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Aus dem Reiche der Phantasie – Heft 3 – Der rote Messias – 2. Teil

Robert Kraft
Aus dem Reiche der Phantasie
Heft 3
Der rote Messias
Verlag H. G. Münchmeyer, Dresden, 1901

Kapitel 2
Im Lager der Sioux

An dem Ufer eines Nebenflusses des Red River waren gegen hundert Wigwams aufgeschlagen. Die Frauen und Mädchen gerbten im Schein der Abendsonne am Wasser Büffelhäute, das Ergebnis der letzten Jagd. Die meisten Männer lagen rauchend vor dem Eingang ihres Zeltes, einige beschäftigten sich mit den Pferden – schönen, kräftigen Mustangs –, andere leiteten Übungen der heranwachsenden Jugend mit Tomahawk und Pfeil und Bogen. Die kleineren Kinder balgten sich jauchzend herum und betrachteten dabei auch die zahlreichen Hunde als ihre Spielgefährten.

Es war ein hübsches, friedliches Bild aus dem Leben in der Wildnis im fernen Westen, obwohl auch jetzt, da die Männer keine Kriegsfedern in den Skalplocken trugen, das ganze Dorf von einer unsichtbaren Kette weit vorgeschobener Wachtposten umgeben war.

Plötzlich kam aus dem Wald ein Wagen mit zwei Pferden und rollte über die pfadlose Bucht dem Dorf zu. Die Kinder rannten ihm entgegen und die Frauen blickten neugierig und auch sehnsüchtig zu ihm hin, während die Krieger es unter ihrer Würde hielten, auch nur den Kopf ihm zuzuwenden.

Das Gefährt gehörte Old Tom, einem Indiantrader, der von der Regierung einen Schein hatte, mit dem er mit seinem Wagen von Stamm zu Stamm fahren und ihnen gegen Häute Decken, bunte Tücher, Tabak und anderes verkaufen durfte. Zwar war es verboten, dass er auch mit Feuerwasser handelte, doch die Regierung hatte ihn damit beauftragt. Da die Indianer dies nicht wussten, behandelten sie den kleinen, alten Mann mit dem verschmitzten Gaunergesicht wie einen heimlichen Vertrauten, denn immerhin riskierte er seine Haut, um sie in den Besitz des verpönten Getränks zu bringen. Zugleich brachte Old Tom stets die neuesten Nachrichten mit und man hörte ihm gern zu, auch wenn man wusste, wie sehr der alte Sünder log.

Das Tauschgeschäft war bald beendet. Die Männer hatten eingehandelt, was sie brauchten, und in einem Wigwam war auch ein geheimnisvolles Fässchen verschwunden. Nun wurden die Frauen beschenkt und unter die Kinder warf der Hausierer, der bei dem ganzen Handel natürlich am besten weggekommen war, Kandiszucker.

»Hüte dich, Häuptling«, wandte er sich dann, als er damit fertig war und sich nun dem Packen der Felle widmete, mit lauter Stimme an einen älteren, herkulisch gebauten Krieger, sodass ihn das ganze Dorf hören musste. »Ich komme gerade aus dem Lager der Cherokee. Ihre Krieger haben etwas gegen euch vor. Mich geht’s ja eigentlich nichts an, denn ich bin ein friedliebender Händler und darf mich auch in so etwas nicht mischen. Aber ihr seid doch meine Freunde, und ich möchte euch daher warnen. Die Cherokee graben den Tomahawk aus. Sie sind nach den Skalpen der Sioux lüstern. Habt ihr noch nichts von dem fremden Indianer gehört, der von einem Lagerfeuer der Cherokee zum anderen geht? Er fordert zum Kampf gegen euch auf.«

»Die Cherokee sind feige Hunde«, entgegnete der Rote Adler ohne jegliche Überraschung, denn die alte Feindschaft mit dem genannten Stamm hatte immer bestanden. Erst kürzlich war es zwischen Cherokee und Sioux wieder zum Kampf gekommen, und zwar wegen eines mit den Sioux eng befreundeten Trappers, der einen Cherokee auf der Jagd erschossen hatte. Erst der Tod des Trappers hatte dem blutigen Streit ein Ende gemacht.

Auch die anderen Indianer, die die Worte des Händlers gehört hatten, schienen ihnen keine besondere Beachtung zu schenken.

»Der fremde Indianer«, fuhr der Händler trotzdem mit krähender Stimme fort, »von dem niemand weiß, woher er gekommen ist, behauptet, der große Geist selbst habe ihn aus den ewigen Jagdgründen zu seinen Söhnen, den Cherokee, geschickt, um ihnen zu sagen, dass alle Büffel und alle Skalpe der Sioux ihnen gehörten, die er hasse. Die Cherokee nennen ihn Sohn des großen Geistes, sie bewundern ihn, weil er ihnen so schöne Versprechungen macht. Na, wie gesagt, mich geht’s nichts an, aber hütet euch vor den Cherokee und diesem Lügner. Denn es könnte sein, dass er auch zu euch kommt, um euch mit schönen Worten, die ihm wie Honig aus dem Mund fließen, einzulullen, damit die feigen Cherokee dann über euch herfallen können.«

Mochten diese Worte auch noch so aufregend sein, dem Erzähler wurde nur Gleichgültigkeit entgegengebracht, denn er war als Schwätzer bekannt.

Da sprengte ein Reiter auf einem schäumenden Pferd über die Waldblöße heran und schwang sich neben dem Wagen aus dem spanischen Sattel. Es war eine wilde, in Leder gekleidete Gestalt. Neben dem modernen Revolver trug der Reiter auch den indianischen Tomahawk im Gürtel. Seinem ganzen Aussehen nach war er ein Mestize, der Abkömmling eines weißen Trappers und einer roten Squaw. Man kannte ihn im Lager der Sioux. Dieser Mann lebte ebenso wie sein Vater ungebunden als freier Jäger. Wo er sich des Abends zum Schlafen niederlegte, dort war er zu Hause. Er verdarb es dabei mit niemandem, sodass er bei fast allen Indianerstämmen Gastfreundschaft genoss. Da ihm die vordersten Glieder der Finger an der linken Hand fehlten und er sich durch keine Tat einen besonderen Ehrennamen verschafft hatte, wurde er allgemein Kurzhand genannt.

Nun blickte er sich im Kreis um, ging auf einen alten Indianer zu, löste schweigend ein kleines Beutelchen von seinem Gürtel, zog einen darin steckenden Pfeil heraus und übergab ihm beides. Der Indianer warf kaum einen Blick auf das mit Figuren bemalte Beutelchen und betrachtete den Pfeil nur einen Moment. Dann schritt er auf den Häuptling zu, übergab ihm beide Gegenstände, warf sich mit einem Ruck das auf dem Rücken hängende Hirschfell über den Kopf und verschwand mit verhülltem Gesicht in seinem Wigwam.

Dies alles war schweigend vor sich gegangen. Der Häuptling öffnete unterdessen den Beutel, entnahm ihm eine dicht an der Wurzel abgeschnittene Skalplocke, hob diese und den Pfeil in die Höhe und rief:

»Hugh! Der Springende Hirsch ist von einem Pfeil der Cherokee getötet worden!«

Ein vielstimmiger Wutschrei erfüllte das ganze Dorf und Frauen und Kinder brachen in ein Zetergeheul aus.

Der von fremder Hand herbeigebrachte Medizinbeutel des Sioux-Kriegers besagte seinen Tod. Der Pfeil ließ erkennen, wer ihn getötet hatte. Die abgeschnittene Skalplocke drückte aus, dass er heimtückisch ermordet worden war und der Mörder keine Zeit mehr gefunden hatte, ihm den Skalp zu nehmen. Für den Vater des Springenden Hirsches hatte der Anblick des Medizinbeutels genügt, um den Tod seines Sohnes bestätigt zu finden. Die Rache aber hatte er in die Hände des Roten Adlers, des Häuptlings des Stammes, gelegt.

Alle blickten nach dem Mestizen.

»Ein fremder Indianer geht unter den Cherokee und anderen Stämmen von Feuer zu Feuer«, begann dieser mit rauer Stimme zu erzählen und bestätigte damit die Aussagen des Hausierers. »Sie nennen ihn den Todespfeil und geben ihm auch andere Namen. Er selbst aber nennt sich Sohn Manitus und behauptet, er sei vom großen Geist geschickt worden, um die Sioux zu vernichten. Er ist ein Lügner. Der große Geist liebt die Sioux. Der aus dem Norden gekommene Fremde will sich nur zum Häuptling aller Häuptlinge machen. Er verspricht denen, die ihm helfen, die fetten Büffelherden der Sioux, weil er selbst nichts hat als ein großes Maul. Jetzt führt er die Cherokee gegen euch an. Sie haben ihre Skalplocken bereits geschmückt und ihre Tomahawks geschärft. Ihre Jünglinge schwärmen voraus und ein unreifer Knabe schoss dem springenden Hirsch, der sich auf den Jagdgründen von Freunden wähnte, diesen Pfeil durch den Rücken. Der Mörder floh vor mir und ich rettete den Skalp des Kriegers. Kurzhand hat gesprochen.«

Ein neues Wutgeheul erhob sich. Nun hörte der stolze Gleichmut der Indianer auf. Der Krieg war da, obwohl die hinterlistigen Cherokee nicht einmal den blutigen Pfeil als Kriegserklärung geschickt hatten. Jeder wusste, was er zu tun hatte.

Die Frauen verließen sofort die Arbeit, ebenso wie die Kinder ihre Spiele. Auch sie prüften gleich den Greisen die Waffen, denn nur sie würden zum Schutz der Wigwams zurückbleiben. Im Schein der lodernden Feuer salbten die Krieger ihre Skalplocken, steckten Adlerfedern hinein und schärften die Tomahawks und Skalpellmesser. Sie reinigten die Feuerwaffen, gossen Kugeln und spannten neue Sehnen auf die Bögen aus Ahornholz oder dem Horn von Bergschafen. Auch die Wachen wurden durch kampfbereite Krieger abgelöst, damit auch sie sich auf den Rachezug vorbereiten konnten. Währenddessen sangen die Greise mit monotoner Stimme Heldenlieder, die sich mit dem Wehklagen aus dem Wigwam des ermordeten Sioux vermischten. Der Medizinmann schmückte sich unterdessen für den Zaubersegen. Nun wurden leichtfüßige Späher in Richtung der Jagdgründe der Cherokee vorgesandt.

Nach Mitternacht sollten alle Krieger aufbrechen. Die schnellen Mustangs würden einen ganzen Tag und nicht länger brauchen, um die dreißig Meilen zurückzulegen, die sie von dem Dorf jenes Cherokee-Stammes trennten. Wenn man während des Tages nicht auf die Feinde stieß, sollte der Überfall auf das Dorf morgen Nacht stattfinden.

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