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Der Welt-Detektiv Band 6

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Die Aktentasche

Mike ging wie gewöhnlich zur Arbeit. Er hatte zwar keinen Spaß an seiner Arbeit, aber er musste sie schließlich tun. Denn niemand nahm sie ihm ab. Im Grunde war es allen egal, ob die Arbeit nun gemacht wurde oder nicht. Wenn sie nicht gemacht wurde, musste man sie eben am nächsten Tag erledigen. Und da kannte niemand Gnade. Nicht einmal sein Chef, mit dem er sich eigentlich ganz gut verstand. Da war er gnadenlos. Ließ sich da nicht reinreden. Verfolgte verbissen seine Ziele. Und das war auch gut so. Mike hatte das schon immer an ihm bewundert. Diese Hartnäckigkeit wollte er auch haben. Aber er wusste, dass dies nie etwas werden würde, wenn er sich nicht um eine Beförderung bemühte.

Während er so dahin schlenderte, fing es leicht an zu tröpfeln.

(Hoffentlich gibt es keinen Regen …)

Er klappte seinen Kragen hoch und ging schneller. Da vorne sah er eine Möglichkeit, sich unterzustellen. Es waren Stühle vorhanden. Und Tische. Und Sonnenschirme standen komischerweise aufgespannt. Obwohl es doch regnete.

(Tröpfelte …)

verbesserte er sich. Er ging schneller. Und plötzlich wurde der Regen stärker. Der Wind wehte ihm um die Ohren. Fast schon orkanartig. Er roch den Gestank des Hafens. Einen beißenden Gestank. Nach Fisch und Verrottetem. Aber es schwang auch etwas mit, dass er

(noch …)

nicht recht einordnen konnte. Er hatte die Stühle erreicht. Setzte sich. Fast schon ein bisschen zu hastig.

(Warum eigentlich? Vor was hast du Angst? …)

Sein Atem ging jetzt schnell. Ein kleines bisschen zu schnell, wie er fand. Er ignorierte es. Mittlerweile hatte der Regen aufgehört. Aber am Himmel waren immer noch finstere, dunkle Wolken zu erkennen, die sich jeden Moment entladen könnten. Wie eine Schrotflinte, die jemand zu schnell entlädt. Zu hastig darauf bedacht, seinem Gegenüber den Garaus zu machen. Mike blickte die Straße entlang. Er sah niemanden. Und doch war etwas

(jemand …)

da. Das spürte er. Er konnte nur nicht genau sagen was. Die Anwesenheit war so fest zu spüren, dass er glaubte, es

(ihn …)

packen zu können. Er schaute zu Boden. Fühlte sich, als hätte ihn irgendjemand bei etwas Verbotenem erwischt. Aber das war natürlich Quatsch. Er suchte ja nur Schutz vor dem Unwetter. Versuchte die Aktentasche mit den Unterlagen nicht all zu nass werden zu lassen. Sie stand jetzt zwischen seinen Beinen. Er hatte sie dazwischen geklemmt. Obwohl hier niemand war, der sie hätte stehlen können. Und noch weniger etwas damit anfangen hätte können. Aber es war alte Gewohnheit.

(Oder? …)

 

Seit sie ihm mal die Aktentasche am Bahnhof geklaut hatten, war er jetzt vorsichtiger geworden. Er wollte sich den gleichen Fehler nicht noch einmal erlauben.

(Oder wollte das System es nicht? Will es uns ruhig halten, stets darauf bedacht, dass wir keinen weiteren Fehler mehr machen? Weil Fehler schlecht sind? Weil Fehler nicht vorkommen dürfen? …)

Er schaute jetzt nach unten. Runter auf seine Füße. Dort flossen kleine

(mittlere …)

Rinnsaale entlang. Seine Schuhe fühlten sich schon leicht feucht an. Obwohl er sie doch erst heute Morgen eingesprüht hatte. Scheiß Zeug. Und dafür hatte er sein letztes Geld ausgegeben. Jetzt musste er wieder bis zum Anfang des Monats warten, bis er wieder Geld bekam. Er war so schlecht im Umgang mit Geld. Hatte es irgendwie nie richtig gelernt. Oder wollte es nicht. Wusste er nicht mehr. Wie so vieles aus seiner Kindheit hatte er auch das einfach ausgeblendet

(Vergessen! …).

Er schaute auf. Sah die Bäume sich im Regen verbiegen. Sie standen zu beiden Seiten der Allee. Es waren viele.

(Sie werden brechen. Brechen und mich unter sich begraben. Wie Grabsteine werden sie hochragen. Und auf ihnen wird stehen: Starb, weil er Schutz suchte. Welch Ironie …)

Und für den Bruchteil einer Sekunde hatte er tatsächlich das Gefühl, ja konnte schon fast sehen, wie die Bäume immer schwerer wurden. Einknickten. Begraben. Tot. Sein Blick schweifte umher. Er sah eine Bäckerei, die allerdings geschlossen war. Der Besitzer hatte Bankrott gemacht. Das hatte Mike aber nur halb mitbekommen. Er war zu sehr mit der Trennung seiner Frau beschäftigt gewesen. Das hatte ihm wirklich übel mitgespielt. Mein Gott, war er fertig gewesen. Hatte sogar eine kurze Zeit über Selbstmord nachgedacht. Aber dafür war ihm die Zeit zu kostbar vorgekommen. Und irgendwie hatte er auch gespürt, dass er noch gebraucht werden würde. Der Zettel an der Wand flatterte im Wind. Stark. Ein bisschen Schnee war an dem Zettel hängen geblieben. Mike sah einzelne Schneeflocken durch die Luft fliegen.

(Wie kann das sein? Wo doch heute schönes Wetter angekündigt wurde. Und unser Wetterdienst ist doch perfekt. Aber jeder kann sich mal irren … Oder? …)

 

Er schlug den Kragen seiner Jacke hoch. Jetzt war ihm kalt. Seine Füße waren inzwischen unter einer kleinen, feinen Schneeschicht begraben. Das hatte er gar nicht mitbekommen. Er starrte fasziniert darauf. Wie eine kleine Kolonie Ameisen flüchteten die Schneekörner. Sie schienen tatsächlich zu flüchten. Obwohl das logischerweise am Wind lag.

(Wirklich, Mike? …)

Seine Aktentasche und seine Knie waren dagegen unversehrt. Kein einziges Körnchen lag weder auf seinen Beinen noch auf seiner Aktentasche. Plötzlich ging seine Aktentasche auf. Die darin enthaltenen Blätter stoben nach allen Seiten hin weg. Er versuchte sie mit einer Hand zu greifen, während er der mit der anderen Hand seine Aktentasche festhielt. Aber er bekam sie nicht zu fassen. Sie verstreuten sich in alle Himmelsrichtungen. Er blickte ihnen ungläubig, ja fast schon ein klein wenig belustigt nach. Mike fluchte leise. Stand auf. Trat unter dem Schutz bietenden Schirm hervor. Als er das tat, war ihm, als wäre er gerade aus einer Hütte getreten. Während draußen das schlimmste Unwetter aller Zeiten niederging.

(Und drinnen prasselt ein kleines Feuer in einem Ofen …).

Der Wind

(Sturm …)

zerrte so heftig an ihm, dass er einen Schritt zurück machte. Er meinte ein leises Lachen zu hören. Ein Kichern. Aber das war wahrscheinlich nur der Wind gewesen. Er sah, dass sich eines der Blätter an einer Häuserecke verfangen hatte. Wenigstens eines. Er trat wieder unter dem Schirm hervor. Ignorierte jetzt den Wind.

(Oder machst du dich auf etwas gefasst? Etwas Schlimmes vielleicht? Hahaha …)

Ging zielstrebig auf das Blatt zu. Der Wind umfing ihn. Zerrte heftig an ihm. So als wolle er ihn dran hindern, dass er seine Aktentasche wieder befüllt. Mike sah jetzt aus, als wäre er gerade erst aufgestanden und hätte sich mitsamt seiner Kleidung unter die Dusche begeben. Seine Haare standen ihm wild weg. Seine Kleidung triefte vor Regen, Schnee. Und nass war sie.

(Und so schwer, hihihi …)

Ihm kam es vor, als ginge er barfuß durch ein Meer von Sand. Sand, der dick und sehr körnig war.

(Grobkörnig …?)

Er ging bestimmt eine halbe Ewigkeit. Jedenfalls kam es ihm so vor. Je näher er kam, desto mehr hatte er den Eindruck, dass der Mauervorsprung mitsamt dem Blatt vor ihm zurückwich. So als wolle es gar nicht wieder eingesammelt werden. So als hätte es Angst. Und er kam irgendwie keinen Meter vorwärts. Schließlich erreichte er es doch. Hob es hoch. Bekam es fast nicht hoch.

(Mein Gott, ist es schwer. So schwer kann Papier doch gar nicht werden. Wiegt ja mindestens eine Tonne, verdammt noch mal …)

 

Er musste sich mit einer Hand am Mauervorsprung festhalten. Seine Finger gruben sich in den schon alten, bröckligen Mörtel. Rissen. Doch er spürte es nicht. Er hatte das Blatt jetzt in seiner Hand. Hielt es fest. So fest, dass seine Knöchel weiß wurden. Drückte es zusammen. Aber es ließ sich nicht knüllen wie gewöhnliches Papier. Eher wie ein Schwamm, den man statt in Wasser, in Zement getaucht hatte und der jetzt langsam hart wurde. Er stand jetzt an den Mauervorsprung gelehnt. Drehte sich davon weg, sodass er jetzt den Tisch mit dem aufgespannten Sonnenschirm sah. Oder vielmehr glaubte er, dass er in diese Richtung blickte. Denn es schneite so dicht,

(Schneesturm …)

dass er nicht mal mehr 3 Meter weit blicken konnte. Plötzlich hörte er wieder das Kichern. Er wirbelte nach links und versuchte irgendetwas zu erkennen. Doch das konnte er nicht. Mike glaubte, einen Schatten zu sehen,

(Unmöglich, die Sonne scheint doch gar nicht …)

der sich von der lang gestreckten Hauswand zu lösen begann. Der Schatten kam näher. Und auch das

(hysterische …)

Kichern. Es wurde ohrenbetäubend laut. Stieg immer höher und wurde auch schneller.

(Mein Gott, was ist das? …)

 

Mike konnte jetzt erkennen, dass der Schatten einen Hut trug. Einen breiten, fast schon texanischen Hut. Plötzlich fühlte er einen Schmerz in seiner Brust. Er schaute auf seine Brust und sah etwas sich unter seinem Hemd bewegen. Ein glühend heißer Schmerz durchfuhr ihn. Trotz der Kälte, die er jetzt wieder spüren konnte wie abermillionen von kleinen Nadeln, die sich immer tiefer in seine Haut gruben und dort unaufhörlich bohrten und fraßen, riss sich mit schier großer Anstrengung sein Hemd vom Leib. Was er dann sah, ließ ihn vor Angst und Schmerzen schreien und sein Gesicht aschfahl erscheinen. Ein schlauchförmiges Etwas hatte sich auf seiner Brust niedergelassen und fraß sich mit ungeheurer Lust in seinen Brustkorb.

Er zog es unter Schreien und Winseln raus. Es riss in der Mitte, sodass der Kopf von diesem Wesen noch stecken blieb. Und der Kopf fraß sich weiter. Mike bekam ihn nicht zu fassen. Vor Schmerzen schlug er sich auf seine Brust. In seine Brust. Wie ein wild gewordener Gorilla.

Plötzlich explodierte die Tür der alten Bäckerei, vor der Mike stand und um sein Leben kämpfte. Explodierte war vielleicht nicht das richtige Wort. Sie löste sich auf. Wurde flüssig und zersprang dann mit einem ohrenbetäubenden Knall, sodass Mike das Gefühl hatte, er würde direkt in einer verdammten Explosion stehen und sein Trommelfell würde sofort darauf verfaulen. Und plötzlich kamen aus der alten Bäckerei weitere von diesen Wesen. Sie kamen schlurfend über den Boden gekrochen. Sie bewegten sich langsam und fast schwer fällig doch

(eigentlich …)

viel zu schnell für Mikes Geschmack. Er beobachtete faszinierend, dass ihnen der Schneesturm nichts auszumachen schien, bevor sie über ihn herfielen. Zwei von diesen Wesen vergruben sich in seinen Fuß. Er versuchte sie noch wegzukicken, schaffte es aber nicht, da er schon zu geschwächt war. Es waren insgesamt sieben, die sich jetzt langsam seinen Körper hocharbeiteten. Zwei blieben auf seinen Knien sitzen und bohrten ihre mit kleinen rasiermesserscharfen Zähnen besetzen Rüssel in seine Knie

(Oh welch süßer Schmerz …)

während die anderen fünf sich weiter seine Beine hocharbeiteten. Eines blieb genau auf seinen Hoden sitzen. Und als es seinen Rüssel vergruben hatte, hatte Mike das Gefühl, keine Hoden mehr zu haben. Er löste sich sprichwörtlich in Luft auf. Selbst sein Penis wurde aufgefressen. Mittlerweile schrie Mike nicht mehr, sondern schaute nur noch apathisch zu, wie die Wesen ihn langsam umbrachten. Seine sonst so gut funktionierende rationale Denkweise hatte komplett ausgesetzt. Er konnte sich ohnehin nicht bewegen. Die restlichen drei

(blutekelartig? …)

Wesen krochen weiter. Plötzlich wurde es schwarz um ihn, denn sie hatten sich mitten auf sein Gesicht gesetzt. Eines kroch ihm in den Mund. Jetzt konnte er plötzlich wieder schreien, aber es klang, als hätte er einfach zu viel im Mund

(als wäre dein Mund voll Mike, hihihi …)

und es entrang sich seiner Kehle nur ein Stöhnen. Die letzten beiden Wesen machten sich über seine Augen her. Der Schmerz war unbeschreiblich, als sie beide anfingen, seine Augäpfel aufzufressen.

(Hi Mike. Ich bin es, Bonzo der Clown. Erzähl ruhig deinen Freunden von mir. Hihihi …)

Das Kichern war jetzt wohl direkt vor ihm. Und es steigerte sich wieder. Hatte Mike es bisher nicht richtig

(Unterdrückt hast du es. Gib es doch zu! …)

wahrgenommen, so registrierte er es jetzt in seiner vollen Lautstärke. Es schwoll zu einem Grollen an, wie er es von Metal-Konzerten her kannte. Er war gerne auf Metal-Konzerte gegangen.

 

Audra und John gehen an einem schönen, sonnigen Dienstagmorgen die Straße entlang. Sie waren gerade einkaufen und haben Brötchen dabei. Eine große Tüte. Sie gehen Hand in Hand. Biegen jetzt in eine Straße mit vielen Bäumen an der Seite ein. Eine Allee. Zu beiden Seiten stehen sie. Ein leichter Windhauch kommt auf und weht ein Blatt Papier um die Füße von Audra. Sie hebt es auf. Auf dem Blatt stehen Zahlen und Diagramme, Diagramme und Zahlen. Sie zeigt es John. Währenddessen gehen sie weiter. Plötzlich blicken sie beide wie von einer unsichtbaren Schnur gezogen nach links und sehen einen umgestürzten Baum. Neugierig gehen sie näher. Als sie ankommen, beginnen beide zu schreien. Unter dem Baum ragt eine Hand hervor. Der Baum trägt noch seine Äste und an einem großen Ast ist ein aufgespießter Kopf zu sehen. An diesem Kopf, dessen Gesicht grausam verstümmelt ist und dessen Mund zu einem wahnsinnigen Lächeln verzogen ist, an diesem Gesicht hängt aufgespießt auf der Stirn ein Zettel auf dem mit Blut geschrieben steht: R.I.P. Starb, weil er Schutz suchte. Bonzo der Clown. Und plötzlich konnte man ein Kichern hören und leichter Schnee umspielte die Beine von Audra und John …

Copyright © 2010 by David Jacobs