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Aus Armand’s Frontierleben – Band 1- Kapitel 3

Fredéric Armand Strubberg
Aus Armand’s Frontierleben
Band 1
Carl Rümpler, Hannover, 1868

Drittes Kapitel
Der Pioneer

Zehn Jahre waren vergangen, seit Davis die Indianerin Kionata begraben und mit Leonide die Flucht ergriffen hatte. Während dieser Zeit waren die Ansiedlungen der Weißen den Gebirgen nur um wenige Meilen näher gerückt.

Am Fuße derselben, wo sie sich als einzelne Ausläufer in das niedere Land strecken, liegen die reichsten und reizendsten Länder, die noch alle Vorzüge der Gebirgsgegend sowie alle solche der Ebenen besitzen. Die üppigsten und buntesten Blumen übersäen die unabsehbaren, wellenförmigen Grasfluren, die von riesenhaften, prächtigen Waldstrichen durchzogen sind. Sie breiten ihre saftig grüne Decke über die Erde aus. In wildem und unbändigem Lauf brausen die kristallklaren Gewässer aus den Bergen hinab und rollen ihre schäumenden Fluten den gewaltigen Strömen zu, die sich in den Golf von Mexiko ergießen.

Auch der Bach, an dessen Ufer Kionata begraben lag, führt seine Wellen in diese Täler hinab. Auf seinem langen Lauf nimmt er unzählige kleine Bergwasser in sich auf und bildet schließlich die unvergleichlich reizende Leone, die von himmelhoch bewaldeten Ufern überschattet wird. Nach ihr hatten Davis und Kionata ihrem schönen Kind den Namen gegeben.

Diese herrlichen, von der Natur in jeder Hinsicht so reich beschenkten und gesegneten Länder, durch welche die Leone ihren zügellosen Lauf nahm, waren in ihrem jungfräulichen Urzustand den ungeschwächten, oft furchtbaren Elementen ausgesetzt, wie sie in den Wildnissen des westlichen Amerikas herrschen. ausgesetzt waren. Wenn die Eisstürme von den Höhen der Kordilleren über sie hinwegbrausten oder die Gewitterwasser aus diesen Riesengebirgen auf sie hinabstürzten, dann erbebten sie in ihren Grundfesten und es schien, als habe ihre letzte Stunde geschlagen. Doch bald glänzte wieder der blaue Himmel über ihnen, ihr grünes Kleid prangte umso frischer und üppiger und die Natur lächelte so lieblich und wonnig in ihrem reichen, unvergänglichen Schmuck, als sei dies das Land des niemals gestörten, ewigen Friedens.

Nach einem schwülheißen Frühlingstag jagte mit Einbruch der Nacht das schwarze, drohende Gewölk, das sich gegen Abend am Himmel zusammengezogen hatte, immer eiliger und fliegender von Nordwesten her über den Urwald, der die Ufer der Leone krönte. Der Sturm, der es trieb, wühlte immer hohler und brausender in den Wipfeln der kolossalen Bäume, bis die Wolken brachen, einen eisigen Regen fluteten und ein entfesselter Orkan die Erde erzittern ließ.

Schwarze Finsternis lag auf dem weiten Grasland südlich der Leone. Da zuckte der erste Blitz wie ein glühender, zackiger Streifen über die Erde. In seinem blendend hellen Licht sah man einen Reiter auf einem weißen Ross, der sich über dessen Hals beugte und dem Sturm entgegenritt. In der nächsten Sekunde wurde das Bild jedoch wieder von der Finsternis verschlungen.

Es war eine Nacht, als ob die Welt untergehen solle: Der Sturm kam nicht mehr pulsierend in Gewaltstößen, seine Wut ließ nicht für eine Sekunde nach und der eisige Regen hatte sich in einen wirklichen Eisregen verwandelt, dessen Hagel beinahe horizontal über die Erde sauste.

Da zuckte es, und ein Feuermeer umgab den ganzen Horizont. Wie ein einziger Donnerschlag krachte es aus allen Himmelsrichtungen, sodass die Erde bebte und dröhnte. In dem taghellen Licht der Blitze sah man den nächtlichen, einsamen Reiter, der mit seinem weißen Pferd in noch größerer Eile gegen den Sturm ankämpfte.

Wieder verschwand das Bild in undurchdringlicher Nacht und nur der Donner rollte noch mehrere Minuten lang, als würde er seinen Zorn verknurren. Plötzlich schoss abermals das Feuer vom Himmel herab, der Blitz fuhr mit knatterndem Donnerschlag in einen einzeln stehenden, alten hohlen Ulmenbaum, und die Flammen, eine Feuersäule, wirbelten um ihn auf und streckten sich, vom Sturm geblasen, weit über die Erde.

Hoch bäumte sich der weiße Hengst, durch den Donnerschlag und das sprühende Feuer entsetzt, und stob, trotz des verkürzten Zügels seines Reiters, in rasender Flucht seitwärts davon. Doch dieser wurde bald wieder Herr des erschrockenen Tieres und wandte es abermals dem Wetter entgegen, während Blitz auf Blitz und Krach auf Krach folgten und die ganze Gegend von Sekunde zu Sekunde hell beleuchteten.

Der Reiter schien ein Jäger dieser Wildnis zu sein, denn bei dem Licht der Blitze glänzte der Lauf seiner Büchse, die quer vor ihm auf dem Sattel lag. Hinter dem Pferd folgte ein riesiger, gelber Hund mit tief gesenktem Kopf, dem Eissturm seine Seite zukehrend.

Auch der edle Hengst schüttelte unwillig seinen von Mähnen umwogten, zierlichen Kopf. Sein Reiter neigte sich mit tief in die Augen gedrücktem Hut, um mit dessen breitem Rand den Hagel von seinem Gesicht abzuwehren. Doch die Hagelkörner wurden immer größer und schlugen immer heftiger nieder. Plötzlich bäumte sich das Pferd auf, sprang herum und schlug hinten aus, als wolle es sich gegen die schmerzhaft auf seine Haut prallenden Eisstücke verteidigen.

»Komm, Zaar!«, rief der Reiter dem gereizten Tier beruhigend zu und zwang es mit straffem Zügel, wieder gegen den Sturm anzugehen. Doch in diesem Augenblick flogen die Eisstücke in solcher Größe heran, dass weder Worte noch Zügel noch Sporen etwas über den Hengst vermochten. Abermals wandte er sich, schlug hinten und vorn aus und machte die verzweifeltsten Anstrengungen, um das Weite zu suchen.

Mit aller Kraft hielt der Reiter das wie rasend tobende Tier zurück, während er sich unter dem Hagel, der auf seine einfache Lederkleidung aufschlug, im Schmerz krümmte. Er kämpfte hin und her mit dem Sturm, dem Eis und mit seinem Pferd, bis dieses sich plötzlich in seiner Verzweiflung niederwarf und wütend um sich schlug.

Sein Herr war von ihm gesprungen und hielt die Zügel in seiner starken Hand. Doch auch der Hengst raffte sich, vom Hagel gepeitscht, wieder auf, bäumte sich aus Angst und Entsetzen und drohte, die Zügel zu zerreißen.

Von einem Heer von Blitzen umzuckt und von ununterbrochenen Donnerschlägen betäubt, bändigte der Reiter sein treues, braves, doch zur Verzweiflung gebrachtes Ross, bis die Wolke, die den schweren Hagel entladen hatte, vorübergezogen war und ein Regen, der einem Wolkenbruch glich, auf ihn niederströmte.

Tiefe Finsternis lag abermals auf der weiten Prärie, als der Reiter sein verängstigtes, an allen Gliedern bebendes Pferd wieder bestieg und seinen Weg durch das hohe Gras nach Norden verfolgte. Sobald die Dunkelheit durch das Licht der Blitze verscheucht wurde, schaute er wiederholt auf den Kompass, der in den Schaft seiner Büchse eingelassen war, und heftete dann seinen spähenden Blick durch den Sturm und Regen auf die Ferne vor sich, als suche er dort einen Gegenstand zu erkennen.

So hatte er, bald von schwarzer Nacht, bald vom blendenden Licht der Blitze umgeben, einige Meilen zurückgelegt, ohne Weg, ohne Steg, nur dem sicheren Tritt seines braven Pferdes vertrauend, als in nicht großer Entfernung seitwärts zu seiner Linken im Feuerschein eines Blitzes eine für den Augenblick hell beleuchtete grüne Masse über der Grasfläche sichtbar wurde.

Der Anblick hatte für den Reiter augenscheinlich etwas Befriedigendes, etwas Beruhigendes, denn er lenkte den Hengst sofort darauf zu, gab ihm die losen Zügel, wandte dem Sturm und Regen tief gesenkten Hauptes die rechte Seite entgegen und schien nun aller Sorgen überhoben zu sein.

Bei jedem Blitz zeigte sich jene grüne Masse höher und gab sich bald als eine Gruppe himmelhoher Bäume zu erkennen, neben welcher sich eine dunkle, viereckige Gebäulichkeit hoch über die Erde erhob.

Der Hengst beeilte seine Schritte und blieb bald darauf in einiger Entfernung vor dem Gebäude stehen, das einer Festung glich. Er blieb vor dem geschlossenen Eingang einer Einzäunung stehen.

Der Reiter beugte sich zu dem Gittertor nieder, öffnete es eilig, da ihm der Sturm abermals Eisstücke entgegen trieb, und trabte nun durch den eingezäunten Raum den Gebäuden zu. Kaum hatte er sich diesen genähert, erschallte das wütende Gebell von Hunden und ein Dutzend dieser Tiere stürmte heran und umkreiste ihn. Ihr Zorn ging aber sogleich in Freude über, was sie durch jubelndes Geheul und hohe Sprünge um den Reiter zu erkennen gaben.

»Hallo! Hallo!«, rief er, als er den Eingang erreichte. Dieser befand sich in der vierzehn Fuß hohen Mauer, die aus aufrecht nebeneinander gestellten Baumstämmen errichtet worden war. Er sprang vom Pferd, stieß ungeduldig mit dem Kolben seiner Büchse gegen das Tor, sodass es laut erdröhnte.

Gleich darauf wurden auch innerhalb der Holzmauer Stimmen hörbar, schwere Ketten rasselten und der Eingang tat sich auf.

»Mein Gott, Herr Doktor, ist es möglich bei diesem Wetter?«, fragte ein kleiner, wohlbeleibter junger Mann, der vom Licht eines Blitzes beleuchtet wurde, den Eintretenden. Er reichte ihm die Hand und nahm dann den Zügel des Pferdes.

»Donner und Wetter – war das ein Wetter!«, rief der Angekommene, dessen Name Armand war, sich schüttelnd und das Wasser mit der Hand von seiner Lederkleidung streichend. »Ich glaubte, der jüngste Tag sei da und ich würde das Fort niemals wiedersehen. Nur schnell nach Königstein, damit der arme Zar unter Dach kommt. Der hat etwas ausgehalten!«

Dabei gingen beide mit dem Pferd durch den großen, von einer hölzernen Mauer umgebenen Viereckraum auf die andere Seite, wo an der Mauer ein auf Baumstämmen ruhendes Wetterdach angebracht war, unter dem sich eine Reihe Stände für Pferde befand. Im letzten und größten davon, der auch an der Außenseite mit Brettern verschlagen war, führten sie den Hengst. Sie nahmen ihm Sattel und Zeug ab. Während sie damit beschäftigt waren, kamen noch zwei Männer herbeigeeilt. Einer von ihnen, Johann Reider, reichte dem Doktor eine große wollene Decke.

»Ich danke Ihnen, Johann«, sagte Armand zu ihm, nahm die Decke, breitete sie über den Hengst aus und schnallte einen Gurt darüber. Dann empfing er von dem zweiten Mann, der Mandel hieß, ein Gebinde mit getrockneten Maisblättern, welches er dem Pferd in die Raufe warf. Dann klopfte er dem Hengst den breiten Nacken, liebkoste seinen Kopf und schlug ihn noch einmal kräftig auf die Gruppe. Anschließend trat er aus dem Stand unter dem Wetterdach hervor in den dicht fallenden, schweren Hagel hinaus.

Mit eiligen Sprüngen erreichte er die offene Tür eines langen Gebäudes innerhalb der Holzmauer und trat in den von einer Lampe hell erleuchteten Raum ein. Dort warteten die drei Männer, die ihm vorausgegangen waren.

»Wer hätte aber denken können, dass Sie bei solchem Wetter noch hierher reiten würden, Herr Doktor?«, sprach Königstein, der kleine Mann, der ihn am Tor zuerst begrüßt hatte. »Ich glaubte sicher, Sie würden am Mustangbach in Ihrem Jagdzelt übernachten. Es ist ja so dicht mit Büffelhäuten behangen, dass kein Tropfen Regen durchdringen kann. Außerdem liegt es im Wald und ist vor dem Wind geschützt. Solange es hell war, habe ich vom Turm aus nach Ihnen Ausschau gehalten. Da Sie aber nicht kamen, ging ich davon aus, dass Sie drüben bleiben würden, denn der Sturm fegte die Wolken mit solcher Wucht über die Prärie, dass nichts Gutes zu erwarten war.«

»Ich wäre auch drüben geblieben, wenn es mir nicht leidgetan hätte, den armen Zaar die Nacht im Freien stehen zu lassen. Ich hatte keine wollene Decke dabei. Außerdem glaubte ich nicht, dass es so schlimm werden würde«, entgegnete Armand und schlug auf seine nasse Lederkleidung. »Ich habe auch keinen trockenen Faden am Leib. Schüren Sie das Feuer tüchtig, ich will mich nur schnell umziehen.«

Hiermit sprang er hinaus und durch den Hof in die vordere linke Ecke, wo eine Tür in ein außerhalb dicht an der Holzmauer stehendes Haus führte. Er betrat das Haus und ging im Dunkeln auf einen Tisch zu, wo er ein Feuerzeug ergriff und eine Lampe anzündete.

Es sah ganz behaglich und wohnlich in dem Haus aus, das nur ein Zimmer enthielt. Die Wände und die Decke waren mit glänzend braunen, lockigen Büffelhäuten tapeziert und der Fußboden mit einem Teppich aus Hirschhäuten bedeckt. Eine Bettstelle aus schwarzem Nussbaumholz, ein Gewehrschrank, ein Tisch und Stühle aus demselben Material waren die Möbel. Schöne Ölbilder und Kupferstiche zierten die Wände. Zeichenapparat, Bücher und eine Gitarre deuteten den Kunstsinn des Bewohners dieses Zimmers an. Anstelle von Fenstern befanden sich in der vorderen Wand nur zwei Öffnungen, die durch schwere, von innen davor gerollte Laden geschlossen waren.

Das Haus war aus sehr dicken Eichenbohlen erbaut, die einer Büchsenkugel widerstehen konnten. An verschiedenen Stellen hatte man verschließbare Schießscharten angebracht, um das Haus von innen verteidigen zu können.

Doktor Armand, von Geburt Deutscher, hatte früher im Norden Amerikas gelebt. Durch schwere Schicksalsschläge war er mit der Welt zerfallen und schon vor einigen Jahren in diese Wildnis getrieben worden. Hier, an dem hohen, steilen Ufer der Leone, hatte er sich mit seinen drei Gefährten dieses Fort gebaut.

Die hölzerne Mauer erhob sich nur auf der Ost-, Süd- und Westseite, da die Nordseite des Forts keinen solchen Schutz bedurfte: Der unübersteigbare Abhang zum Fluss hin war über vierzig Fuß hoch. In den beiden vorderen Ecken der Holzmauer befanden sich einige zwanzig Fuß hohe, vorgebaute Türme, aus deren Schießscharten man die Außenwände bestreichen konnte. Das Tor befand sich an der Ostseite, nur wenige Schritte vom Abhang über dem Fluss entfernt. Im Inneren standen fünf Blockhäuser und ein langes Gebäude aus gespaltenem Holz, in dem sich das gemeinschaftliche Wohn- und Speisezimmer sowie die Küche befanden.

Nachdem Armand seine durchnässte Kleidung gegen trockene, warme Kleidung vertauscht hatte, eilte er wieder zu seinen Kolonisten hinüber und fand das Feuer im Kamin hochauflodernd. Er zog einen Armsessel mit hoher Lehne aus Holz vor den Feuerplatz, ließ sich darin nieder und Joe, der große gelbe Hund, der ihm auf Schritt und Tritt folgte, streckte sich vor seinen Füßen auf dem Boden aus.

»Gelt, Joe, das war ein rechtes Vergnügen?«, begann Armand lachend, beugte sich zu dem Hund nieder und klopfte ihm auf die mächtigen Schultern. Der Hund aber hielt die Augen geschlossen und gab seine Antwort nur durch Schlagen mit seiner gewaltigen Rute zu erkennen.

Die drei Kolonisten hatten sich an den langen Tisch gesetzt, dessen Füße in den Erdboden eingeschlagen waren, denn einen Fußboden gab es nicht. Sie hatten ihre Arbeit wieder aufgenommen, die sie durch die Ankunft Armands unterbrochen hatten. Währenddessen schlug der Hagel wie Kartätschenfeuer auf das Schindeldach über ihnen auf.

Königstein, ein Israelit, hatte einen Sattel auf dem Schoß liegen und besserte Schäden daran aus. Johann, von Beruf Schreiner, der alle im Fort befindlichen Möbel angefertigt hatte, dessen Geschäft in dieser kleinen Kolonie aber in Kochen und Waschen bestand, nähte an einer Jacke aus Hirschleder, die er für den eigenen Gebrauch anfertigte. Mandel, dessen Aufgabe es war, den Garten und das Feld zu bearbeiten, schnitt das Leder für ein Paar Schuhe zurecht.

»Bald müssen Sie aber einmal nach der Ansiedlung reiten, Herr Doktor«, meinte Johann und wandte sich dabei an Armand. »Unsere Vorräte gehen zu Ende, insbesondere was den Kaffee betrifft. Und außerdem muss ich mancherlei Werkzeug haben, auch an Nägeln fehlt es.«

»Und mir fehlen Nadeln und Zwirn, und auch ein Eisen, um Löcher zu schlagen, und Schnallen sind nötig«, fiel Königstein, der Sattler, ein. Er melkte die Kühe, band die Pferde und Maultiere ins Gras um das Fort und führte sie zum Wasser.

»Ja, ich weiß, ich hätte schon längst hinunterreiten sollen. Ich habe so vieles dort zu besorgen. Es ist nun einmal nicht anders, man kann auf die Dauer nicht ohne die Menschen auskommen«, antwortete Armand und fügte nach einer Weile, sinnend in das Kaminfeuer schauend, noch halblaut hinzu: »Ich hatte gehofft, nie wieder mit ihnen in Berührung zu kommen!«

»Auch ist der große Nagel in unserem Wagen noch immer durch einen hölzernen ersetzt, den wir auf dem Weg hierher aus einer jungen Weißeiche schnitten. Sie müssten wieder einen eisernen machen lassen«, sagte Mandel.

»Ach ja, wir brauchen so vieles. Die Hufeisen für meine beiden Jagdpferde sind auch fast alle verbraucht. Ich muss hinunterreiten. Dann nehme ich unsere Vorräte von Talg, Wachs und gegerbten Hirschhäuten mit, um sie einzutauschen«, versetzte Armand halblaut und in Gedanken verloren. Nach einer Pause fuhr er fort: »Es wird auch Zeit, dass ich meinen Freunden in den östlichen Staaten und in Europa ein Lebenszeichen von mir gebe. Sie glauben mich sicher längst in der Ewigkeit.«

»Auch ich werde meine Mutter in Danzig mit einem Brief belästigen. Sie wird wohl schon manche Träne um mich geweint haben«, bemerkte Königstein mit betrübtem Ton.

»Freilich, es sind schon achtzehn Monate, seit wir nichts von der Welt gehört oder gesehen haben. Es waren aber glückliche Monate – nichts hat unsere Ruhe, unseren Frieden gestört. Wer kann das im Leben unter den Menschen wohl von sich sagen!«, entgegnete Armand wie in Erinnerung an vergangene Leiden mit einem tiefen Atemzug. Dann bückte er sich, als ob er das Gedenken der Vergangenheit in der frohen, sorglosen Gegenwart verwischen wolle, zu dem Hund nieder, fasste ihn beim Ohr, schüttelte ihn und sagte:

»Du fauler Kerl, kannst denn nichts tun, als schlafen?«

Nach einigen Augenblicken rief er dem Hund plötzlich aus Scherz zu:

»Joe, gib Acht!« Wie von einem elektrischen Funken getroffen schoss das mächtige Tier vom Boden auf und blickte mit tiefem Knurren zur Tür.

»So ist’s recht, Joe, gib Acht!«, sagte Armand nun vergnügt. Er hob das ungeheure Tier mit dem Vorderteil auf seinen Schoß und schlang seinen Arm liebkosend um dessen Nacken. Doch der Hund glaubte nicht, dass sein Herr nur gescherzt hatte. Er lauschte noch einige Augenblicke nach der Tür und sprang plötzlich mit wütendem Gebell gegen dieselbe. Die Tür flog auf und der Hund stürzte hinaus. Seine tiefe Stimme erschallte durch den Sturm. Bald kam er wieder hereingeschritten, schüttelte den Regen ab und ging wedelnd zu seinem Herrn, als wollte er ihm sagen, dass es ein falscher Alarm gewesen sei. Dann drehte er sich einige Male vor dem Feuer im Kreis und streckte sich wieder vor Armand hin.

Die vier Männer hatten sich wohl eine Stunde lang unterhalten, als Johann sich erhob und in die angrenzende Küche ging, um das Abendessen zu bereiten. Zugleich stand Königstein auf und sagte zu Armand: »Ich darf Zaar jetzt wohl den Mais geben? Er hat lange genug gestanden.«

»Ja, lieber Königstein, seien Sie so gut und geben Sie ihm nur wenig. Morgen früh darf er dann eine tüchtige Portion bekommen«, erwiderte Armand freundlich. Daraufhin verließ Königstein das Zimmer.

»Unsere Erbsen und Bohnen sowie der Lattich werden wohl sämtlich in Grund und Boden verhagelt sein«, begann Mandel.

»Leider«, entgegnete Armand, »doch in diesem Wunderland ist der Schaden bald ersetzt. In wenigen Wochen liefert der Garten wieder viel mehr, als wir verbrauchen können. Gut ist es aber, dass unser Mais noch nicht aufgegangen ist. Hoffentlich war dies der letzte Eissturm in diesem Frühjahr.«

Dann warf er noch ein Stück Holz auf das Feuer, schürte es an und legte sich behaglich in den Stuhl zurück, denn die Wärme und die Ruhe taten ihm gut.

Nach einiger Zeit trat Königstein wieder in das Zimmer, schlug den Regen von seinem breitrandigen Filz ab und sagte: »Zaar schmeckt es ganz vortrefflich. Er scheint seinen sauren Marsch vergessen zu haben.«

»Die Spornstiche, die er heute Abend erhalten hat, wird er aber wohl noch fühlen«, versetzte Armand. »Das arme Tier. Der Eisregen hat es ganz außer sich gebracht. Kein Wunder, denn ich glaube, dass meine eigene Haut morgen blaue Flecken zeigen wird, wo der Hagel mich getroffen hat.«

»Die Kühe sind heute Abend auch nicht nach Hause gekommen«, fuhr Königstein fort. »Sie machen es immer so. Wenn ein Sturm im Anzug ist, flüchten sie sich in den Wald.«

»Und das ist sehr vernünftig von ihnen. Ich würde auch lieber eine solche Nacht im Wald verbringen als in der Einzäunung, wo sie gar keinen Schutz haben«, bemerkte Armand.

»Mandel, Sie können morgen früh mit mir reiten und bei der Suche nach den Kühen helfen, damit wir sie hierhertreiben können. Auch Lip und Lion, unsere Stiere, werden sich wieder für einige Tage versteckt halten«, sagte Königstein.

»Gerne begleite ich Sie, lieber Königstein, wenn sich das Wetter nur aufklärt. Solange es stürmt, bleiben die Tiere im tiefsten Wald«, entgegnete Mandel freundlich.

»Morgen früh geht es immer hinaus in die Prärie, um sich in der Sonne zu trocknen«, fiel Armand ein. »Übrigens möchte ich auch mit Ihnen reiten, Königstein, falls unser lieber Mandel hier zu tun hat. Im Garten sieht es nämlich ziemlich mitgenommen aus.«

»Ja, wohl«, versetzte Mandel, »ich glaube, es wird sehr nötig sein, dass ich gleich morgen früh an die Arbeit gehe und Erbsen und Bohnen säe; es wird gar manches durch den Hagel zerstört sein.«

»Gut, dann bleiben Sie hier, ich begleite Königstein«, sagte Armand und unterhielt sich mit den beiden weiter über häusliche Angelegenheiten, während Johann eintrat und den Tisch deckte. Als er einen gebratenen, kolossalen wilden Truthahn auftrug, wandte sich Armand mit den Worten an ihn: »Ei, ich glaubte, Sie hätten den Hahn heute zu Mittag gegessen.«

»Nein, Herr Doktor, wir rechneten damit, dass Sie abends zurückkehren würden. Da wollten wir den Braten doch nicht anschneiden. Freilich ist er nun kalt«, entgegnete Johann entschuldigend.

»Ach, das müssen Sie nicht tun. Solche Rücksichten müssen Sie nicht gegen mich nehmen. Es setzt mich in Verlegenheit. Ich verdiene keinen Vorzug vor Ihnen. Gleiche Brüder, gleiche Kappen«, sagte Armand mit Herzlichkeit.

Er setzte sich an den Tisch und fuhr heiter fort: »Übrigens kommt mir der Bursche wirklich gelegen. Ich habe einen Löwenhunger. Ein Glück, welches man in der zivilisierten Welt gleichfalls nicht kennt. Und auch noch Eier und Lattich«, rief er gleich darauf lachend aus, als Johann mit einem großen, mit gesottenen Eiern gefüllten Blechtopf und einem irdenen Napf mit Kopflattich aus der Küche kam und beides auf den Tisch stellte. »Wir leben hier wahrlich wie Könige – und Könige dieser Wildnis sind wir ja auch.«

»Ich weiß bald gar nicht mehr, was ich mit allen Eiern anfangen soll«, versetzte Johann. »Wir haben jetzt wenigstens dreihundert Hühner draußen herumlaufen, die sich selbst ernähren. Fast täglich kommt eine weitere Henne aus den Büschen und bringt eine neue Schar Küken mit. Die Nester, die ich an der Einzäunung um das Fort angelegt habe, sind jeden Morgen mit Eiern gefüllt. So geht es auch mit der Milch. Wir können sie nicht ganz benutzen. Wenn wir nur Butter verkaufen könnten!«

»Es ist ja hier das Land, wo Milch und Honig fließen«, fiel Armand lachend ein, während er das große Messer ergriff und begann, den wilden Truthahn zu zerlegen.

»Ja, Honig«, nahm Johann das Wort wieder auf, »wir müssen bald wieder welchen haben.«

»Das können wir zu irgendeiner Zeit tun«, versetzte Armand. »Ich kenne noch einige Honigbäume ganz in der Nähe.«

»Wir könnten auch bald wieder eine Schildkröte fangen. Wir haben lange keine gegessen, und sie ist doch sehr gut«, fiel Königstein ein. »Ich will morgen sehen, ob ich eine bekomme. Dort hinter dem Maisfeld, wo der Fluss eine Biegung macht, haben wir immer die schwersten gefangen.«

»Wir haben in der Tat einen großen Reichtum, einen unglaublichen Überfluss an Lebensmitteln und Leckerbissen«, bemerkte Armand und reichte Königstein, der zu seiner Rechten saß, den Teller mit geschnittenem Braten. »Der Wald und die Prärie sind voller Wild, der Fluss ist voller feinster Fische und Schildkröten, die bis zu einem Gewicht von fünfzig Pfund schwer werden, und das Pflanzenreich bietet Jahr für Jahr die reichsten Ernten. Hätten nur die Armen in Deutschland das, was hier unbenutzt umkommt.«

»Und das wundervolle Klima! Abgesehen von den wenigen Stürmen und Gewitterregen haben wir ja immer blauen Himmel«, fügte Mandel hinzu.

»Vor allem aber keine Sorgen, keinen Ärger, keine getäuschten Hoffnungen«, versetzte Armand. »Unsere Ruhe, unser Friede ist doch niemals gestört worden.«

»Nun, die Indianer haben uns doch manchmal Sorgen gemacht, und Sie namentlich sind doch oft genug von ihnen beunruhigt worden«, fiel Königstein lächelnd ein.

»Das sind keine Sorgen, Königstein«, entgegnete Armand. »Das sind Gefahren, denen man die Stirn bieten kann und die uns Reiz und Lust gewähren. Aber von Neid, Bosheit und Verleumdung umgeben zu sein und in geliebten Freunden Schurken zu erkennen, das sind die tödlichsten Gifte für das menschliche Herz. Das sind die Foltern und Qualen, die einem das Leben verbittern und jede Freude ersticken.« Der Himmel bewahre uns und unser Glück und halte die Menschen von uns fern!«

Den vier jungen Männern schmeckte es vortrefflich, denn es blieb kein Ei übrig und von dem riesigen Truthahn wurden nur die Knochen abgetragen.

Nach aufgehobener Tafel saßen die einsamen Gefährten noch eine Weile behaglich bei dem flackernden Feuer, rauchten und unterhielten sich, während es draußen stürmte und tobte und der Donner immer wieder zu rollen begann. Dann aber suchten sie ihre weichen Betten aus Büffelhäuten und überließen es den wachsamen Hunden, über ihre Sicherheit zu wachen.

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