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Aus Armand’s Frontierleben – Band 1- Kapitel 1

Fredéric Armand Strubberg
Aus Armand’s Frontierleben
Band 1
Carl Rümpler, Hannover, 1868

Erstes Kapitel
Der Biberjäger

Hell und klar wie Tageslicht lag der Schein des vollen Mondes über den San-Saba-Gebirgen ausgebreitet, nur dass statt des blitzenden Goldes der Sonne der milde Atlas-Schimmer des Herrschers der Nacht dem Licht seine Farbe gab. Der hohe Himmel wölbte sich dabei wie ein Zelt aus dunkelblauem, mit Juwelen übersätem Samt, und unaufhörlich schossen Sternschnuppen wie fallende Diamanten von ihm zur Erde nieder.

Die rötlichen Granitkuppen der Gebirge türmten sich hoch und steil übereinander auf und spiegelten ihre glimmernden Flächen im Mondschein, während zwischen ihnen die Schluchten in purpurdunklem Schatten versanken und nur hin und wieder ein einzelner Fels aus ihrem Dunkel emporstieß und sein Haupt vom Perlenlicht umfangen ließ.

Es war so lautlos und friedlich, als ob die Natur in diesen einsamen, von der Zivilisation so weit entfernten Ländern schlafen gegangen sei und den Mond als Wächter über sie ausgestellt habe. Kein Laut unterbrach die Ruhe und kein Lüftchen bewegte das Laub der hier und dort aus dem kahlen Gestein emporragenden Bäume.

Da stieg aus dem Dunkel einer Schlucht ein Mann ins Mondlicht und folgte einem uralten, tief ausgetretenen Büffelpfad den Berg hinauf.

Er keuchte unter der Last einer großen Zahl frisch abgestreifter, noch blutiger Biberfelle, die an einer langen Büchse, die auf seiner Schulter lag, über seinen Rücken hingen. Er trug zwei schwere Biberschwänze, die mit einem Riemen zusammengebunden waren, um seinen Nacken auf seiner Brust.

Dem Mann musste sehr warm sein, denn er hielt seinen breitrandigen grauen Filzhut in der rechten Hand und wischte sich im Vorwärtsschreiten auf dem steilen Pfad wiederholt mit dem Ärmel seiner Lederjacke über die Stirn.

Noch einige hundert Schritte lagen vor ihm, als er stehen blieb, einige Augenblicke hinaufschaute, als bemesse er die Entfernung, und dann seine Bürde auf die Erde warf. Er reckte sich, legte die Büchse und den Hut auf die Felle und setzte sich an der Felswand neben dem Pfad auf einen Stein.

Er war ein Mann von etwa dreißig Jahren, nicht groß, aber in schönem Ebenmaß gebaut. Die kräftigen Muskeln seiner zierlichen Glieder, die unter dem eng anliegenden Lederanzug zu erkennen waren, schienen sich durch schwere Anstrengungen so sehr entwickelt zu haben. Auch seine fein geschnittenen Gesichtszüge, seine kleinen Hände und seine seidenweichen blonden Locken, die lang über seine Schultern herabfielen, zeigten, dass die Natur ihn nicht für das raue, beschwerliche Leben in der Wildnis bestimmt hatte. Dies widersprach auch dem sanften, milden Blick seiner großen blauen Augen, die er jetzt sinnend zum Mond richtete.

Sein Name war Alfred Davis. Er war in Albany am Hudson geboren und auf der kleinen Farm seines Vaters aufgewachsen. Er hatte sich an den leichten Feld- und Gartenarbeiten beteiligt, doch hatte er nie Freude oder Lust daran gefunden. Lieber war er mit einem Buch an einen schattigen Ort geschlichen oder mit der Flinte und seinem Hund in die Wälder und Felder hinausgezogen.

Die Notwendigkeit hatte ihn nie zur Arbeit gezwungen, denn seinem Vater war stets alles recht gewesen, was er tat. Als der alte Davis plötzlich starb, stellte sich heraus, dass seine Schulden seinen Nachlass weit überstiegen, sodass sein Sohn Alfred, wie man sagt, mit dem weißen Stock in der Hand davongehen musste.

Wie die Magnetnadel nach Norden zeigt, so winkt in Amerika das Unglück immer nach Westen. Und nach Westen, in Richtung der Grenze der Indianergebiete, richtete Alfred Davis seine Schritte. Dort, in den letzten Ansiedlungen der Weißen, rüstete er sich aus und wurde Biberjäger, einem Beruf, dem er seit zehn Jahren nachging.

Das wundervolle, milde Klima in diesen südwestlichen Gegenden Amerikas hatte ihn aus Missouri und Arkansas hergelockt und er hatte schon seit acht Jahren die San-Saba- und die Guadalupe-Gebirge zu seinem Jagdrevier gemacht. Seine Beute hatte er zu den Handelsplätzen am Rio Grande geschafft und dort verwertet. Seit Texas sich von Mexiko losgerissen und zur selbstständigen Republik aufgeschwungen hatte, gab es auch dort einen guten Markt dafür.

Alfred Davis musste an diesem Abend, als er auf dem Stein saß, sehr müde gewesen sein, denn er hatte die Arme auf die Knie gestützt, die Stirn auf die Hände gesenkt und saß lange Zeit regungslos da, als wäre er eingeschlafen.

Dies war jedoch nicht der Fall, denn von Zeit zu Zeit schaute er zum Mond auf und warf auch einen Blick seitwärts auf die Felle, der einen Ausdruck des Widerwillens zeigte. Danach versank er wieder in seine vorige Rast.

Endlich aber ermannte er sich, sprang auf, drückte den Hut in seine blonden Locken und hob mit sichtlicher Anstrengung die schweren Häute auf seiner Büchse über die Schulter, sodass die Biberschwänze wieder vor seiner Brust hingen.

Mit mühsamem, doch festem Schritt ging er der Höhe zu und blieb, als er sie erklommen hatte, abermals stehen, um Atem zu holen, denn gerade der letzte Anstieg war der steilste gewesen.

Nach einigen Minuten folgte er dem Pfad auf dem Bergrücken, der ihn über die weite, steinige Fläche zum nördlichen, steilen Abhang des Berges führte.

Hier blieb er abermals stehen und schaute spähend in das enge Tal hinab, in dem sich ein Bach im Mondlicht wie ein silbernes Band hin und her wand. An der anderen Seite des Tals stürzten wilde, zerrissene Felsmassen übereinander aufgetürmt die hohe Wand des dort emporsteigenden Berges hinab.

Bald fand Davis’ suchender Blick einen kleinen Lichtpunkt zwischen jenem Geklüft. Als er hinschauend den Kopf schüttelte, sagte er halblaut: »Doch wieder Feuer außerhalb!«

Dann aber beeilte er seine Schritte, stieg den Abhang hinunter und erreichte bald den Bach, dessen gekräuselte Wellen sich im Mondlicht wie Brillantfluten spiegelten und rauschend und plätschernd über loses Gestein hinschäumten.

Davis trat auf das nächste aus dem Wasser ragende Felsstück und schritt von Stein zu Stein, deren eine lange Reihe augenscheinlich durch den Bach niedergelegt worden war, nach dem jenseitigen Ufer hinüber. Dort erreichte er bald die andere Bergwand.

Er war wohl hundert Schritte einem Pfad zwischen den kolossalen Steinmassen gefolgt, als er vor sich flüchtige, leichte Schritte hörte. Ein Mädchen von sieben Jahren sprang ihm jauchzend und jubelnd entgegen, erhob sich auf die Spitzen ihrer kleinen Füßchen, schlang ihre Arme mit den Worten »Mein lieber, lieber Vater!« um seinen Nacken und hielt ihm zärtlich ihre Lippen hin.

»Meine Leonide, mein süßes, einziges Kind!«, sagte er mit glückdurchbebter Stimme zu dem Mädchen, küsste und liebkoste sie und führte sie nun an seiner Hand auf dem Pfad weiter.

»Ihr habt mich wohl schon lange erwartet?«

»Ja, lieber, bester Vater. Schon als die Sonne zur Ruhe gehen wollte, bin ich dir bis auf den Berg entgegengelaufen. Ich habe mich dort nach dir umgesehen, bis der schöne Mond heraufstieg. Aber ich konnte dich nicht finden. Dann bin ich zur Mutter zurückgegangen, die mich am Bach empfing und böse war, weil ich so lange ausgeblieben war. Sie fürchtet immer, dass die Indianer mir etwas antun würden, weil du mein Vater bist.«

»Ach, die Indianer kommen ja nicht hierher, mein kleiner Engel. Aber auch mir ist es lieber, wenn du dich nicht von deiner Mutter entfernst«, antwortete Davis, während er seine Hand um die Wange der Kleinen legte. Sie hob ihre großen, dunklen Augen zu ihm und sagte: »Warum sollten die Indianer mir etwas antun? Meine Mutter ist selbst eine Indianerin, und sie sagt immer, auch ich wäre eine solche.«

»Nein, nein, Leonide, du bist keine Indianerin, du bist meine Tochter, die Tochter eines weißen Mannes«, entgegnete Davis mit einem Ton, als wäre ihm die Bemerkung des Kindes nicht angenehm.

»Ja, aber meine Mutter ist doch eine Indianerin. Sie lässt mich zu ihrem großen Geist beten, weil dein Gott mich nicht liebhaben könnte«, hob die Kleine wieder an.

»Ich habe es dir ja schon oft gesagt, mein Mädchen, dass mein Gott und der deiner Mutter ein und derselbe ist und dass er die Indianer und die Weißen gleich lieb hat«, versetzte Davis jetzt halb unwillig. Er fuhr schnell in freundlichem, liebevollem Ton fort: »Hast du denn heute auch hübsch gelesen?«

»Ein ganzes Kapitel in deiner Bibel, Papa«, entgegnete Leonide freudig.

Daraufhin strich ihr Vater ihr schmeichelnd über das wundervolle schwarze Haar und sagte: »Nun, bald kehren wir wieder in die Ansiedlungen zurück, und dann sollst du einmal sehen, wie viele schöne Bücher dir dein Papa schenken wird.«

Bei diesen Worten war Davis mit dem Kind an der Hand um ein mächtiges Felsstück geschritten. Da trat ihm eine Frauengestalt entgegen und reichte ihm mit freudigem Gruß beide Hände zum Willkommen hin.

Davis legte seinen Arm zärtlich um sie und ging mit ihr die wenigen Schritte bis zu dem kleinen Feuer, welches vor dem Eingang einer sehr geräumigen, weit in die Felswand eindringenden Höhle brannte.

Dort warf er die Felle auf den Boden, während die Frau ihm die beiden Biberschwänze und die Büchse abnahm und sie in die Grotte trug. Nach wenigen Augenblicken kehrte sie mit einer großen Büffelhaut zurück, breitete diese beim Feuer aus und ergriff dann Davis’ Hand. Dabei sagte sie: »Du Armer, hast dich wieder so abgequält. Komm und ruhe dich ein wenig an dem Herzen deiner Kionata aus, ehe sie dir dein Abendbrot reicht.«

Dabei schlang sie ihren Arm liebevoll um den Nacken des Mannes, sank mit ihm auf die Haut nieder und hielt ihn innig an sich gedrückt. Sie neigte ihre weichen Lippen auf seinen Mund.

Kionata war eine Indianerin aus dem Stamm der Caddo und die Tochter ihres Häuptlings. Der Zufall hatte sie in den ersten Jahren seines Jägerlebens mit Davis zusammengeführt und sie hatte für ihn ihren Stamm heimlich verlassen, um mit ihm zu leben und ihm ihre Dienste zu weihen.

Sie war eine schöne junge Frau, wenn auch ihre Haut die dunkle Farbe ihres Volkes trug. Sie war hoch, schlank und biegsam gewachsen, hatte regelmäßige, edle Gesichtszüge und in dem Blick ihrer großen, dunklen Augen lag jener tief gefühlvolle, melancholische Ausdruck, der den Indianern Nordamerikas so eigen ist.

Ihre Tracht bestand aus einer rundum befransten, gegerbten Hirschhaut, durch deren geöffnete Mitte sie ihren Kopf gesteckt hatte, sodass die Haut ihr über die Schultern herabhing. Um ihre Hüfte trug sie einen langen, gleichfalls bespannten Rock aus Leder und ihre auffallend kleinen Füße waren mit Mokassins bekleidet. Ihr wundervolles, langes, tiefschwarzes Haar trug sie jedoch nicht wie andere Indianerinnen lose herabhängend, sondern sauber am Hinterkopf aufgerollt, wo es durch einen schön gearbeiteten, silbernen Pfeil zusammengehalten wurde.

Sie war Davis auf seinen langjährigen Jagdzügen eine hilfreiche Stütze und eine liebevolle Gefährtin gewesen und hatte ihm das mühselige und von Entbehrungen geprägte Leben erleichtert und versüßt. Hochbeglückt hatte sie ihn aber namentlich dadurch, dass sie ihm Leonide schenkte, in welcher er einen Zweck, ein Ziel für seine mühevolle Arbeit und einen beseligenden Lohn in seinen Ruhestunden fand.

Leonide war das Ebenbild ihrer Mutter, nur trug ihre Haut statt der dunklen Glut der Tropensonne die bleiche Farbe des Mondlichts. Diese durchsichtige, atlasbleiche Haut mit dem glänzenden, tiefschwarzen Haar und den großen, dunklen Samtaugen verlieh ihrer Erscheinung etwas Kaltes, etwas Geisterhaftes, ja, man hätte sagen können, etwas Unheimliches, hätten nicht die granatroten, frischen Lippen mit ihrem milden, freundlichen Lächeln das Bild belebt und ihm einen wohltuenden, unwiderstehlichen Zauber verliehen.

Leonide war ein reizendes, engelschönes Kind, und noch schöner als ihr Körper war die junge Seele, die in ihm lebte. Leicht erregt und ergriffen von allem, was sie in Freude oder Leid berührte, gab sie sich stets ihren augenblicklichen Gefühlen hin. Nie äußerten sich diese in wilden, leidenschaftlichen Ausbrüchen, sondern zeigten sich stets als ein Ergeben und Dulden. Bei allen Gemütsbewegungen waren Tränen der Hauptvertreter ihrer Seele.

Auch bei den kurzen Besuchen, die David in Zwischenräumen von mehreren Jahren in den Ansiedlungen gemacht hatte, um die gesammelten Vorräte von Biberfellen zu verwerten und sich zugleich für eine neue Jagdperiode auszurüsten, war ihm die Indianerin mit dem Kind immer gefolgt. Kionata hatte sich unter den weißen Leuten jedoch nie wohlgefühlt, obwohl sie stets freundlich und wohlwollend aufgenommen worden war. Unter ihnen war sie stumm und in sich versunken. Wenn Davis nach der Ursache ihres Ernstes forschte, sagte sie, dass ihr Gott sie von den Weißen hinweg in sein Land, in das Land der roten Menschen, ziehen würde.

Leonide dagegen war als ganz junges Kind immer sehr vergnügt unter den Weißen gewesen, weil jeder die reizende kleine Halbwilde mit Liebe und Freundlichkeit überhäufte und ihr alles nach Wunsch tat. Bei ihrer letzten Anwesenheit in der Ansiedlung vor beinahe zwei Jahren hatte der Einfluss der Mutter jedoch bereits zu stark gewirkt, als dass sie sich wieder sorglos den Freuden hätte hingeben können, die ihr von allen Seiten geboten wurden. Auch sie fühlte sich unheimlich und beklommen und sehnte sich nach ihren schönen, einsamen, freien Bergen zurück.

Während an diesem Abend Davis in den Armen der Indianerin ruhte, saß Leonide neben ihnen und drehte aus Tierfäden und Litzen, die sie zum Nähen von ledernen Kleidungsstücken, zum Anfertigen von Pfeilen, Bogensehnen und Schlingen benutzte, mit deren Hilfe sie kleine Tiere und Vögel fing, nicht etwa, um sie zu töten, sondern um sie zu pflegen, zu zähmen und ihnen die Freiheit wiederzugeben.

»Du hast doch wieder das Feuer außerhalb der Höhle angezündet, liebe Kionata«, hob Davis nach einer kurzen Pause mit freundlichem Ton an. »Es ist gefährlich. Der Zufall könnte Indianer auf die Höhe jenes Berges führen und ihnen unseren Aufenthalt verraten. Dann wären unsere Biberhäute, die wir hier zusammengetragen haben, nicht mehr sicher. Ganz abgesehen davon, dass der Biberjäger als Vorläufer der weißen Ansiedler ihnen verhasster ist als das schlimmste Raubtier.«

»Ein Feuer in der Höhle macht sie so unerträglich heiß und außerdem ist das Mondlicht so hell, dass der Feuerschein wohl nicht bemerkt werden kann«, entgegnete Kionata entschuldigend. Sie strich Davis liebevoll die blonden Locken aus dem Gesicht und fügte hinzu: »Ich werde es nun aber sicher nicht wieder tun.«

»Vorsicht ist jedenfalls geboten. Denk nur, wenn wir jetzt, nach zweijähriger harter Arbeit, einen großen Teil des mühsam Erworbenen verlieren sollten«, fuhr Davis fort. »Hier in der Höhle liegen ja gegen sechshundert Biberfelle, von denen jedes wenigstens zehn Dollar wert ist.«

Hier schwieg der Mann und schaute, in Gedanken versunken, vor sich hin, während Kionata ihren schweren Blick auf seinen Zügen ruhen ließ und, ihren Gedanken folgend, mit seinen Locken spielte.

»Mein Vermögen reicht nun hin, um sorgenfrei und anständig wieder unter Menschen leben zu können«, hob Davis nach einer Weile an. »Denn am Conchas River haben wir über dreihundert Biberfelle zurückgelassen und in den Ruinen des alten San-Saba-Fortes sind zweihundert versteckt. Zusammen mit den Fellen, die wir dort oben in der Felsschlucht gelagert haben, besitzen wir über elfhundert. Ich werde sicher mehr als zwölftausend Dollar daraus lösen und achtzehntausend Dollar habe ich bei unserem letzten Aufenthalt in der Ansiedlung nach New Orleans in die Bank geschickt. Diese dreißigtausend Dollar geben mir über zweitausend Dollar Zinsen und damit können wir herrlich leben. Wenn wir nur unsere jetzigen Vorräte wieder glücklich zu den Niederlassungen der Amerikaner bringen.«

Abermals trat Schweigen ein, und mehrere Minuten waren vergangen, da fiel eine Träne aus Kionatas Auge auf Davis’ Wange. Er sah zu ihr auf, legte seinen Arm um ihren Nacken und sagte mit mildem, doch nicht ohne Vorwurf klingendem Ton: »Kionata, warum denn wieder Tränen? Du müsstest dich mit mir freuen, dass unsere schwere Arbeit endlich ein Ende nimmt und wir eine ruhige, glückliche Zukunft vor uns sehen.«

»Ach, zürne nicht, Geliebter. Sieh, meine Seele kann sich nicht teilen und kann sich auch nicht von allem trennen, was dem kleinen Kind schon lieb und heilig war. Es sind zwei Kräfte, die mich an sich ziehen, doch du, mein Alfred, bist die stärkere Kraft, und dir folge ich, selbst wenn ich niemals in die ewigen Länder meiner Väter kommen sollte.«

»Kionata, lass doch ab von deinen Zweifeln und Grübeleien. Sie dienen nur dazu, dir dein Glück zu trüben und mir die volle Zufriedenheit zu nehmen, die ich nur in deiner finden kann. Was soll denn daraus werden, wenn ich mich häuslich niedergelassen habe und du dich nicht glücklich bei mir fühlst?«

»Nicht glücklich bei dir – mein Alfred – habe ich nicht für das Glück, bei dir zu sein, mein armes, mein geliebtes Volk verlassen?«

»Warum denn deine Tränen?«, fuhr Davis liebevoll fort.

Einen Augenblick zögerte die Indianerin mit der Antwort. Sie sah dabei seitwärts nach Leonide hin. Dann aber richtete sie ihren schwermütigen Blick wieder auf Davis und sagte: »Dem großen Geist und mir selbst bin ich noch nicht untreu geworden. Ich habe sein Land nicht verlassen und bin Indianerin geblieben. Jetzt aber werde ich in dem Land deines Gottes wohnen, der die meinigen mit ihren roten Kindern immer weiter in die Berge zurücktreibt, bis er ihnen alle Macht genommen hat und der letzte Indianer dort in Elend gestorben ist. Wie kann ich unter den weißen Menschen zu dem großen Geist beten? Er hört mich ja nicht. Er ist ja nicht dort. Und wie kann er meine Seele finden, wenn ich sterbe? Wie kann er sie unter seinen Fittichen zu den ewigen Jagdgründen unserer Väter tragen?«

Hierbei hatte die Indianerin die Hände gefaltet und senkte nun verstummend ihr schönes Haupt.

»Aber, gute Kionata, wie oft habe ich es dir schon gesagt: Es gibt nur einen Gott, der Gott aller Menschen ist, der Gott der Weißen, der Roten und der Schwarzen. Warum willst du mir denn nicht glauben?«

»Wie kann ich glauben, was ich nicht sehe, was ich nicht fühle? Hat nicht mein Gott, der große Geist, die Büffel in unzählbaren Herden auf die endlosen Prärien gesetzt, damit die Indianer zwischen ihnen leben und ihren Lebensunterhalt von ihnen bestreiten können? Doch wo bleiben die Büffel, sobald ein Weißer sein Haus unter ihnen aufbaut? Der große Geist treibt sie fort, damit die roten Kinder sie behalten können. Denn für die Weißen, deren Gott sie selbst aus ihrem Land verdrängt hat, will er nicht sorgen. Und habe ich es nicht jedes Mal, wenn ich mit dir unter den Weißen war, gefühlt, dass der große Geist dort nicht lebte, dass er mich nicht hörte, selbst wenn ich noch so heiß zu ihm betete? Ich habe es deutlich gespürt. Meine Gedanken wanderten einsam umher und suchten vergebens nach ihm. Wie ganz anders ist es hier in seinem Land! Wenn er morgens in der aufsteigenden Sonne seinen Blick über die Erde schweifen lässt und ich vor ihm knie, dann spüre ich, wie er meinen Gedanken entgegentritt, wie er sie alle an sich zieht und wie er sich über das Gebet seines Kindes freut. Schau doch hinauf zu dem Mond, aus dem der große Geist jetzt auf uns herabblickt. Siehst du es nicht, Alfred? Fühlst du es nicht? Siehst du nicht, wie zufrieden und froh er über unser Glück ist?«

»Beste Kionata, die Sonne und der Mond sind nur von Gott geschaffene Weltkörper, eben solche wie die Erde, auf der wir leben. Es sind seine Werke, in denen sich seine Allmacht uns kundtut. Sie sind aber nicht Gott selbst«, fiel Davis der Indianerin mit mildem Ton in die Rede. »Es ist dieselbe Sonne und derselbe Mond, die hier und im Land der Weißen leuchten, und es ist derselbe Gott, der mit gleicher Liebe für die Weißen wie für die Indianer sorgt.«

»Nein, guter Alfred, das wirst du selbst nicht glauben. Du kannst im Schicksal unseres armen Volkes nicht dieselbe Liebe Gottes erkennen wie im Geschick der Weißen, denen er es erlaubt, uns unser Land zu rauben und uns von der Erde zu verdrängen. Es leben zwei Götter, und der eure ist der jüngste und stärkste«, sagte Kionata mit feierlichem Ernst und hob ihre dunklen Augen und ihre Hände zum Mond auf.

Dann aber schlang sie ihre Arme wieder um den Geliebten ihres Herzens, neigte ihre Lippen auf seine und sagte mit weicher, bittender Stimme: »Ich folge dir, wohin du auch gehst, mein Alfred. Nur eines versprich mir: Bring mich, wenn ich gestorben bin, hierher in diese Berge und begrabe mich hier, damit mein Gott mich findet und zu meinen Vätern führt. Denn dein Gott wird die Seele der Indianerin nicht zu sich nehmen.«

Bei diesen letzten Worten ließ sie ihr Antlitz an Davis’ Brust sinken. Dieser schloss sie schweigend in seine Arme und schüttelte teilnehmend das Haupt.

Leonide aber sah, durch die Tränen, die zwischen ihren langen Wimpern glänzten, zu ihren Eltern hin. Sie erhob sich leise und verschwand lautlos zwischen dem nahen Gestein.

Davis sah ihr einige Augenblicke schweigend nach. Dann wandte er sich wieder Kionata zu und sagte: »Wenn du dich auch nicht von der Wahrheit meiner Worte überzeugen kannst, so solltest du doch deine Zweifel nicht in Gegenwart unseres Kindes aussprechen, denn du erschütterst den Glauben, den ich in seine fromme, kindliche Seele gelegt und dort gepflegt habe, und zerstörst ihren Frieden. Was soll Leonide glauben, wenn du meine Lehren als unwahr bezeichnest?«

»O Alfred, sieh, in diesem Kind liegt mein einziges Unrecht gegen meinen Gott, denn die Hälfte von Leonides Seele habe ich dem Gott der Weißen geopfert. Armes, unglückliches Kind. Du wirst keinem der beiden großen Geister angehören«, sagte die Mutter mit zerrissener Stimme und bedeckte ihr Antlitz mit beiden Händen.

»Torheit, Kionata! Leonide ist mein Kind und das Kind meines Gottes, der ja auch der deine ist, wenn du ihn auch nicht anerkennen willst«, versetzte Davis unwillig und blickte nach dem Gestein, hinter dem Leonide verschwunden war, als fürchte er, sie könne das Gespräch mit anhören.

»Nein, nein, Alfred, das Blut der Mutter ist mächtiger. Leonide ist Indianerin. Wenn sie ihrem Gott untreu wird, folgt sein Fluch ihren Schritten. Nach ihrem Tod wird ihre Seele allnächtlich klagend als Eule über den einsamen, endlosen Prärien schweben. O Alfred, habe Mitleid mit dem Kinde! Lass sie Indianerin bleiben!«, flehte Kionata, nun wie von Verzweiflung erfasst, und warf sich vor David auf ihre Knie. Dieser aber zog sie liebevoll an sich und sprach: »Mache dir doch nicht solche schrecklichen Gedanken, bestes Weib. Auf meine Verantwortung kommt alles Leid, welches der große Geist über Leonide verhängen wird. Es gibt keinen Unterschied zwischen den Menschen außer dem der höheren Bildung, und die schwerste Sünde wäre es, Leonide diese vorzuenthalten. Lass deinen Aberglauben fallen, und du wirst in dem Glück unseres Kindes dein eigenes finden.«

»Glück!«, seufzte Kionata. »Ach, arme Leonide! Ohne einen Gott gibt es für sie kein Glück. Der Gott der Weißen erkennt sie nicht als sein Kind an, und unser Gott wird sie verfluchen und mit seinem Donner und seinen Blitzen verfolgen!«

»Schweig!«, fiel ihr Davis nun halb laut, doch gebietend, ins Wort und wandte sich auf seinem Lager nach Leonide um, die eben hinter dem nächsten Felsstück hervortrat, während ihre Mutter sich erhob und in die Höhle ging.

»Komm, Leonide, mein liebes Mädchen, setze dich zu mir. Ich habe den ganzen Tag ohne dich sein müssen«, sagte er und hielt dem Kind die Hand entgegen. Dieses sprang freudig ergriffen zu ihm hin und schlang seine Arme liebkosend um ihn.

»Warum nimmst du mich nicht mit, wenn du zu den Biberteichen gehst? Ich helfe dir ja so gern, die gefangenen Tiere aus dem Wasser zu ziehen und ihnen die Haut abzustreifen«, sagte sie, indem sie sich neben ihren Vater niederließ und sich an ihn schmiegte.

»Weil ich dich keiner Gefahr aussetzen will. Es gibt graue Bären in diesen Bergen und es könnten sich auch Indianer hierher verirren, die uns Biberjägern nicht gut gesonnen sind«, erwiderte Davis und blickte mit glücklichem Ausdruck dem Kind, auf das das helle Licht des Mondes fiel, in die wunderbar schönen Augen.

»Gegen einen grauen Bären könnte ich dir beistehen, mein Pfeil ist so sicher wie deine Büchsenkugel«, versetzte Leonide mit glänzendem Blick. Dann sah sie vor sich nieder und fuhr mit leiserer Stimme fort: »Nach Indianern soll ich aber niemals einen Pfeil abschießen, weil ich selbst eine Indianerin wäre und der große Geist mich dafür bestrafen würde, sagte meine Mutter.«

»Zur Notwehr darfst du gegen jeden Menschen deinen Pfeil abschießen, ohne ein Unrecht zu begehen, egal, ob es ein Indianer oder ein Weißer ist, der dich bedroht, mein Liebling. Übrigens, so Gott will, werden wir bald aus aller Gefahr heraus sein. Unter den Weißen darf keiner seinen Mitmenschen etwas zuleide tun«, entgegnete Davis, als Kionata zu dem Feuer zurückkehrte und kalte Speisen, die aus gebratenem Fleisch und Fisch bestanden, vor Davis auf eine Hirschhaut niederlegte.

Während dieser nun begann, sein Abendbrot einzunehmen, sagte er: »Morgen früh werde ich wohl die letzten Biber dort drüben gefangen haben. Sobald diese wenigen Häute getrocknet sind, wollen wir unsere Vorratskammer vermauern und zu den Ansiedlungen aufbrechen. Ich werde dort sogleich etwa dreißig Mann und die nötigen Maultiere organisieren, um meine Felle abzuholen. Wenn alles gut geht, sind wir in vier Monaten, also gegen das Frühjahr, mit Sack und Pack in Sicherheit.

Kionata sagte nichts dazu, sondern beschäftigte sich am Feuer, indem sie die glühende Asche zusammenzog und die beiden Biberschwänze, die Davis mitgebracht hatte, darin vergrub, um sie am folgenden Morgen zum Frühstück gebraten zu haben. Dann löschte sie die letzte kleine Flamme des Feuers aus und ging in die Höhle zurück. Dort breitete sie eine Anzahl weicher Büffelhäute übereinander aus, die der kleinen Familie als Nachtlager dienen sollten.

Davis blieb aber mit Leonide vor der Kohlenglut sitzen und sagte, sie liebkosend, zu ihr: »Wenn ich nun erst glücklich die Häute zu Geld gemacht habe, dann kaufe ich mir ein schönes Stück Land, baue uns ein nettes, bequemes Haus darauf und lege einen Garten an. Du, Leonide, pflanzt dann die schönsten Blumen hinein. Du sollst einmal sehen, wie herrlich wir da leben werden.«

Leonide antwortete nicht, sondern schmiegte sich, mit den Fransen ihres Röckchens spielend, schweigend in den Arm ihres Vaters.

Dieser aber fuhr fort: »Und ich kaufe dir so schöne Kleider, wie keine andere weiße Dame besitzt. Ich schenke dir eine kleine goldene Uhr mit goldener Kette und das beste Pferdchen, das es gibt, für dich.«

Wieder trat eine Pause ein, nach der Davis abermals anhob: »Mein Mädchen soll dann auch alles lernen. Es soll die besten Bücher haben und eine Gitarre bekommen, noch viel schöner als die, die die spanische Dame in Rio Grande besaß und die dir so sehr gefiel. Und dann wird meine Leonide Christin und geht mit ihrem Vater zur Kirche, nicht wahr, mein Liebling?«

Leonide schmiegte ihr Gesicht an die Brust ihres Vaters, um die Tränen zu verbergen, die ihre Augen füllten, anstatt zu antworten.

»Freust du dich denn nicht darauf, meine Herzens-Leonide?«, fragte Davis, fasste sie unter das Kinn, hob ihr Köpfchen an und strich ihr prächtiges Haar zurück.

»Die Mutter geht ja nicht mit in die Kirche«, sagte die Kleine nun, wobei ihr die Tränen über die Wangen rollten, und sie sich sichtlich bemühte, nicht zu weinen.

Davis stockte für einen Augenblick in seiner Rede, dann sagte er mit einem milden, jedoch zugleich verlegenen und unwilligen Ton: »Deine Mutter kann ja auch mit uns gehen, wenn sie wie du eine Christin werden will.«

»Sie darf es nicht tun, sonst würde unser Gott sie verfluchen, sagt sie. Dann müsste ihre Seele ewig als Eule oder Fledermaus umherfliegen«, antwortete Leonide schluchzend und barg ihr Gesicht abermals an der Brust ihres Vaters.

»Sieh, mein Kind, das ist Aberglaube, den die Unwissenheit erzeugt. Wenn du erst besseren Unterricht genossen hast, als ich dir zu geben vermochte, dann wirst du es selbst einsehen und bedauern, dass deine gute Mutter sich so viele Sorgen und Kummer bereitet«, meinte Davis und fuhr nach kurzem Sinnen wieder fort: »Und deine Mutter wird es viel besser haben als hier in der Wildnis. Ich besorge ein Hausmädchen, die für uns kochen und waschen soll. Und ich schaffe Kühe an, damit wir gute Milch haben, die du immer so gern getrunken hast. Früher gefiel es dir doch stets recht gut unter den Weißen.«

»Ach, es ist hier doch schöner, lieber Vater. Dort ist es so eng, und man ist immer auf demselben Platz. Lass uns lieber hierbleiben. Die Mutter ist auch lieber hier«, sagte Leonide bittend und schlang ihre Ärmchen zärtlich um den Nacken ihres Vaters.

Davis schüttelte ungeduldig den Kopf und sagte mit halb verweisendem Ton: »Leonide, du bist doch ein verständiges Mädchen. Wie kannst du nur um so etwas bitten? Komm, wir wollen uns schlafen legen. Ich muss morgen früh aufbrechen und nach meinen Fallen sehen.«

Er erhob sich, Leonide wischte die Tränen aus ihren Augen und beide gingen in die Höhle, wo Kionata sie übervoll empfing.

Auch wenn der Schein des Mondes nur im Eingang lag, herrschte in der geräumigen Höhle doch ein mildes Dämmerlicht, hell genug, um alle Gegenstände darin erkennen zu können. Es waren allerdings nur wenige: Da lag ein Sattel und ein Zaum, da stand Davis’ Büchse und daneben befanden sich einige Bögen und Köcher mit Pfeilen. Außerdem gab es noch mehrere wollene Decken und etwas Kochgeschirr aus Blech und Eisen.

Bald ruhten der weiße Mann und die Indianerin auf dem einfachen Lager aus Büffelhäuten. Zwischen ihnen lag ihr Kind, von beiden Armen umschlungen, als wollten sie sich dessen Besitz gegenseitig streitig machen.

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