Heftroman der

Woche

Download-Tipp

Der Welt-Detektiv Band 6

Neueste Kommentare
Archive
Folgt uns auch auf

Fay Winterberg: Wien, Stadt der Vampire

Der Anfang 2012 gegründete Verlag Art Skript Phantastik nimmt Fahrt auf: Im Juli sind gleich vier Bücher veröffentlicht worden, darunter auch der Debütroman von Fay Winterberg, die mit Wien, Stadt der Vampire den Auftakt zur auf acht Bände ausgelegten New Steampunk Age-Reihe wagt.

Darin entwirft sie eine Zukunfts-Gesellschaft, in der Menschen und übersinnliche Wesen Seite an Seite leben, was jedoch nicht immer problemlos verläuft. Ein Krieg zwischen Menschen und Vampiren hat viele Ressourcen aufgebraucht, weshalb technisch ein Rückschritt stattgefunden hat: Statt Flugzeugen bevölkern nun wieder Luftschiffe den Himmel und Dampflokomotiven sind die ICEs des 23. Jahrhunderts.

In dieser Welt lebt die Halb-Vampirin Lilith Avant-Garde, eine auf magische Artefakte spezialisierte Archäologin. Da ihr Vater in Dresden die Position eines Prinzen innehat – eine Mischung zwischen vampirischem Bürgermeister und Fürst – führt sie die Politik nach Wien, wo gerade der neue Prinz Phineas einen Ball gibt.

Wien ist schon seit Langem eine vampirische Hochburg, doch der letzte Prinz hat sie im Chaos versinken lassen: Von bestechlichen Vampir-Chauffeurinnen bis hin zu illegalen Werwolf-Fights liegt hier so einiges im Argen.


Winterberg ist es gelungen, eine Welt zu kreieren, die trotz der Dünne des Buches sehr ausgearbeitet daherkommt und damit auch den größten Pluspunkt ausmacht. Die Mischung aus früher Moderne und technisierter Zukunft wirkt erfrischend, erhält dabei auch plausible Erklärungen und eingehende Beschreibungen. Mitunter allerdings schon ein wenig zu eingehend – besonders die Kapitel, die aus Liliths Sicht geschrieben sind, beinhalten so detailreiche Kleidungsbeschreibungen, dass man sich mitunter in einer Steampunk-Modezeitschrift wähnt. Offenbar hat die Autorin hierfür ein Faible, was es dem Leser aber auch ermöglicht, sich gut in die Situationen und die Atmosphäre hineinzudenken.

Handlungstechnisch ist Wien ein recht klassischer Auftaktband. Zunächst wird die Welt eingeführt, wodurch Winterberg ein sehr intensiver Anfang gelingt, der den Leser sofort ins Geschehen eintauchen lässt. Auch die Figureneinführung bekommt recht viel Platz eingeräumt, jedenfalls, was Lilith und ihre Vertrauten angeht. Während Phineas noch recht blass bleibt, können vor allem Lilith und der Nebencharakter Balthasar überzeugen.

Die Storyline bleibt entsprechend lange auf Einführungen beschränkt und erst langsam kristallisieren sich zwei Handlungsstränge heraus, die zwar vorläufig abgeschlossen werden, aber sicher noch in den Folgebänden eine Vertiefung erfahren. Lücken, die auch in der Weltenkonzeption noch bestehen, lassen sich daher verschmerzen und als Vorarbeit für Folgebände verstehen. Auch werden immer mal wieder historische Begebenheiten eingestreut oder Figuren erwähnt, die wie kleine Hinweise auf das Kommende wirken.

In Zukunft dürften die Spannungssequenzen ruhig etwas ausgebreitet werden. Einige Ereignisse kommen zu plötzlich oder werden auf drei Seiten abgehakt, was der zuvor aufgebauten dichten Atmosphäre zuweilen schadet.

Sprachlich herrscht ein lockerer Stil vor, der das Buch sehr kurzweilig macht und vor allem in den Dialogen zu überzeugen weiß. Einige Flüchtigkeits- und Zeitfehler haben sich noch eingeschlichen, stören den Lesefluss aber nicht nachhaltig.

Gestalterisch sticht dieses Buch auf jeden Fall heraus. Selbst innen ist es aufwendig gestaltet, ähnlich den Romanen von Feder und Schwert, glücklicherweise allerdings, ohne dabei in deren gelegentlich auftauchende Unleserlichkeit zu verfallen. Bislang hält der Einband alles gut aus, die Verbindung aus Schnörkelschrift und Zahnrädern stimmt auch passend auf den Inhalt ein. Die Coverillustration stammt von der Autorin persönlich und zeigt Lilith. Der mangaartige Stil mag nicht für jeden was sein, gewissermaßen unterstreicht er aber die Verbindung von Vergangenheit und (Post-)Moderne.

Fazit:
Inhaltlich bietet dieser Band noch Aufbaupotenzial, doch dank der sympathischen Hauptfigur, der gelungenen Weltkonzeption und dem lockeren Sprachstil der Autorin macht es Spaß, den Roman zu lesen. Ich bin gespannt auf die Fortsetzung(en)!


 

Freundlicherweise haben die Autorin und der Verlag für den Geisterspiegel eine exklusive Leseprobe bereitgestellt (Kapitel Acht).

Die Bar war voll, randvoll! Jeder Stuhl, jeder Tisch war besetzt, viele standen herum.

Auch wenn Lilith es nur ungern zugab, sie wusste, dass James der weltbeste Barkeeper war. Er mixte Drinks wie kein anderer, darum war die Bar wohl jede Nacht so gut besucht. In Wien gab es einen Haufen Vampire, viele Menschen und ab und an mal ein paar Werwölfe und andere Wesen. In der Bar war alles vertreten und die Stimmung war im höchsten Maße sexuell aufgeladen wie in einem wirklich guten Pornofilm. Das Bloody Seducion war eines der wenigen Lokale, in denen Beißen erlaubt war. Per Gesetz war Beißen auf freiwilliger Basis erlaubt, was bedeutete: Wenn ein Mensch es erlaubte, durfte sich ein Vampir von ihm nähren. Leider funktionierte das nur in der Theorie, da jeder Vampir einen Menschen ganz einfach manipulieren konnte. Nun war das Beißen in der Öffentlichkeit untersagt und auf spezielle Lokalitäten beschränkt worden. Die meisten nannten es das Nichtbeißergesetz, eine Parodie auf das Nichtrauchergesetz, denn die Regeln waren die gleichen. Zumindest hatte es bewirkt, dass die Übergriffe auf menschliche Opfer weniger wurden.

Lilith kämpfte sich zur Theke durch und fand Josie dahinter. »Hey, kann ich dir helfen?«, fragte sie.

Josie sah erleichtert aus. »Oh ja, das wär super! Unsere Kellnerin ist ausgefallen. Kannst du noch Bestellungen aufnehmen?«

»Klar.«

Sie verschwand unter der Theke und legte eine weiße Schürze, eine Geldbörse und einen kleinen Computer für die Rechnungen auf die Platte vor Lilith. »Zieh dir das über und fang bei Tisch drei an. Danke, Lili!«

Lilith band sich die Schürze um die Hüften. Sie hatte zwei große Taschen, in die Geldbörse und Rechenmaschine hineinpassten. Wie man mit diesem kleinen Computer umging, hatte sie aus ihrer eigenen Kellnerinnenzeit noch gut in Erinnerung, und so schaffte sie es mühelos, die Bestellung an Tisch drei aufzunehmen, die automatisch an den Hauptrechner bei James hinter der Theke geschickt wurde. Lilith konnte das Bestellte wenige Minuten später abholen.

Josie und Lilith nahmen Bestellungen auf, während James hinter der Bar einen Drink nach dem anderen zauberte. Es ging viel schneller als bei einem Menschen, denn James nutzte seine vampirischen Fähigkeiten bis zur Neige aus. Das war schon damals in London seine stärkste Waffe gewesen. Im Circle, der größten Vampir-Werwolf-Mix-Bar ganz Englands, hatte er als Barkeeper gearbeitet und Josie als Kellnerin. Lilith war Stammgast und Ferien-Kellnerin gewesen, da ihr damaliger Lover in dem Laden mit seiner Band aufgetreten war. Ihr Kontakt hatte sich etwas verloren, nachdem sie ihr Studium beendet hatte. Seit Josie und James allerdings in Wien lebten, besuchte sie ihre Freunde bei jeder sich bietenden Gelegenheit. Dass die Beziehung der beiden so lange gehalten hatte, freute Lilith sehr, denn Beziehungen zwischen Menschen und Vampiren waren meist zum Scheitern verurteilt. Zum einen war da das Fernsehen mit seinen unglaublich dämlichen Vampir-Daily-Soaps, in denen die Blutsauger stets als charakterlose Sexgötter dargestellt wurden, die jede Frau und jeden Mann haben konnten. Diese Vampire waren meist durchtrainierte Bodybuilder, die nebenher noch als Stripper auftraten und jede Nacht jemand anderen abschleppen, bis ihnen plötzlich die Frau begegnet, die ihr Unleben auf den Kopf stellt, in die sie sich Hals über Kopf verlieben und mit der sie dann jede Nacht unglaublich guten Sex haben und für die sie schließlich zu spießigen Kleinbürgern wurden.

Die Realität sah natürlich anders aus, denn die meisten Vampire fanden Sex mit Menschen geradezu langweilig. Im Allgemeinen werden Menschen zu schnell heiß und kommen dadurch auch zu schnell, was den Spaß für den Vampir natürlich trübt und langfristig dazu führt, dass er unzufrieden ist, wie jeder, der schlechten Sex hat.

Als Josie Lilith damals erzählte, dass sie mit James eine Nacht verbracht hatte und sich nun mehr erhoffte, wollte sie ihre beste Freundin auf den Boden der Tatsachen holen, doch Josie hatte ein sehr süffisantes Lächeln aufgesetzt und etwas gesagt wie Warts nur ab.

Kaum mehr als eine Woche später waren die beiden offiziell ein Paar, zwei Jahre darauf bekam Josie ihren wunderschönen Sohn.

Lilith hatte sich schon öfter gefragt, ob Frauen, die in der Lage waren, Halb-Vampire zu gebären, wohl eine besondere Ausstrahlung auf Vampire hatten und ihre Beziehungen und ihr Sexleben deshalb so gut harmonierte.

 

Gegen vier Uhr am nächsten Morgen war die Bar leer, und James warf die letzte Alkoholleiche raus. Der Mann lallte etwas vom Parlament vor sich hin und wankte davon. Hinter ihm schloss James die Tür und lehnte sich dagegen. Die Erschöpfung war ihm anzusehen. Er kämmte sich die Haare aus den Augen und schaute seine beiden Mitarbeiterinnen an. Josie saß auf einem Tisch an der Theke und massierte sich das Genick. Lilith saß auf einem Stuhl, beide Beine von sich gestreckt, die Stilettos lagen auf dem Boden. Nun, da alle Gäste gegangen waren, konnte sie sich die Inneneinrichtung der Bar genauer anschauen. Dass James in seinem Dasein als Vampir schon einige handwerkliche Berufe ausgeübt hatte, war nicht zu übersehen. Ob Tische oder Stühle, Lampen, Decken und Wandvertäfelungen, die aus einer Mischung aus Holz und aufwendigen Schweißerarbeiten bestanden, und schließlich die Fenster, ein buntes Durcheinander verschiedenster Rottöne – die ganze Bar und alles, was in ihr stand, hatte er selbst gebaut, weshalb auch jedes Stück ein Unikat war.

James blickte von der einen zur anderen und ging dann langsam zu Josie, umschlang ihre Hüften und küsste sie. Lilith lächelte und stand auf, nahm ihr Stilettos und ging zur Tür, hinter der die Treppe nach oben führte. »Gute Nacht, ihr beiden«, verabschiedete sie sich gähnend.

»Gute Nacht, Lilith. Schlaf gut«, sagte Josie.

James nahm sie auf die Arme und trug sie hinter Lilith die Treppe hoch. Sie machte den beiden die Tür auf und zog sie hinter ihnen wieder zu. Dann ging sie in ihr Zimmer, schlüpfte aus ihren Sachen bis auf den Slip und fiel gleich ins Bett. Ihr Haar war noch immer zu zwei Schnecken gedreht, sie zog die Klammern heraus und ließ sie auf den Boden fallen. Doch der Schlaf übermannte sie schon, bevor sie alle Spangen erwischt hatte.


Weitere Informationen inklusive des ersten Kapitels sind zu finden auf:

Verwendung der Illustrationen mit freundlicher Genehmigung von Autorin & Verlag. © Fay Winterberg (Illustration 1 zeigt Lilith, Illustration 2 zeigt Josie und James).

Copyright © 2012 by Alessandra Ress


Verwandte Artikel: