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Sagen- und Märchengestalten – Die Magie – Teil 6

Sagen- und Märchengestalten sowie Geister-, Wunder- und Aberglauben des deutschen Volkes
Mit Erzählungen von Begebenheiten der Vorzeit, die den Glauben an eine Geisterwelt förderten, Berlin, Verlag von Burmester & Stempell,1874

Die Magie – Teil 6

Faust

Wie die Sage vom Faust entstand, bedarf keiner Lösung. Das Märchen baute sich im dichtenden Volksgeist auf, etwa wie die Nibelungen, von denen bis jetzt niemand zu sagen weiß, welche Sänger die Heldenlieder zuerst ersannen, sie zuerst mit dem einfachen Klang der Harfe begleiteten. So wirkte und schuf die naturwüchsige Dichtung des Volkes das schimmernde Gewand, aus welchem die Gebilde einzelner Taten des großen Magiers hervortraten, ohne von dem Ganzen sich zu sondern.

Mit dieser ältesten Faustsage vermischte spätere Zeit unwillkürlich die Geschichte des Faust oder Fust, welcher Guttenbergs großes Werk in genialem Verständnis fortentwickelte. Er habe, sagten die Feinde der Buchdruckerkunst, für seine neuen Lettern sich dem Teufel verschrieben und sei wirklich von ihm geholt worden. Der erste Faust soll zu Anfang des 15. Jahrhunderts gelebt und ein kleines, etwa sechs Blätter starkes Büchlein verfasst haben, welches 1404 zuerst erschien, mit einigen Bildern, die einen Mann mit einem langen, schwarzen Talar darstellen, der eine krause Perücke trägt und ein Gebetbuch in der linken Hand hält, ferner ein Agnus Deï, einen Regenbogen, den Wolken beschatten und die Sonne bescheint, den höllischen Auerhahn und viele seltsame und unverständliche Charaktere. Dieses Werkchen führt den Titel Doktor Johann Faustens praktizierter Geisterzwang, wodurch er die Geister gezwungen, dass sie seinen Willen in allem vollbringen müssen. In der Beschwörung fordert er Mephistopheles und Paymon auf, ihm zweimal hunderttausend Taler in den magischen Kreis zu bringen und alsdann ohne allen Rumor, Schauer, Hagel und Gestank ihres Weges zu gehen. Wie lebhaft die Phantasie des Volkes sich diese Träume ausmalte und dennoch praktisch in gewisse Summen normierte, beweist eine andere Sage vom Teufel selbst, der zu Heldburg in Kindesgestalt unter einem Bett erschien und dem, der es nur wagte, ihm die Hand zu reichen, neunzigtausend Dukaten bot.

Gegen die Echtheit dieses, angeblich aus den ersten Jahrzehnten des 15. Jahrhunderts stammenden Geisterzwanges sind gerechte Zweifel erhoben worden. Schrift und Bilder lassen eine neuere Auffassung voraussehen. Das gerade vorliegende Exemplar trägt die Jahreszahl 1407 und erschien zu Passau bei Gabel Alba. Nach der Meinung einiger sind die verschiedenen Bücher, welche unter anderen Bearbeitungen auch den Titel Höllenzwang oder der schwarze Rabe führten, erst verfasst worden, als mehrere populäre Lebensbeschreibungen des Helden bereits in Umlauf waren, und zwar auf Anregung derselben.

Wenden wir uns der Persönlichkeit des historischen Faust zu, so begegnet uns ein vollgültiges Zeugnis seiner wirklichen Existenz in den Schriften des Abtes Trithemius, der 1507 in einem Brief von ihm sagt: »Jener Georg Sabellicus, über den du mir schreibst und der sich den ersten der Nekromanten zu nennen wagt, ist ein Vagabund, unnützer Schwätzer und Hasenfuß, wert, dass man ihn auspeitschte, damit er künftig nicht wieder so frech solche schändliche, der heiligen Kirche zuwiderlaufende Dinge sagt. Denn was sind die Titel, die er sich anmaßt, anders als Zeichen der Torheit und des Unverstandes, da er sich als einen Narren, nicht als einen Philosophen kundgibt! So hat er sich den Titel gegeben Magister Georg Sabellicus Faustus, der jüngere, Quelle der Nekromanten, Astrologe, Magier, Chiromant, Agromant, Pyromant, in der Wasserkunst der Glückliche. Als ich voriges Jahr aus der Mark Brandenburg heimkehrte, traf ich den Menschen beim Städtchen Gelnhausen, und im Gasthof wurden mir mehrere Nichtswürdigkeiten von ihm erzählt. Als er von mir hörte, machte er sich aus dem Staub und ließ sich von niemandem bereden, mir unter die Augen zu treten. Einige Geistliche des Ortes erzählten, wie er vor vielen Leuten sich gerühmt habe, ein solches Wissen und Gedächtnis zu besitzen, dass er, wenn alle Schriften des Plato und Aristoteles samt ihrer ganzen Philosophie untergingen, wie ein zweiter Esra aus seinem Kopf alles weit vortrefflicher wiederherstellen könne … In diesem Jahr kam er nach Kreuznach und prahlte da wieder auf unerhörte Weise, er sei der allervollkommenste Alchemist und wisse und könne, was man nur wünschen möge. Es war damals in Kreuznach eine Schulmeisterstelle offen, zu der er aus Antrieb des Franz von Sickingen angenommen wurde, der nach mystischen Dingen begierig ist …«

Soweit Trithemius. Ein anderer, ein gewisser Rufus, sah 1513 den Prahler zu Erfurt, kümmerte sich aber wenig um ihn. Der Begriff des älteren, sagenhaften Faust ist weit entfernt von dieser possenhaften Marktschreierei des jüngeren, ein Verhältnis, welches sich aus dem verschiedenen Charakter der absichtslos dichtenden Sage und tendenziöser Nachbildung vollkommen begreift. Es liegen daher auch keine Zeugnisse irgendwelcher Schriftsteller über ihn vor.

Der jüngere Faust war zu Knittlingen in Schwaben geboren, der Sohn eines Bauern, der ihn nach Wittenberg zu Verwandten sandte, damit er dort studieren solle. Früh schon, in seinem zwanzigsten Jahr, wurde er Magister in Ingolstadt, vernachlässigte nun die Theologie und begann sich vorzugsweise mit der Medizin, Magie und Astrologie zu beschäftigen. In diesen Wissenschaften unterrichtete er auch seinen Famulus Wagner, der der Sohn eines Geistlichen zu Wasserburg gewesen sein und von dem Meister das Zaubern gründlich erlernt haben soll. Ein bedeutendes Vermögen, welches ein alter Oheim dem Magister hinterließ, war bald verschwendet, und nun ergab Faust sich dem Teufel, mit dem er einen Pakt auf vierundzwanzig Jahre schloss. Nach Ablauf dieser Frist wurde ihm in dem Dorf Rimlich, nachts zwischen zwölf und ein Uhr, grausam der Hals umgedreht, und seine Seele fuhr zur Hölle.

Die älteste bekannte Ausgabe des unzählige Male bearbeiteten Stoffes ist aus dem Jahr 1588 und war lange Zeit gänzlich verschollen. Diese Faustsage enthält eine Allegorie der Reformation. Wie diese, wird der Magier als von Wittenberg ausgehend geschildert. Wie sie, entfernte er sich in vermessenem Durst nach Wissen von der Mutterkirche und fiel in die Schlingen des Teufels.

Dieses alte Faustbuch erzählt von ihm, nachdem seines mutmaßlichen Geburtsortes Erwähnung geschehen, auch berichtet worden, wo und was er studierte, er wollte alles wissen gleich Gott, und war hochmütig wie der abgefallene Engel. Deshalb verließ er sein frommes Studium und widmete sich den freien Künsten, der Magie und Astrologie. Allein wie gewaltig auch seine Geistesgaben waren, vermochte er dennoch nicht, in die Tiefen der Natur zu dringen und ihrer Herr zu werden. Das reizte den Vermessenen, sodass er sich dem Teufel überließ, den er bei Wittenberg im Wald traf und ihm zu dienen zwang. Sein stolzes Herz konnte es aber nicht ertragen, dass er, der über die Dämonen selbst zu herrschen begehrte, einem dieser Geister verfallen solle. Als der Teufel ihn an sein Versprechen zu erinnern wagte, trieb er ihn im Zorn von sich.

Doch wer einmal seine Hand den finsteren Mächten gereicht hat, bleibt bei allem Schein der Freiheit ihr Eigentum. Faust empfand plötzlich die schreckliche Leere des langweiligsten Erdenlebens, und in seiner Verzweiflung darüber berief er den Teufel von Neuem. Mephistopheles erscheint und die Ohnmacht des Sterblichen, der voll heißer Sehnsucht seiner begehrt, lässt ihn jetzt sich besser vorsehen. Faust musste ein wenig seines Blutes abzapfen, es in einem Tiegel über Kohlen erwärmen und alsdann schreiben wie folgt:

Ich, Johannes Faustus, Doktor, bekenne mit meiner eigenen Hand öffentlich zu einer Bestätigung und in Kraft dieses Briefes. Nachdem ich mir vorgenommen, die Elemente zu spekulieren, und aber aus den Gaben, so mir von oben herab beschert und gnädig mitgeteilt worden, solche Geschicklichkeit in meinem Kopf nicht befinde und solches von den Menschen nicht erlernen mag, so habe ich gegenwärtigen, gesandten Geist, der sich Mephistopheles nennt, ein Diener des höllischen Prinzen im Orient, mich untergehen, auch denselbigen, mich solches zu berichten und zu lehren, mir erwählt, der sich auch gegen mich versprochen, in allem untertänig und gehorsam zu sein. Dagegen ich mich hinwieder ihm verspreche und gelobe, dass, wenn vierundzwanzig Jahre von dato dieses Briefes an und für übergelaufen, er mit mir nach seiner Art und Weise seines Gefallens zu schalten, walten, regieren, führen, gute Macht haben solle, es sei Leib, Seele, Fleisch, Gut und Blut und das in seine Ewigkeit. Hierauf absage ich allen denen, so da leben, allein himmlischen Heer und allen Menschen, und das muss sein. Zur festem Urkunde und mehrerer Bekräftigung habe ich diesen Rezess mit eigener Hand geschrieben und unterschrieben, und mit meinem hiefür gedruckten eigenen Blut meines Sinnes, Kopfes, Gedanken und Willen verknüpfen versiegelt und bezeugen.

Johannes Faust, der Erfahrene der Elemente und der Geistlichen Doktor.

Der Teufel erfüllte pünktlich seine Pflicht. Anfangs stürzte der Zauberer sich in den Abgrund der Sinnenlust und Mephisto bediente ihn, wie keinem Fürsten aufgewartet wird. Die herrlichsten Speisen, die edelsten Weine, die schönsten Mädchen standen seiner Neigung zu Gebote. Einmal fasste ihn die Laune, zu heiraten. Allein der Teufel erklärte ihm, die Ehe sei etwas Göttliches, verbinde sich nicht mit dem Bösen. Als Faust eigensinnig auf seinem Kopf beharrt, erscheint jener in seiner wahren, entsetzlichen Gestalt und erzwingt dadurch Nachgiebigkeit.

Zuweilen disputierten die beiden miteinander, und der Teufel entwickelte eine unangenehme Offenheit.

»Weil ich ein Teufel bin«, sagte er dem himmelan Strebenden, »tue ich nach meiner Weise. Wäre ich jedoch ein Mensch wie du, so würde ich mich vor Gott demütigen und lieber ihm dienen als dem Bösen.«

Das verleidete Faust das Wohlleben und er beschloss, Vorlesungen über Natur und Zukunft zu halten, in denen er übermenschliches Wissen an den Tag legte und dafür von jedermann bewundert wurde, weil Mephisto ihn lehrte. Allein bald verdrießt ihn auch das, und seine Wünsche steigern sich mit ihrer Befriedigung. Alles hat er erschöpft, was vom Jenseits ihm verständlich gemacht werden kann, und er begehrt nun mit eigenen Augen zu sehen, welche Geheimnisse die Hölle birgt und der Himmel verschließt.

Die Gewaltigsten unter den Beherrschern des finsteren Reiches müssen vor ihm erscheinen. Allein sie hinterlassen so furchtbare Spuren, dass Faust entflieht und lieber zu ihnen an den Ort der Qual hinabsteigen will. Auf einem knöchernen Stuhl fährt er mit Beelzebub durch die Hölle und schaut an, den Verdammten ein unerquickliches Bild seiner eigenen Zukunft.

Dann erheben sie sich wieder zur Erde und aufwärts zu den Luftregionen, in denen die Sterne kreisen. Dem Aufenthalt der Seligen dürfen sie nun nicht nahen, wie könnte dorthin Mephisto Führer sein! … An mächtigen Wellen vorüber saust der Drachenwagen, der den unersättlichen Forscher trägt, und fast unbemerkbar, ein winziges Pünktchen, liegt drunten die Erde. Endlich verwandelt der Teufel selbst sich in ein Flügelross, welches Faust besteigt und so die ganze Erde bereist. Nach Rom fliegt er, die Herrlichkeit des Papstes zu schauen, die ihn lüstern macht. Weil er aber der Heilige Vater nicht werden kann, trinkt und isst er ungesehen, in neckischer Bosheit alles, was er auf der reichbesetzten Tafel findet. Weiter geht der seltsame Flug. Seiner Natur getreu, ersehnt Faust von den Ebenen aus die Berge, von diesen wieder die fernen Ebenen. Endlich kommt er nach Konstantinopel, lässt eine Wolke das Serail des Sultans beschatten und kostet als Prophet Muhammed mit den lieblichen Bewohnerinnen desselben. Seine Fahrt ging nur bis zum Kaukasus. Von dem hohen Gebirge schaut der Wanderer in die blauen, duftenden Fernen, wo das Wunderland in Rosengärten ruht und die Ströme des Paradieses rauschen. Dann kehrt er zur deutschen Heimat zurück.

Am Hof Karl V. wird der berühmte Zauberer ehrenvoll empfangen, und weil der Kaiser Beweise seiner Kunst zu sehen wünscht, beschwört er den Geist des großen Alexander von den Schatten herauf. Faust selbst gebietet dem Mephistopheles, ihm die schöne Helena zu zeigen, mit der er, in glühender Leidenschaft entbrannt, ein prophetisches Kind erzeugt. Doch die Frist, welche dem nie Befriedigten gestellt war, ist abgelaufen, und der Teufel zerreißt das ihm verfallene Opfer, dessen Seele zur Hölle hinabsinkt.

So das alte Volksbuch.

Spätere Bearbeitungen erscheinen flacher und gemeiner, weil sie nur die Schwänke bewahren und der tiefere Sinn der Sage in ihnen untergeht oder unverständlich wird. Viele wunderbare Dinge, welche man sich von Albertus Magnus, Paracelsus und anderen erzählte, verflochten sich nach und nach mit der Faustsage.

Bekannt genug ist die zauberische Weinrebe, die der große Magier mitten auf dem Tisch wachsen ließ, um welchen seine Freunde in traulicher Gemeinschaft zechten. Die Rebe trug ebenso viele Trauben, wie Gäste vorhanden waren, und schon wollte jeder die ihm davon Gebührende vom Stock abschneiden, als Faust sie innezuhalten bat und die Bezauberung löste. Da hielt männiglich jeder seine eigene Nase!

Ein anderes Mal breitete er seinen Zaubermantel aus und trug alle zu einer Hochzeit von Sachsen nach Paris. Da man sie aber nicht willkommen hieß, flog er mit ihnen wieder zurück.

Origineller noch ist die Fahrt nach Salzburg. Einst bewirtete Faust zu Meißen seine Gäste mit köstlichen Speisen, setzte ihnen aber nichts zu trinken vor. Das Bedürfnis nach etwas Flüssigem machte sich sehr bald geltend und man drang in Faust, seinen Pflichten als Wirt auch den trockenen Kehlen gegenüber nachzukommen. Da lud er die gesamte Gesellschaft auf und zog durch die Luft gen Salzburg, wo er sie in des Erzbischofs Weinkeller absetzte. Hier begann nun ein lustiges Gelage, und Singen und Jauchzen, untermischt mit Becherklang, hallten in den stillen, kühlen Räumen wider. Das vernahm mit Staunen der Kellermeister, er ging dem Schall nach und fand die Zechbrüder. Zornentbrannt schalt er sie Trunkenbolde, freche Diebe, Einbrecher. Da packte ihn Faust, nachdem der Durst genügend gestillt war, in der übermütigen Weinlaune mit den anderen in seinen Mantel, flog durch die Lüfte davon und ließ den Kellermeister unterwegs auf der Spitze einer hohen Tanne zur Strafe für seine Verwegenheit sitzen.

Als ihn einst zu Heilbronn das Gebrüll der Kühe störte, rief er ärgerlich: »Haltet das Maul offen, wenn ihr nicht still sein könnt!« Und die Verwünschung erfüllte sich augenblicklich.

Wer wüsste nicht, wie er zu Leipzig in dem durch ihn historisch gewordenen Auerbach-Keller die Treppe auf einem vollen Weinfass hinaufritt, wie er, seiner bösen Streiche wegen eingezogen, sich klüglich aus der Haft befreite, indem er seinem Wächter ein magisches Mittel versprach, das den Bart ohne Schermesser und Seife, bloß mit gelinder Reibung entfernen sollte. Als er hinweg war, versuchte der Leichtgläubige den angepriesenen Stein, der freilich die Haare, mit diesen aber auch Haut und Fleisch zerbeizte.

Faust saß im Gasthaus in lustiger Gesellschaft und sprach der Kanne so fleißig zu, dass der aufwartende Bursche vollauf zu tun hatte, um sie ihm immer wieder zu füllen. Endlich wurde es dem jungen Menschen zu bunt und im Ärger goss er den Krug so voll, dass er überfloss.

»Höre, mein Junge«, rief Faust ihm zu, »lass den Unfug, oder ich fresse dich!««

»Ei«, spottete der Bursche, »das mögt Ihr wohl bleiben lassen, meine Stiefel würden Euch gar zu sehr drücken.«

Und als Faustens Kanne zum anderen Male wieder gefüllt werden musste, goss er des edlen Nass wieder so viel hinein, dass sie über- und überfloss. Da öffnete der Erzürnte den Mund, so weit er konnte, und schluckte den erschrockenen Jungen vor aller Augen hinab. Dann nahm er einen tüchtigen Schluck und sagte: »Auf einen guten Bissen gehört ein guter Trunk.«

Die Gäste saßen starr vor Schreck und Staunen; doch der Wirt, ein Mensch, breit wie ein Torflügel, pflanzte sich trotzig vor ihm auf und schrie: »Ihr gebt mir den Burschen zurück, oder …!«

»Erhitzt Euch nicht«, sagte Faust lachend, »geht nur hinter den Ofen und seht Euch die Bescherung an.«

Da lag der Bursche zitternd, bebend und nass wie ein Frosch.

Wie die Sage berichtet, soll Melanchthon dem Zauberfertigen manchmal, obwohl vergebens, gar derb ins Gewissen gesprochen haben. Einst, nach einer abermaligen heftigen Strafrede des sonst so sanftmütigen Mannes entgegnete ihm Faust: »Ihr verfahrt allzeit gar rau mit mir, Herr Philippus. Wie wär’s, wenn ich Euch einmal, so Ihr Gäste habt, alle Schüsseln und Töpfe aus dem Schornstein fliegen ließe?« Worauf Herr Philippus mit deutscher Grobheit ihm erwiderte, das könne er immerhin, es werde ihn nicht kümmern. Die kräftige Wendung, unmöglich wieder zugeben, schlug jedoch die Zauberlust des Magisters nieder wie ein kaltes Bad und das Geschirr in Melanchthons Küche blieb ungestört.

Einem anderen Verächter seiner magischen Kunst schickte Faust den Mephistopheles in das Schlafgemach, der dort wie ein Schwein grunzen und quieken musste, um den im Bett Ruhenden zu ängstigen. Der Mann aber rief spöttisch: »Ei, welch’ eine feine Stimme und schöner Gesang des Engels, der im Himmel nicht bleiben mochte, geht nun in der Leute Häuser und verwandelt sich in eine Sau!« Zornig und beschämt kehrte der Geist zu Faust zurück und klagte bitter über den hässlichen Scherz.

Die Zeit, in welcher alle diese Possen erfunden wurden, vermag nicht besser charakterisiert zu werden, als eben durch jene Erzeugnisse der Volksdichtung selbst. Bald macht sich die grobe Art, dem Teufel zu begegnen, geltend, welche das 16. Jahrhundert auszeichnet, und die Faustsage streift hinüber in das Gebiet der Bauernschwänke, bald wird der Zauberer als ein schlauer und gewandter Weltmann geschildert, bei dem jedoch der hoffärtige Sinn wieder durchbricht, der ihn in die Gewalt der finsteren Mächte treibt.

Trotz der Hilfe des Teufels, dem nach dem Volksglauben alle jene Schätze zu Gebot stehen, welche im Schoß der Erde oder auf dem Grund des Meeres ruhen, mangelte es dem Zauberer einst an Geld, und er berief einen Wechsler, ihm sechzig Taler zu leihen. Doch als die gesetzte Frist abgelaufen und die Rückzahlung fällig ist, hat Faust nichts, womit er seinen Schuldbrief lösen kann, und um den drängenden Gläubiger zu befriedigen, bietet er sein eigenes Bein zum Pfand an. Sobald er wieder Geld habe, wolle er es einlösen.

Darauf geht der Wechsler ein und das Bein wird abgeschnitten. Indem er mit dem Pfand nach Hause geht, nimmt es mit jeder Sekunde an Schwere zu und wächst zuletzt zu einer so übermäßigen Last an, dass er es, ohnehin die Torheit eines solchen Vertrages einsehend, zuletzt in den Fluss wirft. Nach Verlauf von drei Tagen fordert Faust das Pfand gegen Erstattung der Summe zurück, und da der Wechsler es nicht beschaffen kann, zwingt ihn Faust, noch einmal sechzig Taler zu zahlen, obwohl ihm das verpfändete Glied gar nicht fehlt.

Während der Ostermesse zu Leipzig im Jahre 1524 war die Stadt in besonderer Erregung, denn der Kardinal Campegius oder Campeggio verweilte dort. Die Bürgerschaft hatte ihn festlich empfangen, und nach dem prächtigen Mittagsmahl, das ihm zu Ehren veranstaltet worden war, fuhr der hohe Herr mit seinem Gefolge hinaus vor das Tor, um auszuruhen von der gehabten Anstrengung und frische Luft zu schöpfen aus einem lieblichen Anger, den ein Buchenwäldchen mit seinen Schatten kühlte.

Draußen lustwandelten sie, während die neugierige Menge in respektvoller Entfernung zuschaute. Unter den Gruppen, welche sich bildeten, zog ein Häuflein Studenten die Aufmerksamkeit der Vorübergehenden auf sich, mehr noch der schlanke, blasse Magister in ihrer Mitte, mit dem dunklen Kraushaar und den tiefliegenden schwarzen Augen, aus denen es manchmal aufsprühte wie Feuerflammen.

»Kennst du den?«, fragte einer den anderen, und der Angeredete erwiderte: »Wie sollt’ ich nicht? Er ist ja Faust! Gib acht, der wird den fremden Herren zu raten geben.«

Kurz darauf trat der Zauberer zur Seite, auf einen kleinen freien Raum und zog aus der Tasche seines Gewandes ein kunstvoll gearbeitetes Jagdhorn, welches er an die Lippen setzte und eine lustige Fanfare blies. Wie von unsichtbaren Gewalten getragen, erhob er sich langsam in die Luft. Vor ihm her eilte eine Schar wohldressierter Hunde und scheuchte das Wild aus, das unter den Wolken wie unter Bäumen und Büschen lagerte.

Jetzt stiegen sie so hoch empor, dass man sie kaum noch als kleine dunkle Pünktchen in der Luft gewahren konnte. Dann senkten sie sich herab und stürmten an dem Kardinal und seinen Begleitern so nahe vorüber, dass diese sie fast mit den Händen ergreifen konnten.

Das währte geraume Zeit zu hoher Freude des geistlichen Herrn, der selbst des edlen Waidwerks leidenschaftlich pflegte. Endlich steckte Faust das Hörnlein wieder in die Tasche und kam herab. Hunde und Wild verschwanden, wie sie gekommen waren. Der Kardinal schickte seinen Diener und ließ fragen, wer der Jäger sei. Da er hörte, dass es der berühmte Faust wäre, von dessen gewaltiger Kunst er schon vielfach vernommen hatte, lud er ihn auf den Abend zu Gast und bot ihm an, ihn mit sich nach Rom zum Heiligen Vater zu nehmen. An hohen Ehren würde es ihm dort nicht fehlen. Faust aber schlug höflich die Einladung zur Reise aus. Ihm sei ja der Beherrscher der Welt, der Teufel, untertänig, und so bedürfe er weder Gutes noch Ehre.

Ein volkstümlicher Stoff, wie dieser, fügte sich bald in die einfachen dramatischen Formen jener Zeit, und der Faust verdrängte schnell eine Menge der bisher beliebten Fastnachtsspiele. Dem fertigen Bild wurden immer neue Züge hinzugefügt, und der Magister lässt die Teufel, unter denen er sich den steten Begleiter zu wählen gedenkt, erst allerlei Proben ihrer Schnelligkeit ablegen. Die Hurtigsten sind gewöhnlich die, welche sich rühmen, rasch wie der Gedanke zu sein, oder wie der Übergang vom Guten zum Bösen.

Nicht immer erscheint Faust als ein der Hölle rettungslos verfallener Bösewicht. Ein Augsburger Puppenspiel ließ ihn schlechte Menschen entlarven und pflichtvergessenen Fürsten Moralpredigten halten. Wie der Teufel bringt er nicht selten Gefangene aus fremden Landen zurück und führt der Gattin den längst verschollenen Ehemann wieder zu.

Untrennbar vom Faust ist sein Famulus Wagner, der sich gleichermaßen dem Bösen verschrieb. Seine Abenteuer sind das fratzenhafte Abbild der Irrsale Fausts. Ein Teufel in Affengestalt wird ihm zugesellt, nach anderen noch ein allwissender höllischer Papagei. In prahlerischer Überhebung sucht der mit wenig Witz begabte Wagner es seinem Herrn zuvorzutun, reist durch alle Länder, wagt sich selbst zu den neuentdeckten Erdstrichen. Auch Geister darf er berufen, aber nur, um seine innere Ohnmacht, den Mangel an Weihe der Kraft zu solchem Werk zu dokumentieren, und zwar nicht durch bloße Negation des Erfolgs, denn er war ja berufen, sondern durch Ironie. Statt der Helena erscheint ihm ein garstiges altes Weib, vor dem er erschrocken flieht. Voll Torheit und Eulenspiegeleien ist seine Disputation mit Auerhahn, dem Affenteufel, der ihn endlich zur Hölle hinabreißt.

Das mystische Element im Leben des Volkes umkleidete sich nach und nach mit anderem Gewand. Der Hexenglaube überschattete wie eine finstere Wolke das bunte Reich der Magie, die Blüten der Dichtung und Sage gediehen nur kümmerlich noch und das Ganze löste sich endlich ab. Was die Kluft übersprang, die zwischen der eigentlichen Magie und dem wüsten Aberglauben des sechzehnten und siebzehnten Jahrhunderts sich erschloss, trägt nicht mehr das Gepräge echter Volkstümlichkeit, es erscheint als Ausgeburt und plumpe Erfindung religiöser Fanatiker oder als unglücklicher Versuch eines beschränkten Verstandes, ganz heterogene Elemente zu vermitteln, oder als nichtige Bestrebung, die Zerrgebilde einer sterilen, geschmack- und taktlosen Fantasie an den frischen Quell der Volksdichtung zu sehen.