Aus dem Reiche der Phantasie – Heft 3 – Der rote Messias – 1. Teil
Robert Kraft
Aus dem Reiche der Phantasie
Heft 3
Der rote Messias
Verlag H. G. Münchmeyer, Dresden, 1901
Kapitel 1
Das Indianerterritorium
In der Einleitung des ersten Heftes wurde gesagt, dass Richard seine Erlebnisse im Traum als Geschichte für seine jungen Freunde niederschreibt. Eine solche Erzählung liegt hier vor. Bevor wir jedoch mit dieser beginnen, wollen wir zunächst sehen, wie es mit den heutigen Indianern aussieht, unter denen die Geschichte spielt.
Im Jahr 1825 wurde im Kongress in Washington beschlossen, dem indianischen Raubwesen ein Ende zu machen. Denjenigen Indianerstämmen, die sich nicht dem Ackerbau oder einer geregelten Viehzucht widmen wollten, sondern wie ihre Vorfahren ausschließlich von der Jagd leben wollten, wurde ein bestimmtes Land zugewiesen, in dem sie nach Lust und Laune hausen konnten. Hierzu wurde ihnen ein 901 Quadratkilometer umfassendes Gebiet zwischen den Staaten Kansas, Missouri, Arkansas und Texas angewiesen.
Nur sehr wenige Indianerstämme folgten dieser Aufforderung freiwillig; die meisten ergriffen zur Verteidigung ihrer Jagdgründe die Waffen – zuerst die Seminolen. Der bekannte, furchtbar blutige Indianerkrieg brach aus und viele Stämme verschwanden dabei völlig vom Erdboden. Die letzten Kämpfenden waren die Sioux, Pawnee und Crow. Sie wurden nicht etwa durch die Übermacht ihrer Feinde besiegt, sondern nahmen schließlich die Vorschläge und Bedingungen des Kongresses an. So konnten die Vertreter der Vereinigten Staaten am 23. September 1851 zu Fort Lamarie vor den versammelten Häuptlingen den sogenannten ewigen Friedens- und Freundschaftsvertrag beschwören.
Demnach mussten die im Territorium angesiedelten Indianer vollkommen in Ruhe gelassen werden. Sie durften tun, was sie wollten, und konnten sich auch gegenseitig nach Herzenslust skalpieren und martern, solange sie nur die Grenze nicht überschritten. Außerdem darf keine Eisenbahn durch ihr Gebiet gelegt werden und kein Weißer darf es betreten, es sei denn, er tut es auf eigene Gefahr. In diesem Fall schützt ihn die Regierung jedoch nicht und sein Tod wird nicht gesühnt. Als Entschädigung für die Abtretung der alten Jagdgründe muss den Indianern außerdem jährlich pro Kopf ein gewisses Quantum Mehl, Salz, Zucker, Tabak und anderes geliefert werden. Felle dürfen gegen Decken, Feuerwaffen, Pulver, Blei usw. zu festgesetzten Preisen von den sogenannten Indianeragenten ausgetauscht werden, Branntwein aber darf nicht eingeführt werden.
All diese Bestimmungen gelten noch heute und sollen auch eingehalten werden, denn dieser Vertrag entsprang der menschlichen Gerechtigkeit. Wenn man jedoch hinter die Kulissen blickt, sieht man die Niederträchtigkeit der amerikanischen Regierung.
Damals wurden 120.000 Indianer in ihr Territorium gebracht, heute sind es kaum noch die Hälfte. Woher kommt es, dass sich diese Indianer so schnell vermindern? Sicherlich nicht aus Mangel an Nahrung, denn trotz aller gegenteiligen Behauptungen sind die Büffel auf dem Indianerterritorium noch nicht verschwunden. Noch immer weiden dort ungeheure Herden von Bisons, Hirschen und anderen jagdbaren Tieren. Wenn man bedenkt, dass auf 2,6 Quadratkilometern weniger als zwanzig Menschen leben, ist es leicht nachvollziehbar, dass diese das Wild auf ihrem Gebiet gar nicht ausrotten können.
Auch die Tatsache, dass die Indianer sich untereinander in blutige Händel verwickeln, ist nicht die Ursache ihres rapiden Niedergangs, denn sie sind von Natur aus nicht blutrünstig. Zudem haben sie, nachdem man ihnen ein Jagdgebiet überlassen hat, in dem sie unbeschränkt schalten und walten können, keinen Grund zu mörderischen, dezimierenden Kämpfen mit den Weißen.
Nein, die Regierung selbst ist es, die immer wieder den Zankapfel unter die Stämme wirft, und zwar durch die sogenannten Indianeragenten. Das sind besoldete Trapper und Spione, die zu den Stämmen geschickt werden und ihnen trotz des Verbots das leider so beliebte Feuerwasser mitbringen. Die Grenzbeamten sind angewiesen, die Branntweinfässer zu ignorieren. Hat der Fusel erst einmal die Köpfe erhitzt, ist es nicht schwer, die Rothäute aufeinander zu hetzen. Kommt schließlich noch, durch den Schnapsgenuss begünstigt, eine Seuche hinzu, umso besser!
Die Regierung der glorreichen Vereinigten Staaten wird nicht eher ruhen, bis die letzte Rothaut in die ewigen Jagdgründe des großen Geistes eingegangen ist. Dann fallen auch die 901 Quadratkilometer äußerst fruchtbaren Landes den weißen Spekulanten in die Hände.
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