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Mörder und Gespenster – Band 1 – 7. Teil

August Lewald
Mörder und Gespenster
Band 1

Der Werwolf

Kapitel 7

Wenn die Familie des Werwolfs durch frühere Frevel, Verbrechen, Zauberkünste oder Täuschungen ihrer Vorfahren in das namenloseste Elend gestürzt worden war und der zuletzt übrig gebliebene Spross, dieser Unglückliche, ein unverschuldetes hartes Los zu tragen hatte, aus dem er sich, vom Zufall begünstigt, durch gewaltsame Handlungen zu befreien strebte. So war es hingegen der Metzger im Dorf, der von unbescholtenen Eltern stammte, einen guten Leumund genoss und Taten verübt hatte, die ihn dem Amt der Gerechtigkeit überantwortet hätten, wären sie ans Licht gekommen. Es war Es war nicht nur das Blut des Schlachtviehs, das er vergossen hatte. In seiner Jugend hatte er sich in böse Händel verstrickt und ein zügelloses Leben bei den Lieferungen für fremde Heere im fernen Ungarn verbracht. Die Tage eines Nebenmenschen schwebten auf der Spitze seines breiten Schlachtmessers und wogen nicht schwer auf seinem Gewissen. Durch List und den Wohlstand, den er seinen armen Schwiegereltern gegenüber in die Waagschale zu legen vermochte, war es dem bejahrten, unschönen Mann gelungen, das schönste Mädchen aus dem Nachbardorf heimzuführen, dessen Liebe ihm nie zuteil geworden war. Es war eine Ehe zum Verzweifeln, ein Bündnis, das nur vor den Augen der Welt eines war. Die arme Frau führte ein recht jämmerliches Leben. Hätte ihre Schönheit den alten Gatten nicht oft bezwungen und ihre Klugheit ihn nicht oft durch Nachgeben zur rechten Zeit oder durch feine Erfindungen überlistet und seine Schroffheit erweicht, so wäre sie wahrlich nicht im ehelichen Hausstande geblieben.

Dieser Zustand ließ nicht ab, den Mann zu peinigen. Als sich nun mit den Jahren die körperlichen Strafen für frühere Ausschweifungen grimmig zu melden begannen, begann er auch, sich Gedanken über die Strafen zu machen, die nach diesem Leben folgen könnten. Er hatte keinen guten Schlaf mehr und die angestrengteste Arbeit konnte seinen Appetit nicht anregen. Er war mürrisch und in sich gekehrt, wie er stets gewesen war. Jetzt war er oft von einer Laune besessen, die ihn unausstehlich machte. Ein Ereignis wie das mit dem Werwolf musste daher auf sein zerrüttetes Gemüt einen Einfluss üben, dem die ganze Maschine keinen Widerstand zu leisten imstande war. Die Hölle ragte nun sichtbar in sein Leben hinein und die finstere Macht schien ihm eine Perspektive dessen zu eröffnen, was ihn erwartete. Er zehrte zusehends ab und die tollsten Hirngespinste begannen, jeden vernünftigen Gedanken zu durchkreuzen, zu dem er noch in guten Stunden fähig war.

Der Rat, den ihm der Geistliche gegeben hatte, erleichterte seine bedrängte Brust und zeigte ihm einen Hoffnungsschimmer.

In der Nacht zum nächsten Freitag, nachdem er seinen Karren mit blutigen Fleischstücken beladen hatte, trat er vor seine Frau und reichte ihr die Hand zum Abschied. Obwohl es schon spät war, saß sie angekleidet da und schien mit Rechnungen beschäftigt zu sein.

»Du willst allein fahren?«, fragte sie und starrte ihn mit überwachtem Gesicht an.

»Ich möchte dich nicht noch einmal einer Gefahr aussetzen«, gab er ihr zur Antwort. »Diesmal fürchte ich mich nicht. Ein frommer Mann hat mir ein unschuldiges Mittel verraten, mit dem ich den Angriff des Werwolfs unschädlich machen kann. Heute wird’s noch ein Stück Fleisch kosten«, setzte er dann mit boshafter Betonung hinzu, »dann aber wird’s damit zu Ende sein, wie ich mit Sicherheit vorhersagen kann. Du legst dich aber zu Bett und schlägst dir den Werwolf aus dem Sinn. Unsere Knechte dürfen von der ganzen Geschichte ohnehin nichts wissen.«

Damit verließ er die Frau schnell und ohne weiteren Gruß. Er ging ebenso schnell hinaus in die Fleischbank, wo ein blankgeschliffenes Beil an der Wand lehnte. Dieses nahm er mit.

Die Frau war mit der Auskunft, die sie erhalten hatte, nicht zufrieden. Sie spürte, dass ein geheimer Sinn dahintersteckte. Die Sicherheit, mit der ihr Mann sich äußerte, erschreckte sie. Die Bosheit, die aus seinen Blicken und Reden blitzte, konnte ihr nicht verborgen geblieben sein. Sie sah Gefahr, wusste sich nicht zu raten, fühlte, dass auch sie etwas Schlimmes treffen könne, und betete inbrünstig, aber unbestimmt. Für wen sie betete, wusste sie selbst kaum.

Der Metzger näherte sich bereits dem Hexentanzplatz und trieb sein Pferd den bekannten Abhang hinauf. Die Nacht war sehr finster. Die Wolken schienen die Erde fast zu berühren und die Bäume und Sträucher standen wie schwarze Mauern da. Es regte sich kein Laut, kein Wind; alles war so beengend und drückend.

Im Steinbruch harrte Simon, der Werwolf, mit klopfendem Herzen. Sein Feind hatte ihm schon einmal das Köstlichste überlassen und ihn zum glücklichsten Menschen gemacht. Seit jenem Augenblick war all sein Elend verschwunden. Er hatte sich in dieser Woche mehrfach ins Dorf gewagt, obwohl er Gefahr lief, verspottet und misshandelt zu werden. Er war vor das Haus des Metzgers gegangen, hatte sich vor den Laden gestellt und die schöne Frau darin angesehen. Ein so zarter Handel, wie er an diesem Ort wohl noch nie zuvor getätigt worden war. Wenn er abends einsam in seiner Hütte saß und seine frühere Lage mit seiner jetzigen verglich, wie glücklich fühlte er sich dann! Hunger und Not waren für ihn verschwunden, sobald er an sie dachte.

Ob sie der Metzger wieder zur nächtlichen Fahrt mitgebracht haben wird? Dies regte ihn stärker als gewöhnlich auf.

Da rollte der Karren den Abhang hinab und er erhob sich in fieberhafter Bewegung von den Steinen, um seine Rolle noch einmal zu spielen. Noch einmal – noch unentschlossen liegt in ihm der Vorsatz, was er nach diesem einen Mal beginnen soll. Es trieb ihn zur Flucht, er hoffte, seine Beute zu entführen.

Wie sonst heulend und springend ging er auf das Pferd zu, doch diesmal war der Ton anders, die Stimme zitterte. Der alte Schrecken, den er sonst verbreitete, war nicht mehr in seinem Gefolge. Der Metzger riss das Pferd zurück, als wolle er es von selbst aufhalten, ohne Zwang, und als sei er darauf vorbereitet, den Werwolf zu empfangen. Betroffen stand dieser da, als er seinen Feind allein sah.

»Alle guten Geister!«, rief der Metzger in hergebrachter Art. »Lass mich ziehen, Simon. »Du sollst haben, was du begehrst. Her mit der Pfote, heute kriegst du ein doppeltes Stück!«

Obwohl es dem Werwolf diesmal nicht um das beste Stück des ganzen Karrens zu tun war, musste er doch seiner Rolle entsprechend das Fleisch in Empfang nehmen. Als er nun die Tatze in den Wagen steckte, hieb der Metzger mit dem bereitgehaltenen Beil mit geübtem Schwung zu und hackte sie ihm ab. Simon brüllte vor Schmerz und verschwand in der Finsternis, während der Metzger, nun auch einer Beute teilhaftig, seinen Weg zum Kloster fortsetzte.

Die Ungeduld ließ ihn sein Geschäft im Kloster beschleunigen. Er rechnete nicht ab, ließ sein Geld bis zum nächsten Mal stehen und eilte in trüber Hastigkeit, nachdem er das Fleisch übergeben hatte, seinem Heimatdorf zu.

Noch graute kaum der Tag, als er die Schwelle seiner Kammer überschritt. Da lag seine Frau, die erst spät eingeschlafen war, noch im tiefen Schlaf. Er trat zu ihrem Bett, redete sie lustig und grinsend an und legte eine sorgsam zusammengewickelte Serviette auf ihre Decke. Sie schreckte plötzlich in die Höhe.

»Sieh da, was ich dir mitbringe!«, sprach er. »Das senden dir die frommen Herren im Kloster.«

Nichts Böses ahnend schlug sie das Tuch auseinander und erblickte eine frisch blutende Menschenhand, die in ein Stück Wolfsfell gewickelt war. Was geschehen war, wurde ihr nun alsbald klar. Sie sprang schreiend und weinend aus dem Bett und zog sich in Windeseile an. Während ihr Mann seine wilde Freude nicht beherrscht und ihr Tun außer Acht lässt, eilt sie zur Tür hinaus.

»Dem frommen Pfarrer sei Dank für seine Weisheit!«, ruft der Metzger triumphierend. »Den Werwolf habe ich gezeichnet, sein Blut ist geflossen, und weder ich noch ein anderer hier im Dorf hat ihn jemals wieder zu fürchten!«

Doch die Frau lief ängstlich im fröstelnden Morgennebel fort.

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