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Die Totenhand – Teil 8

Die-TotenhandDumas-Le Prince
Die Totenhand
Fortsetzung von Der Graf von Monte Christo von Alexander Dumas
Erster Band
Kapitel 8 – Zwei Männer ohne Namen

Der Portier des Theaters Argentino hatte über die Vorteile nachgedacht, die ihm aus dem Zusammentreffen mit einem Menschen wie Benedetto entspringen könnten, und traf Anstalt, ihn in dem Hotel des Maestro Pastrini aufzusuchen, indem er den festen Entschluss fasste, zu dem Zwecke, den er nie aus den Augen gelassen hatte, – nämlich per fas et nefas seine Glücksumstände zu verbessern, – alle Hilfsquellen dieses unerschrockenen, abenteuerlichen und kecken Charakters zu benützen, der von den Menschen nichts zu fürchten schien, weil er mit beispielloser Frechheit sich gegen den Portier als Dieb, Fälscher und Mörder bekannt hatte. Er begab sich daher mit festem Schritt und das Herz von Hoffnung erfüllt, zu Benedetto, den er Andrea nannte.

Benedetto war in der Tat in dem berühmten Hotel des Maestro Pastrini abgestiegen. Nach dem Frühstück, das er allen Regeln getreu von den leckersten Speisen, mit denen sein Appetit wetteiferte, verzehrt hatte, ließ er den verschlagenen Eigentümer des Etablissements zu sich rufen.

»Ich stehe zu Ihren Befehlen, Exzellenz«, sagte Maestro Pastrini, indem er unterwürfig seine baumwollene Mütze abzog und eine tiefe Verbeugung machte.

Benedetto ließ eine oder zwei Minuten vergehen, bevor er ihn anredete. Dann warf er eine Zeitung, in der er anscheinend gelesen hatte, beiseite und betrachtete den Italiener mit dem finstern, mürrischen Blicke, welcher ein charakteristischer Zug jener Wesen ist, auf deren Stirn das Verhängnis das Siegel eines Fluches gedrückt zu haben scheint.

»Maestro Pastrini«, sagte er, »ich bin mit diesem Zimmer nicht zufrieden.«

»Bei dem Blute Christi!«, rief der Italiener, »und weshalb denn nicht, Exzellenz?«

»Weshalb? Sie wollen wissen, weshalb, Maestro Pastrini? Weil ich hier nicht ruhig schlafen kann.«

Der Italiener wurde unruhig. Benedetto fuhr fort: »Wer wohnt hier unter mir?«

»Ach, das ist ein junger Mensch, der sehr kränklich ist, und nach dem, was mir sein Lakai gesagt hat, reist, um sich von einer tödlichen Apathie, die ihn niederdrückt, zu zerstreuen. Ich gebe Ihnen die Versicherung, dass er ein höchst anständiger Mensch ist, obgleich ich den Ton seiner Stimme noch nicht gehört habe. Indes ist er schon einen ganzen Monat in Rom und erst zwei- oder dreimal ausgegangen, wobei er sehr darauf hält, zu passender Stunde zurückzukommen.«

»Ich sage Ihnen, dass Sie lügen! Hören Sie wohl, Maestro Pastrini? Sie lügen!«

»Ich, Exzellenz?«, entgegnete der Wirt, indem er den Schein der größten Unschuld anzunehmen bemüht war.

»Lassen Sie Ihre Heuchelei. Mich täuschen Sie dadurch nicht. Ihr kränklicher Mensch, der reist, um sich von einer tödlichen Niedergeschlagenheit zu zerstreuen, ist gestern erst um ein Uhr nachts nach Hause gekommen. Das ist noch nicht alles. Er hat geschrien, geweint, getobt. Er brach in einen Strom von Gotteslästerungen aus, und das dauerte bis zwei Uhr, ohne dass er sich um seine Nachbarn bekümmert hätte, als ob sie gar nicht auf der Welt wären.«

»In der Tat?«

»Still! Dann ist er abermals ausgegangen, und als er zurückkehrte, war es vier Uhr morgens.«

»Ich gebe das zu, Exzellenz«, erwiderte Maestro Pastrini mit etwas größerer Zuversicht. »Ich habe das alles auch bemerkt, aber was wollen Sie? Ich glaube, er ist von Zeit zu Zeit gewissen Nervenzufällen unterworfen, bei denen er nach der Vorschrift der Ärzte augenblicklich zu jeder Stunde des Tages oder der Nacht seine Wohnung verlassen muss, um frische Luft zu schöpfen. Ohne Zweifel hat er Sie deshalb während der vergangenen Nacht belästigt. Indes beruhigen Sie sich, Exzellenz. Sein Lakai hat mir die Versicherung gegeben, dass dergleichen Anfälle sich nur von Jahr zu Jahr wiederholen.«

Benedetto lächelte ironisch und warf dem Maestro Pastrini einen spöttischen Seitenblick zu.

»Ich traue diesen Nervenzufällen nicht sehr«, sagte er, »und ich halte mich überzeugt, dass Ihr kränklicher junger Mensch ein Individuum ist, welches weit eher auf die Angriffe anderer ausgeht, als es selbst angegriffen wird. Sehen Sie sich vor, Maestro Pastrini. Ganz kürzlich ist aus Frankreich ein fürchterlicher Mensch entkommen, der wie ein wahrer Teufel verführt, ermordet, raubt, Mädchen misshandelt, Greise, Kinder nicht verschont und sogar Kirchen und Gräber beraubt.«

»Per la Madonna! Was sagen Sie mir da, Exzellenz?«, rief Maestro Pastrini, indem er mit den Augen zwinkerte. »Ei, aber der Schelm muss ungeheuer reich sein!«

»Man sagt, er besitze Millionen und hielt diese an irgendeinem unbekannten Ort verborgen, wohin keine Sonnenstrahlen dringen, und der mit einem stinkenden Pestwasser umgeben ist.«

»Aber, Exzellenz, Ihr Nachbar von hier unten scheint nicht älter als 20 bis 22 Jahre zu sein, und er ist überdies so klein und so schwächlich, dass Ihr Verdacht gewiss verschwinden würde, wenn Sie ihn nur ein einziges Mal sähen.«

»Klein, schwächlich und gelb?«

»Geradezu gelb? Nein, aber sehr blass, ja.«

Benedetto stand hastig auf, ging mit großen Schritten in dem Zimmer umher, fuhr sich mit der Hand durch die Haare und atmete heftig, als würde er von einer ungeheuren Hitze bedrückt.

»Ha!«, sagte er dann, »ich sehe es wohl, es ist durchaus nötig, dass ich Ihr Hotel verlasse, Maestro Pastrini.«

»Und weshalb denn, Exzellenz? Was fehlt Ihnen denn? Werden Sie nicht mit der größten Sorgfalt und jeder möglichen Rücksicht bedient?«

»Dummkopf! Ich sage Ihnen in einem fort, dass Ihr Gast vom ersten Stock mir im Wege ist, dass er mich belästigt und, Sie begreifen nicht, was ich Ihnen sage! Sie haben Ohren und hören nicht, Sie haben Augen und sehen nicht.«

»Aber, Exzellenz, was ist denn nur eigentlich? Was wollen Sie denn sagen?«, fragte Maestro Pastrini, welcher den Bemerkungen Benedettos eine besondere Aufmerksamkeit zu widmen begann.

»Nun, ich will Ihnen alles erklären. Es gibt in der Welt ein Wesen, welches kommt, ohne dass irgendjemand weiß, woher, noch wessen Kind es ist – ein Wesen, von welchem viele Leute glauben, dass es durch die Wirkung der Sonne aus dem Schlamm hervorgebracht wurde, wie die Materialisten behaupten, dass der erste Mensch geschaffen wurde. Der, von dem ich Ihnen sage, hat in irgendeiner Höhle, der von Cumä ähnlich, die Kunst studiert, die Zukunft zu erforschen und den Menschen zu schaden, und ist dadurch auf die Entdeckung des Geheimnisses gekommen, gleich den Schlangen die Haut zu wechseln, um seine Zwecke besser zu erreichen. Das setzt mich übrigens gar nicht in Verwunderung, denn die Chemie ist, wie man behauptet, eine Wissenschaft der Wunder. Auf diese Weise zeigt sich der entsetzliche Mensch unter verschiedenen Gestalten, je nach dem Lande, in welchem er sich befindet, und nach den Menschen, mit denen er in Berührung kommt. Zuweilen ist er ein Abbé, alt, gebrechlich, niedergebeugt unter der Last der Zeit, wenn er heilige Worte in die Ohren derer flüstert, die er verderben will. Dann wieder ist er ein überspannter, phlegmatischer Lord, hartnäckig in seinen Ansichten wie ein Maultier. Zu anderen Zeiten wieder nennt er sich Graf und stellt sich als den vollkommensten und reichsten Kavalier der Welt dar. Im Allgemeinen ist dieser Mensch unter dem Titel eines Grafen von Monte Christo bekannt.«

»Ha!«, rief Maestro Pastrini, indem er einen Satz machte und die Farbe wechselte.

»Was ist?«, fragte Benedetto. »Sollten Sie ihn etwa schon gesehen haben?«

»Fahren Sie fort, Exzellenz, fahren Sie fort.«

»Ganz gut. Ich sagte Ihnen also, dass der Räuber, der Fälscher, der Gotteslästerer, der Meuchelmörder, sich Graf von Monte Christo nennt«, fuhr Benedetto fort, ohne die Augen von dem Maestro Pastrini abzuwenden, dessen Physiognomie den Kampf verriet, der im Innern seiner Seele infolge des eigentümlichen Zusammentreffens zwischen dieser Schilderung und gewissen Ereignissen der Vergangenheit stattfand. »Dieser Mensch, der durch seine ungeheuren Reichtümer und die Macht, welche ihm dieselben verliehen, sich über alle andern Menschen erhaben glaubte«, fuhr Benedetto fort, »und der alles, sowie alle, missbrauchte, wird gegenwärtig durch die irdische Gerechtigkeit verfolgt. Er hat unlängst in Paris den Namen Benedetto angenommen und sich dann Prinz von Cavalcanti genannt. Er ist dem Gefängnis entsprungen, indem er den Schließer ermordete. Dann ist er zu einem Kirchhof gegangen, welcher Kirchhof Père La Chaise genannt wird, hat dort den Aufseher getäuscht und das Grabgewölbe einer edlen Familie entweiht, indem er verschiedene Schmucksachen raubte, welche die Leichen an sich trugen. Darauf die Gestalt verändernd, ist er aus Frankreich entflohen, indem er sich aller Wahrscheinlichkeit in Richtung Italien wendete, wo er, wie viele Menschen behaupten, geheime und entsetzliche Verbindungen hat.«

Maestro Pastrini war niedergeschmettert, denn in einer früheren Zeit hatte er jemand beherbergt, der sich Graf von Monte Christo nannte.

Indes wagte er die Frage: »In diesem Fall, Exzellenz, muss also ein solcher Zauberer überall verfolgt werden?«

»Ich hoffe, dass seine schwarze Zauberkunst ihm nichts helfen wird, um seine Wiedererkennung zu verhindern. In ganz Europa sind Menschen verteilt, welche von der französischen Regierung besoldet und wohl befähigt sind, ihn von seinem hohen Piedestal herabzustürzen.«

Indem Benedetto dies sagte, machte er eine bedeutungsvolle Bewegung, als wollte er zu verstehen geben: Und einer dieser Menschen bin ich.

»Also, Maestro Pastrini«, fuhr er dann fort, »überlegen Sie sich die Sache, trachten Sie zu erfahren, wer Ihr Gast im ersten Stockwerk ist, und seien Sie wachsam und vorsichtig gegen ihn. Jetzt können Sie gehen.«

Der Italiener verließ zitternd und verwirrt das Zimmer, indem er beteuerte, dass er noch am heutigen Tag seinen Namen Pastrini verlieren wollte, wenn er nicht genau erforschte, was Benedetto ihm in Beziehung auf den jungen kränklichen Menschen mitgeteilt hatte, der die Zimmer in dem ersten Stock bewohnte.

»O«, murmelte er zwischen den Zähnen, »es hat mir stets geschienen, dass dieser Graf von Monte Christo mit seiner griechischen Maitresse und seinem schwarzen Sklaven etwas ganz Außerordentliches an sich hätte. Die Gleichgültigkeit, mit welcher er die Verurteilten hinrichten sah – die Hitze, mit der er sprach, während sie Todesgeschrei ausstießen, und besonders die Unerschrockenheit, mit der er, wie man versichert hat, in die Höhle des Luigi Vampa, dieses tapferen Banditen, hinabstieg. Das alles ist durchaus nicht natürlich. Ha! Man mag sagen, was man will, aber die Wahrheit bleibt doch immer, dass die Gerechtigkeit Gottes vollkommen ist, und dass der Mensch, wie mächtig er auch immer sei, ihr nicht entrinnen kann!«

Während Maestro Pastrini sich diesen philosophischen Betrachtungen überließ, ging Benedetto mit großen Schritten in seinem Gemach umher, rieb sich mit dem zufriedensten Wesen von der Welt die Hände und sagte: »Nun, mein Junge, das geht vortrefflich. Indem ich diesen Menschen bei Maestro Pastrini herabsetze, habe ich einen Meisterstreich ausgeführt, denn ich bin überzeugt, dass binnen kurzem ganz Rom wissen wird, was ich soeben sagte, und sogar noch viel Schlimmeres! Überdies gelange ich auch so dahin, zu erfahren, wer der geheimnisvolle Nachbar vom ersten Stock ist, und lenke die Blicke der Justiz von mir ab, wenn man zufällig daran denken sollte, mich hier zu verfolgen! Oh, ich werde schon dem Drachen, der Greise, Kinder und Jungfrauen verschlungen hat, um seinen entsetzlichen Hass zu befriedigen, die Zähne ausreißen! Edmund Dantès! Edmund Dantès. Als du mich unter dem angenommenen Namen des Lord Wilmore aus dem Bagno von Toulon befreitest, hättest du aus mir einen rechtschaffenen Menschen machen können. Aber du zogst es vor, mich in dein höllisches Drama zu verwickeln und rissest mir die Larve in eben dem Augenblicke ab, als ich mich, dir vertrauend, auf dem Gipfel des Glückes zu erblicken glaubte! Ha, du bedurftest eines Prinzen Cavalcanti, um einen der geheimnisvollen Pläne auszuführen, die nur du allein kanntest, und warfst die Augen auf den armen Galeerensträfling von Toulon, der ergebungsvoll seinen Auftrag erfüllte! Sei verflucht und tausendmal verflucht! Eine unversöhnliche Rachgier soll dich überall verfolgen! Ja, überall will ich mich an deine Schritte heften, wie der Henker an die seines Opfers. Schon empfinde ich in meinem Herzen kein Gefühl der Menschlichkeit mehr, das mich zurückhalten könnte! Noch sind mir die Worte meines Vaters im Gedächtnis, wie er Rache gegen den grausamen, erbarmungslosen Henker rief, der bei dem Ende eines Werkes verfluchenswerter Tortur sein Opfer wohlgefällig betrachtete und durch das Echo seines satanischen Lachens seinen Geist lähmte! Ha, eine ganze Familie zu vernichten, um dich an einem einzigen Menschen zu rächen! Das ist zu viel. Wo waren denn deine Religion, dein Gott? Da, wo meine Religion ist, da, wo mein Gott ist – in irgendeinem verborgenen Winkel des Himmels oder der Hölle! Jetzt gibt es in meiner Seele nur noch Platz für das unersättliche Verlangen einer vollständigen Rache. Der Ehrgeiz ließ mich ehedem handeln, jetzt aber fühle ich nur noch Durst nach deinem Blut! Edmund Dantès, du hast mir das Beispiel gegeben, und du sollst eines Tages über das Werk deiner Hände weinen!«

Einige Augenblicke darauf kehrte Maestro Pastrini zurück, um den Besuch eines Menschen zu melden, der seinen Namen nicht sagen wollte. Benedetto lächelte über diese Ängstlichkeit und gab den Befehl, den geheimnisvollen Besuch einzulassen.

»Gut!«, sagte Maestro Pastrini, vor sich hinbrummend. »Er empfängt Leute, die keinen Namen haben. Das bedeutet etwas. Der Teufel soll mich holen, wenn mein ehrenwerter Gast nicht irgendein Agent ist, welchen die französische Regierung auf die Spur des berüchtigten Zauberers losgelassen hat.«

Indem er dieses stillschweigende Selbstgespräch hielt, gab er mit der Hand dem Portier des Theaters Argentino ein Zeichen, näher zu kommen, und führte ihn in das Zimmer ein, welches Benedetto bewohnte.

»Ei, weshalb verhehlen Sie denn Ihren Namen, mein lieber Baron Danglars?«, fragte er so, dass er von dem Italiener gehört werden musste, der noch horchend in der halbgeschlossenen Tür stand.

»Baron!«, murmelte Maestro Pastrini ganz verwundert. »O, das hat sehr viel auf sich! Ein verkleideter Baron, das ist ein Grund mehr, um über die Ereignisse dieser Nacht Betrachtungen anzustellen. Aber fort jetzt! Ich will nicht, dass man mich im Verdacht der Neugier habe«, fügte er hinzu, indem er gedankenvoll dem Innern seines Etablissements zuschritt.

Indes war der Portier des Theaters Argentino ganz verdutzt stehen geblieben, den Blick starr auf Benedetto gerichtet, den Mund weit geöffnet, als fürchte er ein Wort auszusprechen, welches demselben Gelegenheit gab, den Namen Danglars und den Titel Baron zu wiederholen.

»Caro Signor«, fuhr Benedetto fort, »mir scheint, Sie sind betäubt durch das Echo Ihres Namens und Ihres Titels.«

»Habe ich Ihnen nicht wiederholt gesagt, dass ich mit dem allen nichts zu schaffen habe? Sagen Sie mir einmal aufrichtig, wären Sie wohl Ihrerseits sehr erfreut, wenn ich Sie Prinz Cavalcanti nannte?«

»Das ist niemals mein Name gewesen.«

»Wieso niemals?«

»Ich habe nur unter demselben in einem Lustspiel des Grafen Monte Christo eine Rolle gehabt.«

»Monte Christo!«, rief Danglars voll Wut und Furcht zugleich und fügte dann rasch hinzu: »Es ist auch seinetwegen, dass ich jetzt keinen Namen mehr habe.«

»Sie gleichen darin ganz mir.«

»Wie? Sie haben ebenfalls keinen Namen? Sind Sie nicht Andrea?«

»Nein, mein Herr.«

»Das begreife ich nicht. Wie sind Sie denn nach Rom gelangt? Wie haben Sie sich einen Pass verschafft?«

»Auf eine sehr einfache Weise, mein Lieber. Ich habe in meinem Besitz eine Reliquie, die ich dem Grafen Monte Christo raubte, und durch deren Hilfe ich alles erlange, was ich will. Das war das Geheimnis, welches ihn über alle anderen Menschen erhob und ihm die Macht verlieh, sie zu vernichten, um sich an ihnen zu rächen.«

»Was für eine Fabel erzählen Sie mir denn da? Ich hoffe, Sie werden nicht daran denken, bei mir den Glauben an einen Zauberstab oder an die Zähne der Sibylle von Cumä zu erwecken!«

»Nein, keineswegs. Meine Reliquie ist ganz anderer Art und hat nicht das Wunderbare derer, die Sie mir da nennen, noch die Schönheit derer, die Sie vielleicht ferner nennen könnten. Sehen Sie sie nur an!«

Bei diesen Worten öffnete Benedetto ein Kästchen, und Danglars taumelte bleich und erschrocken zurück, indem er voll Angst rief: »Die Hand eines Toten!«

»Still, Unglückseliger!«, sagte Benedetto, indem er das Kästchen wieder schloss und es vorsichtig an einen geheimen Ort stellte. »Diese Hand ist es, die mich leitet und mich zu einem bestimmten Hafen führt, den ich notwendigerweise eines Tages erreichen muss. Sie kennen jetzt meine Reliquie. Verlangen Sie nun von mir, was Sie wollen.«

»Was heißt das? Was wollen Sie damit sagen? Sprechen Sie im Ernst?«, fragte Danglars, indem er die Augen weit aufriss.

»Ich habe es Ihnen bereits gesagt!«, entgegnete Benedetto, indem er sich nachlässig setzte und eine Zigarre anzündete.

»O, in diesem Falle muss ich Ihnen alles erzählen, was mir begegnet ist, sonst würden Sie mich nicht verstehen.«

»Sie verlieren Ihre Zeit, Herr Baron«, erwiderte Benedetto, »Ich sehe, dass Sie arm sind, und wie es mir scheint, stehen Sie auch mit Ihrer Familie nicht auf dem besten Fuß. Ich kann mir daher einen sehr deutlichen Begriff von dem machen, was Ihnen begegnet ist.«

»Sie?«

»Und weshalb nicht? In Paris waren Sie ein Mann, der schöne, gesellige Eigenschaften besaß. Ohne Zweifel fanden Sie in Ihren Rechnungen einige Ursachen zu Verlegenheiten, und indem Sie Ihre Kasse überschlugen, machten Sie die Entdeckung, dass Ihnen nichts Besseres zu tun blieb, als Ihrer Gattin ein melancholisches Lebewohl zu sagen, wie einige Tage zuvor Ihre Tochter, die männliche Eugenie, es dem väterlichen Hause gesagt hatte. Das ist höchst einfach, mein Lieber.«

»Sehr richtig«, erwiderte Danglars mit vollkommener Kaltblütigkeit und beispielloser Unverschämtheit. »Was ich tat, würde an meiner Stelle jeder andere Mensch meines Standes ebenfalls getan haben, wenn die Umstände gleich gewesen wären. Was Sie indes nicht wissen, das ist das Übrige. Ich wurde in der Nähe von Rom vollständig durch eine Räuberbande ausgeplündert, deren Hauptmann kein anderer zu sein schien, als der Graf von Monte Christo, und so bin ich denn arm wie Hiob geworden.«

»Ei, mein Lieber, das sind Märchen! Edmund Dantès hatte es nicht nötig, den Straßenräuber zu machen. Er war viel zu reich, um zu diesem ehrenwerten Mittel zu greifen, sich das Eigentum anderer anzueignen. Ich bin vielmehr geneigt, zu glauben, dass er mit Ihnen eine kleine Rechnung auszugleichen hatte«, sagte Benedetto, die Augen fest auf das Gesicht des Herrn von Danglars gerichtet, als wollte er die geringste seiner Mienen erspähen.

»Ich sehe, dass Sie ein eigentümlicher Mensch sind«, entgegnete dieser, »denn man möchte beinahe glauben, Sie besitzen die Gabe, die Dinge zu durchschauen, die man gern verhehlen will. Es ist in der Tat so, wie Sie sagten. Zwischen Edmund Dantès und mir war eine kleine Rechnung auszugleichen. Aber das ist nun vorbei und dagegen keine Hilfe mehr. Das Beste ist deshalb, davon nicht zu sprechen. Beschäftigen wir uns also mit der Gegenwart, wenn Sie es zufrieden sind.«

»Meinetwegen.«

»Sollten Sie zufällig ein Geheimnis kennen, wodurch ich wieder bei meiner Tochter und bei meiner Frau zu Gnaden angenommen würde? Die eine ist aus dem Wege, einen Berg Gold auf der reichen Laufbahn einer dramatischen Künstlerin zu gewinnen; die andere besitzt eine und eine halbe Million. Sie wissen nun aber schon, dass ein Mensch wie ich, der ohne Namen und ohne Vermögen ist, eine Familie der Gattung nicht verschmähen darf.«

»O, Sie sind ein gewandter Schelm, ein ausgezeichneter Spitzbube, bei meiner Seele!«, rief Benedetto, indem er ein Gelächter ausstieß, bei welchem der arme Mensch erbebte, der mit seiner Ehre einen Handel treiben wollte.

»Und Sie denn!«, wagte er mit einem einfältigen und rohen Wesen zu antworten.

»O, Sie haben vollkommen recht. Auch ich bin weiter nichts, als ein unverschämter Schelm, und werde das mein ganzes übriges Leben lang sein«, erwiderte Benedetto mit der größten Sorglosigkeit, indem er sich eine neue Zigarre anzündete und sich nachlässig auf seinem Sessel hin und her wiegte. »Das ist das einzige Mittel, um in dieser Welt zu leben, in welcher die Tugend kein ruhiges Fleckchen zu entdecken weiß, sondern irrend und suchend umhertaumelt, ohne jemand zu finden, der ihr Antwort gibt.«

»In dem Punkt stimme ich Ihnen vollkommen bei. Aber lassen wir die philosophischen Betrachtungen beiseite liegen und sprechen wir von dem, was interessanter ist.«

»Sie wünschen sich also mit Ihrer Tochter zu vereinigen?«, fragte Benedetto.

»Mich mit ihr vereinigen? Nein! Denn ihre Exzentrizitäten missfallen mir in hohem Grade. Viel besser wäre es, ein Mittel ausfindig zu machen, um mich in die Arme meiner Frau zurückzuführen. Sie ist eine vortreffliche arme Frau! Als ich sie verließ, besaß sie anderthalb Millionen, aber sie hat einen solchen Spekulationsgeist, dass sie jetzt ihr kleines Kapital ohne Zweifel verdoppelt haben wird und wahrscheinlich an drei Millionen besitzt. Der Teufel«, fuhr er fort, indem er sich hinter dem Ohr kratzte, »drei Millionen! Ja, drei Millionen in meinen Händen würden sich binnen drei Jahren mehr als verdoppeln, dafür stehe ich. Mein lieber Herr, ich gebe Ihnen die Versicherung, wir könnten dann uns darüber einigen …«

»Was sagen Sie da?«, unterbrach Benedetto ihn voll Stolz. »Es scheint mir nicht, als hätte ich schon irgendetwas von Ihnen verlangt.«

»Nun?«, fragte Danglars, ohne zu begreifen, was jener sagen wollte.

»Herr Baron?«, fragte Benedetto scharf.

»Lassen Sie die Scherze! Ich habe kein Geld mehr, folglich bin ich auch nicht mehr Baron.«

»Sie werden es binnen kurzer Zeit wieder werden, denn ich habe meinen Plan. Und wohin die Hand keines Sterblichen gelangt …«

»Dahin gelangt die Hand Gottes.«

Benedetto stieß ein höhnisches, geringschätziges Gelächter aus. »Mein Freund«, sagte er, »ich habe gesehen, wie Menschen Gott auf eine solche Weise verspotteten, dass ich mich sehr geneigt fühle, an der Existenz Gottes zu zweifeln. Ich wollte sagen, dass, wohin die Hand keines Sterblichen gelangt, die Hand eines Toten gelangen kann.«

Danglars erbebte und entgegnete ängstlich: »Man muss mit den Toten keinen Scherz treiben.«

»Ei, sind Sie etwa feige und abergläubisch!«

»So können wir also nichts miteinander abmachen?«

»Im Gegenteil. Ich gebe Ihnen die Versicherung, dass wir uns vollkommen verständigen werden. Aber schwören Sie mir zuvor, dass Sie, wo Sie auch sein mögen, ohne Zögern jeden Befehl ausführen wollen, der Ihnen von mir zukommt.«

»Das ist eine sehr ernste Sache.«

»Bei meiner Seele, Sie könnten einen Heiligen außer sich bringen, und es fehlt nur wenig, so behandle ich Sie wie einen Schelm, der Sie sind.«

»Mein Herr!«, rief der Baron mit einer Bewegung, welche verriet, dass er Furcht hege.

Benedetto maß ihn vom Kopf bis zu den Füßen mit einem unbeschreiblichen Übermut.

Danglars senkte die Augen zu Boden.

»Nun«, fragte Benedetto, »wollen Sie oder wollen Sie nicht? Sprechen Sie sich aus, aber entscheiden Sie sich schnell.«

»Es sei. Und wie lange werde ich warten müssen?«

»Vierzehn Tage.«

»Ah!«

»Jetzt leisten Sie hier Ihren Eid der Treue und des Gehorsams.«

»Wo?«

»Auf die Totenhand!«, erwiderte Benedetto, indem er das Kästchen öffnete, welches die Hand Villeforts enthielt. Danglars machte eine gewaltige Anstrengung, legte dann die rechte Hand auf die Reliquie und sprach mit erstickender Stimme und feierlichem Tone die wichtigen Worte: »Ich schwöre!«