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Der hinkende Teufel – Kapitel 1

Alain-René Lesage
Der hinkende Teufel
Pforzheim 1840

Erstes Kapitel
Was für ein Teufel der hinkende Teufel ist – Wie Don Kleophas Leandro Perez Zambullo ihn kennenlernte

Über der berühmten Stadt Madrid lag die dichte Finsternis einer Oktobernacht. Es war bereits dunkel, und die Liebhaber hatten auf den Straßen und unter den Balkonen ihrer Angebeteten freie Bahn. Das Geklimper der Gitarren machte den Vätern Angst und die eifersüchtigen Ehemänner unruhig. Mit anderen Worten: Es war beinahe Mitternacht, als Don Kleophas Leandro Perez Zambullo, ein Student aus Alcalá, etwas zu schnell aus dem Dachfenster eines Hauses stieg. Es ging um Leben und Ehre, denn er hatte es mit drei oder vier Raufbolden zu tun, die ihm nachsetzten, um ihn entweder zu ermorden oder zur Heirat mit einer Dame zu zwingen, bei der sie ihn überrascht hatten.

Er hatte sich tapfer gegen sie verteidigt und erst dann die Flucht ergriffen, als er in der Hitze des Gefechts seinen Degen verloren hatte. Seine Gegner setzten ihm noch eine Zeitlang auf den Dächern nach, doch die Dunkelheit begünstigte ihn und er entkam glücklich. Er tappte auf ein Licht zu, das er in der Ferne wahrnahm. So schwach es auch war, diente es ihm bei dieser misslichen Verkettung der Umstände dennoch als Leuchte. Nachdem er mehr als einmal das Halsbrechen riskiert hatte, erreichte er endlich einen Speicher, von dem das Licht kam. Er stieg schnell zum Fenster hinein, so freudig wie ein Steuermann, der sein vom Sturm bedrohtes Schiff wohlbehalten in den Hafen einlaufen sieht.

Er blickte sich nach allen Seiten um und staunte nicht schlecht, als er feststellte, dass sich niemand in diesem Dachstübchen befand. Es schien ihm eine ziemlich sonderbare und einer näheren Betrachtung würdige Wohnung zu sein. An der Decke war eine kupferne Lampe angebracht, auf einem Tisch lagen Bücher und Papier, rechts stand ein Globus und ein Zirkelinstrument, links standen Phiolen und Quadranten. Er glaubte daher, dass weiter unten im Haus ein Astrologe wohnen müsse, der in dieser Klause seine Beobachtungen anzustellen pflege.

Noch dachte er über die Gefahr nach, aus der sein guter Stern ihn gerettet hatte, und beriet sich mit sich selbst, ob er bis zum Morgen hierbleiben oder was er sonst tun solle, als er auf einmal in seiner Nähe einen langen, tiefen Seufzer hörte. Er hielt dies anfangs für ein Trugbild seiner erhitzten Fantasie, für eine Täuschung der Nacht. Deshalb gab er nicht weiter darauf Acht und setzte seine Betrachtungen fort.

Nun ertönte aber ein zweiter Seufzer, der ihn auf den Gedanken brachte, dass es doch etwas Wirkliches sein müsse. Und obwohl er niemanden im Zimmer sah, rief er dennoch: »Wer zum Teufel seufzt denn hier?«

»Ich bin’s, Señor Studioso«, antwortete alsbald eine Stimme, die etwas Außergewöhnliches an sich hatte. »Schon seit sechs Monaten stecke ich in einer dieser Phiolen. Hier im Haus wohnt ein gelehrter Astrologe und Zauberer. Er ist es, der mich durch seine gewaltige Kunst in diesem engen Kerker verschlossen hält.«

»Ihr seid also ein Geist?«, fragte Don Kleophas etwas verblüfft über diese neue Erfahrung.

»Ja, ich bin ein Dämon«, erwiderte die Stimme. »Ihr kommt sehr zur gelegenen Stunde, um mich aus der Sklaverei zu befreien. Ich verschmachte hier in dieser Untätigkeit, denn ich bin der lebhafteste und fleißigste Teufel der Welt.«

Señor Zambullo konnte sich einen kleinen Schreck nicht verkneifen, fasste sich aber schnell wieder und sagte in festem Ton zu dem Geist: »Señor Diablo, sagt mir doch gefälligst, welchen Rang Ihr unter Euren Brüdern einnehmt und ob Ihr ein Teufel von Stand oder aus dem Pöbel seid.«

»Ich bin«, antwortete die Stimme, »ein hoch angesehener Teufel und habe sowohl in dieser als auch in der anderen Welt den größten Ruf.«

»Wärt Ihr vielleicht«, fragte Don Kleophas, »der Dämon, den man Luzifer nennt?«

»Nein, das ist der Teufel der Marktschreier.«

»Oder Uriel?«

»Pfui doch«, unterbrach ihn die Stimme mit Heftigkeit, »das ist der Patron der Krämer, Schneider, Metzger, Bäcker und anderer Spitzbuben aus dem gemeinen Volk.«

»Dann seid Ihr wohl Beelzebub?«, fragte Leandro.

»Ihr scheint zu spotten«, antwortete der Geist, »das ist der Dämon der Dünnen und der Escuderos.«

»Sonderbar«, sagte Zambullo, »ich glaubte, Beelzebub wäre einer der Ersten in Eurem Reich.«

»Im Gegenteil«, erwiderte der Dämon, »ist er einer seiner geringsten Apostel. Ihr habt ganz verkehrte Begriffe von unserer Welt.«

»So müsst Ihr also«, fuhr Don Kleophas fort, »Leviathan oder Belphegor oder Astaroth sein?«

»Diese drei«, antwortete der Geist, »sind allerdings Teufel vom ersten Rang. Sie sind Hofgeister. Sie sitzen im Rat der Fürsten, leiten die Minister, schließen Bündnisse, erregen Unruhen in den Staaten und zünden die Fackeln des Krieges an. Das sind keine solchen armen Lumpen wie die ersten, die Ihr genannt habt.«

»Ei, so sagt mir doch, wenn ich bitten darf«, fragte der Student weiter, »was für ein Amt hat denn Flagel?«

»Er ist«, erwiderte die Stimme, »die Seele der Schikane und der Geist der Gerichtshöfe. Von ihm stammen die Protokolle, die Häscher und die Notare. Er inspiriert die Prozessierenden, hat sein Wesen in den Advokaten und treibt sein Spiel mit den Richtern. Ich dagegen habe andere Beschäftigungen: Ich stifte lächerliche Heiraten, kupple Graubärte mit minderjährigen Töchtern, Herren mit ihren Mägden und arme Mädchen mit schmachtenden Liebhabern zusammen, die keinen Heller Vermögen haben. Ich habe den Luxus, die Ausschweifungen, die Hasardspiele und die Chemie in die Welt eingeführt. Ich bin der Erfinder der Karussells, des Tanzes, der Musik, der Komödie und aller neuen Moden in Frankreich. Mit einem Wort: Ich heiße Asmodi, auch der hinkende Teufel genannt.«

»Ei, wie!«, rief Don Kleophas. »Ihr wäret also der berühmte Asmodi, von dem in der Clavicula Salomonis und im Agrippa so ruhmvoll die Rede ist? Ja, dann habt Ihr mir noch nicht alle Eure Arten, Euch zu belustigen, gestanden. Das Beste habt Ihr weggelassen. Ich weiß, dass Ihr Euch zuweilen einen Spaß daraus macht, unglücklichen Liebenden unter die Arme zu greifen. Erst vor einem Jahr hat ein guter Freund von mir, ein Baccalaureus in Alcalá, durch Eure Hilfe die Gunst der Frau eines Doktors an der Universität erlangt.«

»Ganz richtig«, sagte der Geist, »ich wollte dies bis zuletzt aufsparen. Ich bin der Dämon der Wollust, oder, um einen anständigeren Namen zu nennen, Gott Cupido. Diesen hübschen Namen haben mir die Dichter gegeben, die mich sehr zu meinem Vorteil malen. Sie leihen mir vergoldete Flügel, eine Binde für die Augen, einen Bogen in die Hand, einen mit Pfeilen gefüllten Köcher auf den Rücken und eine bezaubernde Schönheit dazu. Ihr werdet sogleich sehen, was daran ist, wenn Ihr mich in Freiheit setzen wollt.«

»Señor Asmodi«, erwiderte Don Kleophas, »es ist, wie Ihr wisst, schon lange her, dass ich Euch mit Leib und Seele ergeben bin. Die Gefahr, in der ich eben schwebte, zeugt davon. Es ist mir höchst angenehm, dass ich eine Gelegenheit finde, Euch zu dienen. Allein, die Phiole, in der Ihr steckt, ist ohne Zweifel bezaubert. Es wäre wohl vergebliche Mühe, wenn ich sie öffnen oder zerbrechen wollte. Somit ist mir nicht ganz klar, auf welche Art ich Euch erlösen könnte. Ich verstehe mich nicht besonders gut auf solche Erlösungen. Und unter uns gesagt: Wenn ein so schlauer Teufel wie Sie sich nicht selbst aus der Sache zu ziehen weiß, wie sollte es einem elenden Sterblichen gelingen?«

»Die Menschen vermögen dies«, antwortete der Dämon. »Die Phiole, in der ich gebannt bin, ist eine leicht zerbrechliche, gläserne Flasche. Ihr dürft sie nehmen und auf den Boden werfen, so werde ich sogleich in menschlicher Gestalt erscheinen.«

»Wenn es sich so verhält«, versetzte Bruder Studio, »so ist die Sache leichter, als ich dachte. Aber sagt mir doch, in welcher Flasche steckt Ihr denn? Es stehen eine Menge ganz gleiche herum, sodass ich es nicht erraten kann.«

»Es ist die vierte vom Fenster«, antwortete der Geist, »zwar ist der Pfropf mit einem magischen Petschaft versiegelt, aber die Flasche wird sich dennoch zerbrechen lassen.«

»Genug«, sagte Don Kleophas. »Ich bin bereit, Euren Wunsch zu erfüllen, habe aber noch eine kleine Bedenklichkeit: Wenn ich Euch den verlangten Dienst erwiesen habe, muss ich die Scherben bezahlen.«

»Seid ganz unbesorgt«, antwortete der Geist, »und rechnet im Gegenteil auf meine Dankbarkeit. Ich werde Euch alles sagen, was Ihr zu wissen verlangt. Ich werde Euch alles offenbaren, was in der Welt vorgeht. Ich werde Euch die Fehler der Menschen aufdecken. Ich werde Euch fortan als Schutzgeist zur Seite stehen. Da ich etwas gebildeter bin als der Genius des Sokrates, will ich Euch noch gelehrter machen als diesen großen Philosophen. Kurz, ich schenke mich Euch mit allen meinen guten und schlechten Eigenschaften; die einen werden Euch so nützlich sein wie die anderen.«

»Das sind recht artige Versprechungen«, sagte der Student, »aber ihr Herren Teufel, wisst ihr auch, dass man allgemein von euch sagt, ihr nehmt es mit dem Worthalten nicht besonders genau?«

»Dieser Vorwurf«, versetzte Asmodi, »ist nicht ganz unbegründet. Die meisten meiner Brüder machen sich nichts daraus, euch Menschen ihr Wort zu brechen. Ich aber, der ich den von Euch erwarteten Dienst ohnehin nicht teuer genug bezahlen könnte, bin Sklave meiner Schwüre. Ich schwöre Euch bei allem, was sie unverletzlich macht, dass ich Euch nicht betrügen werde. Verlasst Euch auf meine Versicherung. Und was Euch gewiss lieb sein wird: Ich erbiete mich, Euch noch heute Nacht an dieser treulosen Donna Thomasa zu rächen, die vier Schurken bei sich versteckt hatte, um Euch zu überfallen und zur Heirat mit ihr zu zwingen.«

Dieses Versprechen gefiel dem jungen Zambullo besonders. Um dessen Erfüllung herbeizuführen, griff er schnell nach der Flasche, in der der Geist war, und warf sie, ohne sich um die Folgen zu kümmern, mit voller Kraft auf den Boden. Sie zerbrach in tausend Scherben und befeuchtete den Boden mit einer schwärzlichen Flüssigkeit, die allmählich verdunstete und in Rauch überging. Plötzlich zerstreute sich dieser Rauch und vor den Augen des erstaunten Musensohns erschien eine etwa dritthalb Fuß hohe Menschengestalt im Mantel, die auf zwei Krücken gestützt war. Das kleine, hinkende Ungeheuer hatte Bocksfüße, ein längliches, schwarzgelbes Gesicht, ein spitzes Kinn und eine plattgedrückte Nase. Seine winzigen Äuglein funkelten wie glühende Kohlen und über seinem weitgespaltenen Mund mit den hoch aufgeworfenen Lippen starrte hakenförmig ein roter Schnurrbart.

Auf dem Kopf trug dieser reizende Liebesgott eine Art Turban aus rotem Krepp mit einem Busch aus Hahnen- und Pfauenfedern. Um den Hals hatte er einen breiten Kragen aus gelber Leinwand, der mit verschiedenen Zeichnungen von Halsbändern und Ohrhängern verziert war. Seine übrige Kleidung bestand aus einem kurzen Rock aus weißem Atlas, der in der Mitte mit einer breiten Binde aus Pergament gegürtet war, die mit Talismanziffern übersät war. Auf dem Rock sah man allerlei Gemälde: verschiedene Arten von Busenschmuck, den die Damen sehr vorteilhaft verwenden konnten, Schärpen, bunte Schürzen und neue Kopfputze, wobei eine greller als die andere war.

All dies war jedoch noch nichts gegen seinen Mantel, der ebenfalls aus weißem Atlas gefertigt war. Darauf waren eine unendliche Menge Figuren mit einer solchen Keckheit des Pinsels und einem solchen Ausdruck getuscht, dass man wohl sah, der Teufel müsse ein Meister in dieser Kunst sein. Auf der einen Seite sah man eine in ihre Mantille gehüllte spanische Dame, die auf einem Spaziergang mit einem Fremden liebäugelte. Auf der anderen Seite sah man eine Französin, die allerhand neue Gesichter vor dem Spiegel machte, um ihre Zauberkraft an einem jungen Abbé zu versuchen. Dieser erschien schön geschminkt und mit Schönheitspflästerchen beklebt vor der Tür ihres Zimmers. Hier sah man italienische Kavaliere unter den Balkonen ihrer Geliebten singen und Zither spielen, dort saßen Deutsche mit aufgeknöpfter Weste, im verwahrlostesten Zustand, besoffen und von Tabak beschmutzt, um einen Tisch, der von den Überbleibseln ihres Schmauses troff. An einem anderen Ort sah man einen vornehmen Muselmann aus dem Bad steigen, umgeben von allen Frauen seines Serails, die ihm um die Wette ihre Dienste anboten. An einem dritten Ort entdeckte man einen englischen Gentleman, der seiner Dame galant eine Pfeife und ein Bier präsentierte.

Auch Spieler waren zu sehen, wunderschön dargestellt: Die einen, voller lebhaftester Freude, füllten ihre Hüte mit Gold und Silber, die anderen, die nur noch auf Kredit spielten, schickten gotteslästerliche Blicke gen Himmel und nagten verzweifelt an den Karten. Kurz, es gab hier so viele interessante Dinge zu sehen wie auf dem bewundernswerten Schild, das Gott Vulkan auf die Bitte der Thetis anfertigte. Der Unterschied zwischen den Werken dieser beiden hinkenden Gottheiten war jedoch, dass die Figuren auf dem Schild keine Beziehung zu den Taten des Achilles hatten, während die Figuren auf dem Mantel ein anschauliches Gemälde dessen waren, was auf Asmodis Eingebung in der Welt geschieht.

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