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Jimmy Spider – Folge 7

Jimmy Spider und die Schere des Grauens (Teil 1 von 3)

Man mag es kaum für möglich halten, aber auch ein Spezialagent wie ich muss hin und wieder Büroarbeit erledigen. Keine satanischen Superschurken, süßen Kätzchen, mörderische Mörder oder … oder eben irgendwelche anderen höchst abenteuerlichen Dinge, sondern simple Computerarbeit. Die Berichte meiner letzten Fälle tippten sich schließlich nicht von allein.

Da wäre einmal der Fall mit dem Tunnel des Schreckens, bei dem mittlerweile das einzig Schreckliche die graue Betonwand war, mit der die Russen den Eingang verschlossen hatten. Dazu hatte ich meinen Bericht schon fertig, genau wie den zu der Sache mit dem Galgen, der sich selbst eine Schlucht hinuntergestürzt hatte; meine erste Begegnung mit Raymond Sterling und seinen kuscheligen, aber bissfesten Monstern, den Kampf mit dem Fischer und mein Treffen mit dem Schattenmann, der schlussendlich den Weg alles Schattigen gegangen war, hatte ich ebenfalls schon zu Papier gebracht. Das Einzige, was mir noch blieb, war eine Beschreibung zum Fall der Konserven-Lady, den ich vor einigen Tagen in einem Zirkus hier in Manchester erlebt hatte.

Leider hatten unsere weiteren Ermittlungen nichts darüber ergeben, woher diese Dame die Fähigkeit gehabt hatte, sich in Thunfisch zu verwandeln. Der einzige Anhaltspunkt war die Tatsache, dass sie aus Madagaskar kam. Ich konnte nur hoffen, dass die Frau ein Einzelfall bleiben würde, denn einen Aufstand der Thunfischdosen konnte ich momentan nun wirklich nicht gebrauchen.

Wie dem auch sei, der Bericht war schnell getippt, und ich erfreute mich bereits eines strahlend sonnigen Tages, an dem ich mich wahrscheinlich noch tödlicher langweilen würde als ein Marathonläufer in einer Gummizelle. Doch bekanntlich kommt immer alles anders, als man denkt.

Es klopfte an der Tür. Ich lehnte mich in meinem Stuhl zurück und faltete die Hände hinter meinem Kopf zusammen. »Herein.«

Eine schwarzhaarige junge Frau mit Sommersprossen schaute verlegen herein, nachdem sie die Tür geöffnet haben.

»Ent… schuldigen Sie. Ich habe Post für den Chef. Ein P … P … Päckchen.«

Ich zog meine linke Augenbraue hoch. »Doch nicht etwa eine Bombe?«

»Nein, ich … ich denke nicht. Ich meine, ich würde doch nicht …« Die junge Frau fing an zu schwitzen, als würde sie eine verpackte Herdplatte in den Händen halten. Schließlich hatte ich Erbarmen mit ihr.

»Nun geben Sie schon her, bevor sich an meiner Tür ein Schweißsee bildet.«

Zaghaft ging die Frau auf mich zu und legte das Päckchen auf den Schreibtisch. Danach verschwand sie wieder eiligst aus dem Büro. Offenbar hatte ich sie mit meiner Aura in Verlegenheit gebracht.

Ich schaute mir das Päckchen genauer an. Es war flach, grünlich und hatte eigentlich nichts an sich, was Panikattacken oder Schweißausbrüche auslösen konnte.

Zum Glück hatte ich in meinem Schreibtisch eine Schere verstaut. Besser gesagt ein Relikt von einem Fall, der bereits drei Monate zurücklag. Das Scheidegerät war bereits mehr als fünfhundert Jahre alt und hatte einmal einer blutrünstigen Inka-Prinzessin gehört, die damit laut einer Legende ihre Liebhaber ihren finsteren Gottheiten geopfert hat. Eben jene Legende endete damit, dass offenbar die Schere von einem der Männer, einem Magier, verflucht wurde. Als sich die werte Dame eines Tages die Fingernägel schnitt, nahm sie gleich ein paar Fingerkuppen mit. An den Wunden starb sie schließlich einige Tage später.

Wie die Inka in den Besitz dieser Schere gekommen waren oder wie sie geschaffen wurde, konnte ich damals leider nicht in Erfahrung bringen. Vermutlich hatte irgendein windiger Inka-Hellseher einen Blick in die Zukunft geworfen und einen Friseur von heute bei der Arbeit betrachtet. Oder auch nicht.

Jedenfalls lastete der Fluch noch Hunderte Jahre später auf der Schere, und jeder, der in ihren Besitz gelangte, starb eines furchtbaren Todes. Zuletzt Lord Henry Jenkins, ein exzentrischer englischer Adliger, der in Brasilien nach dem Gold von El Dorado gesucht und diese Schere in einer verlassenen Hütte mitten im Urwald gefunden hatte. Beim Betrachten war sie ihm allerdings aus der Hand gerutscht und aufgrund dessen, dass er saß, in den Schoss gefallen, wodurch … nun gut, lassen wir das. Jedenfalls waren zunächst seine Manneskraft und später er selbst in die ewigen Jagdgründe eingegangen.

Die Schere selbst sah eigentlich aus wie … nun ja, wie eine Schere eben. Nur war sie aus Holz. Einzig an den Klingen befanden sich metallische Aufsätze, die für die besondere Schärfe sorgten. Jenkins hätte ein Lied davon singen können, würde er noch unter uns weilen.

Mir sollte das nicht passieren. Und da ich kein anderes Schneidwerkzeug zur Hand hatte, holte ich die verfluchte Schere aus einer Schublade.

Ein paar Mal schnitt ich zur Probe in der Luft herum. Zumindest bis hierhin hatte ich überlebt.

Als ich die Schere an das Päckchen ansetzte, war mir zwar schon etwas mulmig, aber ich verscheuchte den Gedanken und konzentrierte mich. Ich drückte zu.

Nichts geschah. Die Schere drang nicht durch den Umschlag.

Ich drückte fester zu. Immer noch nichts. Nicht einen einzigen Kratzer bekam das Päckchen ab.

Wieder drückte ich einen Deut fester zu. Erste Schweißtropfen bildeten sich auf meiner Stirn, doch die Schere schien sich im Mittagsschlaf zu befinden.

Langsam wurde ich sauer. So leicht ließ ich mir nicht von einer Schere den Tag verderben.

Noch einmal drückte ich zu. Gleichzeitig stand ich auf und legte all meine Kraft in den Druck auf die Schere. Diesmal musste es einfach klappen.

In meinen Armen verkrampfte sich jeder Muskel, aus allen Poren brach Schweiß aus, doch die Schere rührte sich nicht. Ich biss die Zähne zusammen.

Nuschelnd versuchte ich, dem Widerstand der Schere entgegen zu wirken. »Nun … geh … schon … du … ver … fluchtes … Sch…«

Ein Knacken unterbrach mich. Sollte ich es doch geschafft haben? Doch im selben Moment, in dem mir der Gedanke kam, wurde mir klar, dass nicht das Päckchen knackte, sondern – die Schere!

Vor meinen Augen brach die obere Klinge mit einem lauten Ping ab und zischte meinem Kopf entgegen. Geistesgegenwärtig zuckte ich zur Seite und entging nur um Haaresbreite der wie eine Rakete durch die Luft rasenden Klinge. Gleichzeitig öffnete sich hinter mir die Tür zum Büro meines Chefs, aus dem jemand heraustreten wollte. Genau darauf sauste die Klinge zu und … verfehlte den Mann knapp. Mit einem ‚Plopp’ blieb sie in der Tür stecken, zitterte noch etwas und kam schließlich ganz zur Ruhe.

Aus dem Büro trat Emerson, der Butler meines Chefs. Sein altes und braun gebranntes Gesicht zeigte keine Spur von Erstaunen. Stattdessen hielt er mir ein prall gefülltes Tablett entgegen.

»Häppchen, Sir?«

Mehr als ein schiefes Grinsen brachte ich als Antwort nicht zustande.

Hinter dem Butler erklang die Stimme meines Chefs. »Emerson, ich glaube, Mr. Spider hat momentan keinen Hunger. Aber da er offenbar nicht allzu viel zu tun hat, geleiten sie ihn doch bitte herein.«

Emerson brachte mich zum weitläufigen, aus Eichenholz gefertigten Schreibtisch meines Chefs. Er sah schon etwas antik aus. Der Schreibtisch, wohlgemerkt. Hinter ihm stand ein gewaltiges, prall gefülltes Bücherregal, in dem Hunderte uralte Wälzer darauf warteten, zu Staub zu zerfallen. Vor dem Regal, auf einem rot gepolsterten Sessel, saß mein Chef. Er war ein gut beleibter Mann in einem dunkelbraunen Anzug. Seine grauen Haare standen wie ein erstarrter Tornado auf seinem Kopf. Sein Gesicht zierte ein dicker, weißer Schnurrbart.

»Also, Mr. Spider, Sie haben momentan nichts zu tun?«

»Ähm … nein.«

»Sehr gut. Es gibt nämlich wieder Arbeit.«

Was für eine Überraschung. »Und was liegt an?«

»Ich habe eben mit ein paar brasilianischen Kollegen gesprochen. Es ist so … in den letzten Wochen häufen sich die Berichte von Flugzeugpassagieren und -piloten sowie Hobbyfliegern über ein seltsames Objekt, dass einige hundert Kilometer weit vor der Küste Brasiliens in den Wolken schwebt.«

»Ein Objekt? Doch nicht etwa eine fliegende Untertasse?«

»Nein, eine Teekanne mit Düsenantrieb.« Mein Chef verdrehte die Augen. »Den Zeugen zufolge handelt es sich bei dem Objekt um ein fliegendes Schiff. Ein alter Segler, wie er im Mittelalter überall auf den Meeren vertreten war.«

»Und ich soll wohl jetzt der Sache auf den Grund gehen?«

»Sie haben es erfasst. Ihr Flug ist schon gebucht, ihre Hilfsmittel bereitgestellt. Im Prinzip wartet alles auf Sie.«

Diesmal war ich es, der die Augen verdrehte. »Na, das kann ja heiter werden …«

Fortsetzung folgt …

Copyright © 2008 by Raphael Marques