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Jimmy Spider – Folge 19

Jimmy Spider und das Auge von Crivos

»Haben Sie Ihrem Bericht noch etwas hinzuzufügen?«

»Nicht, dass ich wüsste. Sie vielleicht?«

Der Mann vor mir zerzauste sich wütend die Haare. »Was glauben Sie eigentlich, was das hier ist? Eine Witzveranstaltung?«

»Wenn Sie das sagen …« Ich blickte demonstrativ auf meine Uhr.

Damien Arias, der stellvertretende Leiter der Personalabteilung der TCA, atmete tief durch. »Wie dem auch sei – entgegen meiner Empfehlungen wird der letzte Fall für Sie ohne Konsequenzen bleiben. Im Gegenteil, mein Vorgesetzter spricht ihnen sogar ein ausdrückliches …« Arias holte noch einmal tief Luft. »… Lob aus.«

»Dafür kann ich mich nur bedanken.«

Mein Gegenüber streckte mir drohend den linken Zeigefinger entgegen. »Treiben Sie es nicht zu weit, Mr. Spider. Sie wissen ganz genau, dass es für alle gefährlich ist, wenn man in den Lauf der Zeit eingreift. Unsere Spitzenkräfte im Bereich der Geschichtswissenschaft überprüfen zurzeit, ob sich durch ihr Handeln etwas in der Historie verändert hat, das zuvor nicht bekannt war. Und wenn sie etwas finden, dann bin ich der Erste, der Sie über Ihre Entlassung informiert.«

»Sie sind wirklich zu gütig, Mr. Arias.« Ich stand auf und deutete eine Verbeugung an.

Der braunhaarige Mann tippte an seine Brille. »Ich behalte Sie im Auge.«

Arias ordnete irgendwelche losen Blätter auf seinem Schreibtisch. »Außerdem werden Sie vor Ablauf einer zweimonatigen Frist keine neue Machita erhalten.«

Machita war der Name der Erbse, der mir beim Kampf gegen die gnadenlosen Sieben quasi das Leben gerettet hatte, dafür hatte ich die letzten zwei Tage im Krankenhaus verbringen dürfen, als ich zu spüren bekam, was passiert, wenn diese Wunderpflanze ihre Wirkung verliert.

Nachdem ich das wenig erbauliche Gespräch mit Damien Arias (das laut meines Chefs reine Routine nach einem Zeitreisefall und der Benutzung der Machita war), dessen Abneigung gegen mich ich mir nicht erklären konnte, beendet hatte, begab ich mich zurück zu meinem Büro.

Auf meinem Schreibtisch lagen noch einige Akten zu meinen letzten Fällen, die ich zu archivieren hatte.

Bevor ich mich in irgendeiner Weise in meine wenig actionreiche Arbeit vertiefen konnte, öffnete sich hinter mir die Tür zum Büro meines Chefs.

Emerson, der Butler, trat mit einem Tablett in der Hand heraus. »Man möchte Sie sprechen, Sir.«

»Ich komme.« Ich ahnte schon, dass es mit der ruhigen Zeit vorbei war. Kaum war ich wieder halbwegs auf den Beinen, würde man mich wieder zu irgendeinem paranormalen Allerweltsjob in die Pampa schicken.

Als ich durch die Tür trat, hielt mir Emerson sein mit kleinen Brotschnittchen belegtes Tablett hin. »Häppchen, Sir?«

Ich lächelte kurz und nahm mir ein Stück.

Kauend trat ich vor den ausladenden Schreibtisch meines Chefs. Der hielt mir eine dünne Akte entgegen. »Ein neuer Auftrag für Sie. Es geht nach Griechenland. Genauer gesagt auf die Insel Crivos.«

»Nie gehört.«

»Wäre auch sehr merkwürdig. Die Insel ist eine Basis des griechischen Geheimdienstes und wird deshalb in keinem Lexikon erwähnt und ist auf keiner Karte zu sehen.«

»Die haben bestimmt Probleme mit dem Tourismus.«

Mein Chef verdrehte die Augen. »Wie auch immer – vor Ort erwartet Sie bereits Simon McLaughington. Er wird Sie mit allem versorgen, was Sie brauchen.«

»Sie meinen wohl Steven McLaughington.« Die Erinnerung an diesen Kollegen ließen mein Herz nicht gerade erblühen.

»Nein, ich meine Simon. Er ist Stevens Zwillingsbruder.«

Ich nahm meinem Chef die Akte ab. »Schockierend.«

Mein Vorgesetzter schaute mich entgeistert an.

Als ich mich verabschiedete und aus dem Büro trat, drehte ich mich noch mal zu meinem Chef um. »Ach, und richten Sie der Mutter der beiden bitte mein tief empfundenes Beileid aus.«

Danach machte ich mich auf den Weg nach Griechenland …

***

Crivos lag genau dort, wo man die Insel eines Geheimdienstes vermutete: irgendwo im Nirgendwo.

Weit und breit um das relativ kleine Eiland herum war kein Flecken Land zu sehen. Ansonsten schien der Ort auch merkwürdig ausgestorben. Auf der Basis des Geheimdienstes befand sich zurzeit niemand, da wir erst die Lage sondieren sollten. Nur der Hubschrauber, mit dem wir gekommen waren und in dem ein Pilot auf uns wartete, füllte diesen Platz mit etwas Leben.

Simon McLaughington war so ziemlich das absolute Gegenteil von seinem Zwillingsbruder – schwarzhaarig, übergewichtig, aber immerhin mit einem Sinn für geschmackvolle Kleidung. Die Größe seines schwarzen Anzugs hatte er haargenau seinem Körperumfang angepasst.

Irgendwie wollte ich die familiäre Verbindung nicht ganz glauben und fragte nach. »Und Sie sind wirklich der Zwilling von Steven McLaughington?«

Er tippte an seine Sonnenbrille, die er auf seine Haare hochgezogen hatte. »Wir sind zweieiige Zwillinge, nur damit Sie beruhigt sind.«

Ich nickte ihm vielsagend zu. Dieser Mann war mir irgendwie suspekt. Warum wusste ich auch nicht so genau. Vielleicht, weil ich schwer nachvollziehen konnte, wie zwei Zwillingsbrüder so unterschiedlich sein konnten.

Jedenfalls befanden wir uns zurzeit in einer Höhle, um die sich der gesamte Fall drehte.

Ein liebestolles Geheimdienstpärchen hatte auf der Suche nach einem abgeschiedenen Platz zum Balztanzaufführen (sich am Strand den körperlichen Gelüsten hinzugeben war wohl bei Agenten nicht mehr in) diese Höhle entdeckt. Dabei war ihnen eine Steinformation aufgefallen, die wie ein einzelnes Augenlid ausgesehen hatte. Als die beiden übermütig an dem Gebilde getippt hatten, hatte sich ein Auge geöffnet. Ein riesiges Auge.

Kurzerhand hatten die beiden lieber die Flucht eingeschlagen, als von einem lüsternen Auge beobachtet zu werden. So war schließlich die TCA ins Spiel gekommen.

Nun suchten wir in eben jener Höhle nach dem Auge. Es sollte sich irgendwo tief in der Höhle befinden.

Die Spezialtaschenlampen der TCA stachen mit ihren breiten Strahlen tief in die Dunkelheit.

Einige aufgeschreckte Fledermäuse huschten durch die Lichtkegel.

»Kaum zu glauben – so eine kleine Insel, aber so eine tiefe Höhle.« Mein vorübergehender Partner hatte das Schweigen gebrochen, das in den letzten Minuten zwischen uns geherrscht hatte.

»Irgendwo wird es schon ein Ende geben.« In meinen Worten schwang auch etwas Ungeduld mit. Irgendwie war ich doch gespannt auf das Auge.

Endlich erblickten wir durch unsere Lampen das Ende der Höhle. Ein vorgelagerter Felsen, etwa doppelt so hoch wie ein durchschnittlicher Mensch, markierte den Abschluss, dem nach einigen Metern blanke Steinwände folgten.

Dieser Fels musste es sein, um den sich alles drehte. Noch hatte ich das Lid nicht entdecken können. Praktischer wäre es gewesen, wenn der Fels auch eine Brille getragen hätte.

Als ich näher herantrat und meine Hände über das Gestein gleiten ließ, spürte ich auch eine halbmondförmige Erhebung. Ich trat zurück und leuchtete die Stelle direkt an.

»Wow!«, erklang es hinter mir.

Tatsächlich, in dem Fels war ein Augenlid abgebildet.

Wieder sprach mich Simon McLaughington von hinten an. »Und wie sieht Ihr Plan jetzt aus?«

»Plan A: Wir bringen das Auge dazu, dass es sich öffnet.«

»Und wie wollen Sie das anstellen?«

Ich überlegte. Ausziehen wollte ich mich nicht unbedingt, wie es die Geheimdienstler getan hatten. Vielleicht war Anklopfen eine geeignete Alternative.

»Überlassen Sie das nur mir, Mr. McLaughington.«

»Wie Sie meinen. Sie sind der Boss.«

Schön, dass er so einsichtig war.

Ich trat wieder direkt an das Lid heran. Es war etwa zwei Meter breit. Ich entschied mich dafür, genau gegen die Mitte zu klopfen.

Nichts passierte.

Als Nächstes schlug ich etwas fester gegen den Fels.

Keine Reaktion.

Plötzlich kam mir eine dritte Möglichkeit in den Sinn.

Ich setzte sie sofort in die Tat um und versuchte, das Auge zu kitzeln. »Kitzekitzikitzi.«

Ob mein kindliches Geflüster oder meine Kitzeleinlage dazu geführt hatte, wusste ich nicht, aber in den nächsten Sekunden kam Bewegung in das Lid.

Ich trat zurück und stellte mich neben meinen Kollegen.

Das Lid öffnete sich, verbunden mit einem lauten Knirschen, und gab ein Auge mit sehr großer, blauer Pupille frei.

Mehr passierte nicht.

Mein Kollege hob seine linke Hand und winkte dem Auge zu. »Hallo. Wir, ähm … kommen in Frieden.«

Ich schlug meine rechte Hand vor die Stirn. Offenbar waren die beiden Brüder doch nicht so unterschiedlich, wie ich gedacht hatte.

Das Lid verengte den Blick des Auges. Es sah so aus, als wollte uns der Fels fixieren.

Plötzlich zitterte die Erde. Ein Grummeln erfüllte die Höhle, und vor uns brach der Fels auseinander.

Im nächsten Moment erkannte ich, dass ich mich geirrt hatte. Der Fels brach nicht auseinander, er gab das frei, was sich bisher in ihm befunden hatte – ein riesiger Kopf.

Aus dem Höhlenboden gruben sich noch zwei gewaltige Arme und der Rest eines massigen Körpers hervor. Obwohl die Höhlendecke sehr hoch war, wirkte es, als würde das Wesen vor uns liegen müssen, um hier rein zu passen.

Mein Kollege stieß mich nervös von der Seite an. »Was zum Teufel ist das, Mr. Spider?«

»Ich würde mal tollkühn vermuten, ein Zyklop. Auch wenn ich diese Typen bisher für eine Legende gehalten habe.«

Unter dem Auge des Zyklopen erkannte ich eine Nase und ebenfalls riesige Lippen. Diese verzogen sich zu einem grimmigen Lächeln, bevor sie auseinanderklappten und den Blick auf eine ganze Reihe spitzer Zähne freigab, über die gierig eine Zunge leckte.

Erneut stieß mich Simon McLaughington von der Seite an. »Sagen Sie, wie sieht eigentlich ihr Plan B aus?«

Ich brauchte nicht lange zu überlegen. »Wegrennen, so schnell wir können.«

»Gute Idee.«

Während wir in Richtung Ausgang liefen, zog ich meine Desert Eagle. Vielleicht konnten ja Kugeln etwas gegen den Zyklopen erreichen.

Als ich zurückblickte, sah ich, dass uns der Riese sabbernd hinterher kroch.

Ich feuerte zwei Kugeln ab und hatte dabei auf das Auge gezielt.

Die Geschosse trafen voll, prallten aber an irgendetwas ab, dass die Augen schützte.

Ob sich der Zyklop mit Panzerglas-Kontaktlinsen ausgestattet hatte?

Anstatt ihn aufzuhalten, wurde unser Verfolger noch schneller.

Nebeneinander rannten mein Kollege und ich auf den Ausgang zu, der mittlerweile vor uns erschienen war.

Hinter uns donnerte und rumpelte es, weil der Zyklop bei seiner Jagd keine Rücksicht auf seine Umwelt nahm.

Endlich schafften wir es aus der Höhle heraus, doch unser Verfolger war uns dicht auf den Fersen. Erst als ich nach gut 50 Metern im Freien zurückblickte, lief ich etwas langsamer.

Ich drehte mich herum und sah die Bescherung. Der Zyklop steckte fest. Die Öffnung der Höhle war wohl doch etwas zu eng für ihn (oder er hatte in der Vergangenheit zu viel fettiges Menschenfleisch gegessen).

Ich machte auch Simon McLaughington darauf aufmerksam, wollte ihn aber nicht in Sicherheit wiegen. »Wir laufen trotzdem zum Hubschrauber. Wer weiß, wie lange der da stecken bleibt.«

»Okay.«

Als der Pilot uns in seinem Cockpit auf dem Landeplatz der Geheimdienstbasis erkannte, warf er die Rotoren an. Offenbar hatte er schon ein ungutes Gefühl.

Hastig sprangen wir ins Innere.

Der Pilot drehte seinen Kopf herum und sprach uns verwundert an. »Wo ist das Problem? Habt ihr schon einen Inselkoller?«

Ich wies nervös in die Richtung, aus der wir gekommen waren. »Mörderzyklop auf 3 Uhr.«

»Wie?«

»Fliegen Sie schon, verflucht.«

»Okay, ok … oh mein Gott.«

Jetzt sah auch der Pilot, was ich zuvor schon mit Schrecken festgestellt hatte: Der Zyklop hatte es geschafft, sich aus der Höhle zu befreien und lief auf uns zu.

Ich rüttelte an den Schultern des Piloten. »Nun fliegen Sie schon. Oder wollen Sie unbedingt auf dem Speiseplan des Zyklopen landen.«

Endlich reagierte der verängstigte Mann und ließ den Hubschrauber abheben. Gerade im richtigen Moment, denn der Zyklop wollte schon nach dem Fluggerät greifen wie nach einem gezuckerten Donut.

Seine Pranke verfehlte uns.

Wir gewannen an Höhe. Noch einmal versuchte der Zyklop, nach uns zu greifen, sprang sogar hoch, doch wir waren bereits außer Reichweite.

Der Pilot hatte sich wieder einigermaßen gefangen. »Wo soll’s jetzt hingehen?«

Mein Kollege sah mich erwartungsvoll an. Ich wusste nicht, was er von mir wollte, aber ich gab dem Piloten eine Antwort. »Nur weit weg von hier. Den Zyklopen überlassen wir dem Geheimdienst. Vielleicht hilft ihnen das Monster, den Tourismus in der Gegend anzukurbeln.«

McLaughington atmete tief durch, der Pilot dagegen schüttelte nur den Kopf und nahm Kurs auf das Festland.

Ich dagegen zog eine Zigarre hervor und freute mich, obgleich das Monster noch lebte, als vielleicht erster moderner Mensch einem Zyklopen entkommen zu sein.

Copyright © 2009 by Raphael Marques