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Die Gespenster – Vierter Teil – 27. Erzählung

Die Gespenster
Kurze Erzählungen aus dem Reich der Wahrheit von Samuel Christoph Wagener
Allen guten Schwärmern, welchen es mit dem Bekämpfen und Ablegen beunruhigender Vorurteile in Absicht des Geisterwesens ernst ist, liebevoll gewidmet von dem Erzähler Friedrich Maurer aus dem Jahr 1798
Vierter Teil

Siebenundzwanzigste Erzählung

Ein böser Geist zerstört die Wohnung der Witwe Breive bei Osnabrück

In dem zum Osnabrücker Amt Iburg gehörigen Kirchspiel Hagen besitzt sie ein Haus und etwas Gartenland, sodass sie mit einem zwölfjährigen Knaben und einigen jüngeren Töchtern bei Fleiß und Sparsamkeit notdürftig leben kann. Im Juni 1793 bemerkte diese Frau allerlei kleine Beschädigungen und Verletzungen an ihrem Haus. Bald fand sie den Kalk von der Wand gerissen, bald hier und da einen Stein aus der Mauer gestoßen usw.

Dies musste sie natürlich umso mehr befremden, da sie nicht begriff, wer und warum irgendjemand ihr solch einen Schaden zufügen sollte, je beträchtlicher diese Beschädigungen nach und nach wurden. Es stürzten nämlich ganze Fächer der Mauer ein und die Fenster zerbrachen, ohne dass die alte, erschrockene Frau jemals dem Urheber dieses Unwesens auf die Spur kommen konnte.

Das Gerücht über diese Vorfälle verbreitete sich bald im Dorf Hagen, das noch eine halbe Stunde von ihrem Haus entfernt liegt, und dann immer weiter. Neugierde trieb Menschen aus allen Gegenden herbei, um sich von diesen unerhörten Erscheinungen mit eigenen Augen zu überzeugen. Auch fand sich niemand, der seine Erwartung nicht erfüllt sah.

Bei so auftretenden Umständen war dem großen Volkshaufen nichts gewisser und natürlicher, als dass hier unsichtbare böse Geister im Spiel waren. Überall behaupteten neidische Menschen, der verstorbene Mann, der das Haus erbaut hatte, habe durch unerlaubte Mittel und Ungerechtigkeit die Baukosten gesenkt, daher müsse er nun als spukender Geist das Haus nach und nach wieder einreißen. Die Angst und der Kummer der gutmütigen alten Frau waren groß bei dem Gedanken, ihren guten Mann auf eine so schreckliche und schimpfliche Weise bestraft zu wissen.

Das einzige Mittel, um eine weitere Zerstörung des Hauses zu verhindern, schien ihr und ihren Nachbarn daher, den bösen Geist zu verbannen. Man wollte dem katholischen Pfarrer des Dorfes dieses Geschäft übertragen, doch dieser war ein viel zu vernünftiger Mann, um sich darauf einzulassen. Um den unaufhörlichen Zudringlichkeiten dieser einfältigen Leute auszuweichen und sie einigermaßen zufriedenzustellen, glaubte er, ihrer zweiten, nicht weniger dringenden Bitte, ein Zeugnis auszustellen, dass an dem Haus Spuren von Geisterwirkungen sichtbar waren, wenigstens zum Teil nachkommen zu müssen. Er bescheinigte ihnen lediglich die tatsächlichen Schäden, ohne jedoch einen verwüstenden Geist auch nur zu erwähnen.

Mit diesem Zeugnis ausgerüstet, begaben sie sich zum nächsten Franziskanerkloster. Die Ordensbrüder desselben waren entweder zu ehrlich oder fanden es bedenklich, ihren Schutz und Beinstand wider das Gespenst angedeihen zu lassen. Die Lage der Dinge blieb daher, wie sie war. Die Beschädigungen am Haus wurden täglich erheblicher und alle Bemühungen, den vielleicht ungeistigen Urheber derselben zu entdecken, blieben fruchtlos, obwohl täglich viele Menschen zugegen waren.

Um der armen Witwe endlich vielleicht Ruhe zu verschaffen und dem täglich anwachsenden Aberglauben Einhalt zu tun, beschlossen der Pastor und sein Kaplan, in der Nähe des Hauses wechselweise so lange aufzulauern, bis sie den Täter auf frischer Tat ertappen würden. Ihr Beobachten im Hinterhalt war anfangs zwar von keinem besonders glücklichen Erfolg, indessen wirkte es doch so viel, dass sich in Anwesenheit dieser Herren nie etwas ereignete und das alte Spiel erst bei ihrer Entfernung wieder anhob.

Nachdem der Teufelsbuhl beinahe drei Wochen lang ununterbrochen fortgesetzt worden war, gelang es den Bemühungen dieser vernünftigen Seelsorger endlich, ihn aufzuklären, den boshaften Gaukler zu ertappen, die geplagte Hausfrau von ihrer Angst und Not zu befreien und den durch diese bisherige Betrügerei in der ganzen Gegend unglaublich gestiegenen Aberglauben nachdrücklich zu zerstreuen und zu Schanden zu machen.

Als der Kaplan eines Tages wieder in einem Hinterhalt verborgen lag, bemerkte er zu seinem großen Erstaunen, dass der zwölfjährige Sohn der Witwe schüchtern und sich umblickend mit einer langen Stange daherschlich. Als er sich sicher war, nicht beobachtet zu werden, stieß er ein bisher unversehrtes Fenster ein. Dann schlich er leise und seiner Meinung nach unbemerkt um die Ecke des Hauses. Glücklicherweise war der Kaplan nicht der einzige Beobachter, sondern einige andere Leute, deren Gegenwart der Knabe nicht vermutet hatte, sprangen aus ihren Verstecken hervor und ertappten ihn so auf frischer Tat, sodass er es nicht wagen konnte, sie anzulügen.

Diese ebenso glückliche wie wichtige Entdeckung wurde sogleich dem Justizamt Iburg berichtet, welches den Jungen unverzüglich einzog. Den vielen Menschen, die hier an einen anderen als menschlichen Teufel glaubten, kam es sonderbar vor, ja, sie nannten es sogar ungerecht, einem so kleinen und anscheinend frommen Knaben Taten voll unverkennbarer Spuren höllischer Geisterwirkung zur Last legen zu wollen. Bei dem mit diesem unschuldigen Kind angestellten Verhör bekannte es aber sogleich und ohne Schwierigkeiten den ganzen Hergang der Sache.

Da es den Gerichten allerdings unglaublich war und nahezu unmöglich schien, dass ein solcher Knabe zu solch einer Bösartigkeit fähig sein könnte, und da vielmehr zu vermuten stand, er sei von anderen schlechten Menschen zu diesem Unfug beredet und unterstützt worden, wurde er ernstlich befragt, ob ihn jemand zu seinen Bubenstreichen verführt und dabei behilflich gewesen sei. Auf diese Frage antwortete der Junge mit der größten Unverschämtheit und Dummdreistigkeit, dass einer der Dorfbewohner, welchen er sogar namentlich benannte, seiner Mutter Heiratsanträge gemacht habe. Da die Mutter ihn aber nicht heiraten wolle, habe dieser Mensch ihn unter allerlei Versprechungen dazu beredet, der Mutter auf die besagte Art Furcht und Angst einzujagen, damit sie seinen Wunsch dann wohl erfüllen würde. Nach einer sorgfältigen Prüfung dieser Aussage ergab sich, dass der angebliche Heiratsantrag eine bloße Erfindung war und überhaupt nichts an der Aussage wahr war.

Als man ihn wegen dieser boshaften und groben Lüge zur Rede stellte und nochmals mit Nachdruck in ihn drang, um die Wahrheit ans Licht zu bringen, bekannte er schließlich: Er habe alles aus bloßem Mutwillen und ohne besondere Absichten getan, sei auch von niemandem, weder dabei unterstützt noch dazu verführt worden, obwohl er dies gestern, um sich einigermaßen zu rechtfertigen, vorgegeben habe. Anfangs habe er aus bloßer Langeweile mit einem Stück Eisen allerhand Kritzeleien an die Mauer gemacht und hier und da Stücke Kalk von der Wand gerissen. Da seine Mutter und nachher auch andere Leute hierüber ängstliche Verwunderung bekundet und die Vermutung geäußert hätten, dass dies eine Geisterwirkung sei, so habe es ihm Vergnügen gemacht, klüger zu sein als sie alle. Daher habe er den Spaß immer weiter fortgesetzt, bis er schließlich ganze Wandfächer ausgestoßen und Fenster mit Blei und Glas eingeworfen habe. Die Verwunderung und das Erstaunen so vieler durch seine Taten herbeigeführter einfältiger Menschen hätten ihm großen Spaß gemacht.

Der Knabe wurde nach diesem Geständnis, bei dem er blieb, zu der wohlverdienten Strafe von fünfundzwanzig Stockprügeln und zu dreitägigem Gefängnis verurteilt.

So hatten die Dummheit und die albernen Vorurteile jener Witwe und der ihr nachbetenden Menge sowohl der Bosheit eines verschmitzten Knaben als auch dem Aberglauben und der Geisterwahntätigkeit einfältiger Menschen eine Zeitlang eine nur allzu wirksame, verderbliche Nahrung gereicht!

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