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Aus dem Wigwam – Zur Einführung

Karl Knortz
Aus dem Wigwam
Uralte und neue Märchen und Sagen der nordamerikanischen Indianer
Otto Spamer Verlag. Leipzig.1880

Zur Einführung

Fern sei es von mir, den Leser ermüden zu wollen mit Aufführung der Gründe, welche mich bewogen, meinem Vaterland Valet zu sagen, um in Amerika mein Glück zu versuchen. Es ging mir, wie so vielen Tausenden vor mir. Ich schlug die Warnungen älterer erfahrener Freunde, im Land zu bleiben und mich redlich zu nähren, in den Wind und schiffte mich in Bremen ein. Von der Überfahrt will ich nichts erzählen. Dieses ewige Einerlei ist in den verschiedensten Variationen bereits zum Besten gegeben worden, und es gehört wahrlich viel Kühnheit dazu, es nochmals aufzutischen. Auch von New York will ich schweigen, denn wer kennt nicht schon den Broadway mit seinen stolzen Palästen und das bunte Leben und Treiben auf demselben, selbst wenn er das Pflaster jener Metropole der Neuen Welt noch niemals betreten hat? In New York war meines Bleibens nicht lange, und nach wenigen Tagen schon befand ich mich auf der Fahrt nach dem fernen Westen. Die Lust nach Abenteuern trieb mich aus den angebauten Distrikten hinaus in die Wildnis, wo ich mich bald als Trapper wohlfühlen lernte. Es war ein etwas schroffer Übergang binnen weniger Monate vom flotten Studenten der Medizin im dritten Semester an der Universität zu Berlin bis zum Jäger und Fallensteller im wilden Westen Amerikas.

Meine gute, brave Mutter, wenn sie mich so hätte sehen und beobachten können, sie hätte ihr liebes Söhnchen nicht wiedererkannt und wehmütig staunend die Hände über dem Kopf zusammengeschlagen! Ich muss allerdings bekennen, dass für die früher von mir häufig besuchten Salons mein An- und Aufzug nicht gepasst hätte, glaube vielmehr, dass ein spekulativer Kopf kein schlechtes Geschäft gemacht haben würde, hätte er mich der schaulustigen Menge in Europas Hauptstädten gegen entsprechendes Eintrittsgeld vorgeführt.

Um den Effekt zu erhöhen, hätte mein Impresario selbstverständlich die mich umgebende Szenerie wählen müssen: Ich lebe in der Heimat der wildesten, unvermischtesten Indianerstämme, wo dieselben noch ihre besten Jagdgründe besitzen und meist erfolgreichen Krieg gegen die weiter vordringende Kultur führen. Ein schluchtähnliches Tal, durchbraust von einem schäumenden Fluss, windet sich durch steile, himmelanstrebende Steinpyramiden, deren riesige Spitzen sich tief bis in das Blau des Himmels erheben, hindurch. Berge sind auf Berge getürmt, bedeckt Schnee, der nimmer schmilzt. Gewaltige Felstrümmer, hinabgestürzt in die Tiefe, liegen aufgeschichtet in finsteren Abgründen. Diese Zeugen längst vergangener Erdumwälzungen erfüllen die Wanderer mit schwindelerregendem Grauen. Von den in chaotischer Verwirrung aufeinander gelagerten Felsmassen sind einige kahl und bleich, andere zeigen Spuren von Vegetation in den dunklen Nadeln der Föhren und Zedern, deren verkrüppelte Gestalten halb aufwärts streben, halb auf den Felsenzacken hängen. Es begrüßen uns ernste mächtige Wälder immergrüner Eichen mit hartem, glänzendem Laub und weit ausgebreiteten, Schatten gebenden Kronen. Hoch über sie empor ragen riesige Kiefernarten. Unter den mächtigen Stämmen grünen zierliche Erdbeerbäumchen, Lebensbäume und Wachholdergesträuch. Ein furchtbares Ungetüm – der graue Bär – schleppt sich an den hohen Felsenwänden hin. Der Steppenwolf kauert auf der vorspringenden Klippe und wartet auf das Elen, das am Wasser da unten vorübergehen muss. Auf dem Föhrenast wetzt der kahlköpfige Geier seinen schmutzigen Schnabel. Hoch über allem schwebt unter dem blauen Himmelszelt der blauköpfige Adler.

In dieser Umgebung bringe ich mein Leben zu, um kostbares Pelzwerk zu sammeln, das ich, sobald genügender Vorrat vorhanden ist, zu einer einige Tagesreisen entfernten Niederlassung bringe, um es zu verkaufen und gegen Munition und Mundvorrat umzutauschen.

Drei Gefährten teilen die oft nicht geringen Gefahren und Anstrengungen meines mir in hohem Grad zusagenden Berufs. Der eine der sich des Namens Mah-to-toh-pa erfreut, ist ein Indianer vom reinsten Wasser, ein wahres Prachtexemplar. Ich glaube, er war früher sogar ein Häuptling der Delawaren. Die meisten seiner Stammesgenossen haben den in seinen Augen untilgbaren Schimpf auf sich geladen, sich von der Kultur belecken zu lassen. Er hat sie verlassen, um frei von lästigen Fesseln und nicht zur Arbeit gezwungen zu sein.

Chingorikhoor nennt sich der Dritte in unserem Bunde. Unter seinen Landsleuten mag er ein ganz braver Mann und tüchtiger Krieger gewesen sein, für mich ist er ein ganz gewöhnliches Exemplar eines schmutzigen, faulen Menschen, der mich ärgert, wenn ich ihn ansehe. Er ist aber ein guter Biberfänger und das muss für mich jetzt die Hauptsache sein.

In einem Punkt gleichen wir den von uns so gehassten Kulturmenschen – wir haben das Prinzip der Arbeitsteilung angenommen.

Mah-to-toh-pa jagt nur Büffel und Bären. Er verschmäht alles andere Wild. Da Büffel- und Bärenfelle hoch im Preis stehen und deren Fleisch nicht zu verachten ist, so lasse ich ihn gewähren.

Dass Chingorikhoor Biber zu fangen versteht, habe ich schon angedeutet. Meiner Wenigkeit fällt meist die Hirsch- und Geflügeljagd zu, doch bin ich nicht wählerisch und strebe jedes Tier zu erlangen, von dem ich überzeugt bin, dass es einen preiswerten Pelz besitzt.

Vor einigen Tagen haben sich nun noch ein Navajo, El Sol mit Namen, und der Irokese Ma-ga-gah-to-gatch zu uns gesellt, edle, mir durchaus sympathische Erscheinungen, die uns leider bald wieder zu verlassen gedenken.

Nach des Tages Arbeit lagern wir uns um ein hell loderndes Feuer, bereiten unser zwar einfaches, aber wohlschmeckendes Mahl, um uns dann dem Vollgenuss des Tabakrauchens hinzugeben.

Anfangs ging es nach Indianerart sehr schweigsam dabei zu. Das wurde mir aber mit der Zeit höchst langweilig, und ich wusste durch allerlei Künste aus meinen Kameraden allerlei Mitteilungen herauszulocken. Es war viel dabei, was ich schon in den Lederstrumpferzählungen und in Gerstäckers Schriften gelesen hatte. Dagegen waren mir völlig neu die Märchen und Sagen, welche meine Gefährten in unnachahmlicher Weise vortrugen, wahrscheinlich Traditionen ihrer Stämme, von den Vorfahren auf die gegenwärtige Generation vererbt.

Ein poetischer Hauch, eine Quellfrische der Fantasie und ein Zug reiner kindlicher Empfindung, wie man sie bei rohen Jägernomaden, wilden Skalpjägern und durch die üblen Einflüsse europäischer Kultur verkommenen Naturmenschen kaum gesucht hätte, machen diesen Sagenkranz zu einer anziehenden Lektüre.

Überraschend und zugleich interessant für den Kulturhistoriker und den Ethnografen sind die Spuren von Traditionen, welche zum Teil völlig mit sagenhaften Überlieferungen anderer Naturvölker aus dem fernsten Osten und Norden Asiens übereinstimmen. Bei einigen dieser amerikanischen Sagen wird es aber auf den ersten Blick klar, dass sie europäischen Ursprungs sind, also vermutlich von den eingeborenen Indianern den Einwanderern aus Europa abgelauscht wurden. Jedenfalls bietet der vorliegende Sagenschatz so vielseitiges Interesse, lässt uns einen so tiefen und lehrreichen Einblick in das Seelenleben jener Indianer tun, dass jeder Leser nicht nur einmal, sondern wiederholt das Buch zur Hand nehmen wird. Ich ging anfangs mit der Idee um, diese oft nur ganz kurzen Erzählungen einigermaßen zu ordnen, fand aber den Versuch unausführbar und muss mich mit der einfachen Wiedergabe begnügen, so wie ich sie meinen Gewährsmännern abgelauscht habe.

Ich beruhige mich bei dem Gedanken, dass ich auch sonst selten in ähnlichen Büchern strenge Ordnung walten gesehen habe, und schließe mit der Hoffnung, dass die Alten meinen Aufzeichnungen ebenso viel Interesse abgewinnen mögen, wie solches wohl bei der lesenden Jugend erwacht und ich selber empfunden habe, als ich diese zum Teil uralten Sagen und Geschichten anhörte.