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Die Virginier Erster Band – 11. Kapitel

William Makepeace Thackeray
Die Virginier
Erster Band
Wurzen, Verlags-Kontor, 1858
11. Kapitel

In welchem sich die beiden Georges zum Blutvergießen rüsten

Der Oberst weilte in einer Kammer der Schenke und war mit trüben Vorbereitungen für das bevorstehende Treffen beschäftigt. Sein Gegner im anderen Zimmer dachte ebenfalls daran, seine letztwilligen Verfügungen zu treffen, und diktierte einem gehorsamen Bruder und Sekretär einen hochtrabenden Brief an seine Mutter, von der er in diesem Schreiben feierlich Abschied nahm. Sie würde, so glaubte er, den Plan, den sie im Auge hatte, nach dem Ereignis dieses Morgens kaum weiterverfolgen, wenn er fallen sollte, was wahrscheinlich war.

»Mein lieber, lieber George, sag doch das nicht!«, schrie der erschreckte Sekretär.

»Was wahrscheinlich ist«, beharrte George mit großer Würde. »Du weißt, welch guter Schütze Oberst George ist, Harry. Ich selbst treffe auch ganz hübsch ins Ziel, und es ist wahrscheinlich, dass einer von uns fällt oder auch beide. Ich glaube kaum, dass Sie die Absichten ausführen werden, die Sie gegenwärtig hegen.« Diese Worte sprachen mit noch mehr Bitterkeit, als George sie in den vorhergehenden Satz gelegt hatte. Harry weinte, als er es niederschrieb.

»Du siehst, ich verrate nichts. Madame Esmonds Name wird in diesem Streit nicht einmal erwähnt. Erinnerst du dich nicht daran, wie unser Großvater in seiner selbstgeschriebenen Lebensgeschichte erzählt, dass Lord Castlewood mit Lord Mohun unter dem Vorwand eines Zanks beim Kartenspiel focht und niemals den Namen der Dame erwähnte, die der eigentliche Anlass für das Duell war? Ich gestehe dir, Harry, diesen Fingerzeig habe ich benutzt. Unsere Mutter wird nicht im Geringsten bloßgestellt. Aber Junge, was hast du da geschrieben, und wer hat dich Orthografie gelehrt?«

Harry hatte das letzte Wort Absichten als Absigten geschrieben, und ein großer Tropfen Salzwasser aus seinen ehrlichen Kinderaugen mochte noch einige andere Fehler verwischt haben.

»Ich kann jetzt nicht an die Orthografie denken, Georges«, wimmerte Georges Schreiber. »Mir ist zu elend zumute. Ich glaube jetzt beinahe auch, vielleicht ist das alles Unsinn, vielleicht hat Oberst George niemals …«

»… niemals von Castlewood Besitz ergreifen wollen, niemals den Erhabenen gespielt und uns herablassend behandelt, niemals meiner Mutter geraten, mich verprügeln zu lassen, niemals geplant, sie zu heiraten.« Er hat mich niemals beleidigt und ist selbst von des Königs Offizieren beleidigt worden. Hat er niemals seinem Bruder geschrieben, dass wir besser unter seiner väterlichen Macht stünden? Der Brief ist hier«, rief der junge Mann und schlug an seine Brusttasche. »Und wenn mir etwas zustößt, Harry Warrington, ich kann nicht schreiben«, weinte Harry, bohrte die Fäuste in die Augen und verschmierte das ganze Schriftstück samt der falschen Orthografie mit den Ellenbogen.

Darauf ergriff George ein neues Blatt Papier, setzte sich an seines Bruders Platz und verfasste ein Kunstwerk, in dem er die längsten Worte, die großartigsten lateinischen Zitate und die tiefgründigste Satire verwandte, deren der jugendliche Schriftgelehrte Meister war. Er verfügte, dass sein Diener Sady freigelassen würde, dass sein Horaz eine Auswahl seiner Bücher, sowie, wenn möglich, ein angemessenes Legat seinem verehrten Lehrer, Mr. Dempster, zugeeignet werden sollten; dass sein silbernes Obstmesser, seine Noten und das Spinett die kleine Fanny Mountain erhalten sollten und dass sein Bruder eine Locke von seinem Haar abschneiden und sie zum Gedächtnis an seinen ihn stets zärtlich und treu liebenden George tragen sollte. Er siegelte das Dokument mit dem Wappenring der Familie, den sein Großvater getragen hatte.

»Die Uhr gehört dir natürlich«, sagte er zu Harry, während er die goldene Uhr seines Großvaters hervorzog und einen Blick darauf warf. »Was, zweieinhalb Stunden sind vergangen. Zeit, dass Sady mit den Pistolen zurückkommt. Nimm die Uhr, lieber Harry.«

»Es hat keinen Sinn!«, rief Harry aus und schlang die Arme um seinen Bruder. »Wenn er mit dir kämpft, will ich ihn auch fordern. Wenn er meinen Georgy umbringt, … dann … soll er auch auf mich schießen!« Und der arme Bursche brachte noch mehr solcher Beteuerungen vor, von denen behauptet wird, dass sie berichterstattende Engel ganz besonders rühren, sodass sie diese in himmlischen Kanzleien niederschreiben müssen.

Indessen hatte General Braddocks neuer Adjutant fünf Briefe in seiner großen, entschlossenen Schrift verfasst und versiegelt. Einer war an seine Mutter in Mount Vernon gerichtet, einer an seinen Bruder, einer trug als Adresse nur die Buchstaben M. C., einer ging an Seine Exzellenz, General Braddock. »Und einer, junge Herren, ist an Eure Mutter, Madame Esmond«, meldete der Kundschafter.

Wieder musste der protokollführende Engel mit einem heftigen Ausruf davonfliegen, der dieses Mal von George Warringtons Lippen kam. In der bereits erwähnten Kanzlei wimmelte es von solchen Fällen, und die Boten mussten ständig unterwegs sein. Doch ich fürchte, für den jungen George und seinen Schwur gab es keine Verzeihung, denn es war eine Verwünschung, die aus einem Herzen voller Hass, Wut und Eifersucht hervorbrach.

Der Gastwirt selbst erzählte den jungen Leuten von den Briefen. Der Hauptmann hatte zu diesem Anlass seine alte Milizuniform angezogen und berichtete den Brüdern, dass der Oberst im Garten auf und ab ginge und sie erwarte. Außerdem wären die Regulären nun auch fast nüchtern.

Ein Fleckchen Land nahe des Hauptmanns Blockhauses war für einen Küchengarten gerodet und mit Planken eingefasst worden. Und tatsächlich, dort spazierte Oberst Washington, die Hände auf dem Rücken, mit gesenktem Kopf und voller Sorgen. Die schwarzen Diener drängten sich am Zaun und spähten hinüber. Die Offiziere waren tatsächlich aufgewacht, wie der Wirt bemerkt hatte. Hauptmann Waring stolzierte fast ohne zu schwanken unter dem Balkon dahin, der durch das schräge Dach und den Vorbau des Holzhauses gebildet wurde. Hauptmann Grace lehnte über das Geländer und starrte angestrengt vor sich hin, obwohl er wahrscheinlich nicht sehr klar sah.

Bensons Haus war ein berühmter Treffpunkt für Hahnenkämpfe, Pferdewetten, Boxen und Ringkämpfe, die das virginische Landvolk zusammenbrachten. Es hatte viele Schlägereien bei Benson gegeben, und mancher, der gesund und nüchtern hinkam, war mit gebrochenen Rippen und gequetschtem Auge von dannen gezogen. Und Landjunker, Bauern und Schwarze – sie alle beteiligten sich an diesen Sportveranstaltungen.

Dort also schritt der hochgewachsene junge Oberst würdevoll und tief in trübes Sinnen versunken dahin. Es gab keinen anderen Ausweg aus seiner Klemme als den üblichen, grausamen, den die Gesetze der Ehre und der Landesbrauch geboten. Durch die Anmaßung eines Jungen zur Wut gereizt, hatte er beleidigende Worte gebraucht. Der junge Mann hatte Genugtuung gefordert. Der Gedanke, dass George Warringtons Misstrauen und Rachedurst so lange in dem jungen Burschen genagt haben sollten, empörte den Obersten; aber er hatte Unrecht begangen und musste Sühne leisten. Nun hörte man ein großes Hallo und Geschrei, wie es bei den Schwarzen üblich ist. Sie lieben Lärm und rufen und kreischen mit besonderem Vergnügen, wenn sie galoppieren. Alle Köpfe, wollige und gepuderte, wandten sich in die Richtung des Geschreis. Es kam von der Straße her, die unsere Reisenden drei Stunden zuvor passiert hatten. Bald vernahm man Hufgetrappel, und dann erschien Mr. Sady auf schäumendem Ross. Er feuerte tatsächlich inmitten des Tumults seiner kraushaarigen Brüder eine Pistole ab, dann noch eine. Sein Pferd, auf dem Harry Warrington so manche Jagd geritten hatte, war an solche Geräusche vollkommen gewöhnt. Nun war er im Hof, umringt von einem Haufen lärmender Kameraden. Er stieg ab, zwischen flatternden Hühnern und Puten, stampfenden Pferden und toll quietschenden Schweinen. Seine schwarzen Brüder drängten sich um ihn und er begann sofort, mit ihnen zu schwatzen und zu schnattern.

»Sady, du, komm her!«, brüllte Master Harry.

»Sady, verdammt, komm her!«, schrie Master George.

»Kommen gleich, Mas’r«, sagte Sady und nahm die Unterhaltung mit seinen wollhaarigen Brüdern wieder auf. Er grinste, zog die Pistolen aus dem Halfter, brachte sie in Anschlag und richtete sie gegen ein Borstentier, das gerade über den Hof jagte.

Dann deutete er die Straße hinunter, die er eben entlanggaloppiert war, und die wolligen Köpfe wandten sich wieder in jene Richtung. Er rief noch einmal: »Komm schon, Master, alle kommen schon.« Und nun hörte man erneut Pferde galoppieren. Wer nahte sich dort? Der kleine Mr. Dempster, der seinem Pony die Sporen gab. Und wer war die Dame im Reitkleid auf Madame Esmonds kleinem Pferd? Sollte es Madame Esmond sein? Nein, dafür ist sie zu stämmig. So wahr ich lebe, es ist Mrs. Mountain auf Madame Esmonds Grauschimmel!

»O Herr! O Gott! Hier kommt sie! Hurra!« Ein Chor von Negerstimmen erhob sich. »Da sind sie!« Dr. Dempster und Mrs. Mountain galoppierten in den Hof, sprangen vom Pferd, drängten sich durch die Schwarzen, stürzten ins Haus und wieder hinaus, über die Veranda, wo die britischen Offiziere sie in benebeltem Staunen anstarrten, die Stufen hinab in den Garten, wo George und Harry spazierten, ihr großer Feind ihnen gegenüber. Und ehe George Warrington Zeit fand, streng zu fragen: »Was wollt Ihr denn hier, Madame?«, fiel Mrs. Mountain ihm um den Hals und rief: »Ach, George, mein Liebling!« Es ist ein Irrtum! Es ist ein Irrtum, und alles ist meine Schuld!«

»Was ist ein Irrtum?«, fragte George und löste sich würdevoll aus der Umarmung.

»Was gibt’s, Mounty?«, rief Harry, der am ganzen Leib zitterte.

»Dieses Papier, das ich aus seiner Mappe nahm, worin der Oberst schrieb, dass er eine Witwe mit zwei Kindern heiratet. Wer sollte es auch sein, wenn nicht ihr, Kinder, und wer anderes als eure Mutter?«

»Und?«

»Und … Es ist nicht eure Mutter. Es ist diese kleine Witwe Curtis, die der Oberst heiratet. Er wollte immer eine Reiche heiraten, das wusste ich. Es ist nicht Mrs. Rachel Warrington. Er hat es Madame heute gesagt, bevor er fortging. Die Hochzeit soll nach dem Feldzug stattfinden. Und … Eure Mutter ist wütend, Jungs. Als Sady mit den Pistolen kam und dem ganzen Haus erzählte, dass ihr euch schießen wollt, habe ich ihm befohlen, die Pistolen abzufeuern. Ich galoppierte hinter ihm her und habe mir dabei fast die alten Knochen gebrochen, um rechtzeitig hier zu sein.

»Ich hätte Lust, Mr. Sady die Knochen zu brechen«, grollte George. »Ich habe dem Schurken besonders eingeschärft, kein Wort zu sagen.«

»Gott sei Dank, dass er es tat, Bruder!«, rief der arme Harry.

»Gott sei Dank!«

»Was sollen Mr. Washington und die Herren da drüben davon halten, wenn mein Diener meiner Mutter zu Hause erzählt, dass ich ein Duell vorhabe?«, fragte Mr. George, noch immer wütend.

»Du hast deinen Mut schon bewiesen, George«, sagte Harry respektvoll. »Und Gott sei Dank wirst du dich nicht mit unserem alten Freund schießen, mit unseres Großvaters altem Freund. Es war ein Irrtum, und jetzt gibt es keinen Grund mehr zum Streit, oder? Du warst unfreundlich zu ihm, weil du einen falschen Eindruck hattest.«

»Gewiss handelte ich unter einem falschen Eindruck«, gab George zu, »aber …«

»George! George Washington!«, rief Harry und sprang aus dem Kohlgarten auf den Rasen, wo der Oberst umherspazierte. Und obwohl wir ihn nicht hören können, sehen wir den Jüngling, wie er mit ausgestreckten Händen, dem Eifer der Jugend, hundert kleinen Schnitzern, aber Liebe und Anhänglichkeit in der ehrlichen Stimme, seinem Freund die Geschichte erzählt.

In jenen Tagen gab es noch einen Brauch, der jetzt aus unseren Sitten verschwunden ist. Nachdem Harry seine schlichte Erzählung beendet hatte, schloss sein Freund, der Oberst, ihn offen in die Arme und hielt ihn an seiner Brust. Mit schwankender Stimme sagte er: »Gott sei gedankt, Gott sei gedankt dafür.«

»Ach, George«, rief Harry, der nun fühlte, wie sehr er seinen Freund doch liebte, »ich möchte so gern mit dir ins Feld ziehen!« Der andere drückte dem Jungen die Hände mit dem festen Griff einer Freundschaft, die, wie sie beide wussten, niemals wanken würde.

Dann ging der Oberst auf Harrys älteren Bruder zu und streckte ihm ernst die Hand entgegen. Vielleicht wunderte sich Harry, dass sie sich nicht umarmten, wie er und der Oberst es getan hatten. Aber wenn auch die Hände ineinanderlagen, so war der Gruß hier auf beiden Seiten doch nur förmlich und zurückhaltend.

»Ich stelle fest, dass ich euch unrecht getan habe, Oberst Washington«, sagte George. »Ich muss mich entschuldigen – nicht für den Irrtum, sondern für vieles in meinem Benehmen seit Kurzem, das daraus entsprang.«

»Es war mein Irrtum! Ich fand das Papier in eurem Zimmer und zeigte es George. Ich war eifersüchtig auf euch, Oberst. Alle Frauen sind eifersüchtig«, rief Mrs. Mountain.

»Es ist ein Jammer, dass Sie Ihren Augen meinen Brief nicht fernhalten konnten, Madame«, erwiderte Mr. Washington. »Sie werden mir erlauben, Ihnen das zu sagen. Eine Menge Unheil ist entstanden, weil ich ein Geheimnis wahren wollte, das nur mich und eine andere Person angeht. Lange Zeit hindurch hat George Warrington schwarzen Groll gegen mich im Herzen gehegt, und meine Gefühle für ihn, das muss ich zugeben, waren kaum freundlicher. All dieser Kummer hätte uns beiden erspart bleiben können, wenn meine privaten Briefe nur von den Personen gelesen worden wären, an die ich sie gerichtet habe. Ich will jetzt nicht mehr darüber sprechen, damit mich mein Gefühl nicht wieder zu übereilten Worten hinreißt. Gott segne dich, Harry! Lebe wohl, George! Und nimm den Rat eines wahren Freundes an: Versuche, nicht so schnell Böses über deine Freunde zu denken. Wir werden uns im Lager treffen und unsere Waffen für den Feind schonen. Wenn ihr euch morgen noch an diesen Auftritt erinnert, wisst ihr, wo ich zu finden bin, meine Herren.«

Mit einer majestätischen Verbeugung gegenüber den englischen Offizieren verließ der Oberst die verlegene Gesellschaft und ritt eilig davon.

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