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Andreas Schnell – Von Leichen, Magie und Geistern der Vergangenheit

Andreas Schnell, geboren 1973, ist mit Herz und Seele Frankfurter. Neben seiner Arbeit als Unternehmer in der Mainmetropole widmet sich der Vater von zwei Töchtern bereits seit rund zehn Jahren seiner Liebe zur Literatur. Als Autor hat er zahlreiche Bücher aus den unterschiedlichsten Genres geschrieben. Darunter auch die Siegel-Chroniken (erschienen im Mantikore Verlag), mit denen er schon 2015 die Postapokalypse nach Frankfurt gebracht hat oder das Fantasyepos Die Minotauren (erschienen im Schüppler Verlag), welches dem griechischen Fabelwesen einen gänzlich neuen Anstrich verpasst hat. Mit der Figur des Ermittlers Noah Lumen, widmet sich Andreas Schnell nun der urbanen Phantastik und lässt Realität mit dem Zauber des Übernatürlichen verschmelzen!

Das Buch:

Frankfurt am Main. Heute! Merkwürdige Ereignisse tragen zur steigenden Unruhe in der Bankenmetropole bei. Menschen, die scheinbar niemand vermisst, verschwinden spurlos und lassen das ermittelnde Kripo-Team ratlos zurück. Als schließlich eine grauenvoll zugerichtete Leiche auftaucht, schaltet sich Noah Lumen in den Fall ein. Doch der heruntergekommene Ermittler, der Mitglied einer geheimen Sondereinheit des Innenministeriums ist, hat zu Anfang mehr mit sich selbst und dem Hass auf die Welt zu kämpfen. Unter Zuhilfenahme von reichlich Hochprozentigem und einem ungesunden Maß an Zigaretten, lässt sich der überzeugte Zyniker jedoch Stück für Stück auf seine neue Kollegin Carmen ein.

Und während die bodenständige Kripo-Beamtin immer mehr in den Strudel von übernatürlichen Ereignissen gezogen wird, ist sich Noah zunehmend sicher, dass weitaus mehr vor sich geht, als der übliche, magische Firlefanz. Beide sehen sich mit Hindernissen konfrontiert, die ihnen von unterschiedlichsten Stellen in den Weg gelegt werden. Erst als das neu geformte Team alle Ressentiments fallen lässt, nehmen die Dinge richtig Fahrt auf und enthüllen weitaus mehr als ein Haufen Magie und Leichen.

Aber die Geister der Vergangenheit lassen Noah nur zögerlich aus ihrer Umklammerung.

Schließlich hat der Ermittler noch eine ganz andere Rechnung offen, die er begleichen will. Koste es was wolle.

Leseprobe:

1

Man muss dem Leben immer um mindestens einen Whisky voraus sein.

Humphrey Bogart

Das Ambiente bot zweifelsohne den Rahmen für einen denkwürdigen Abend. Die nikotingeschwängerte Luft hing schwer in der kleinen Bar. aus den Lautsprechern ertönte ein langsamer Blues. Es war zwei Uhr morgens und der Barkeeper begann damit die Einnahmen zu zählen. Noah saß derweil auf dem Hocker und staute in sein Glas, in dem sich ein paar Eiswürfel und der Rest des bernsteinfarbenen Bourbons befanden. Er konnte darin jedoch nichts weiter erkennen als das Bedürfnis, so schnell wie möglich nachzuschenken.

»Willst du nicht langsam mal den Heimweg antreten?«, fragte Elmo. Er war der Besitzer. Rausschmeißer, DJ und die Bedienung seiner Bar. Eine echte eierlegende Wollmilchsau, zwangsweise, die Zeiten waren schlecht. Darüber hinaus war er aber auch einer der wenigen, die sich zu Noahs Freunden zählen konnten.

»Und dann?«, fragte Noah, nahm den letzten Schluck aus seinem Glas und schob es zu Elmo rüber.

»Vielleicht schlafen? So machen das normale Menschen, habe ich gehört.« Elmo grinste, aber seine müden Augen verrieten, dass er mit seinem Ratschlag nicht allein das Wohl seines Freundes im Sinn hatte.

»Ja, genau«, sagte Noah und gab zur Untermalung seiner leicht lallenden Aussprache noch ein prustendes Geräusch von sich. »Normale Menschen.«

Noah war der letzte Gast und es war klar, dass er weder Anstalten machte, sich von seinem Platz zu erheben, noch in der Stimmung für Smalltalk war. Nach seinem Dafürhalten war es nur gerecht, wenn er so lange liier sitzen bliebe, bis er vom Hocker fallen und Elmo ihn irgendwie heimbringen würde. Es wäre wahrlich nicht das erste Mal gewesen.

»Ich muss morgen früh raus«, sagte Elmo. »Also schwing deinen Arsch nach Hause, ich will den Laden dicht machen.«

Jeder andere hätte für diese verbale Entgleisung ein paar saftige Backpfeifen von Noah kassiert, der – besonders wenn er getrunken hatte – nur wenig Geduld aufbringen konnte. Die meisten Menschen hätten Derartiges aber ohnehin nicht zu ihm gesagt. Noah war mit etwa 1,80 Meter zwar nicht überdurchschnittlich groß, hatte aber etwas an sich, das Gesprächspartnern einen gewissen Grundrespekt einflößte.

Noah war massig gebaut, manche hätten es dicklich genannt. Er hatte nicht die Figur eines Bodybuilders, aber Anne und Schultern zeugten davon, dass er niemand war. der sein Leben lang auf der Couch zugebracht hatte. Doch wie so oft im Leben waren Äußerlichkeiten nur die halbe Miete. Wie er redete, sich bewegte, besonders aber wie er Menschen anschaute, das ließ die Nachricht »schau mich schief an und ich polier dir die Fresse« rüberkommen. Man konnte wahrlich nicht behaupten, dass Noah jemand war, der rasend schnell Freunde gewann.

»Leck mich doch, du Penner«, sagte Noah und stand auf. Als er mit seinem ganzen Gewicht auf beiden Beinen stand, wankte er kurz, hatte sich aber soweit im Griff, dass er nicht der Länge nach hinschlug.

Elmo, der auch nicht gerade zimperlich war, wenn ihm jemand dumm kam, nickte nur und winkte ab. Beide kannten sich schon seit der Schulzeit, die rund zwanzig Jahre zurücklag. Auch wenn es hin und wieder mal ordentlich im Karton schepperte, waren sich sowohl Noah als auch Elmo darüber im Klaren, dass sie mit dem jeweils anderen Pferde hätten stehlen können. Anrufe morgens um vier, gemeinsame Besäufnisse. Schlägereien, Herzschmerz: Es gab nur wenig, was die zwei Frankfurter nicht miteinander geteilt hatten.

»Soll ich dir ein Taxi rufen?«, fragte Elmo, doch bereits in dem Moment, als er den Satz zu Ende gebracht hatte, misste er. dass es vergebene Liebesmüh war. Noah schwankte schon in Richtung Ausgang und die einzige Antwort, die er für Elmo übrig hatte, war der ausgestreckte Mittelfinger, den er ihm präsentierte, während er die Tür öffnete und nach draußen schritt.

Das eiskalte Becken nach einem Saunagang, ein Gummiknüppel auf dem Schädel oder die schallende Backpfeife einer Frau, die man liebte: All das erzeugte ein ähnliches Gefühl, wie dieser Augenblick, als sich die kühle Luft um Noah schloss, wie Schnee nach einer Lawine. Hinter ihm fiel die Eisentür mit einem lauten Knall ins Schloss und er wurde sich schlagartig bewusst, dass seine Jacke noch in der Bar hing.

»Das kannst du dir abschminken«, sagte Noah zu einem imaginären Elmo und setzte einen Fuß vor den anderen, in der Hoffnung, dass sein Gedächtnis ihn bezüglich des Standorts seines Wagens nicht trügen würde.

Obwohl das Rotlicht und die leicht bekleideten Damen, die aus einigen der Fenster schauten, den Anschein von Wärme verbreiteten, sprach die kalte und feuchte Novemberluft eine andere Sprache. Fünf Grad und ein eisiger Wind, der durch die Hochhausschluchten der Mainmetropole fegte, ließen Noah zittern. Aber selbst arktische Temperaturen und zehn Pferde hätten ihn nicht zurück in die Bar gebracht.

Er hatte seinen Stolz. Irgendwo zwischen »Foxy Ladies« und einer grell leuchtenden Reklame, die »Girls & Drinks« versprach, hörte Noah ein Klingeln. Er blieb stehen und während sich sein Oberkörper in kreiselförmige Bewegungen ergab, versuchte er auszumachen, woher das Geräusch stammte.

In Frankflirt war es niemals wirklich ruhig, zumindest nicht im Bahnhofsviertel, aber in diesem Moment konnte er in seiner unmittelbaren Umgebung niemanden sehen oder hören. Erst nach ein paar Sekunden hatte er begriffen, dass es sein eigenes Mobiltelefon in der Hosentasche war. das nach Aufmerksamkeit schrie.

Der eine oder andere sagte Noah nach, dass er vollkommen veraltete Ansichten hatte. Darüber konnte man in einigen Punkten streiten. Außerhalb jeglichen Debattierrahmens war jedoch sein Handy, das bereits vor zehn Jahren keinen Nerd mehr hinter dem Ofen hervorgelockt hätte.

Es war verhältnismäßig groß und schwer, hatte nur ein kleines Monochromdisplay und die größte Finesse bestand darin, eine SMS verschicken zu können.

»Was?«, bellte Noah, nachdem er endlich die Taste mit dem grünen Hörer gefunden hatte, um das Gespräch anzunehmen.

»Noah?«, ertönte eine weibliche Stimme am anderen Ende der Leitung.

»Scheiße, ja. Du musst doch wissen, wen du angerufen hast!«, knurrte Noah. Dabei hörte sich seine Antwort so an, als wäre ein Wort direkt an das andere gebunden, ohne den kleinsten Zwischenraum.

»Hier ist Patrizia«, antwortete die Frau unbeeindruckt und gelassen. Es schien nicht das erste Mal zu sein, dass sie Noah in einem derartigen Zustand am Telefon hatte. »Spitz mal für einen Moment deine Ohren und versuche, die paar Gehirnzellen, die du dir noch nicht weggesoffen hast, zusammenzunehmen.«

Noah hielt das Telefon nun von sich weg und betrachtete es mit einer Mischung aus Arger und Unverständnis. Dazu schüttelte er den Kopf, als könne er es nicht fassen, dass – nach Elmo – nun noch eine weitere Person die Dreistigkeit besaß, ihn auf diese Alt und Weise anzufahren. Erst als er Patrizia wieder reden hörte, bewegte er das Telefon langsam in Richtung seines Ohres.

»Es gibt einen 107 im Gallusviertel«, sagte Patrizia.

»Wir haben von einem Informanten den Tipp bekommen, dass es was für uns sein könnte. Fahr bitte sofort vorbei und stelle fest, was da los ist. Die Adresse schicke ich dir gleich auf das Tablet. Alles klar?«

Noah sortierte die Informationen, die er gerade von Patrizia bekommen hatte, und atmete mehrmals tief durch. Ihm war klar, dass er von jetzt auf gleich unmöglich nüchtern werden konnte, aber er wusste, dass er zumindest einigermaßen auf dem Damm sein musste, bevor er im Gallus ankommen würde.

»Noah«, rief Patrizia. »hast du das alles verstanden?«

»Ja. ja«, sagte Noah, »nerv nicht.« Dann legte er auf und ging ein wenig gradliniger und schneller in Richtung seines Autos, von dem er nun sicher war. dass es sich vor dem Laufhaus in der Niddastraße befand.

Auf dem Weg schimpfte er in seinen Dreitagebart hinein, dass das Leben beschissen. Patrizia eine nervtötende Schlampe und sein Job überhaupt und sowieso das Allerletzte war. Nur die Hälfte davon meinte er wirklich ernst, aber es half ihm, ein wenig Dampf abzulassen und als er bei seinem Auto angekommen war. hatte sein Puls beinahe schon wieder auf Normalfrequenz erreicht.

Er fummelte nach dem Autoschlüssel und öffnete die Tür des silbergrauen 5er BMW. der seine besten Jahre schon lange hinter sich gelassen hatte.

Der Gestank kalten Rauches, der sich schon lange in alle Poren und Ritzen des Interieurs gefressen hatte, vermischt mit dem Pinienduft des Wunderbaumes und alten Fastfoodresten umgab Noah, als er die Autotür hinter sich zuzog. Für einen Moment schloss er die Augen und atmete mehrmals tief durch. Dann kramte er aus dem Unrat auf dem Beifahrersitz einen Pappbecher mit Deckel heraus, in dem sich noch ein Rest Kaffee von gestern befand. Mit einem Schluck schüttete er sich die schwarze Flüssigkeit in den Rachen und schaltete dann den Computer ein. der in der Mittelkonsole eingebaut war.

Der sieben Zoll große Bildschirm leuchtete in einem sanften Blau und stand mit den serifenlosen weißen Lettern, die unter dem Thymion-Logo das Menü bildeten, einen futuristischen Kontrast zum Rest der Umgebung, die ein wenig wirkte, als wäre sie aus der Zeit gefallen. Oben links blinkte bereits ein kleines Briefumschlagsymbol, in dessen unterer Hälfte eine rote Eins zu sehen war.

Noah las sich die Nachricht von Patrizia durch, die lediglich eine Adresse im Gallusviertel enthielt. Eine Direktverknüpfung verriet ihm, dass das Ziel 6,5 Kilometer entfernt war. Daneben befand sich ein Symbol, um die Navigationsapp zu aktivieren.

Noah schaltete den Computer wieder aus. startete den Motor und fuhr mit quietschenden Reifen los. nachdem er beim Zurücksetzen aus der Parklücke beinahe ein vorbeifahrendes Auto gerammt hatte. Die wütenden Rufe des Fahrers ignorierte Noah, da er weder in der Stimmung war. noch Zeit dazu hatte, sich mit Verrückten auseinanderzusetzen.

Die Stadt bemühte sich redlich, dem Gallusviertel einen neuen Anstrich zu geben. Das alte Arbeiterviertel hatte sich seit den 1970er Jahren zusehends zu einem sozialen Brennpunkt entwickelt. Für Noah war das nie ein Problem gewesen, er mochte diese Kiez-Mentalität und das Wandern zwischen den Grauzonen der modernen Gesellschaft, die für ihn ohnehin dem Untergang geweiht war.

Sein* viel mein* störte ihn die Tatsache, dass immer mein* Menschen dort wohnten, die seiner Meinung nach im Gallus eigentlich nichts zu suchen hatten: Banker und andere Geschäftspfeifen, die mit dem Underdog-Status des Viertels kokettierten, aber dennoch niemals dazugehören konnten oder wollten.

Mit diesem Gefühl in der Magengegend, verbunden mit Schlafmangel und reichlich Bourbon im Blut, fuhr er an der Galluswarte vorbei in Richtung der Adlerwerke, einem alten Industriebau, der inzwischen von Kulturschaffenden okkupiert war. In einer der Seitengassen war er am Ziel seiner mehrminütigen Reise angelangt. Obwohl Noah am Ende der Straße zwei Einsatzwagen der Polizei, eine kleine Menschentraube und die dazugehörige Absperrung sehen konnte, parkte er in einiger Entfernung und legte den Rest des Weges zu Fuß zurück. Ein paar Schritte mein* – um sich zu konzentrieren und frische Luft zu tanken – konnten nicht schaden.

Obwohl es inzwischen drei Uhr morgens war. standen gut ein Dutzend Menschen um den Eingang der Mietskaserne hemm. In dieser Gegend sah ein Haus wie das andere aus. Oberflächlich betrachtet war alles durch aufwendige Renovierungsmaßnahmen der Wohnungsgesellschaft aufgehübscht worden, aber an den menschlichen Dramen, die sich im Inneren abspielten, hatte sich nichts geändert.

Nie war das Wort Fassade passender. dachte Noah und drängte sich durch die Menschentraube in Richtung Eingangstür. wo zwei Polizisten standen und verzweifelt versuchten, gute Miene zum bösen Spiel zu machen. Er schätzte die beiden Männer, die den Rang eines Polizeimeisters innehatten, auf nicht viel älter als 24 oder 25 und wusste, dass sie sich die Nacht anders vorgestellt haben mussten. Einer war breitschultrig und mit einer bemerkenswerten Knubbelnase ausgestattet, während der andere eher klein und fast schon zierlich war.

Noah löste sich aus der Menge, bückte sich unter dem Absperrband durch und ging geradewegs auf die Eingangstür zu. Polizeimeister Knubbelnase trat einen Schritt vor und machte eine zurückweisende Handbewegung. »Es tut mir leid. Ich muss Sie bitten, sich wieder hinter …«

»Schon gut«, sagte Noah und zückte eine aus Leichtmetall und mit Goldüberzug versehene ovale Marke, auf der sich eine achtstellige Identifikationsnummer befand. Darunter sein Name. Noah Lumen. Umrandet war das Ganze mit dem Schriftzug Innenministerium der Bundesrepublik Deutschland – Spezialeinheit 3 (SE3).

Noah wartete auf keine Reaktion der beiden verdutzten Beamten, die noch nie in ihrem Leben eine solche Marke gesehen hatten oder auch nur im Entferntesten verstanden, um was es sich bei der SE3 des Innenministeriums handelte. Er lief einfach weiter, rempelte noch den schmalbrüstigen Polizisten an und ging in den Hausgang hinein.

Gerade als er die ersten Stufen erklommen hatte, drehte sich Polizeimeister Knubbelnase – nachdem er ein paar hektische Worte mit seinem Kollegen gewechselt hatte – zu Noah um und rief ihm hinterher: »Bleiben Sie mal stehen. Ich kann Sie nicht so einfach durchlassen. Ich muss …«

Noah blieb stehen und seufzte. Er wusste, dass es immer eine Fifty-fifty- Chance gab. dass sein Auftreten so einschüchternd wirkte, dass er genau das tun konnte, was er wollte. Die beiden jungen Polizisten schienen aber von der Sorte zu sein, die einen Rüffel ihres Chefs mehr flüchteten als Noahs forsche Art. Diese Verzögerung trug nicht wesentlich dazu bei. Noahs Laune zu verbessern.

»Jetzt hört mir mal zu. Dick und Doof«, sagte er und ging wieder eine Treppenstufe herunter, »wenn ihr zwei Quadratschädel zu bescheuert seid, eine Marke zu erkennen, wenn ihr sie seht, ist das nicht mein Problem. Wir können das liier auf zwei Alten regeln: Ihr dreht euch einfach wieder um und steht weiter Spalier oder aber ich rufe jetzt sofort euren Vorgesetzten an. ich schätze mal Polizeihauptkommissar Schick vom 16. Revier. Dann dürftet ihr die nächsten vier Wochen damit beschäftigt sein. Strafzettel zu verteilen. Also, wie wollen wir es machen?«

Knubbelnase und Schmalbrust drehten sich um und entschieden sich für die erste Option. Da Noah sich keine allzu große Mühe gegeben hatte, leise zu sprechen, waren sie nun auch noch dem Spott der Zuschauer ausgesetzt. Aber Noah bekam nichts davon mit. Er befand sich wieder auf dem Weg nach oben.

Der Hausflur war deprimierend. Beigefarbene Wände und steingraue Treppenstufen. An zahlreichen Stellen bröckelte der Putz ab. Im ersten Stock angekommen, präsentierten sich Noah die hölzernen Wohnungstüren jeweils links und rechts von ihm. Beide waren geschlossen, aber er zweifelte keinen Moment daran, dass dahinter die allseits aufmerksamen Nachbarn standen, ihre Ohren gegen die Tür und Augen gegen den Spion gepresst. Egal was passiert war. es würde schnell die Runde machen.

Von weiter oben konnte Noah Stimmen hören und machte sich daran, das nächste Stockwerk zu erklimmen. Mit jedem Schritt verdichtete sich das Stimmengewirr zu verständlichen Worten und ließ Noah hoffen, nicht weiter nach oben gehen zu müssen. Er war eigentlich in passabler Form, aber sein Körper ließ ihn unmissverständlich wissen, dass er in naher Zukunft die weiße Fahne schwenken würde.

Im zweiten Stock stand die Tür zu Noahs Linken halb offen. Auf einem lieblos angebrachten Namensschild unter dem Spion konnte er den Namen „Nowak“ erkennen. Der offene Türspalt ließ eine Stimme vernehmen, die einen vertrauten Fachjargon benutzte. Ein Arzt müsse den Tod feststellen, sagte die Stimme, und dann sollte der Leichnam so schnell wie möglich von liier weggebracht werden. Bloß keine Presse. Eine Riesensauerei.

Hier bin ich also genau richtig. dachte Noah und trat in die Wohnung ein. Sofort konnte er den Geruch von verbranntem Fleisch wahrnehmen, was in ihm eine Magensaft-Bourbon-Mischung aufsteigen ließ und Noah einige Konzentration abverlangte. Er wusste, dass es für seinen Auftritt nicht besonders förderlich sein würde, die anwesenden Polizisten mit Erbrochenem zu begrüßen.

Er wischte sich den Schweiß von der Stirn und schritt langsam durch den zugemüllten Flur. Noah hatte schon einige Messi-Wohnungen gesehen. Das liier war zwar keine, stand aber kurz davor. Entlang der linken Wand waren zahllose leere Flaschen und Dosen aufgereiht und versprachen ein ordentliches Sümmchen an Pfandgeld. Rechts war eine kleine Kommode, auf der sich ein Stapel Zeitungen befand, geklönt von dreckiger Wäsche. Zu beiden Seiten gingen Türen ab. die ins Badezimmer und die Küche führten. Das Interessante spielte sich aber direkt vor Noah im Wohnzimmer ab.

»Was ist hier passiert?«, fragte er, als er in das vollkommen überfüllte Zimmer trat. Zwei Schutzpolizisten standen am Fenster, einer telefonierte, der andere unterhielt sich mit einer jungen Frau und einem grau melierten, dickbäuchigen Kerl. Noah war sich sicher, dass sie zur Kriminalpolizei gehörten.

Sie alle hatten sich um einen Sessel herum drapiert, der ein paar Meter von dem – zumindest nach heutigen Maßstäben – vollkommen veralteten und viel zu kleinen Röhrenfernseher entfernt stand. Die Quelle des Gestanks und der allgemeinen Aufmerksamkeit saß in dem schwarzen Lederimitatsessel. Ein junger Mann, etwa dreißig Jahre alt. Jogginghose. Turnschuhe. Oberkörper nackt. Das weiße T-Shirt lag zusammengeknüllt ein paar Meter weiter weg in einer verdreckten Ecke.

Verfluchte Scheiße. dachte Noah und konnte seinen Blick nicht von dem Mann nehmen. Von Brustmitte bis zum Bauchnabel klaffte eine große Wunde, die an beiden Enden spitz zulief. Die Ränder waren ausgefranst und verbrannt. Für sich genommen ein schrecklicher Anblick, aber noch faszinierender waren die nicht vorhandenen Knochen und Innereien des Opfers. Dort, wo der Blick auf Teile des Brustkorbs, des Magens, der Leber und Teile des Darms treffen sollte, war nichts mein* vorhanden.

»Und wer sind Sie?«, fragte die Frau. Es dauerte einige Sekunden, bis Noah wieder all seine Sinne beisammen hatte und von der leergeräumten Leiche zu der Polizistin schaute.

»Noah Lumen«, sagte er und präsentierte seine Marke.

»Innenministerium SE3.«

Die junge Frau war gut und gerne ein Kopf kleiner als Noah. Die schwarzen Haare, die zu einem strengen Pferdeschwanz zusammengebunden waren, und die haselnussbraune Haut verrieten ihren südländischen Hintergrund. Sie schaute skeptisch auf die Marke und dann Noah in die Augen. Er erkannte sofort zwei Dinge: Erstens war sie nicht erfreut, irgendeinen Ministeriumsheini hier an ihrem Tatort zu haben, der unter Umständen den Fall an sich reißen konnte. Und zweitens, sie hatte Feuer.

Quellen:

  • book communication. Marketing & Promotion. Rosbach v.d.Höhe
  • A. Fritz Verlag. Frankfurt a.M.
  • Autorenseite