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Jimmy Spider – Folge 22

Jimmy Spider und der Raub der Mona Lisa

Blau, blau, blau … nein, keine Sorge, jetzt folgt keine teuflische Verballhornung des Wortes Musik in Form eines folternden Schlagers. Dennoch, diese Farbe schwebte zurzeit durch die unendlichen Windungen meines Hirns. Da man bei der TCA weniger Urlaub bekam als Kegelrobben Eier legen (und ich mittlerweile noch einen Kobold-Fall in Schottland hatte abwickeln müssen), dachte ich darüber nach, einfach mal blauzumachen. Andererseits war da ein blauer Umschlag, den mir Albert Scarfe (mir schwebte sein kantiges, faltenreiches Gesicht mit dem ergrauten Vollbart vor, natürlich vor blauem Hintergrund), ein alter Freund meines Vaters, gereicht hatte – in dem sich allerdings lediglich ein Stück Papier mit der Aufschrift 252627 Maple Drive DVTICIAI befunden hatte. Und schließlich gab es noch den blauen Himmel, unter dem ich gedankenverloren auf einer Parkbank sitzend blickte und über blaue Farbe sinnierte (als ob ich sonst nichts zu tun hätte).

Tatsächlich ging es bei meinem Besuch in Frankreich um eine ernste Angelegenheit: Aus einem unscheinbaren Museum in einem Vorort von Paris war ein wertvolles Kunstwerk gestohlen worden. Eigentlich nichts Besonderes, denn sogenannte Kunstschätze gab es wie Sand am Meer, und vermutlich würde selbst ich in die Gilde der meistgeschätzten Maler aufsteigen können, wenn ich ein paar Striche auf eine Leinwand setzen und danach von einer Brücke springen würde. Aber was hätte ich dann davon?

Dumm nur, dass es sich bei dem gestohlenen Objekt nicht um irgendein Bild handelte, sondern um nichts anderes als die Mona Lisa! Ja, genau das Porträt einer nicht einmal besonders schönen mittelalterlich gekleideten und halbseiden lächelnden Dame, das aus mir unerfindlichen Gründen Weltruhm erlangt hatte und von nicht bezifferbarem Wert war. Nun ja, zumindest fast nicht bezifferbar. In TCA-Agenten gerechnet kam es auf einen Wert von genau 13. Aber solange dies noch keine offiziell anerkannte Währung darstellte, erhielt die Mona Lisa wohl noch das Prädikat unbezahlbar.

Neben meiner Wenigkeit war noch die Creme de la Creme (sehr passend für einen in Frankreich handelnden Fall) meiner Behörde in die Hauptstadt beordert worden: Tanja Berner, meine nicht ganz im beiderseitigen Einvernehmen geendete Romanze mit ihr war mir noch in fabelhafter Erinnerung; mein alter Freund Dave Logger; dazu der unvermeidliche Steven McLaughington sowie dessen (aus mir nicht ganz nachvollziehbaren Gründen anverwandter) Zwillingsbruder; Albert Scarfe samt Leibwächter; mein Chef inklusive Butler Emerson sowie dessen Häppchen (die ich lieber nicht einzeln aufzähle); dazu noch vier weitere Agenten.

Ich hörte, wie jemand leise von rechts auf die Parkbank zuschritt. Ich drehte meinen Kopf und sah Dave Logger. Der gebürtige Waliser trug wie immer ein braunes Jackett, darunter ein beigefarbenes Hemd, eine ebenfalls braune Hose und dunkelbraune Lederstiefel. Er war muskulös, aber nicht so, dass man das Gefühl haben musste, dass einem sein Bizeps in den nächsten Sekunden um die Ohren fliegen könnte. Sein Gesicht war etwas rundlich, weich geschnitten und ohne jede Falte, sein (wie sollte es anders sein) braunes Haar trug er kurz und nach hinten gegelt. Er lächelte und sprach mich im nächsten Augenblick an.

»Na Jimmy, sinnierst du gerade über die Kunst?«

»Eigentlich sinniere ich über alles, nur nicht darüber.« Ich stand auf und streifte den Dreck der Bank von der Kleidung. Staub, Pollen, platt gedrückte Insekten, eben alles, was sich nicht rechtzeitig vor mir in Sicherheit gebracht hatte. »Naja, in Wirklichkeit warte ich nur darauf, dass unsere Spurensicherer endlich mit ihrer Arbeit fertig sind.«

Logger machte eine einladende Geste. »Das sind sie. Darf ich bitten?«

»Für einen Tanz bin ich gerade nicht zu haben«, antwortete ich.

Mein alter Freund hob nur seine rechte Augenbraue, lächelte aber weiter.

Schließlich entschied ich mich doch dafür, in den Arbeitsalltag zurückzukehren und folgte Dave Logger zum Tatort. Dabei handelte es sich um einen dreistöckigen braunen Barockbau, zwar hübsch anzusehen und sicherlich unter Denkmalschutz, aber sicher kein Ort, an dem man die Mona Lisa vermuten würde. Das hatte auch seinen Grund: Der französische Geheimdienst hatte mehrere Warnungen aus Kunsträuberkreisen erhalten, dass das Gemälde bald gestohlen werden würde, und hatte deswegen einige recht zweifelhafte Maßnahmen ergriffen. Zum einen hatte man die Sicherheitsmaßnahmen im Louvre verstärkt, zum anderen aber auch das Original-Gemälde in einer Nacht-und-Nebel-Aktion durch eine Fälschung ersetzt und die echte Mona Lisa in eben dieses Schmalspur-Museum verlegt, wo man denken sollte, dass es sich hierbei um die echte Fälschung handelte, während die falsche Ächtung … ähm, die falsche Fälschung im Louvre den Eindruck machen sollte, das echte Original zu sein, obwohl das Original als Fälschung eigentlich am Platz der originalen Fälschung hing. Oder um es einfacher auszudrücken: Im Louvre hing eine Fälschung, und in dem vor mir liegenden Gebäude hing gar nichts mehr.

Auf die Idee, hier ebenfalls den Wachschutz zu verstärken, schien bei meinen geschätzten französischen Kollegen aber offenbar niemand gekommen zu sein. Stattdessen hatten sie sich ob ihres genialen Planes gegenseitig gratuliert und die Füße hochgelegt. Und nun durfte die TCA den Schlamassel ausbaden. Denn irgendwie hatten die Franzosen Wind von dem Fiasko mit den britischen Kronjuwelen bekommen und damit einen Weg gefunden, die britischen Freunde um einen Gefallen zu bitten. Als ob wir sonst nichts zu tun hätten …

Nachdem ich das kleine Eingangstor durchschritten hatte, stand ich bereits in einem großen Saal, der in früheren Zeiten für Gesellschaftstänze verwendet worden war. Von der Decke baumelte ein Kronleuchter herab, welcher zurzeit allerdings ob der Helligkeit des Tages arbeitslos war.

An den Wänden des Saals hingen bereits Dutzende Gemälde, natürlich entweder Kopien berühmter Bilder oder Gemälde weniger bekannter Künstler. In den Ecken des Raumes befanden sich Marmorstatuen, denen meist bereits die Hände gemopst worden waren.

Vom anderen Ende des Saales (dort befand sich auch der Tatort) kamen uns Tanja Berner und Steven McLaughington entgegen. Da wir gemeinsam angereist und eingetroffen waren, verzichteten wir auf ausufernde Begrüßungsorgien und kamen direkt zur Sache.

»Die Spurensicherung ist fertig«, sagte Tanja Berner mit ernster Miene. Entweder sie war Kunstliebhaberin oder sie wollte mich damit ärgern. »Außer einem Häufchen Erde haben sie nichts Greifbares gefunden. Aber immerhin gibt es eine Videoaufzeichnung.«

»Erde?«, fragte ich leicht verwundert.

Die Schweizerin nickte. Täuschte ich mich, oder war dabei wirklich ein leichtes Funkeln in ihren Augen? »Wahrscheinlich hat da jemand seine Schuhe nicht richtig geputzt …«

»… oder bei dem Täter handelt es sich um einen Kobold, der sich durch die Erde hier rein gegraben hat.«

»Sehr witzig, Jimmy«, sagte Tanja grimmig.

»Das ist mein voller Ernst. Erst vor drei Tagen habe ich bei Glasgow einen von dieser Sorte erlegt, als er sich für den Tod seines Artgenossen rächen wollte, dem wir beide damals in Schottland begegnet sind. Diese Viecher sind ganz heiß auf Gold – und von da ist es nicht mehr weit zu wertvollen Gemälden.«

»Ja, ich weiß, aber bis jetzt deutet nichts auf Kobolde hin.« Und an unser gemeinsames Abenteuer erinnere ich mich noch allzu gut, schien mir ihr Blick zusätzlich noch zu sagen.

Steven McLaughington war das Ganze zu hoch. »Könnten wir jetzt wieder von den Trollen …«

»Kobolden«, korrigierte ich.

»Wie auch immer, könnten wir die Gnome einfach Gnome sein la…«

»Ich sagte Kobolde«, korrigierte ich ihn erneut. Er schien in jungen Jahren bereits an Alzheimer erkrankt zu sein.

Bevor die Diskussion noch in Richtung Zwerge, Elfen, Leprechauns oder ähnliches Gewimmel verlief, brachte uns Dave Logger wieder zur Sache zurück. »Vielleicht sollten wir uns trotzdem noch mal den Tatort ansehen.«

»Gute Idee«, sagte ich schnell und huschte an dem leicht überreizten McLaughington vorbei in Richtung des leeren Platzes an der Wand.

Man hatte die Mona Lisa ganz einfach an einem Nagel befestigt, den die Diebe aus gegebenem Anlass zurückgelassen hatten. Sie hatten nämlich lediglich das Bild mitgehen lassen, der Rahmen war zurückgeblieben.

Ich ließ meine Finger über ihn hinwegstreichen. Irgendwie kam mir ein Verdacht, wer dahinter stecken könnte. »Sterling«, murmelte ich.

»Nein, Kupfer.«

Ruckartig drehte ich mich herum. Vor mir stand ein etwa ein Meter sechzig großer (oder eher kleiner), etwa vierzig Jahre alter Mann mit Halbglatze und einem Bauch, der mich entfernt an eine implantierte Melone erinnerte.

»Sie haben also einen Verdächtigen?«, fragte ich verwundert.

»Ich? Nein, wieso …?« Der Mann tupfte sich hastig den Schweiß von der Stirn.

»Wer ist dann dieser Kupfer? Ihr unsichtbarer Freund?«

»Ähm, ich – ich meinte den Rahmen. Er ist aus Kupfer.«

»Vielen Dank für diese überaus wichtige Information.« Ich tippte mir gedanklich gegen den Kopf. »Wer sind Sie überhaupt?«

»Jacques DeBlanc. Der Direktor dieses Museums.« Der Mann reichte mir hastig die Hand, die ich nur zögernd ergriff.

Sekunden später ging er auch schon wieder davon, um einige TCA-Agenten darauf hinzuweisen, seine Bilder nicht anzufassen.

Dave Logger winkte mir zu. »Hast du irgendetwas herausgefunden?«

»Nichts Spruchreifes. Lass uns lieber das Video der Überwachungskamera ansehen.«

»Okay. Dazu müssen wir ein Stockwerk höher.« Er zeigte auf eine Treppe links neben dem Eingang.

Während wir uns zu viert auf den Weg in höhere Gefilde machten, stieß mich Tanja Berner leicht von der Seite an und flüsterte mir etwas zu. »Mach mir nichts vor. Ich hab doch gehört, dass du Sterling gesagt hast. Glaubst du wirklich, er steckt dahinter?«

Schien es mir nur so, oder wurde sie langsam wieder etwas freundlicher? Ich ignorierte meine kleine innere Ahnung und antwortete ihr ohne weitere Andeutungen. »Es würde zum Muster seiner bisherigen Taten passen, wieder ein für viele Menschen bedeutendes Objekt zu stehlen. Und bei der Sache mit den Kronjuwelen hat er diese Art von Diebstahl ja schon einmal durchgezogen. Außerdem scheint er gut situierte Informanten zu haben, sonst hätte er ihren Aufenthaltsort damals nicht herausgefunden. Aber es ist nur ein Verdacht, mehr nicht.«

Tanja Berner nickte nur.

Im ersten Stock angekommen, wandten wir uns nach links und erreichten am Ende des Ganges einen Raum mit der Aufschrift Privat. Die Tür stand halb offen, sodass wir ohne Hindernis eintreten konnten.

Mein erster Blick fiel auf das Fenster links neben der Tür, dann auf fünf eingeschaltete Monitore und mehrere Rekorder. Über sie wachte Jermaine Lavalle, ein junger, kreolisch-stämmiger TCA-Agent, der aufgrund seiner Französisch-Kenntnisse (im sprachlichen Bereich, versteht sich) hier zu seinem ersten Außeneinsatz kam. Er nickte uns zur Begrüßung zu und zeigte auf den dritten Bildschirm von links.

»Da sehen Sie gleich eine Großaufnahme unserer Freunde.«

»Waren es Kobolde?«, fragte ich, vollkommen seriös. Stattdessen erntete ich nur einen leicht verdutzten Blick meines jungen Kollegen.

Kurz darauf begann die Aufnahme. Zunächst war nur die mit Notlicht beleuchtete Eingangshalle zu sehen. Nichts geschah, bis plötzlich am oberen Rand des Bildschirms zwei dunkle Gestalten erschienen. Sie seilten sich offenbar von der Decke ab. Wahrscheinlich hatten sie ein Dachfenster aufgebrochen.

Meine Gedanken glitten wieder zu dem Raub der Kronjuwelen zurück. Raymond Sterling und sein Partner (von dem ich nur wusste, dass er William hieß und Amerikaner war) hatten sich auf genau dieselbe Weise Zutritt zu dem Museum in London verschafft. Allerdings war diese Praxis wohl auch bei anderen Einbrechern bekannt. Trotzdem blieb ich bei meinem Verdacht.

Während meiner kleinen Erinnerungsstunde hatten sich die beiden Gestalten von ihren Seilen losgeschnallt und gingen gemächlich in Richtung des Ortes, an dem sich die Mona Lisa befand.

Steven McLaughington trat an den Bildschirm heran und tippte auf die Stelle, an der die Einbrecher den Boden zuerst berührt hatten. »Genau da haben die Spurensicherer auch die Erde gefunden. Also stammt sie tatsächlich von den Dieben.«

Ein Wunder, der Kerl hatte ja mal etwas Sinnvolles von sich gegeben. Nachdem er mir bei dem Fall mit der schwarzen Box schon mehr oder weniger das Leben gerettet hatte, schien er langsam aufzublühen. Oder er war gedopt.

Lavalle schaltete auf eine andere Kamera um, da die Einbrecher gerade den Bildschirm verließen. Nun sahen wir, wie sich die Gestalten der Mona Lisa näherten und …

Irgendetwas irritierte mich. Es war, als hätte meine Augen eine Lichtreflexion getroffen. Ich schaute aus dem Fenster und sah ein seltsam rötliches Leuchten. Mir kam ein schlimmer Verdacht, und er bestätigte sich, als ich auf den Kopf von Jermaine Lavalle schielte und einen roten Punkt auf seiner linken Schläfe sah.

»Alle runter!«, brüllte ich und warf mich Lavalle entgegen, aber zu spät. Eine Kugel traf seinen Kopf, durchschlug ihn und zog dabei eine dunkelrote Fahne hinter sich her.

Ich warf mich auf den Boden, zog meine Desert Eagle und hörte den schmerzerfüllten Aufschrei von Steven McLaughington. Weitere Kugeln prasselten auf uns ein, trafen aber nur die Bildschirme und Rekorder.

Ich kroch auf meine Kollegen zu, die mittlerweile ebenfalls auf dem Boden lagen.

»Tanja?«, fragte ich besorgt.

»Alles klar, Jimmy. Aber Steven hat’s erwischt.«

»Wie schlimm?«

»Nur die … Schulter«, presste McLaughington aus seinem schmerzverzerrten Mund hervor.

»Mir geht’s auch gut, Jimmy. Danke der Nachfrage«, sagte Dave Logger sarkastisch. Ich grinste ihn kurz an.

Vorsichtig blickte ich auf. Das rote Licht war verschwunden. Deshalb wagte ich es und versuchte, einen Blick aus dem Fenster zu werfen.

Gegenüber befand sich ein roter Backsteinbau. In dessen erstem Stock befand sich ebenfalls ein Fenster. Für einen kurzen Moment glaubte ich, dort eine Bewegung zu sehen. Es konnte sich aber auch um eine Täuschung handeln. Allerdings gab es kaum eine andere Möglichkeit, wo sich der Schütze befinden konnte.

Ich duckte mich wieder, als plötzlich weitere Schüsse fielen, allerdings scheinbar nicht in unsere Richtung, und warf einen Blick auf Jermaine Lavalle. Er war tot. Nachdem ich kurz tief durchgeatmet hatte, schloss ich ihm die schreckgeweiteten Augen.

Tanja Berner und Dave Logger sahen mich fragend an. »Im Haus nebenan muss der Schütze stecken«, stillte ich ihre Neugier. »Holen wir ihn uns!«

Unser Kollege McLaughington schien es nicht allzu schwer getroffen zu haben, denn er nickte uns zustimmend zu, während er seine linke Hand auf seine Schulterwunde presste.

»Also los«, gab ich das Zeichen zum Aufbruch.

Gemeinsam hasteten Tanja, Dave und ich die Treppe hinunter. Am Fuß der Treppe erwarteten uns die anderen Agenten, unter ihnen auch Simon McLaughington, die sich offenbar neben dem Eingangstor verschanzt hatten.

Einer (oder vielmehr eine) von ihnen, Alice Strong (eine blonde, etwa dreißig Jahre alte Neuseeländerin, die bereits seit fünf Jahren bei der TCA war und die ich bereits vom Kampf gegen Vijay Brahma Singh, einem indischen Top-Terroristen, kannte) gab uns einen Bericht von der Lage. »Die Schüsse kamen wie aus dem Nichts. Alphonse Revillet, der vor der Tür Wache gehalten hat, wurde von mehreren Kugeln getroffen. Offenbar hat der Täter mit einer Uzi geschossen.« Das überraschte mich, denn auf uns war augenscheinlich mit einem Scharfschützengewehr geschossen worden. Also hatte unser werter Nachbar entweder die Waffe gewechselt, oder wir hatten es mit mehreren Schützen zu tun.

Ich winkte Simon McLaughington heran. »Ihr Bruder hat eine Kugel in die Schulter bekommen. Kümmern Sie sich um ihn.«

Er wurde blass, fing sich aber schnell und lief die Treppe hoch.

Dave Logger legte mir eine Hand auf die rechte Schulter. »Jimmy, es gibt zwei Möglichkeiten: Entweder wir verschanzen uns hier und geben den Mistkerlen die Chance zu türmen, oder wir stürmen.«

Ich überlegte nicht lange. »Wir stürmen.«

»Alles klar.«

Logger gab dem Agenten Jack Kasahara, der als Einziger im Museum zurückbleiben sollte, die Order, uns den Rücken freizuhalten, während er, Tanja Berner, Alice Strong und ich den Durchbruch wagen wollten.

Ich gab das Kommando. Alle hielten ihre Waffen im Anschlag. »3 … 2 … 1 … los!«, brüllte ich das letzte Wort heraus. Zu viert, Dave Logger an der Spitze, sprinteten wir aus dem Tor und nahmen den Backsteinbau unter Feuer. Dabei zielten wir aber eher auf die Fassade, um mögliche unschuldige Bewohner nicht zu gefährden.

Gerade sprang ich über Revillets Leichnam hinweg, als auf uns geschossen wurde. Die Kugeln schlugen in den Asphalt, während wir einfach weiter liefen.

Unverletzt erreichten wir das Gebäude und befanden uns so im toten Winkel für den Schützen.

Alice Strong ging vor, obwohl eigentlich Dave Logger die Führung übernommen hatte.

Unsere Blicke fielen auf die aus Holz gefertigte Eingangstür. Alice Strong drückte die Klinke nach unten, aber die Tür ließ sich nicht öffnen. »Abgeschlossen«, murmelte die TCA-Agentin. »Ich schieße sie auf.«

Ich wollte sie davon abhalten, denn sie begab sich so in zu große Gefahr. »Gehen Sie von der Tür we…«

Von der anderen Seite der Tür erklang das Rattern einer Uzi. Ich ließ mich einfach fallen, während unser Gegner die Tür förmlich in Stücke schoss.

Alice Strong wurde voll getroffen. Die Einschläge schleuderten sie zurück. Wie eine Marionette, deren Seile man gekappt hatte, fiel sie zu Boden. Ich benötigte nur einen Blick, um zu sehen, dass sie tot war.

Langsam stieg Wut in mir hoch. Noch einen von uns würden sie nicht erwischen, das schwor ich. Vorher würde ich sie persönlich zur Rechenschaft ziehen.

Ein Gutes hatte die Attacke aber: Die Tür war nun kein Hindernis mehr für uns. Nur noch einzelne Holzstücke hingen in den Angeln.

Ohne Vorwarnung, aber mit vorgestreckter Waffe, sprang ich auf den Eingang zu. Der Schütze stand noch immer im Flur und hielt seine Waffe fest. Ich kam ihm zuvor und drückte ab. Eine Kugel segelte gemütlich an ihm vorbei, eine zweite traf sein rechtes Knie.

»Arghhh!«, brandete uns sein Schmerzensschrei entgegen, bevor er das Feuer erwiderte.

Ich sprang in Deckung, sodass die Kugeln an mir vorbeipfiffen und einen roten Maserati auf der anderen Straßenseite durchlöcherten. Der Kerl hatte offenbar keinen Geschmack für gute Autos.

Als ich mich wieder aufrichtete, presste ich mich, wie auch Dave und Tanja, an die Hauswand. Vorsichtig riskierte ich einen Blick durch den Türrahmen. Der Schütze war verschwunden.

Ich winkte meine beiden Kollegen heran. »Ich gehe rein.«

Tanja Berner war davon wenig begeistert. »Jimmy, du …«

»Ich gehe. Folgt mir oder lasst es.«

Dave Logger nickte mir zu, auch die Schweizerin, wenngleich mit einiger Verzögerung.

Geduckt lief ich durch die zerschossene Eingangstür. Niemand war zu sehen. Vor der ersten Tür an der rechten Seite presste ich mich gegen die gegenüberliegende Flurwand. Dann nahm ich Schwung und trat die Tür ein.

Im selben Augenblick erschien der Schütze erneut, allerdings wieder im Flur. Ich warf mich auf den Boden, während die Kugeln über mich und zum Glück auch über Dave und Tanja hinweg jagten. Sofort erwiderte ich das Feuer. Meine Kugeln trafen allerdings nur die Flurwände.

Der Angreifer wankte zurück. Wahrscheinlich wollte er rückwärts laufen, aber sein verletztes Bein ließ das nicht zu. Dabei senkte er seine Waffe und zielte genau auf mich.

Ich schoss erneut. Wieder und wieder drückte ich ab, und diesmal traf ich. Mehrmals wurde mein Gegner durchgeschüttelt, aber irgendwie schaffte er es dennoch, abzudrücken. Die Kugeln hieben allerdings nur in die Decke.

Er wankte weiter zurück, hielt sich wie durch ein Wunder aber immer noch auf den Beinen.

Sein Gesicht war schmerzverzerrt. Mit scheinbar letzter Kraft legte er erneut auf mich an.

Da wollte ich ihm zuvorkommen und drückte wieder ab. Klick, Klick, Klick … Das Magazin war leer. Wenn jetzt nicht …

Hinter mir bellten weitere Schüsse auf. Bevor der Typ erneut abdrücken konnte, trafen ihn die Kugeln von Dave Logger und Tanja Berner. Wortlos brach der Schütze zusammen und blieb regungslos liegen.

Ich atmete tief durch. Kurz darauf hatte mich Dave Logger erreicht und half mir wieder auf die Beine.

»Heute wohl kein Zielwasser getrunken, wie?«, sagte er mit einem schiefen Grinsen im Gesicht.

»Mein Wodka hat sich kürzlich mal wieder in die ewigen Alkoholgründe verabschiedet.«

Mit der rechten Hand griff ich in mein Jackett, holte ein neues Magazin heraus und lud meine Desert Eagle nach. Irgendwo musste sich noch der Scharfschütze befinden. Dass er und der Tote ein- und dieselbe Person waren, glaubte ich nicht mehr.

Zu dritt gingen wir auf die Leiche des Angreifers zu. Seine Brust erinnerte mich entfernt an einen Laib Schweizer Käse. Seine Kleidung bestand aus einem Unterhemd und schwarzen Lederklamotten, sowohl Jacke als auch Hose und Schuhe. Auffällig war nur seine stark gebräunte Haut. Womöglich war er Südamerikaner.

Mein Blick glitt über den Toten hinweg zu einer Treppe, die in den ersten Stock führte.

Ich gab meinen Kollegen ein Zeichen, dass sie mir folgen sollten.

Vorsichtig ging ich die Treppe hoch und wollte dabei laute Geräusche vermeiden. Die Stufen machten mir dabei aber einen Strich durch die Rechnung, denn das Knarren war höchstens von einem Tauben zu überhören. Die Geräusche erinnerten mich an das Brüllen eines waidwunden Hirsches.

Wider Erwarten sprang uns kein weiterer Angreifer entgegen.

Im ersten Stock empfing uns erneut ein Flur, an dem sich rechts zwei offene Türen befanden.

Ich wollte schon überprüfen, ob sich der Scharfschütze dort befand, als ich über mir dumpfe Geräusche hörte, die nur von Schritten stammen konnten.

Mit der rechten Hand wies ich auf die beiden offenen Türen hin. Dave und Tanja verstanden mein Zeichen und suchten im ersten Stock nach weiteren Gegnern, während ich die Treppe weiter hinaufging.

Meine Waffe hielt ich schussbereit in der rechten Hand, während ich mich mit der linken am Geländer festhielt.

Im zweiten Stock angekommen wechselte ich zunächst die Schusshand und erblickte danach erneut einen leeren Flur, diesmal jedoch nur mit einer Tür an der rechten Seite. Gerade wollte ich auf sie zugehen, als plötzlich der zweite Schütze in den Gang sprang. Offenbar hatte er in irgendeiner Nische gelauert, um mich in Sicherheit zu wiegen.

Wieder erschien der rote Zielstrahl seines Gewehrs, als er auf mich anlegte und abdrückte. Dabei schrie er etwas, dass wie »Deixar!« klang.

Gedankenschnell warf ich mich gegen die rechte Gangwand. Trotzdem traf mich seine Kugel. Ein heißer Schmerz durchlief meinen linken Arm, während ich mit rechts abdrückte. Während mein Gegner durch seinen Überraschungsangriff nicht so gut hatte zielen können, traf meine Kugel genau. Wuchtig hieb sie ihm mitten in die Brust und warf ihn zu Boden. Das Gewehr entglitt seinen Händen.

Ohne auf meinen linken Arm zu achten, lief ich auf den Getroffenen zu, die Desert Eagle weiterhin im Anschlag. Doch es war nicht mehr nötig. Der Mann, der die gleiche Hautfarbe wie sein Partner hatte, aber statt Lederkleidung nur ein T-Shirt und eine blaue Jogginghose trug, lag offensichtlich in seinen letzten Zügen. Hasserfüllt blickte er mich an.

Bevor er starb, wollte ich noch ein paar Antworten haben. Ich beugte mich zu ihm herab. »Warum haben Sie das getan? Wer seid Ihr überhaupt?«, fragte ich ihn.

Der Getroffene hustete Blut, brachte aber noch ein paar Worte hervor, die kaum zu verstehen waren. »As sombras … Nós somos … as – sombras!”

Zum Glück verstand ich etwas spanisch, wobei das, was er sagte, eher portugiesisch war. Oder brasilianisch. Er sagte, sie seien … die Schatten. Was auch immer das bedeuten sollte.

Plötzlich schoss sein linker Arm empor und packte mich an meinem Kragen. »Você são tão bons como morto!«, sagte er mit letzter Kraft, bevor sein Blick brach und sein Arm zurück auf den Boden fiel.

Ihr seid so gut wie tot!, hatte er gesagt. Im Übersetzen von Todesdrohungen war ich Experte.

Aber warum waren wir so gut wie tot? Wir hatten die beiden doch erledigt.

Von unten drang Tanja Berners Stimme an meine Ohren. »Jimmy?«

»Alles in Ordnung«, schrie ich zurück. »Ich hab ihn erwischt. Es ist vorbei.«

»Du solltest dir das hier trotzdem mal ansehen.«

»Ich komme.«

Ich wandte mich vom Toten ab und ging langsam wieder die Treppe hinab. Was mich unten wohl erwartete? Eigentlich war ich ja kein Fan großer Überraschungen.

Im ersten Stock nahm mich Dave Logger in Empfang, der mich zunächst anlächelte, bis er einen Blick auf meinen linken Arm warf. »Das sieht aber gar nicht gut aus.«

Ehrlich gesagt hatte ich meine Armwunde in den letzten Sekunden komplett vergessen. Die Erinnerung daran brachte auch die Schmerzen zurück. Ein Blick darauf zeigte mir, dass die Wunde schon einigermaßen blutete. Ich steckte die Desert Eagle weg und presste meine rechte Hand auf den Arm.

Dennoch ging ich in den ersten Raum des Stockwerkes, in dem sich auch Tanja Berner befand. Sie sah das Blut an meinen Arm, aber ich beruhigte sie sofort. »Nicht so wild. Was ist denn nun hier so wichtig?«

»Sieh dich doch mal um.«

Ich ließ meinen Blick durch das Zimmer schweifen. Mir lief ein leichter Schauer über den Rücken. Wir befanden uns im Schlafzimmer der Killer. Aber anstatt zwei Matratzen lagen hier … fünf.

»As sombras«, murmelte ich. Ob er damit seine gesamte Truppe gemeint hatte? Da kam also noch einiges auf uns zu.

Tanja Berner sah mich fragend an. »Und was machen wir jetzt? Wir haben keine Spuren, keine Zeugen und keine weiteren Hinweise.«

»Doch, die Erde … möglicherweise finden sich ja darin irgendwelche speziellen Spuren. Und das Video.«

»Leider nicht. Ich hab eben mit Simon McLaughington telefoniert. Eine der Kugeln des Scharfschützen hat den Rekorder zerstört und das Videoband, das sich darin befand.«

»Mist …«

Also blieb uns als Spur zu dem wertvollsten Gemälde der Welt nur ein mickriges Häufchen Erde …

Copyright © 2010 by Raphael Marques