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Das Buch vom Rübezahl – Teil 29

Das Buch vom Rübezahl
Neu erzählt von H. Kletke
Breslau, 1852

29. Wie Rübezahl sein Testament macht

Zu einer Zeit, in der in einem benachbarten Städtchen Jahrmarkt war, bekam Rübezahl Lust, einen Krämer zu spielen. Er fuhr mit seinem Kasten, wie die anderen Krämer, auf einem Schubkarren zum Markt. Bei seiner Ankunft ging er gleich in ein Wirtshaus und bat den Wirt um ein eigenes Kämmerlein, damit seine Habe sicher sei. Nachdem er zwei Tage im Wirtshaus verbracht hatte, stellte sich Rübezahl plötzlich krank, ließ den Wirt und die Wirtin zu sich kommen, gab ihnen den Schlüssel zu seinem Kasten und gestattete ihnen, die Sachen, die darin lagen, zu betrachten. Zu ihrer großen Verwunderung sahen sie eine Menge Gold und Silber, Schaustücke, Löffel und Becher sowie prächtige seidene Stoffe.

Als Rübezahl sah, dass ihnen diese Kostbarkeiten so gut gefielen, sagte er: »Ich spüre deutlich, dass ich es hier nicht mehr lange machen werde und dass die Stunde meines Scheidens gekommen ist. Da ich auf der ganzen Welt weder Frau noch Kinder, weder Freunde noch Verwandte habe, ist mein einziger Kummer, wie ich ansehnlich bestattet werden möchte.«

Der Wirt, der ein Schelm durch und durch war, meinte, das sei die beste Gelegenheit, zu einer guten Erbschaft zu kommen. Er erwiderte: »Wenn Ihr mir etwas von Eurer Habe zukommen lasst, so will ich Sorge tragen, dass Ihr ein schönes Begräbnis erhaltet.«

»Gut, gut«, versetzte der Kranke, »nun will ich mit Freuden sterben!«

Daraufhin wies er den Wirt an, eine Rolle von 50 Dukaten, die obenauf lag, aus dem Kasten zu nehmen und das Begräbnis davon zu bestellen. Kaum hatte der Wirt den Kasten wieder zugeschlossen, begann Rübezahl zu schreien, sperrte den Mund weit auf, krähte wie ein Hahn – und war tot.

Wirt und Wirtin erschraken, mussten aber zugleich über ein solch wunderliches Gebaren lachen. Als sie dicht an sein Bett traten, sahen sie jedoch, dass er wirklich verschieden war. Daraufhin traf der Wirt alle Anstalten, um ihn vornehm zu beerdigen. Als der Sarg am Tag des Begräbnisses auf dem Kirchhof ins Grab gesenkt werden sollte, begann der Tote plötzlich zu großer Überraschung zu singen.

Lasst mich nun hier schlafen und geht heim eure Straßen!

Wer weiß, werd’ ich nicht früher aufstehn, als die mit mir zu Grabe gehn!

Als die Totengräber und die anderen Anwesenden dies hörten, liefen sie über Hals und Kopf davon und zeigten es der Obrigkeit an. Diese ließ den Sarg sofort öffnen, fand darin aber nichts als alte Knochen.

Der Wirt dachte: Was tut es! Das Beste bekomme ich doch, denn ich weiß, was ich gesehen habe!

Als er den Kasten nun aber mit seiner Frau aufmachte, fand er statt Silber, Gold und Seide nur Hundeknochen und Sauborsten. So hatte der Wirt bald keine Freude mehr, wie dieses Büchlein.

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