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Addy der Rifleman – Das Singende Maul

Max Felde
Addy der Rifleman
Eine Erzählung aus den nordamerikanischen Befreiungskämpfen
Union Deutsche Verlagsgesellschaft Stuttgart, Berlin, Leipzig, 1900

Das Singende Maul

Der Jäger nahm seine Flinte unter den Arm und stieg gedankenvoll waldeinwärts hinauf in die Berge.

Schon senkten sich die Schatten des Abends nieder und unter den weitverästelten Waldriesen wurde es rasch dunkel.

Bald aber stieg der Mond auf und goss sein Silberlicht über die Blätterwölbungen der Baumkronen, die, leise im Luftzug erzitternd und hin und her schwankend, die Lichtwellen weite trugen und die Finsternis unten in ein fahles Zwielicht verwandelten.

Der Jäger erstieg raschen Schrittes mehrere Höhen, überquerte einige Täler und gelangte endlich gegen Mitternacht auf eine von wildragenden Zinken und Zacken umsäumte Einsattelung, die er überschritt, und bog gleich darauf zwischen die düsteren Schatten eines mächtigen Felsenwirrsals ein.

Hier kam er nur mühsam kletternd vorwärts, aber bald ebnete sich das Terrain und weitete sich zu einem Becken, das auf der einen Seite von einer fast senkrechten Steinwand umzogen war.

Dorthin lenkte Addy seine Schritte und stand endlich vor dem Eingang einer Felsenhöhle, aus deren Tiefen der schwache Schimmer eines Feuers ihm entgegenleuchtete.

Plötzlich, wie aus der Erde gewachsen, tauchte eine schattenhafte Gestalt neben ihm auf.

»Seid Ihr es, Webster?«, fragte der Jäger.

» Yes!«, entgegnete eine sonore Stimme.

»Die beiden anderen, sind sie schon zurück?«

»Der Kanadier seit Einbruch der Nacht, Murphy kam vor einer Stunde.«

»Und sie wussten Neues zu melden?«

»Nichts. Sie haben beide den ganzen Tag auf den Höhen umhergelegen, konnten aber keine Rothaut entdecken.«

»Nun, dann lasst uns für heute der Ruhe pflegen«, versetzte Addy, »um morgen unserem Ziel wieder ein Stück näher zu kommen. Wie lange habt Ihr noch die Wache?«

»Noch eine Stunde, dann kommt der Kanadier an die Reihe.«

»Sagt ihm, dass mit dem Frühesten geweckt werden muss; ich möchte jedenfalls noch vor dem Morgengrauen weiter.«

Der andere antwortete zustimmend.

Der Jäger trat in die Felsenhöhle ein und näherte sich der Feuerstelle. Unmittelbar hinter ihr lagen auf der platten Erde, unter den Kopf ein Bündel aufgerauftes Moos geschoben, die Büchse in Griffweite neben sich, zwei laut schnarchende Männer.

Auf jede Bequemlichkeit verzichtend, ließ auch Addy sich neben ihnen auf den steinigen Boden nieder und lag schon nach wenigen Minuten ebenfalls in tiefem Schlummer.

 

*

 

Als der Jäger am anderen Morgen die schlaftrunkenen Augen aufschlug, fuhr dem sonst so kaltblütigen Manne ein gewaltiger Schreck in die Glieder.

Unwillkürlich fasste er mit der einen Hand an das Messer im Gürtel, mit der anderen nach der Büchse.

In dem matten Schimmer, den die Glut des niedergebrannten Feuers über die nächste Umgebung verbreitete, sah Addy die kauernde Gestalt eines Indianers neben sich, die aber, als der Jäger schnell in eine kampfbereite Stellung sich zurückzog, unbeweglich hocken blieb.

Inzwischen aber hatte Addy die dunkle Gestalt an seiner Seite schärfer ins Auge genommen. Nun entfuhr ein Ausruf des Erstaunens und der Freude seinen Lippen. »Du hier, Oneida?«, rief er und fügte schnell hinzu: »Eigentlich soll ich mich darüber nicht wundern; nach deinem auffallenden Schweigen gestern hätte ich mir sagen können, was in deinem Kopf umging, und dass du kommen würdest.«

»Ja, Flinker Biber kommen«, versetzte der rote Mann trocken. »Er gestern wenig sprechen, weil nachdenken, wo weißen Freund treffen – jetzt da sein.«

»Dies ist wieder einmal ein erstaunlicher Beweis deiner Findigkeit und im Übrigen schön von dir gehandelt; es zeigt, dass du ein guter und treuer Freund bist – ich werde dir das nie vergessen.«

»Flinker Biber sich sehr freuen, wenn Addy immer an roten Freund denken.«

»Ja, das werde ich, wahrhaftig und stetig. Aber, mein Lieber«, fügte der Jäger hinzu, indem er den Blick nachdenklich auf die glimmenden Reste des Feuers heftete, »da du jetzt hier bist, muss ich mich fragen, was dein Kommen bedeuten soll, und da muss ich mir sagen, dass du mir ohne Zweifel deine Dienste anbieten willst, und das steht wieder auf einem ganz anderen Blatt geschrieben.«

»Was will weißer Freund damit sagen?«

»Einfach, dass ich dein Anerbieten, obwohl es mir von größtem Wert sein würde, nicht annehmen darf.«

»Warum nicht annehmen? Addy suchen Singendes Maul und seine Squaw.«

»Allerdings, die beiden suche ich, und wenn ich mir jetzt sage, dass du gekommen bist, um mir dabei zu helfen, so wäre es vielleicht besser gewesen, ich hätte dir das überhaupt verschwiegen.«

»Warum schweigen, statt reden? Flinker Biber weißem Freund sehr gerne helfen.«

»Unter anderen Umständen könnte mir das nur recht und zugleich schmeichelhaft sein.«

»Besser, Addy nehmen Umstände wie sie sind, nicht wie sein können – Addy suchen Singendes Maul – suchen sehr leicht, finden aber sehr schwer; Flinker Biber besser finden.«

»Davon will ich kein Jota bestreiten, denn dass deine Spürnase ihresgleichen kaum haben dürfte, das hast du eben jetzt wieder durch dein Kommen bewiesen. Aber, mein roter Freund, du bedenkst nicht, dass wir das Singende Maul und seine Squaw in den Dörfern der Huronen zu suchen haben.«

»Wenn Huronen Singendes Maul wegnehmen, dann nur bei Huronen finden.«

»Alles deutete darauf hin, dass die Thayendanegeasleute die beiden hinwegführten, aber eben darum wünsche ich, dass du dich wieder nach Hause begibst.«

»Warum weißer Freund Flinken Biber nicht mitnehmen?«

»Weil ein Ritt zu den Huronendörfern für dich die allergrößten Bedenken hat. Wir werden, da wir im Ganzen nur vier Mann sind, auf unserer Suche selbstverständlich so vorsichtig und klug wie irgend möglich sein, aber es könnte immerhin der Fall eintreten, dass wir den Huronen auf den Busch klopfen müssen, und das kann zu artigen Zusammenstößen führen. Was aber werden die Huenda über die Oneida sagen, wenn sie einen ihrer Krieger bei mir sehen?«

» Flinker Biber sehr klug sein, keine Büchse sprechen.«

»Das sagst du. Unvorhergesehene Umstände können aber den Gang der Dinge ganz anders bestimmen, als du und ich es wünschen. Und dann vergiss nicht, dass du auch auf deinen eigenen Stamm, auf die Oneida, die mit aller Welt Frieden halten wollen, Rücksichten zu nehmen schuldig bist. Was wird euer Sachem dazu sagen, wenn er eines Tages vernehmen muss, dass du in feindlicher Absicht in die Dörfer der Huronen eingedrungen bist und, je nachdem, den Frieden zwischen den beiden Nationen empfindlich gestört hast? Das wird er dir gewaltig verübeln; deine eigenen Stammesbrüder werden dich verleugnen und man würde dich ausstoßen aus deinem Volk.«

Der Häuptling sah eine Weile sinnend vor sich hin und sagte dann: »Addy vergessen Mataga – Flinker Biber Mataga nicht vergessen.«

»Kommst du schon wieder mit dieser alten Geschichte«, versetzte der Jäger und lachte laut auf. »War es nicht Menschen- und Christenpflicht, dass ich damals deine alte Mutter den Krallen jener Bestie entzog? Hast du nicht den kleinen Dienst, den ich nur durch den bloßen Zufall zu erweisen vermochte, inzwischen durch ungezählte Freundschaftsbeweise wett gemacht?«

Der Indianer antwortete durch eine Geste der Ungeduld, bemeisterte sich aber rasch und sah dann eine Weile stumm vor sich hin. Plötzlich zuckte er leise auf, krempelte hastig den Ärmel seines Jagdhemdes empor, langte nach der rechten Hand des Jägers und entblößte auch diesem den Vorderarm.

Bei beiden Männern wurde eine völlig gleiche Tätowierung sichtbar, die in rohen Zügen die Gestalt eines Katzentieres vorstellte.

Ernst, fast feierlich zeigte der rote Mann auf die beiden Male und sagte: »Hier Puma, dort Puma – hier Blut von weißem und rotem Mann zusammenfließen und dort Blut von weißem und rotem Mann zusammenfließen – beide Arme ein Arm, beide Männer ein Mann. Flinker Biber lieben sein Volk sehr, aber er vergessen nicht die Pflicht der Freundschaft.«

Der Jäger wollte entgegnen, doch der Häuptling erhob sich und wandte sich hinweg, als dulde er keine Widerrede, als wolle er damit sagen, sein Mitgehen sei beschlossene Sache, es sei unwiderruflich.

Auch Addy stand nun auf und sie traten beide nebeneinander hinaus vor die Höhle.

Der Tag begann bereits zu grauen und die drei Ranger, markige, kräftige Gestalten, erwarteten wenige Schritte vor dem Eingang marschbereit ihren Führer.

Der Flinke Biber aber schien in der Tat die Auseinandersetzung zwischen ihm und dem Jäger als abgeschlossen zu betrachten. Er warf einen raschen Blick auf die nächste Umgebung, zeigte auf die jenseits des Beckens liegenden Felsenerhebungen und winkte dem Jäger, ihm dahin zu folgen.

Dort angelangt, erstiegen sie den höchsten Punkt und hatten nun weithin über das Land den prächtigsten Ausblick.

»Hier Mohawk«, begann der Oneida, südöstlich weisend, wo die aufgehende Sonne mittlerweile den ganzen Horizont mit brennend roten Strahlenbündeln übertaucht hatte und fuhr gleich darauf mit dem Finger nach Norden herum: »Dort kleine Berge, hinter ihnen große Berge – dort hinter den großen Bergen Huronendörfer!« Er zeigte dann auf einige in dieser Richtung liegende Talgelände und erklärte weiter: »Dort Addy in den Wäldern liegen; dort warten, bis sehen, dass Huronen Kriegspfad betreten.«

Der Jäger nickte mit dem Haupt, zum Zeichen, dass dies seine Absicht sei.

»Das gut, das sehr gut«, erklärte der Flinke Biber. »Addy dort liegen bleiben, bis Inschen an ihm vorüber gehen. Dann mit weißen Männern Huronendörfer beschleichen.«

Wieder nickte der Jäger mit dem Haupt.

»Das gut«, fuhr der rote Mann in seinen Erklärungen fort. »Aber dort«, er zeigte westlich, wo ein großer Gürtel von Seen in nördlicher Richtung gegen das Wohngebiet der Huronen sich hinzog, »dort großes Wasser, dort viele Wasser, dort viel besser gehen, dort keine Späher; dort Weg sehr gut – dort Mokassin keine Fährte lassen.«

»Da hast du recht«, versetzte der Jäger sichtlich angenehm überrascht, »im Wasser hinterlässt der menschliche Fuß allerdings keine Eindrücke. Und es scheint sogar«, fuhr er fort, nachdem er mit einem langen forschenden Blick das Seengebiet einer Prüfung unterzogen hatte, »dass der Weg über die Seen ziemlich dicht heran an die Dörfer der Huronen führt.«

»Er führen sehr gut, Wasser bis an die Hütten reichen. Dort Berge, viele Berge, hohe Berge; dort besser im Wald liegen, bis rote Krieger Dörfer verlassen; dann ihren Wigwam beschleichen.«

»Ihr roten Leute seid doch die geborenen Schlauköpfe und du weißt in diesem Fall obendrein mit dem Nützlichen das Angenehme zu verbinden.«

»Weg über Wasser besser, viel besser!«

»Jedenfalls bequemer, als das ganze Gebirge abzustiefeln. Was du vorschlägst, leuchtet ein; es würde sich nur fragen, wo wir ein geeignetes Fahrzeug herbekommen.«

»O, Kanus genug. Flinker Biber besorgen.«

»Wolltest du das, dann allerdings würde ich mich nicht lange besinnen und deine Hilfe hierfür in Anspruch nehmen.«

»Hugh!«, erwiderte kurz der rote Mann und wandte sich sogleich dem nordwestlichen Berghang zu, um von dort in ein enges Tal niederzusteigen, aus dem streckenweise der schmale weiße Silberstreifen eines ziemlich bedeutenden Wasserlaufes empor leuchtete.

Addy gab den Rangern ein Zeichen und alsbald folgten die vier Weißen.

Schon nach einer halben Stunde langten sie auf der Talsohle an, traten in einen dichten Wald ein und nach einer nochmaligen, kaum viertelstündigen Wanderung vernahmen sie Wasserrauschen.

Der Flinke Biber, der bislang schweigend und mit weit ausgreifenden Schritten vorangeeilt war, verlangsamte nun seinen Lauf und ließ den Jäger an sich herankommen. »Was Addy lieber?«, fragte er. »Weg bis an das große Wasser durch Wald weit, aber gut. Weg auf Wasser schlecht, aber kurz.«

»Ich bin allemal für die Kürze«, entgegnete der Jäger, »vorausgesetzt in diesem Fall, dass dein Wasserweg einigermaßen fahrbar ist, und dass wir nicht Gefahr laufen, elendiglich zu ersaufen.«

»Wasser schlecht, aber sehr schnell – kommen und sehen«, versetzte der Oneida und eilte wieder vorwärts.

Nach wenigen Minuten standen sie am Ufer eines dreißig bis vierzig Meter breiten Flusses, der mit reißender Schnelligkeit gurgelnd und brausend zu Tal jagte.

»Nun, die Sache sieht wenig einladend aus. Aber ich kenne dich als guten Steuermann; du wirst uns sicher führen.«

»Flinker Biber führen, Flinker Biber gut führen.«

Auch die drei Ranger, alle drei Männer von Kühnheit, wagemutig und entschlossen geworden in den endlosen Kriegen, waren mit der Wasserfahrt einverstanden. Sie halfen sofort auch wacker mit, als der Flinke Biber und der Jäger daran gingen, zahlreich kreuz und quer umherliegende Baumstämme an das Ufer des Flusses zu rollen und zum Teil auf das erforderliche Maß zu kürzen, um daraus einen Floß zusammenzustellen.

Bald lagen die erforderlichen Stämme nebeneinander gereiht. Sie wurden dann durch natürliche Taue, welche die Männer den hier üppig wuchernden Schlinggewächsen entnahmen, zweckentsprechend untereinander verbunden.

Der Flinke Biber fertigte am hinteren Schmalteil des Fahrzeugs aus demselben Material mit geübter Hand eine mächtige Schlinge und steckte in dieselbe einen schaufelartig zum Steuerruder geformten, teils natürlich gebildeten, teils mit dem Beil zugehauenen Baumstamm.

Darauf wurde das nunmehr fertige Floß vollends zu Wasser geschoben und von den vier Weißen bestiegen; der Indianer stand bereits am Steuer.

Einen letzten Stoß gegen das Ufer, das Fahrzeug geriet ins Schwanken und schoss dann, von der Kraft der Fluten erfasst, dahin auf den brausenden und schäumenden Wassern.

Diese Fahrt, hier in der Einsamkeit der unberührten Wildnis, war herrlich, aber nicht ungefährlich.

Wie eine grüne Laube wölbte sich von beiden Seiten nach der Mitte des Flusses die Fülle des üppigen Urwaldes und verbreitete an den schmalen Stellen ein zauberisches Halbdunkel.

Zwischen den mächtigen Baumstämmen ragten riesige Farne auf; allerlei Schlingpflanzen kletterten bis in das entlegenste Geäst der Bäume, von wo sie oftmals bis auf die Oberfläche des Wassers überhingen.

Aber Einzelne der Waldriesen waren durch Altersschwäche oder irgendwelche elementare Ereignisse auch zu Fall gekommen. Sie hatten sich in ihrem Sturz quer in den Fluss gelegt, wodurch sich manche nicht ungefährliche Stromschnelle bildete, sodass es bei der pfeilschnellen Fahrt der vollen Aufmerksamkeit und der ganzen Geschicklichkeit und Kraft des Steuermanns bedurfte, diesen Hindernissen immer noch im rechten Augenblick auszuweichen.

So jagten sie wohl eine halbe Stunde talab und erst allmählich veränderte sich das Bild. Die Ufer wurden höher, die Vegetation trat zurück, dafür zeigten sich aber nun im Flussbett unzählige Klippen, durch die tosend und brandend das Wasser sich seinen Weg bahnte, eine Menge gurgelnder Strudel und Sturzwogen bildend.

Aber wie aus Erz gegossen, stand der Häuptling am Steuer, das feurige Auge prüfend und messend voraus gerichtet, nun eine wohlberechnete leichte Schwenkung des Fahrzeuges vollführend, dann wieder das mehr als einfache Steuerruder mit gewaltigem Ruck herumwerfend, um die Gefahr des Augenblicks zu überwinden.

Endlich wurden die Ufer wieder etwas niedriger, traten weiter und weiter zurück und die Wasser zogen jetzt in ruhigeren Bahnen.

Die Männer erhoben sich auf den schwanken Planken, an die sie sich während der rasend schnellen Fahrt angeklammert hielten und schüttelten sich lachend das Wasser aus den Kleidern, das oft, kleinen Sturzseen gleich, über sie hereingebrochen war.

Der Wald schwand zu beiden Seiten und in nicht allzu großer Ferne wurde die grauneblige Fläche eines großen Sees sichtbar.

Der Flinke Biber steuerte das langsam treibende Floß an einen von überhängendem Buschwerk bedeckten Ufereinschnitt, wo die Männer an Land sprangen.

»Das nennt man eine Fahrt!«, rief der Kanadier, sichtlich froh, dass er wieder festen Boden unter den Füßen hatte. »Wette, dass wir in der einen Stunde einen vollen Tagesmarsch hinter uns gebracht haben.«

»Wenn marschieren«, erklärte der Flinke Biber, »dann ganze Zeit brauchen vom Morgen bis zum Abend.«

»Und willst du uns sagen, wo wir jetzt sind?«, fragte Addy.

»Hier Oneidagebiet, hier sicher, nichts fürchten; aber besser, wenn Oneida weiße Krieger nicht sehen.«

»Wenn du das für geraten hältst, dann werden wir uns selbstverständlich möglichst unsichtbar machen.«

»Bleiben im Busch, gehen nicht an See; Flinker Biber Kanu holen.«

»Wann gedenkst du mit dem Fahrzeug wieder hier zu sein?«

»Flinker Biber sehr eilen, aber nicht vor Abend wiederkehren; erst wenn Nacht, dann kommen; dann gleich weiterfahren.«

Der Indianer wandte sich zum Weggehen, kehrte aber nochmals um und reichte dem Jäger seinen Bogen und ein Bündel Pfeile, womit er sich zu diesem Zug wohl nicht ohne Absicht statt der Flinte bewaffnet hatte.

»Hier nehmen!«, sagte er, »Flinker Biber wissen, Addy mit Büchse besser schießen, aber Wild auch mit Pfeil treffen. Wenn Hunger, am Fluss viele Vögel, im Wasser viele Fische, im Wald Hirsch; Büchse nicht sprechen lassen.«

Addy nahm die Schusswaffe dankend entgegen, worauf der Indianer in den Büschen verschwand.

»Ein guter Kerl, diese Rothaut«, meinte Webster, dem Ansehen nach der Kräftigste unter den drei Grenzern. »Wir werden, soll uns gelingen, was wir vorhaben, gut tun, wenn wir uns den Burschen warm halten.«

»Ja, es ist ein prächtiger Mensch«, bestätigte der Jäger. Er schilderte den Genossen mehrere Züge aus seinem eigenen und dem Leben des roten Mannes, die dazu führten, eine dauernde, aufrichtige und wahre Freundschaft zwischen ihm und dem Oneida anzubahnen. Er verschwieg ihnen auch nicht sein Bedenken, dass die aufopferungsvolle Teilnahme an ihrem Vorhaben für den Indianer schlimme Folgen haben könne, worüber die etwas rauer angelegten und durch das Kriegshandwerk hart gewordenen Ranges freilich viel nüchterner und darum auch praktischer dachten.

Die Sonne wandte sich allgemach dem Zenit zu und die Männer empfanden das Bedürfnis, für eine Magenstärkung zu sorgen.

Eingedenk der Mahnung des Flinken Bibers bediente sich Addy des Bogens und der Pfeile, um mit sicherem Schuss mehrere feiste Enten und einige andere genießbare Wasservögel zu erlegen, die dann von Murphy, der für heute die Aufgabe des Kochs zu übernehmen hatte, an niedrig gehaltenem Feuer kunstgerecht am Spieß gebraten wurden. Nach eingenommener Mahlzeit wurden für den Rest des Tages die Wachen eingeteilt. Da die kommende Nacht voraussichtlich geopfert werden musste, ermahnte Addy die wachefreien Männer, der Ruhe zu pflegen.

Als es endlich Abend und dunkel geworden war, stellte sich der Flinke Biber wieder ein. Er verständigte Addy, der gerade die Wache hielt, dass es nun Zeit sei, ihm zu folgen.

Schnell wurden die Schläfer geweckt, die Reste der Mahlzeit zusammengepackt und das bereitliegende Boot bestiegen.

Es war ein geräumiges, aus Birkenrinde gefügtes, mit vier Schaufelrudern versehenes indianisches Kanu.

Addy und die drei Ranger setzten sich auf die Ruderbänke, während der Flinke Biber wieder am Steuer Platz nahm.

Mit kräftigem Durchzug legten sich die vier Männer in die Riemen, während der Indianer ein fünftes Ruder mit etwas breiterem Blatt als Steuer handhabte.

Der Häuptling hatte schon zuvor sämtliche Ruderblätter mit Leinwandfetzen umwickelt und fast geräuschlos glitt daher das Fahrzeug den Fluss hinab bis zur Mündung, wo es sofort quer über den See nördlichen Kurs nahm.

Das Boot war, trotzdem es sich als sehr stabil erwies, ungemein leicht gebaut und hatte einen guten Fortgang.

Gleichwohl war Mitternacht längst vorüber, als endlich über dem Bug die gespenstischen Schatten des nördlichen Seeufers auftauchten.

Hier steuerte der Flinke Biber in einen schmalen Wasserlauf, folgte denselben noch eine kleine Strecke und ließ dann das Boot ans Ufer laufen.

»Weiße Männer viel rudern, weiße Männer gut rudern«, erklärte er. »Hier ruhen; wenn Tag kommen, wieder rudern.«

»Du hast bisher so viele Vorsicht beobachtet und du wolltest jetzt, da wir dem Huronengebiet mit jedem Ruderschlag näher kommen, morgen am hellen Tag weiter?«, fragte einigermaßen erstaunt Addy.

»Oneidakrieger Flinken Biber nicht mehr sehen, Huronendörfer noch sehr weit.«

»Und andere, den Weißen feindlich gesinnte rote Leute kämen uns hier nicht in die Quere?«

»Hier nirgends Inschen, hier ohne Gefahr bei Tag fahren. Wenn Huronendörfer nahe, dann wieder bei Nacht rudern.«

Addy, der die Gegend hier oben an den Seen zwar ziemlich genau kannte, aber über die derzeitigen Niederlassungen der Indianer, die ihre Wigwams oft verlegten, natürlich nicht orientiert war, musste sich mit dieser Erklärung wohl oder übel zufrieden geben. Übrigens fühlte er sich keineswegs irgendwie beunruhigt, hatte er doch oft genug Gelegenheit gehabt, die Vorsichtigkeit seines roten Freundes kennen zu lernen.

Auch die Ranger brachten nach allem, was sie über das Freundschaftsverhältnis zwischen dem Jäger und dem roten Mann gehört hatten, seiner Führung volles Vertrauen entgegen. Zudem forderte er nun zu einer Rast auf und das war ihnen nach der anstrengenden und ungewohnten Ruderarbeit nur willkommen.

Nachdem der Indianer sich auch noch erboten hatte, für die nächsten Stunden die Wache zu übernehmen, suchte sich jeder einen Ruheplatz.

Bald nach Tagesanbruch weckte der Flinke Biber und gestärkt stieg man ins Boot.

Man folgte den schmalen und trägen Wasserlauf mehrere Stunden weit und endlich hatte man ihn hinter sich.

Vor den Blicken der Männer tat sich wieder eine weite Seefläche auf, die zwar nur etwa zwei Kilometer breit, ihrer Länge nach aber gar nicht zu übersehen war.

Die Ufer, die dicht bedeckt mit allerlei Farnen, Gräsern und moosüberwuchertem Steingeröll waren, darüber sich mächtige Weißeichen und herrliche Ulmen wölbten, boten ein überaus malerisches Bild dar. Über den Baumwipfeln zogen große Raubvögel, nach Beute spähend, ihre weiten Kreise; auf dem glatten Wasserspiegel aber trieben Tausende und aber Tausende Taucher der mannigfaltigsten Arten ihr Spiel. Große Entenscharen schwammen schlummernd umher, den Kopf nach rückwärts zwischen die Flügel gesteckt, darunter die farbenprächtige Wald- und die blendend weiße Schneeente. Entlang des Ufers, im seichten Gewässer stand regungslos der langhalsige blaue Reiher – das Ganze ein Bild des beschaulichsten, stillen Dahinlebens.

Sobald sich aber das Boot einer Gruppe dieser Wasserbewohner näherte, erhob sich alsbald ein schriller Warnungsruf. Die Taucher verschwanden im Wasser, die aufgeschreckten Enten stimmten ein ohrenbetäubendes Geschnatter an und nun zeigte sich erst recht der Reichtum des tierischen Lebens. Sofort erhoben sich unzählige Flügelpaare zu wilder Flucht und rauschten auf ihren farbenprächtigen Fittichen weiter hinaus in den See oder dem schützenden Wald zu.

Es war klar, dass an den Ufern dieses Sees dauernd keine Menschen weilten, denn sonst hätte sich hier das tierische Leben und Treiben nicht in dieser fast überreichen Weise und idyllischen Ursprünglichkeit erhalten.

Gleichwohl steuerte der Flinke Biber dicht am östlichen Ufer, wohl in der Absicht, wenn sich dennoch eine Gefahr zeigen sollte, rasch in einer kleinen Bucht oder hinter überhängendem Buschwerk zu verschwinden.

Unter diesen Umständen, die gar viel Neues und Interessantes beobachten ließen und mitunter auch die Kraft des Bogens und des Pfeiles zu erproben, Gelegenheit boten, schwand die Zeit den Ruderern rasch dahin und schon kurz nach Mittag gelangten sie an ein Wirrsal von Felseninseln, die, reichlich mit Humuserde bedeckt, einen üppigen Pflanzenwuchs aufwiesen. Aus den Rissen und Nischen der Felsenwände ragten reichbelaubte Bäume empor, die mit einem dichten Gehänge von allerlei Schlingpflanzen überzogen waren, das über die Felsenmauern hinweg oft bis in das Wasser niederhing. Überall wucherten üppige Blätterbüschel der seltsamsten Formen und Farben, wechselnd von mattem Grau bis zum brennendsten Rot; dazwischen sahen neugierig unzählige buntfarbige Blüten hervor.

Der Flinke Biber steuerte mitten hinein in dieses Inselchaos und legte, um den Rudernden wieder einige Erholung zu gönnen, an einer geschützten und leicht zugänglichen Stelle eines der kleinen Eilande an.

»Hier gut, hier sicher, hier bleiben bis Abend, dann wieder weiterfahren; Huronendörfer nicht mehr weit, dort hinter den Bergen«, erklärte er.

In der Tat erhoben sich zur rechten Seite des Sees, nur noch wenige Meilen entfernt, einige ansehnliche bewaldete Höhen und dahinter sollte also das erstrebte Ziel liegen.

Man suchte und fand bald eine munter sprudelnde Quelle, zog den Mundvorrat und die auf der Herfahrt ergatterte Jagdbeute hervor und suchte sich, den Umständen angemessen, bestmöglich einzurichten. Auch der Flinke Biber langte, als das Mahl bereitet war, wacker zu, zog sich aber bald in das Kanu zurück, um, unterstützt von dem Jäger, sich der teilweise sehr nötig gewordenen Ausbesserung der Umwickelung der Ruderblätter zu widmen.

»Nun bald wissen, ob Singendes Maul und seine Squaw noch Skalp haben«, sagte der rote Mann, indem er an einem der Riemen emsig wand und schnürte.

»Ich hoffe, dass es so ist«, versetzte Addy. »Ich hoffe auch, dass ihre Befreiung gelingt.«

»Wenn klug sein, dann müssen gelingen.«

»Wie wir zu Werke gehen werden, das wollen wir von den Umständen abhängig machen. Zunächst bin ich dafür, dass wir uns jedenfalls in der kommenden Nacht noch an Ort und Stelle, das heißt auf den bestmöglichen Beobachtungsposten begeben, wenn du nicht etwa ein stichhaltiges Bedenken dagegen geltend zu machen hast.«

»Flinker Biber weißen Freund heute Abend noch führen; er nichts einwenden – heute noch an das Dorf schleichen; keine Zeit verlieren.«

»Dann aber, wenn wir so weit sind, wirst du die Freundlichkeit haben und uns unserem Schicksal überlassen.«

»Erst an den Bergen sein, dann darüber weiter reden.«

»Du willst mir schon wieder unter den Händen hindurchwischen, aber ich will dir sagen, dass es mein voller Ernst ist; du wirst dann umkehren; ich werde dann keinen Einwand mehr gelten lassen.«

»Ja, Flinker Biber zurückkehren, über das Wasser zurück; aber jetzt noch nicht wissen wann; erst wenn Huronendörfer sehen.«

Der rote Mann sagte das mit einer solchen Bestimmtheit und Entschiedenheit, dass der Jäger, in der Befürchtung den Freund zu verstimmen, bei seiner Forderung vorläufig doch nicht mehr verweilen mochte.

Sie besprachen dann bei ihrer Arbeit noch manches. Darüber verging der Rest des Nachmittags, bis es endlich dunkelte. Sie weckten nun die Ranger, die sich inzwischen aufs Ohr gelegt hatten, man stieg ins Boot und mit neuen Kräften ging es weiter.

Obwohl das Fahrzeug völlig geräuschlos zwischen den Eilanden dahinglitt, kamen sie nun nur langsam vorwärts, denn der Flinke Biber beobachtete nunmehr die größte Vorsicht, nutzte jeden Schatten und sondierte, ehe er eine der Inseln umsteuerte, zuvor genauestens jede Krümmung. Erst nach zweistündiger Fahrt hatten sie die kleinen Eilande hinter sich und ruderten von da an im offenen See entlang des östlichen Ufers. Allgemach erschienen die dunklen Silhouetten der Berge, die sie zu erreichen hatten, höher und höher. Endlich bog das Boot in einen schmalen Wasserlauf von starker Strömung ein. Noch einige hundert Schritte harter Arbeit dann steuerte der Flinke Biber an das Ufer.

Die vier Weißen sprangen an Land und sahen nach ihren Waffen.

Der Indianer zog das Boot in einen kleinen Ufereinschnitt unter überhängendes Gesträuch und verwahrte unweit davon unter dichtem Gestrüpp die Ruder.

»Jetzt Flinkem Biber folgen«, flüsterte dieser und trat hinab an das Ufer; die Weißen folgten seiner Aufforderung.

Um keine Fährte zu hinterlassen, gingen sie wohl eine Viertelstunde lang im seichten, ziemlich stark strömenden Uferwasser flussaufwärts und bogen dann waldein in das Bett eines kleinen Bergbächleins, das sie noch eine ziemliche Strecke weit, fortgesetzt im Wasser stapfend, folgten.

Endlich stieg das Erdreich erheblich an und nun trat der Flinke Biber aufs Trockene.

Unmittelbar vor den Männern erhob sich ein einzelner kegelförmiger und reich bewaldeter Berg, den sie, durch dick und dünn ihren Weg bahnend, bis zur Spitze hinaufstiegen.

Als sie den höchsten Punkt erreicht hatten und jenseits nach einem Lebenszeichen ausspähten, lag das ganze vorliegende Gelände still und dunkel.

»Das gut, wenn kein Feuer«, meinte der Flinke Biber. »Vielleicht Krieger Dorf schon verlassen, vielleicht schon auf dem Kriegspfad.«

Man verteilte die Wachen und legte sich dann zur Ruhe.

Am anderen Morgen, als kaum die erste Dämmerung sich zeigte, waren die Männer schon munter und spähten neugierig hinab in die Tiefe.

Ihre Erwartung wurde aber auf eine harte Probe gestellt, denn der ganze Talgrund bis weit hinaus in den See lag überdeckt von dichtem Nebel.

Erst als der glühend rote Sonnenball im Osten emporstieg, begannen die weißlichen Schleier sich zu zerteilen und zogen in langgestreckten Schwaden höhenwärts, wo sie allmählich zerflossen.

Nun tat sich vor den Augen der Männer eine ziemlich beträchtliche, von Busch und Wald besetzte Niederung auf, die, vom See her ansteigend, sich allmählich zu einem immer schmäler werdenden Talausläufer gestaltete und sich als enges Tal zwischen den östlichen Bergen verlor.

Unweit des Seeufers wurde eine große Anzahl Indianerhütten sichtbar, unter denen aber kaum die Hälfte als bewohnt gelten konnte. Der größere Teil derselben befand sich unleugbar in einem höchst verwahrlosten Zustand. An vielen hingen von den Wänden die Fetzen nieder; sie waren von Wind und Wetter größtenteils schief gelegt, manche schon ganz zusammengebrochen. Man konnte sehen, der langjährige Krieg und der große Menschenverlust hatten den Huronen schon übel mitgespielt.

Ein leiser Ausruf entfuhr Addy und er wies mit dem Finger nach der Mitte des Dorfes, wo von einem durch seinen Umfang sich auszeichnenden Wigwam ein fast zwanzig Meter hoher, mit grellen Farben bemalter Pfahl sich erhob.

»Addy Totem wieder erkennen«, versetzte der Flinke Biber beifällig. »Totem zeigen viele Hirsche – das Wigwam des Thayendanegeas!«

»Und der Bogen an dem Wappenpfahl fehlt!«

»Addy gutes Auge, Addy Falkenauge. Wenn Bogen und Pfeile an Totem hängen, dann Thayendanegeas in seinem Wigwam; wenn nicht hängen, dann fort über den See oder über die Berge.«

»Das Glück scheint uns gleich am ersten Tag günstig. Wenn der Häuptling fort ist, darf man billig annehmen, dass er auch den größten Teil seiner Krieger mitgenommen hat.«

»Das gleich sehen, das gleich sehen«, versetzte der Flinke Biber.

Mit gespannter Aufmerksamkeit beobachteten die Männer das Dorf.

Einige Hunde schlichen schnüffelnd zwischen den Hütten umher; seitlich der Letzteren weideten auf nahem Wiesengrund einige Ponys.

Nach und nach wurde es auch in einigen Wigwams lebendig.

Kleine dünne Rauchwölkchen kräuselten aus den Rauchlöchern empor. Einige in buntfarbige Kittel gekleidete alte Frauen wurden sichtbar, kenntlich an ihrer gebückten Haltung und an ihrem watscheligen Gang.

Sie wandelten alle zu einem das Dorf durchschneidenden Rinnsal, Wasser zu schöpfen.