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Der Welt-Detektiv Band 6

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Taltoes Mittel

Eine Krimi/Thriller-Kurzgeschichte von Hanno Berg

I

»Ich möchte dich am nächsten Sonntag meinen Eltern als meinen Bräutigam vorstellen, Schatz«, sagte Florence.

»Um Gottes willen!«, entfuhr es Sammy. »Ich habe gerade mein Studium in Kiel abgebrochen und jobbe für einen Fünfziger am Abend als DJ im Kontika-Club in Hamburg. Du aber bist eine Tochter aus gutem Hause. Dein Vater ist Direktor einer Bank und verdient an die vierhunderttausend Euro im Jahr. Er wird mich achtkantig hinauswerfen und von dir verlangen, mich nie wieder zu treffen.«

»Papa ist gar nicht so intolerant, wie du vielleicht denkst,« verteidigte Florence ihren Vater. »Und selbst dann, wenn er mit dir als Schwiegersohn wirklich nicht so glücklich ist, so ist immer noch Mama da. Sie wird ihm schon beibringen, dass ich dich liebe, und dass du deshalb der Richtige für mich bist.«

»Ich glaube das erst, wenn es soweit ist. Deine Eltern werden wohl eher beide nichts von mir halten und nicht einmal erlauben, dass ich ihr Haus betrete. Aber bitte, tu, was du nicht lassen kannst, und erzähl ihnen von mir. Du wirst schon sehen, was dann geschieht.«

»Ach, Sammy,« besänftigte das Mädchen seinen aufgebrachten Freund, »so furchtbar bist du doch gar nicht! Und deine Karriere muss doch durch den Abbruch des Studiums noch nicht beendet sein. Es findet sich bestimmt etwas anderes für dich, womit du auch ganz gut verdienen kannst. Du darfst nur nicht aufgeben!«

Mit diesen Worten gab sie Sammy einen Kuss, und die beiden vermieden es den Rest des Abends, weiter über dieses Thema zu reden. …

 

II

 

»Ich habe dir doch gesagt, dass dein Vater nicht einmal erlauben wird, dass ich sein Haus betrete«, sagte Sammy verzweifelt. »Ich bin einfach in seinen Augen nicht gut genug für dich.«

»Ich hätte nie gedacht, dass er wirklich so böse werden kann«, schluchzte Florence und wischte sich mit einem Papiertaschentuch die Tränen von den Wangen. »Als er hörte, was du machst und dass ich dich heiraten will, hat er nur noch herumgebrüllt und verboten, dass ich dich mit in sein Haus bringe. Ich soll mir diese Flausen aus dem Kopf schlagen und mir einen seriösen Freund suchen, hat er geschrien. Selbst Mama, die sonst sehr dafür ist, dass man den heiratet, den man liebt, hat mir nicht geholfen.«

»Ich werde schon einen Weg finden, wie wir zusammenbleiben können, und wenn wir zusammen durchbrennen müssen«, sagte Sammy. »Jetzt aber beruhige dich erst einmal!«

Er küsste Florence auf die Stirn und wischte weitere Tränen seiner Freundin mit der Hand aus ihren Augen. Dann machten sie noch einen kurzen Spaziergang um den See herum, bis Florence sich endlich beruhigt hatte. Schließlich verabschiedeten sie sich zärtlich voneinander, und jeder ging nach Hause. …

 

III

 

Er sollte zum alten Taltow am Ende der Römergasse gehen, hatte sein alter Freund Tim gesagt. Dieser wisse immer einen Weg, wie man seine Probleme beseitigen könne.

Heute war Sammy deshalb auf dem Weg zur Römergasse, die in der Nähe des Hafenviertels gelegen war. Bald hatte er das letzte Haus der Gasse erreicht. Im Vorgarten wucherte das Gestrüpp. Hinter den dunklen, fast blinden Fenstern konnte Sammy ebenfalls wuchernde Pflanzen sehen. An der Fassade des Hauses bröckelte teilweise der Putz ab, der Schornstein war schief, und man konnte erwarten, dass er bald herunterbrechen würde. Der alte Holzzaun hatte bereits einige Latten eingebüßt, und sein Tor war offen und konnte wohl auch nie wieder geschlossen werden.

Sammy trat an die hölzerne Haustür und klopfte. Zuerst tat sich nichts. Beim dritten Klopfen aber öffnete der alte Taltow die Tür. Er war ein steinalter, buckliger Geselle mit fiebergelbem Gesicht, buschigen, grauen Augenbrauen, hellen, böse schauenden Augen und einer großen Nase.

»Was willst du, Junge?«, fragte er Sammy.

»Mein Freund Tim Harst hat mir gesagt, dass Sie immer einen Rat wissen, wenn man ein Problem hat«, erwiderte dieser.

»Und was hast du für ein Problem?«, fragte der Alte.

»Der Vater meiner Braut Florence, ein reicher Bankier, lehnt mich als Schwiegersohn ab und hat ihr verboten, mich wiederzusehen,« gab Sammy zur Antwort. »Ich aber liebe Florence über alles in der Welt und möchte sie trotzdem heiraten.«

»Komm herein, Junge!«, sagte Taltow geheimnisvoll und führte seinen Gast durch einen dunklen, von Spinnweben behangenen Flur in sein Arbeitszimmer, wo rundherum Eichenregale an den Wänden standen, die mit alten, in schwarzes Leder gebundenen Büchern gefüllt waren.

»Setz dich!«, sagte der Alte und deutete auf einen verblichenen Korbstuhl, der vor seinem Schreibtisch stand.

Als Sammy Platz genommen hatte, verließ er den Raum, in welchen nur ein fahles Licht fiel, da das Fenster außen teilweise mit Efeu bedeckt war. Fünf Minuten später kehrte er mit einem Holzkistchen in der Hand zurück.

»Das hier ist eine Kiste mit Zigarren«, sagte er zu Sammy. »Der Vater deiner Braut raucht doch Zigarren, oder?«

»Ja!«, entgegnete Sammy verdutzt. »Woher wissen Sie …?«

»Tut nichts zur Sache!«, antwortete der Alte. »Ich weiß es eben. Wenn er nun diese Zigarren raucht, so wird eine davon für die Lösung deines Problems sorgen. Sie ist mit einem Mittel getränkt, das, wenn man es über die Schleimhäute von Mund und Nase aufnimmt …, na, du weißt schon! Das Gute an der Geschichte ist, dass die Polizei niemals herausfinden wird, wie das Mittel zu ihm gekommen ist, denn wenn die entsprechende Zigarre geraucht ist, wird es vollständig verschwunden sein. So wird dich niemand suchen und für die Tat verantwortlich machen, wenn du ihm das Kistchen zum Beispiel im Namen eines Geschäftsfreundes zuschickst.«

»Wie heißt das Mittel?«, fragte Sammy und nahm das Kistchen an sich.

»Soltazid«, erwiderte Taltow.

»Und was wollen Sie für das Mittel haben?«

»Gar nichts!«, entgegnete der Alte und lächelte kalt, sodass Sammy ein Schauer über den Rücken lief. »Ich helfe gern!«

Eilig verabschiedete sich der junge Mann von seinem Gegenüber und verließ mit der Zigarrenkiste in der Hand Hals über Kopf sein Haus.

Er hatte nun ein Mittel, um Florence doch noch zur Frau zu bekommen, ohne dass ihr Vater weiter Schwierigkeiten machen würde. …

 

IV

 

»Es war der Postbote«, sagte die Mutter von Florence, nachdem sie an der Tür gewesen war, zu ihrem Gatten. »Er hat ein Päckchen für dich gebracht.«

Ihr Mann öffnete das Päckchen und sagte entzückt: »Oh, ein Kistchen guter Zigarren von Grohner & Co., einer Firma, mit der wir gute Geschäfte machen. Dort weiß man offensichtlich, was ich mag. Ich werde mich nächsten Samstag beim Golf bei ihrem Geschäftsführer bedanken.«

Mit diesen Worten stellte er die Kiste auf eine Kommode, nahm er eine Zigarre heraus, ging in sein Zimmer und zündete sie an. Er hatte nämlich seiner Familie versprochen, nur an diesem Ort zu rauchen.

Als er mit dem Rauchen fertig war, verließ er das Haus, um zu seiner Bank zu fahren.

Mittags kam er dann zum Essen nach Hause. Nach dem Essen rauchte er in seinem Zimmer eine weitere Zigarre. Wieder geschah nichts, und er fuhr danach zu seiner Bank zurück.

Nach dem Abendessen rauchte er – natürlich ebenfalls in seinem Zimmer – wieder eine von den Zigarren, die ihm geschickt worden waren. Kaum aber hatte er sie diesmal dort zu Ende geraucht und das Fenster zum Lüften geöffnet, da stand seine Tochter Florence kreidebleich vom Tisch im Nebenzimmer auf, taumelte, fiel zu Boden und starb.

Sammy erfuhr aus der Zeitung, dass Florence an einer Soltazid-Vergiftung gestorben war und die Polizei nicht wusste, wie sie an das Gift gelangt war. Er war völlig verzweifelt. Er schloss die Augen, und plötzlich hörte er aus der Ferne die Stimme des alten Taltow. Grausam lachend rief er: »Siehst du, Junge, nun ist dein Problem gelöst!«

Am anderen Morgen fand eine Nachbarin Sammys Leiche. Er hatte sich noch in derselben Nacht in seiner Wohnung erhängt.

Copyright © 2010 by Hanno Berg