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Nick Carter – Band 17 – Das Gefängnis auf dem Meeresgrund – Kapitel 9

Nick Carter
Amerikas größter Detektiv
Das Gefängnis auf dem Meeresgrund
Ein Detektivroman

Der Kampf von Nick Carter auf dem Grund des Sees

Im selben Augenblick wurde seine Aufmerksamkeit jedoch durch einen Zwischenfall abgelenkt.

Ein anderer Taucher stieg zum Seegrund nieder.

Nick bemerkte, wie der Ankömmling den Grund hart bei der Taucherglocke erreichte und zugleich mit ausgestrecktem Arm auf den Detektiv deutete.

Offensichtlich hatten beide Männer ihn kommen sehen, besonders der, der schon zuvor in der Tiefe gewesen war, schien lebhaft erstaunt.

Unten in der Seetiefe konnte natürlich kein Laut gesprochen werden.

Doch die Handlungsweise der beiden war dem Detektiv verständlich genug.

Unter drohenden Gebärden näherten sich ihm die beiden Taucher. In ähnlicher Weise suchte Nick Carter den beiden Burschen zu verstehen zu geben, dass er durchaus nicht gewillt sei, sich von ihnen ins Bockshorn jagen zu lassen, und dass sie sich besser nicht um ihn bekümmerten.

Ob sie ihn nicht verstanden hatten oder sich, was wahrscheinlicher war, dazu entschlossen hatten, ihn fortzutreiben, blieb unklar.

Jedenfalls kamen die beiden Taucher rasch auf ihn zu und versuchten, ihn niederzuwerfen.

In diesem Augenblick begann der seltsamste, unheimlichste und zugleich gefährlichste Kampf, den der berühmte Detektiv in seiner Laufbahn bisher hatte bestehen müssen.

In Gottes freier Luft wäre Nick Carter mit den beiden schnell fertig geworden.

Auch auf dem Seegrund war er ihnen gewachsen, doch da war es schwer zu leugnen, dass zwei gegen einen kämpften.

Einerseits waren die beiden Taucher mehr an den Gebrauch ihrer schweren Rüstung gewöhnt und konnten sich daher auch ungehinderter in ihr bewegen. Außerdem war auch der stärkste und tapferste Mann verloren, wenn seinem Gegner die Durchschneidung des Luftschlauches gelang – und darum waren zwei gegen einen so gefährlich!

Nick schlug auf einen der Angreifer los und war innerlich überrascht, wie schwach und kraftlos sein Hieb ausfiel.

Zwar besaß er genug Kraft, um einen Stier mit einem Schlag tot niederzustrecken, doch im Wasser glitt sein Arm kraftlos dahin und seine Faust schien den Gegner mehr zu streicheln als hart zu treffen.

Immerhin war die Wucht des Hiebs aber stark genug, um den Taucher ins Straucheln zu bringen, und er wäre unweigerlich zu Boden gestürzt, hätte ihn das Gewicht seiner Rüstung nicht aufrecht gehalten.

Der andere Taucher hatte den Detektiv inzwischen gepackt und mühte sich ab, ihn zu Boden zu ziehen. In diesem Moment kam auch sein Kumpan, der inzwischen wieder festen Halt auf den Füßen erlangt hatte, heimtückisch von der Seite herbei, um mit einem langen Messer den Luftschlauch des Detektivs abzuschneiden.

Nick Carter ließ seine Fäuste, so gut er vermochte, nach beiden Seiten hin niedersausen, doch die Kerle wichen seinen Streichen aus und waren ihm dicht auf den Fersen.

Augenblicklich begriff der Detektiv, in welch gefahrvoller Lage er sich befand.

An dem grellen Blitzen erkannte er, dass einer der Burschen ein langes Messer in der Hand hielt.

Mit übermenschlicher Gewalt gelang es dem Detektiv, sich seine Gegner durch wuchtig geführte Schläge vom Leib zu halten.

Noch nie zuvor hatte er mit entschlosseneren und verzweifelteren Feinden einen Entscheidungskampf auszufechten gehabt.

Sie ließen sich einfach nicht zurückschlagen, sondern versuchten immer wieder, sich an ihn zu klammern.

Natürlich konnte der Kampf, der auf dem Seegrund stattfand, der Aufmerksamkeit der Männer in den Booten nicht entgehen.

Sie konnten zwar nicht erkennen, was sich wirklich abspielte, doch die Luftschläuche und Zugleinen befanden sich in wilder Bewegung und trüber Schlamm, der von den stampfenden Füßen unten in der Tiefe aufgewühlt worden war, färbte die Oberfläche des Wassers mit braunen Flocken.

Der Führer des kleinen Ruderbootes ließ sich von seinen Leuten rasch zum Prahm zurückrudern.

Chick, der befürchtete, dass die Luftzufuhr in Unordnung geraten könnte, atmete erleichtert auf, als er ein plötzliches Zucken an der Ventilleine verspürte. Dies signalisierte ihm, dass der Detektiv hinaufgezogen werden wollte.

Deshalb begann Chick, mit einer Hand die Seilwinde in Bewegung zu setzen, während er mit der anderen unablässig die Luftpumpe betätigte.

Er nahm wahr, wie die Männer auf dem Prahm gleichzeitig bei der Arbeit waren, um ihre beiden Taucher in die Höhe zu winden.

Eine Minute später befand sich Chick dicht an der Steuerbordseite und war dabei sehr darauf bedacht, nicht von den Männern angegriffen zu werden. Doch diese hatten viel zu sehr mit dem Aufwinden ihrer Kameraden zu tun, als dass sie sich um den Einzelnen kümmern konnten, der sich in der Jolle befand.

»Bleibt vom Deck!« war alles, was sie ihm drohend zuriefen. Und da Chick auch durchaus keine Lust verspürte, dem

Prahm einen Besuch abzustatten, solange Nick noch unter Wasser war, gehorchte er gern aus freien Stücken.

Einige bange Sekunden verstrichen, dann tauchten fast gleichzeitig drei Taucherhelme auf.

Ein Taucher bewegte sich so schnell er konnte zur Backbordseite des Prahms.

Der zweite hatte den dritten, augenscheinlich bewusstlosen Taucher, mit einem Arm umfasst.

Chick erkannte augenblicklich in dem Retter den Meister, denn dessen Ausrüstung war ganz anders als die der beiden anderen Taucher. Er begriff, dass der Detektiv auf dem Seegrund einen seiner Angreifer überwältigt hatte.

Im nächsten Augenblick klammerte sich Nick Carter an den Rand des Ruderbootes und Chick beeilte sich, ihm den unförmigen Taucherhelm abzuschrauben.

»Ich weiß nicht, ob ich den Mann getötet habe oder nicht«, stieß Nick Carter hervor, nachdem er die kühle Abendluft tief eingeatmet hatte. »Ich will ihn an Bord nehmen. Du hältst jene Schurken dort mit dem Revolver in Schach und gestattest keinem von ihnen, zur Küste zu entweichen!«

Chick sprang mit einem gewaltigen Satz an Bord des Prahms. Die Männer an Bord schrien wild auf. Es bedurfte kaum des Befehls ihres Kapitäns, um sie zu dem Versuch anzutreiben, sich auf den jungen Detektiv zu stürzen.

Zwanzig und mehr standen gegen einen einzigen beherzten Mann.

Chick begriff, dass die nächsten Sekunden über sein Schicksal entscheiden würden.

Ohne zu zögern feuerte er auf den Kapitän und traf ihn an der Schulter.

Der Verwundete fiel fluchend auf das Verdeck. Seine Leute dagegen flüchteten verschüchtert in alle Richtungen auseinander.

In diesem Augenblick erschien auch Nick Carter auf dem Verdeck.

»Der Taucher lebt – er ist nur erschöpft!«, rief er eilig. »Wir müssen diese Leute zur Arbeit treiben – und zwar müssen sie arbeiten wie der Teufel!«

Mit erhobener Stimme und dem Revolver in der Hand wandte er sich an die untätig stehende Schiffsmannschaft.

»Ich bin der New Yorker Detektiv Nick Carter und stehe hier im Auftrag des Polizeichefs von Chicago!«, erklärte er entschlossen. »Windet augenblicklich die Taucherglocke hoch – oder es setzt für jeden von euch eine Anklage wegen vorbedachten Mordes!«

Völlig im Bann der mächtigen Persönlichkeit des Detektivs und in bangem Schrecken durch dessen Drohung versetzt, deren Inhaltsschwere sie sämtlich begriffen, wagte keiner der Männer, ungehorsam zu sein. Mit größter Eile bedienten sie die Maschinerie, und bald darauf schwebte die unförmliche Taucherglocke über dem Wasser und wurde an Bord des Prahms gezogen.

Wie sich eine Minute später herausstellte, befand sich im Inneren der Taucherglocke Mr. Fillmore.

Er war bewusstlos, aber noch am Leben. Nick Carter, der über umfassende ärztliche Kenntnisse verfügte, machte sich augenblicklich daran, den Unglücklichen ins Leben zurückzurufen.

Währenddessen gab Chick ein mit der Hafenpolizei zuvor verabredetes Raketensignal, woraufhin einer der kleinen Polizeidampfer sofort vom Kai abstieß und mit Volldampf zum Bergungsprahm fuhr.

Als die Beamten an Bord kamen, wurde die gesamte Besatzung verhaftet, zur Hafenpolizeistation gebracht und dort in Zellen verwahrt.

In der Taucherglocke hatte man bestimmte Nahrung für Mr. Fillmore vorgefunden und ihr war ununterbrochen frische Luft zugeführt worden.

Außerdem war ein Taucher als Wachposten neben der Glocke aufgestellt worden, um jedem störenden Vorfall sofort begegnen zu können.

Die getroffenen Maßnahmen ließen erkennen, dass es nicht in der Absicht der Entführer gelegen hatte, dem Millionär leiblichen Schaden zuzufügen. Immerhin hatten sie frivol mit dem Leben des bejahrten Mannes gespielt, denn niemand, der nicht daran gewöhnt ist, kann im Inneren einer Taucherglocke für längere Zeit am Leben bleiben.

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