée gerühmten guten Monsieur Grimaud, welcher wenig sprach und viel handelte.

Der Kardinal stellte noch eine Menge Fragen an La Ramée über den Gefangenen, über seine Nahrungsmittel, seine Wohnung, sein Bett, und La Ramée beantwortete diese Fragen so genügend, dass er ihn beinahe beruhigt entließ.

Da es neun Uhr morgens war, so stand er auf, parfümierte, kleidete sich und ging zu der Königin, um ihr die Ursachen mitzuteilen, die ihn in seiner Wohnung zurückgehalten hatten. Die Königin, welche Monsieur von Beaufort kaum weniger fürchtete als den Kardinal selbst und beinahe ebenso abergläubisch war, wie er, ließ ihn Wort für Wort alle Versprechungen von La Ramée und alle Lobeserhebungen wiederholen, die dieser seinem Gehilfen gespendet hatte. Sobald der Kardinal damit zu Ende war, sagte sie mit halber Stimme zu ihm: »Ach! Monsieur, dass wir nicht einen Grimaud bei jedem Prinzen haben.«

»Geduld«, sprach Mazarin, mit seinem italienischen Lächeln, »das wird vielleicht eines Tages kommen, aber mittlerweile …«

»Nun mittlerweile?«

»Werde ich immerhin meine Vorsichtsmaßregeln nehmen.«

Danach hatte er d’Artagnan geschrieben, er möge seine Rückkehr beschleunigen.

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