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Die drei Musketiere 10

Alexander Dumas d. Ä.
Die drei Musketiere
1. bis 3. Bändchen
Historischer Roman, aus dem Französischen von August Zoller, Stuttgart 1844, überarbeitet nach der neuen deutschen Rechtschreibung

X.

Eine Mausefalle im 17. Jahrhundert

Die Mausfalle ist keine Erfindung unserer Tage. Sobald die Gesellschaften bei ihrer Bildung irgendeine Polizei erfunden hatten, erfand diese ihrerseits die Mausefalle.

Da unsere Leser vielleicht noch nicht mit dem Rotwelsch der Rue de Jerusalem vertraut sind, und da wir zum ersten Mal dieses Wort in dieser eigentümlichen Bedeutung anwenden, so wollen wir ihnen erklären, was eine Mausefalle ist.

Wenn man in irgendeinem Haus irgendeine eines Verbrechens verdächtige Person verhaftet hat, so hält man diese Verhaftung geheim. Man legt vier oder fünf Mann im ersten Zimmer in Hinterhalt, man öffnet die Tür allen denjenigen, welche anklopfen, schließt sie wieder hinter ihnen und verhaftet sie. Nach Verlauf von zwei bis drei Tagen hat man alle diejenigen, welche mit dem betreffenden Hause in Verbindung stehen, in Händen.

Das ist eine Mausefalle.

Man machte also eine Mausefalle aus der Wohnung des Meisters Bonacieux. Wer daselbst erschien, wurde ergriffen und von den Leuten des Kardinals ausgefragt. Es bedarf kaum der Erwähnung, dass diejenigen, welche zu d’Artagnan kamen, von den Ausforschungen befreit blieben, insofern ein besonderer Gang zu seiner Wohnung im ersten Stock führte.

Überdies kamen die drei Musketiere allein dahin. Jeder von ihnen hatte sich einzeln auf Kundschaft gelegt, aber keinem war es gelungen, etwas zu entdecken. Athos war sogar so weit gegangen, Monsieur de Tréville zu befragen, worüber sein Capitaine in Betracht der gewöhnlichen Schweigsamkeit des würdigen Musketiers nicht wenig erstaunte. Monsieur de Tréville wusste nur, dass das letzte Mal, als er den König, die Königin und den Kardinal gesehen hatte, der Kardinal eine sehr sorgliche Miene zur Schau trug, der König sehr unruhig war, und die Augen der Königin andeuteten, dass sie geweint oder gewacht hatte. Aber Letzteres veranlasste keine Verwunderung bei ihm, denn die Königin wachte und weinte viel seit ihrer Verheiratung.

Monsieur de Tréville empfahl jedenfalls Athos den Dienst des Königs und besonders den bei der Königin und ersuchte ihn, dieselbe Empfehlung seinen Kameraden zu überbringen.

D’Artagnan verließ seine Wohnung nicht. Er hatte sein Zimmer in ein Observatorium verwandelt. Von seinem Fenster aus sah er diejenigen ankommen, welche gefangen genommen wurden. Da er ferner die Dielen seines Stubenbodens aufgebrochen hatte und nur ein einfacher Plafond ihn vor dem unter ihm liegenden Zimmer trennte, wo die Verhöre stattfanden, so vernahm er alles, was zwischen den Inquisitoren und den Angeklagten vorging.

Die Verhöre, welche stets mit einer sorgfältigen Durchsuchung der verhafteten Personen verbunden waren, glichen sich beinahe gänzlich ihrem Inhalt nach.

»Hat Euch Madame Bonacieux etwas für ihren Gatten oder für irgendeine andere Person zugestellt?«

»Hat Euch Monsieur Bonacieux irgendetwas für seine Frau oder für irgendeine andere Person zugestellt?«

»Hat Euch die eine oder der andere von ihnen irgendeine vertrauliche Mitteilung gemacht?«

»Wenn sie etwas wüssten, so würden sie nicht so fragen«, sagte d’Artagnan zu sich selbst. »Was wollen sie nur erfahren? Ob sich der Herzog von Buckingham nicht in Paris befindet und ob er nicht mit der Königin eine Zusammenkunft gehabt hat oder haben soll.«

D’Artagnan blieb bei dieser Ansicht stehen, der es nach allem, was er erfahren hatte, nicht an Wahrscheinlichkeit gebrach.

Mittlerweile war die Mausefalle permanent und die Wachsamkeit d’Artagnans ebenso. Am zweiten Tag nach der Verhaftung des armen Bonacieux, als Athos d’Artagnan soeben verlassen hatte, um sich zu Monsieur de Tréville zu begeben, als es gerade neun Uhr geschlagen und Planchet, der seines Monsieur Bett noch nicht gemacht hatte, eben seine Arbeit verrichtete, hörte man an die Haustür klopfen. Alsbald wurde diese Tür geöffnet und wieder verschlossen. Es hatte sich jemand in der Mausefalle fangen lassen.

D’Artagnan stürzte zu der Stelle, wo die Dielen weggenommen waren, legte sich mit dem Bauch auf den Boden und horchte. Es wurde ein Geschrei vernehmbar, dann folgte ein starkes Seufzen, das man zu ersticken suchte, von einem Verhör war nicht die Rede.

»Teufel!«, sprach d’Artagnan zu sich selbst, »es scheint mir, das ist eine Frau. Man durchsucht sie, sie widersteht, man tut ihr Gewalt an. Die Schurken!«

D’Artagnan hatte, trotz seiner Klugheit, die größte Mühe, sich von der Szene entfernt zu halten, welche unten vorging.

»Aber ich sage Euch, dass ich die Hausfrau bin, Messieurs, ich sage Euch, dass ich die Frau Bonacieux bin, ich sage Euch, dass ich im Dienste der Königin stehe«, rief die Unglückliche.

»Frau Bonacieux!«, murmelte d’Artagnan. »sollte ich so glücklich sein, das gefunden zu haben, was jedermann sucht?«

»Gerade Euch haben wir hier erwartet«, sprachen die Fragenden unten.

Die Stimme der Frau wurde immer dumpfer. Das Tafelwerk ertönte von einer geräuschvollen Bewegung, das Opfer widerstand, so weit eine Frau vier Männern widerstehen kann.

»Vergebung, Messieurs, vergebt …«, murmelte die Stimme, welche nur noch unartikulirte Töne hören ließ.

»Sie knebeln sie! Sie schleppen sie fort!«, rief d’Artagnan und sprang wie eine Feder auf. »Meinen Degen! Ich habe ihn zum Glück an meiner Seite. Planchet!«

»Gnädiger Monsieur!«

»Lauf schnell, suche Athos, Porthos und Aramis auf. Einer von diesen dreien wird sicherlich zu Hause sein. Vielleicht sind alle drei heimgekehrt. Sie sollen sich bewaffnen und rasch hierherkommen. Ah, ich erinnere mich, Athos ist bei Monsieur de Tréville.«

»Aber wohin geht Ihr, gnädiger Monsieur, wohin geht Ihr?«

»Ich steige durch das Fenster hinab«, rief d’Artagnan, »um schneller an Ort und Stelle zu sein. Du, lege die Diele wieder ein, fege den Boden, geh durch die Tür und lauf, wohin ich dir gesagt habe.«

»O, Monsieur, Monsieur, Ihr bringt Euch ums Leben«, rief Planchet.

»Schweig, Dummkopf«, sprach d’Artagnan und sich mit der Hand an der Randleiste des Fensters haltend, glitt er vom ersten Stockwerk, das glücklicher Weise nicht hoch war, hinab, ohne die geringste Verletzung zu erleiden.

Dann klopfte er an die Tür und murmelte dabei: »Ich will mich ebenfalls in der Mausefalle fangen lassen, aber wehe den Katzen, die sich an einer solchen Maus reiben.«

Kaum hatte der Klopfer unter der Hand des jungen Mannes ertönt, als das Geräusch aufhörte. Es näherten sich Tritte, die Tür öffnete sich und d’Artagnan stürzte mit bloßem Degen in das Zimmer des Meisters Bonacieux, dessen Tür, ohne Zweifel durch eine Feder in Bewegung gesetzt, sich von selbst wieder schloss.

Dann vernahmen die übrigen Bewohner des unglücklichen Hauses sowie die nächsten Nachbarn ein gewaltiges Geschrei, ein Stampfen, ein Degengeklirr und ein Zertrümmern von Gerätschaften. Einen Augenblick danach konnten die Menschen, welche erstaunt über diesen Lärmen sich an ihr Fenster gestellt hatten, um die Ursache zu erfahren, deutlich sehen, wie die Tür sich wieder öffnete und vier schwarz gekleidete Menschen nicht herausgingen, sondern gleich aufgescheuchten Raben herausflogen, am Boden und an den Tischecken Federn von ihren Flügeln zurücklassend, das heißt Fetzen von ihren Kleidern und Stücke von ihren Mänteln.

D’Artagnan hatte mit leichter Mühe den Sieg errungen, denn nur ein Einziger von den Alguazils war bewaffnet, und dieser verteidigte sich nur der Form wegen. Die drei anderen hatten es allerdings versucht, den jungen Mann mit Stühlen, Bänken und Töpfen niederzuschlagen, aber zwei bis drei Hiebe vom Flammberg des Gascogners flößten ihnen den gehörigen Schrecken ein. Zehn Minuten waren hinreichend, ihre Niederlage zu bewerkstelligen, und d’Artagnan blieb Monsieur des Schlachtfeldes.

Die Nachbarn, welche ihre Fenster mit der in jenen Zeiten fortwährender Aufstände und Streitigkeiten den Parisern eigenen Kaltblütigkeit geöffnet hatten, schlossen sie wieder, sobald sie die vier schwarzen Männer entfliehen sahen. Ihr Instinkt sagte ihnen, dass für den Augenblick alles zu Ende war. Überdies war es bereits spät geworden, und damals wie heute zu Tage legte man sich im Quartier des Luxemburg früh schlafen.

Allein mit Frau Bonacieux drehte sich d’Artagnan nach dieser um. Die arme Frau war auf einen Lehnstuhl zurückgesunken und halb ohnmächtig. D’Artagnan schaute sie mit einem raschen Blick prüfend an. Es war eine reizende Frau von fünf- bis sechsundzwanzig Jahren, brünett, mit blauen Augen, leicht aufgestülpter Nase und einem von Rosa und Opal marmorierten Teint. Hier aber hörten die Zeichen auf, nach welchen man sie mit einer vornehmen Dame hätte verwechseln können. Die Hände waren weiß, aber nicht zart, die Füße kündigten keine Frau von Stand an. Zum Glück konnte sich d’Artagnan noch nicht mit all diesen Einzelheiten beschäftigen.

Als d’Artagnan in seiner Musterung der Frau Bonacieux bis zu den Füßen gelangte, sah er auf dem Boden ein feines Batisttuch, das er seiner Gewohnheit gemäß aufhob und erkannte an der Ecke dieselbe Zeichnung wie an dem Taschentuch, wegen dessen er sich mit Aramis beinahe auf Leben und Tod hätte schlagen müssen. Von dieser Zeit an misstraute d’Artagnan allen mit Wappen verzierten Sacktüchern. Er steckte deshalb das von ihm aufgehobene, ohne ein Wort zu sagen, in die Tasche der Frau Bonacieux.

In diesem Augenblick kam Frau Bonacieux wieder zu sich. Sie schlug die Augen auf, schaute erschrocken um sich und sah, dass das Zimmer leer und sie mit ihrem Befreier allein war. Sie reichte ihm alsbald lächelnd die Hände. Frau Bonacieux besaß das reizendste Lächeln in der Welt.

»Ah! Monsieur«, sprach sie, »Ihr habt mich gerettet. Erlaubt mir, dass ich Euch danke.«

»Madame«, sagte d’Artagnan, »ich habe nicht mehr getan, als jeder Edelmann an meiner Stelle getan haben würde. Ihr seid mir also keinen Dank schuldig.«

»Gewiss, Monsieur, gewiss, und ich hoffe, Euch beweisen zu können, dass Ihr keiner Undankbaren einen Dienst geleistet habt. Aber was wollten denn diese Menschen, die ich anfangs für Diebe gehalten habe, und warum ist Monsieur Bonacieux nicht hier?«

»Madame, diese Menschen waren bei Weitem gefährlicher, als Diebe sein könnten, denn es sind Schergen des Monsieur Kardinals, und was Euren Gatten, den Monsieur Bonacieux, betrifft, so befindet sich dieser nicht hier, weil man ihn gestern verhaftet und in die Bastille abgeführt hat.«

»Mein Mann in der Bastille!«, rief Frau Bonacieux. »O mein Gott, was hat er denn getan, dieser arme liebe Mann, er ist ja die Unschuld selbst!«

Etwas wie ein Lächeln trat auf dem noch erschrockenen Antlitz der jungen Frau hervor.

»Was er getan hat, Madame?«, sprach d’Artagnan; »ich glaube, sein Verbrechen besteht einzig und allein darin, dass er zugleich das Glück und das Unglück hat, Euer Gatte zu sein.«

»Aber, Monsieur, Ihr wisst also …«

»Ich weiß, dass man Euch entführt hat, Madame.«

»Und wer hat dies getan? Wisst Ihr es? O! Wenn ihr es wisst, so sagt es mir.«

»Ein Mann von vierzig bis fünfundvierzig Jahren, mit schwarzen Haaren, dunkler Gesichtsfarbe und einer Narbe an der linken Schläfe.«

»So ist es, so ist es, aber sein Name?«

»Ah! Sein Name? Ich weiß ihn nicht.«

»Und mein Mann, wusste er, dass man mich gewaltsam weggebracht hatte?«

»Er war vom Entführer selbst davon benachrichtigt worden.«

»Und hat er irgendeinen Verdacht in Beziehung auf die Ursache dieses Ereignisses?«, fragte Frau Bonacieux mit einer Verlegenheit.

»Er schrieb dasselbe einer politischen Ursache zu.«

»Anfangs zweifelte ich daran, und nun teile ich seine Ansicht. Also hat dieser gute Monsieur Bonacieux mich nicht einen Augenblick im Verdacht gehabt?«

»Ach! Weit entfernt, Madame. Er war zu stolz auf Eure Klugheit und besonders auf Eure Liebe.«

Ein zweites, beinahe unmerkliches Lächeln umspielte die rosigen Lippen der schönen jungen Frau.

»Aber wie ist es Euch gelungen, zu entfliehen?«, fuhr d’Artagnan fort.

»Ich benutzte einen Augenblick, wo ich allein blieb, und da ich seit diesem Morgen wusste, was ich von meiner Entführung zu halten hatte, so ließ ich mich mithilfe meiner Betttücher vom Fenster herab und lief hierher, in der Hoffnung, meinen Mann zu finden.«

»Um Euch unter seinen Schutz zu stellen?«

»Oh! Nein, der arme liebe Mann, ich wusste wohl, dass er unfähig wäre, mich zu verteidigen. Da er uns aber zu etwas anderem dienen konnte, so wollte ich ihn hiervon in Kenntnis setzen.«

»Wovon?«

»O, das ist nicht mein Geheimnis, ich kann es Euch also nicht sagen.«

»Übrigens«, sprach d’Artagnan, »verzeiht, Madame, dass ich, ein einfacher Soldat, Euch an Klugheit erinnere. Übrigens glaube ich, dass wir uns hier nicht am geeigneten Ort zu vertraulichen Mitteilungen befinden. Die Menschen, welche ich in die Flucht geschlagen habe, werden binnen Kurzem mit bewaffneter Mannschaft zurückkehren, und wenn sie uns hier finden, sind wir verloren. Ich habe wohl drei von meinen Freunden benachrichtigen lassen, aber wer weiß, ob man sie zu Hause traf?«

»Ja, ja, Ihr habt recht«, rief Frau Bonacieux erschrocken, »fliehen wir, retten wir uns!«

Bei diesen Worten nahm sie d’Artagnan beim Arm und versuchte ihn fortzuziehen.

»Aber wohin fliehen?«, sprach d’Artagnan. »Wo werden wir sicher sein?«

»Entfernen wir uns zuerst von diesem Haus und das Übrige wird sich finden.«

Der junge Mann und die junge Frau gingen rasch, ohne auch nur die Haustür zu verschließen, durch die Rue des Fosses – Monsieur-le-Prince und hielten erst auf der Place Saint-Sulpice an.

»Und was fangen wir nun an?«, fragte d’Artagnan, »Wohin soll ich Euch führen?«

»Ich bin sehr in Verlegenheit, Euch hierauf zu antworten«, sagte Frau Bonacieux. »Es war meine Absicht, Monsieur de la Porte durch meinen Mann benachrichtigen zu lassen, damit er uns genau sagen könnte, was seit drei Tagen im Louvre vorgegangen ist, und ob es nicht gefährlich für mich sei, dort zu erscheinen.«

»Aber ich kann ebenso wohl Monsieur de la Porte benachrichtigen«, sagte d’Artagnan.

»Allerdings, nur ist dabei ein unglücklicher Umstand zu bedenken. Monsieur Bonacieux kennt man im Louvre und ließe ihn passieren, während man Euch nicht kennt und Euch die Tür verschließen würde.«

»Ah, bah!« sprach d’Artagnan, »Ihr habt gewiss an irgendeiner Pforte des Louvre einen Hausmeister, der Euch ergeben ist, und mit Hilfe eines Losungswortes …«

Frau Bonacieux schaute den jungen Mann fest an. »Und wenn ich Euch dieses Losungswort gebe, »sprach sie, »würdet Ihr es wohl vergessen, sobald Ihr Euch desselben bedient hättet?«

»Bei meiner Ehre, so wahr ich ein Edelmann bin«, sagte d’Artagnan mit einem Ton, der keinen Zweifel an seiner Aufrichtigkeit übrig ließ.

»Gut, ich glaube Euch. Ihr seht aus wie ein braver junger Mann. Überdies ist Euer Glück vielleicht die Folge Eurer Ergebenheit.«

»Ich werde ohne ein Versprechen und freiwillig alles tun, was in meinen Kräften liegt, um dem König zu dienen und der Königin angenehm zu sein«, sagte d’Artagnan. »Verfügt also über mich wie über einen Freund.«

»Aber ich, wohin werdet Ihr mich einstweilen bringen?«

»Habt Ihr niemand, bei dem Monsieur de la Porte Euch abholen könnte?«

»Nein, ich will mich niemandem anvertrauen.«

»Halt!«, sprach d’Artagnan, »wir sind an der Tür von Athos. Ja, so geht es.«

»Wer ist Athos?«

»Einer von meinen Freunden.«

»Aber wenn er zu Hause ist, so sieht er mich.«

»Er ist nicht zu Hause, und ich nehme den Schlüssel mit, nachdem ich Euch in sein Zimmer geführt habe.«

»Und wenn er zurückkommt?«

»Er wird nicht zurückkommen. Überdies wird man ihm sagen, ich habe eine Frau gebracht und diese Frau befinde sich in seiner Wohnung.«

»Das wird meinen Ruf zu sehr gefährden, wisst Ihr wohl?«

»Was ist Euch daran gelegen? Man kennt Euch nicht, und abgesehen davon, befinden wir uns in einer Lage, wo man sich einiger Maßen über die Schicklichkeit wegsetzen muss.«

»Gehen wir also zu Eurem Freund. Wo wohnt er?«

»In der Rue Ferou, zwei Schritte von hier.«

»Vorwärts!«

Und beide setzten sich wieder in Marsch. Athos war, wie d’Artagnan vorausgesehen hatte, nicht zu Hause. Dieser nahm den Schlüssel, den man ihm als einem Freund des Mietmannes zu geben gewohnt war, stieg die Treppe hinauf und führte Frau Bonacieux in die von uns bereits beschriebene Wohnung.

»Tut wie daheim«, sprach er, »schließt die Tür von innen und öffnet niemandem, wenn Ihr nicht dreimal auf folgende Weise klopfen hört. Gebt Acht.« Er klopfte dreimal, zweimal kurz hintereinander und sehr stark, einmal entfernter und leichter.

»Gut«, sprach Frau Bonacieux. Nun ist es an mir, Euch Instruktionen zu geben.«

»Ich höre.«

»Begebt Euch zur Pforte des Louvre auf der Seite der Rue de l’Echelle und fragt nach Germain.«

»Gut, und dann?«

»Er wird Euch fragen, was Ihr wollt, und Ihr antwortet ihm mit den zwei Worten Tours und Brüssel. Sogleich wird er sodann zu Euren Befehlen stehen.«

»Und was soll ich ihm befehlen?«

»Monsieur de la Porte, den Kammerdiener der Königin, zu holen.«

»Und wenn er ihn geholt hat und Monsieur de la Porte kommt?«

»So schickt Ihr ihn zu mir.«

»Ganz gut. Aber wo und wie werde ich Euch wiedersehen?«

»Ist Euch viel daran gelegen, mich wiederzusehen?«

»Gewiss.«

»Überlasst mir die Sorge hierfür und seid ruhig.«

»Ich baue auf Euer Wort.«

»Rechnet darauf.«

D’Artagnan verabschiedete sich von Frau Bonacieux mit dem verliebtesten Blick, den er auf ihrer reizenden kleinen Person zu konzentrieren vermochte. Während er die Treppen hinabstieg, hörte er die Tür doppelt hinter sich verschließen. Mit zwei Sprüngen war er am Louvre. Als er durch die Pforte an der Rue de l’Echelle trat, schlug es zehn Uhr. Die von uns mitgeteilten Ereignisse waren im Verlauf einer halben Stunde erfolgt.

Alles ging, wie Frau Bonacieux vorhergesagt hatte. Auf das bestimmte Losungswort verbeugte sich Germain. Zwei Minuten danach befand sich de la Porte in der Loge. Mit zwei Worten teilte ihm d’Artagnan das Notwendige mit und bezeichnete ihm den Aufenthalt der Frau Bonacieux. Sobald de la Porte die Adresse genau wusste, entfernte er sich in größter Eile. Kaum hatte er jedoch zehn Schritte gemacht, als er zurückkehrte und zu d’Artagnan sagte: »Junger Mann, einen Rat!«

»Welchen?«

»Man könnte Euch wegen dessen, was vorgefallen ist, beunruhigen.«

»Ihr glaubt?«

»Ja, habt Ihr einen Freund, dessen Uhr nachgeht?«

»Nun?«

»Geht zu ihm, damit er bezeugen kann, Ihr wäret um halb zehn Uhr bei ihm gewesen. Das nennt man in der Justiz ein Alibi.«

D’Artagnan fand den Rat klug. Er lief über Hals und Kopf und kam zu Monsieur de Tréville. Aber statt wie alle Welt in den Salon zu gehen, bat er, in sein Kabinett eingelassen zu werden. Da d’Artagnan einer der täglichen Gäste der Villa war, so setzte man seiner Bitte keine Schwierigkeiten entgegen und benachrichtigte Monsieur de Tréville, sein junger Landsmann, der ihm etwas Wichtiges mitzuteilen habe, verlange eine Privataudienz. Nach fünf Minuten fragte Monsieur de Tréville d’Artagnan, in was er ihm zu Dienst sein könne und welchem Umstand er seinen späten Besuch zuzuschreiben habe?

»Um Vergebung, gnädiger Monsieur«, sprach d’Artagnan, der den Augenblick seines Alleinseins dazu benutzt hatte, die Uhr um drei Viertelstunden zurückzurücken. »Ich dachte, da es erst neun Uhr fünfundzwanzig Minuten sei, so könne ich mich wohl noch bei Euch einfinden.«

»Neun Uhr fünfundzwanzig Minuten!«, rief Monsieur de Tréville und schaute zu seiner Pendeluhr. »Das ist unmöglich!«

»Seht selbst, gnädiger Monsieur, dort ist der Beweis.«

»Es ist richtig«, versetzte Monsieur de Tréville, »ich hätte geglaubt, es wäre später. Doch lasst hören, was wollt Ihr von mir?«

D’Artagnan machte nun Monsieur de Tréville eine lange Geschichte über die Königin. Er setzte ihm seine Befürchtungen in Beziehung auf seine Majestät auseinander, erzählte ihm, was er von den Projekten des Kardinals in Betreff Buckinghams hatte sagen hören, und all dies mit einer Ruhe, mit einer festen Haltung, wodurch sich Monsieur de Tréville um so leichter betören ließ, als er ja selbst wahrgenommen hatte, dass etwas Neues zwischen dem König, der Königin und dem Kardinal vorging.

Als es zehn Uhr schlug, verließ d’Artagnan Monsieur de Tréville, der ihm für seine Nachrichten dankte und ihm empfahl, den Dienst des Königs und der Königin wohl im Auge und im Herzen zu haben. Aber unten an der Treppe erinnerte sich d’Artagnan, dass er seinen Stock vergessen hatte. Er stieg schnell wieder hinauf, kehrte in das Kabinett zurück, rückte die Uhr mit dem Finger an ihre Stunde vor, damit man am anderen Morgen nicht bemerken konnte, dass man sie in Unordnung gebracht hatte. Da er nun eines Zeugen für sein Alibi gewiss war, lief er wieder die Treppe hinab und befand sich kurze Zeit später abermals auf der Straße.