Catherine Parr Band 1 – Zweites Buch – Kapitel 3
Luise Mühlbach
Catherine Parr
Zweites Buch
Historischer Roman, M. Simion, Berlin 1851
III. Das Geständnis
Thomas Seymour kehrte zu Catharine zurück. Sie lag noch mit geschlossenen Augen, bleich, unbeweglich da.
Er blickte sie lange und unverwandt an, er trank in langen Zügen den Anblick dieses schönen und edlen Weibes, von der er sich in diesem Moment nicht entsann, dass sie eine Königin sei.
Er war endlich allein mit ihr! Endlich, nach zwei Jahren der Qual, der Resignation, der Verstellung hatte ihm Gott diese Stunde geschenkt, nach welcher er so lange sich gesehnt, die endlich seinen Tantalusqualen ein Ende machen sollte!
Nun wollte er sie genießen! Und wäre eben der ganze Hof, wäre König Heinrich selber gekommen, Thomas Seymour würde es nicht geachtet, es würde ihn nicht erschreckt haben! Das Blut war ihm in den Kopf gestiegen und hatte seine Vernunft besiegt, sein Herz, welches von diesem rasenden Ritt und der Angst um Catharine, noch so heftig tobte und brauste, ließ ihn keine andere Stimme mehr hören als die seiner Leidenschaft!
Er kniete neben der Königin nieder und fasste ihre Hand.
Vielleicht war es diese Berührung, welche sie aus ihrer Besinnungslosigkeit weckte! Sie schlug die Augen auf und blickte mit irrenden Augen umher.
»Wo bin ich?«, hauchte sie leise.
-Thomas Seymour drückte ihre Hand an seine Lippen. »Ihr seid bei dem treuesten und ergebensten Eurer Diener, Königin!«
Königin! Dieses Wort weckte sie aus ihrer Betäubung und machte, dass sie sich, halb empor richtete.
»Aber wo ist mein Hof? Wo ist Prinzessin Elisabeth? Wo sind alle diese Augen, welche mich sonst bewachen? Wo sind alle diese Lauscher und Spione, welche die Königin begleiten?«
»Sie sind weit fort von hier!«, sagte Seymour mit einem Ton, der seine innere Freudigkeit verriet! »Sie sind weit fort von hier und bedürfen mindestens einer Stunde Zeit, um uns einzuholen! Eine Stunde, Königin! Begreifen Sie, was das für mich ist? Eine Stunde Freiheit nach einer Gefangenschaft von zwei Jahren, eine Stunde des Glückes, nach zwei Jahren täglicher Tortur und täglicher Höllenqual!«
Catharine, welche anfangs gelächelt hatte, war nun ernst und traurig geworden. Ihr Blick ruhte auf dem Barett, welches von ihrem Haupt gefallen war und neben ihr im Gras lag.
Sie deutete mit zitterndem Finger auf die Krone hin, und fragte leise: »Kennt Ihr dieses Zeichen, Mylord?«
»Ich kenne es, Mylady, aber in dieser Stunde schrecke ich nicht mehr zurück davor! Es gibt Momente, in welchen das Leben auf seinem Gipfelpunkt steht, und wo man des Abgrundes nicht achtet, welcher dicht daneben uns droht! Ein solcher Moment ist der jetzige! Ich weiß, dass diese Stunde mich zu einem Hochverräter macht und mich auf das Blutgerüst führen kann, aber ich werde dennoch nicht schweigen! Dieses Feuer, welches in meiner Brust lodert, verzehrt mich, ich muss ihm endlich einen Ausweg gönnen! Mein Herz, welches seit Jahren auf einem Scheiterhaufen brennt, und welches so stark ist, dass es inmitten seiner Qualen immer noch ein Gefühl der Seligkeit empfand, es muss endlich entweder getötet oder begnadigt werden! Ihr sollt mich hören, Königin!«
»Nein, nein«, sagte sie fast ängstlich. «Ich will, ich darf Euch nicht hören! Erinnert Euch, nicht, dass ich die Königin, aber dass ich die Gemahlin Heinrich des Achten bin, und dass es gefährlich ist, zu ihr zu sprechen! Schweigt also Graf, schweigt, und lasst uns weiterreiten!«
Sie wollte aufstehen, aber ihre eigene Erschöpfung und dann Lord Seymours Hand ließen sie zurücksinken.
»Nein, ich werde nicht schweigen«, erwiderte er. »Ich werde nicht schweigen, bevor ich Euch nicht alles gesagt habe, was in mir tobt und glüht! Die Königin von England möge mich entweder verdammen oder begnadigen, aber sie soll wissen, dass sie für mich nicht die Gemahlin Heinrich des Achten, sondern nur das reizendste und holdseligste, da- edelste und lieblichste Weib Englands ist! Ich will ihr sagen, dass ich mich niemals daran erinnere, dass sie meine Königin ist oder dass, wenn ich es tue, dies nur geschieht, um den König zu verwünschen, welcher so vermessen gewesen ist, diesen hellfunkelnden Brillanten in seine blutige Krone zu heften!«
Catharine legte fast entsetzt ihre Hand auf Seymours Lippen. »Schweigt, Unglücklicher, schweigt! Wisst Ihr, dass es Euer Todesurteil ist, welches Ihr da sprecht? Euer Todesurteil, wenn irgendjemand Euch hört!«
»Aber es hört mich niemand! Niemand als die Königin und Gott, welcher indes vielleicht mitleidiger und erbarmungsvoller ist wie die Königin! Verratet mich also, Königin, geht hin und sagt Eurem König, dass Thomas Seymour ein Verräter ist, dass er es wagt, die Königin zu lieben; der König wird mich auf das Blutgerüst schicken, aber ich werde dennoch mich glücklich preisen, denn ich werde mindestens durch Euch sterben! Königin, wenn ich nicht für Euch leben kann, so ist es schön, für Euch in den Tod zu gehen!«
Catharine hörte ihm ganz betäubt, ganz berauscht zu. Dies war für sie eine ganz neue, nie gehörte Sprache, vor welcher ihr Herz in seligen Schauern erbebte, die sie wie mit bezaubernden Melodien umrauschte und in eine süße Betäubung einlullte. Sie begann auch zu vergessen, dass sie die Königin sei, – ihr Herz hämmerte mit so betäubenden Schlägen in ihrer Brust, – sie hörte nichts weiter mehr, – oder vielmehr inmitten dieses Sturms der Leidenschaft, welcher allmählich in ihr selbst sich erhob, vernahm sie nur noch seine Stimme. Ihre irrenden und von den Klammen ihrer eigenen Liebe geblendeten Augen sahen nur noch ihn, welcher neben ihr kniete, und dessen edles und schönes Antlitz zugleich von Entschlossenheit und Liebe strahlte.
Und Thomas Seymour sprach immer weiter. Er sagte ihr alles, was er gelitten habe, er sagte ihr, dass er oft den Entschluss gefasst hatte, zu sterben, um diesen Qualen endlich ein Ziel zu setzen, dass aber dann ein Blick ihres Auges, ein Wort ihrer Lippen ihm wieder Kraft gegeben habe, zu leben, und diese Qualen, welche so voll Entzücken zugleich gewesen, noch weiter zu erdulden!
»Aber jetzt, Königin, jetzt ist meine Kraft erschöpft, und Ihr sollt mir entweder das Leben oder den Tod geben! Ich will entweder morgen auf das Blutgerüst steigen oder Ihr sollt mir Eure Arme öffnen und mich von Euren Lippen neue Lebenskraft und neuen Mut trinken lassen!«
Catharine erbebte in sich selbst und blickte ihn fast erstaunt an. Er sah so stolz und gebieterisch aus, sie empfand fast Furcht vor ihm, aber es war die beglückende Furcht des liebenden, demutsvollen Weibes vor dem starken, gebietenden Mann!
»Wisst Ihr«, sagte sie mit einem reizenden Lächeln, wisst Ihr, dass Ihr fast den Anschein habt, mir befehlen zu wollen, dass ich Euch lieben soll?«
»Nein, Königin«, sprach er stolz, »ich kann Euch nicht befehlen, dass Ihr mich liebt, aber ich gebiete Euch, dass Ihr mir die Wahrheit sagt, ich gebiete es Euch, denn ich bin ein Mann, welcher das Recht hat, dem Weib gegenüber die Wahrheit zu fordern! Und ich sagte es Euch schon, Ihr seid für mich nicht die Königin, Ihr seid für mich nur das geliebte, das angebetete Weib. Diese Liebe hat nichts zu schaffen mit Eurem Königtum, und indem ich sie Euch gestehe, meine ich nicht, dass Ihr Euch dadurch erniedrigt, indem Ihr sie annehme! Denn die wahre Liebe eines Mannes ist immer die heiligste Gabe, welche er einer Frau darbringen kann, und wenn ein Bettler sie einer Königin weiht, so muss sie sich dadurch geehrt fühlen! Oh Königin, ich bin ein Bettler, ich liege zu Euren Füßen und strecke meine Hände flehend zu Euch empor, aber ich will nicht ein Almosen, ich will nicht Euer Mitleid und Eure Barmherzigkeit, welche mir Vielleicht eine Gabe darreicht, um mein Elend zu mindern, nein, ich will Euch selbst, ich verlange entweder alles oder nichts! Es wird mir nicht genügen, dass Ihr mir meine Kühnheit verzeiht und über mein rasendes Beginnen den Schleier des Schweigens deckt, nein, ich will, dass Ihr sprecht, dass Ihr entweder meine Verdammung oder meinen Segen aussprecht! Oh, ich weiß, Ihr seid großmütig und erbarmend, und wenn Ihr meine Liebe auch verachtet und sie nicht erwidern wollt, so werdet Ihr doch vielleicht mich nicht verraten, so werdet Ihr mich schonen wollen und schweigen. Aber ich wiederhole Euch, Königin, ich nehme dieses Opfer Eurer Großmut nicht an! Ihr sollt mich entweder zu einem Verbrecher oder zu einem Gott machen; denn ein Verbrecher bin ich, wenn Ihr meine Liebe verdammt, ein Gott, wenn Ihr sie erwidert!«
»Und wisst Ihr, Graf, dass Ihr sehr grausam seid?«, flüsterte Catharine. »Ihr wollt, dass ich entweder eine Anklägerin oder eine Mitschuldige sei! Ihr lasst mir nur die Wahl, entweder Eure Mörderin oder ein meineidiges, ehebrecherisches Weib zu sein, ein Weib, welches ihrer beschworenen Treue, ihrer geheiligten Pflichten vergisst, und die Krone, welche mein Gemahl auf mein Haupt gesetzt hat, mit einem Flecken schändet, den Heinrich mit meinem eigenen Blut und mit dem Euren hinwegwaschen wird!«
»Mag es denn sein!«, rief der Graf fast fröhlich.
»Mag immerhin mein Haupt einst fallen, vorausgesetzt, dass ich vorher die Seligkeit Eurer Liebe genossen habe! Mag ich dann sterben, wenn Ihr mich nur liebt; ich werde alsdann doch unsterblich sein, denn ein Moment in Euren Armen ist eine Ewigkeit des Glückes!«
»Aber ich sagte Euch schon, dass es sich nicht bloß um Euer Haupt, sondern auch um das meine handelt. Ihr kennt des Königs harten und grausamen Sinn! Schon der Verdacht genügt, um mich zu verurteilen! Ach, wüsste er, was wir hier eben gesprochen, er würde mich verurteilen, wie er Catharine Howard verurteilt hat, obgleich ich nicht schuldig bin wie diese! Ach, mir schaudert vor dem Blutgerüst, und Ihr Graf Seymour, Ihr wollt mich das Schafott besteigen machen, und Ihr sagt, dass Ihr mich liebt?«
Seymour senkte traurig das Haupt auf seine Brust und seufzte tief. »Ihr habt mein Urteil gesprochen, Königin, und obwohl Ihr zu edel seid, um mir die Wahrheit zu sagen, habe ich sie doch erraten! Nein, Ihr liebt mich nicht, denn Ihr seht mit scharfem Auge die Gefahr, welche Euch bedroht, und Ihr fürchtet Euch! Nein, Ihr liebt mich nicht, denn liebtet Ihr, Königin, so würdet Ihr nichts denken, als nur eben die Liebe, und die Gefahr würde Euch begeistern, und das Schwert, welches über Eurem Haupt hängt, würdet Ihr nicht sehen, oder Ihr würdet mit Entzücken in seine Schneide greifen, und sagen: ›Was kümmert mich der Tod, da ich glücklich bin! Was frage ich nach dem Sterben, da ich das unsterbliche Glück empfunden habe!‹ Ach, Catharine, Ihr habt ein kaltes Herz und einen kalten Kopf, Gott erhalte Euch beides, dann werdet Ihr still und ungefährdet durch das Leben gehen, aber Ihr werdet doch ein beklagenswertes, armes Weib sein, und wenn Ihr einst sterbt, so wird man eine Königskrone auf Euren Sarg legen, aber es werden ihr die Diamanten der Tränen fehlen, welche die Liebe um Euch weint! Lebt wohl, Königin Catharine von England, und da Ihr ihn nicht lieben könnt, so gönnt dem Hochverräter Thomas Seymour mindestens Euer Mitleid!«
Er neigte sich nieder und küsste ihre Füße, dann stand er auf und ging festen Schrittes zu dem Baum hin, an welchen er die Pferde angebunden hatte.
Aber nun schwang sich Catharine empor, nun lief sie zu ihm hin und seine Hand ergreifend, welche eben den Zügel seines Rosses fasste, fragte sie bebend, atemlos: »Was wollt Ihr tun? Wohin wollt Ihr gehen?«
»Zum König, Mylady!«
»Und was wollt Ihr da?«
»Ich will ihm einen Hochverräter zeigen, welcher es gewagt hat, die Königin zu lieben. Ihr habt soeben mein Herz getötet, er wird nur meinen Leib töten! Das ist weniger schmerzhaft, und ich werde ihm dafür danken!«
Catharine stieß einen Schrei aus und zog ihn mit einer leidenschaftlichen Heftigkeit wieder zu der Stelle hin, auf welcher sie vorher geruht hatte.
»Wenn Ihr das tut, was Ihr da sagt, so werdet Ihr mich töten!«, sagte sie mit zitternden Lippen. »Hört mich, hört. In demselben Augenblick, in welchem Ihr Euer Pferd besteigt, um zum König hinzugehen, besteige ich auch das meine, nicht aber, um Euch zu folgen, nicht um nach London zurückzukehren, sondern um mit meinem Pferde in jenen Abgrund hinunter zu stürzen, vor welchem es vorher zurück bebte. Oh, fürchtet nichts, man wird Euch nicht meinen Mörder nennen, man wird sagen, dass ich mit meinem Ross hinuntergestürzt bin, und dass das rasende Tier mir den Tod gegeben hat!«
»Königin, hütet Euch wohl, überlegt wohl, was Ihr da sprecht!«, rief Thomas Seymour mit verklärtem Angesicht und freudestrahlenden Zügen. »Bedenkt, dass Eure Worte entweder eine Verurteilung oder ein Geständnis sein müssen! Bedenkt, dass, wenn Ihr nicht wollt, dass ich sterben soll, Ihr mich lieben müsst! Lieben, das heißt nicht auf eine Stunde, sondern für die ganze Ewigkeit! Lieben, das heißt, Thomas Seymour will sein Herz nicht an die augenblickliche, vorübergehende Laune einer Königin hingeben, welche den Sklaven für eine kurze Stunde mit ihrer Liebe begnadigt, sondern die Königin muss sich entschließen, ein Weib zu werden, ein Weib, welches nicht eine Gnade erzeigt, indem sie liebt, sondern die Liebe auch als eine Gnade hinnimmt! Denn, Catharine, gebt wohl Acht! Wenn Ihr mich zu Eurem Geliebten macht, werde ich auch zugleich Euer Herr sein! Wenn Ihr mir Euer Herz gebt, so heißt das: ›Ich will Euch lieben, wie ein Weib liebt, und nicht wie eine Königin! Euer Wille soll der meine, Euer Leben das meine sein, und in Liebe werde ich mich Euch unterordnen, denn Ihr seid der Mann, und ich bin das Weib!‹ Oh Catharine, seht Euch wohl vor! Wenn Ihr zu mir kommt mit dem Stolz einer Königin, wenn auch nur ein Gedanke in Euch ist, welcher sagt, dass Ihr den Untertan begnadigt, indem Ihr ihn an Euer Herz nehmt, dann schweigt und lasst mich von hinnen gehen! Ich bin stolz und edel geboren, wie Ihr selber, und die Liebe, indem sie mich überwunden zu Euren Füßen niederwirft, soll doch mein Haupt nicht in den Staub beugen! Ich habe gehört von Königinnen, welche heute Untertanen mit ihrer höchsten Gunst beglückten, um sie morgen als verachtete Sklaven unter ihre Füße zu treten. Königin, wenn Ihr dächtet, wie diese, wenn ich Euch nichts wäre, wir das Spiel einer übermütigen und üppigen Laune, dann wendet Euch jetzt noch von mir und lasst mich gehen, denn ich sage Euch, ich würde mich rächen! Der beleidigte Mann würde das frevelnde Weib strafen, welches seine Mannesehre in den Staub getreten hat! Wenn Ihr aber sagt, dass Ihr mich liebt, Catharine, so werde ich Euch dafür mein ganzes Leben weihen, so werde ich Euer Herr, aber auch Euer Sklave sein, so wird kein Gedanke, kein Gefühl und kein Wollen in mir sein, welches Euch nicht ergeben und dienstbar ist, und wenn ich sage, dass ich Euer Herr sein will, so meine ich doch damit nicht, dass ich nicht ewig zu Euren Füßen liegen, mein Haupt in den Staub beugen und zu Euch sagen will: Zertretet es mit Eurem Fuß, wenn es Euch gut dünkt, denn ich bin Euer Sklave!«
Und indem er so sprach, sank er auf seine Knie nieder und drückte sein Antlitz, dessen glühender und edler Ausdruck Catharines Herz entzückte, auf ihre Füße.
Sie neigte sich zu ihm nieder, richtete sanft sein Haupt empor und sah ihm mit einem unbeschreiblichen Ausdruck von Glück und Liebe tief in die strahlenden Augen.
»Liebt Ihr mich?«, fragte Seymour, indem er sanft seinen Arm um ihre schlanke Taille legte, und sich aus seiner knienden Stellung zu ihr empor hob.
»Ich liebe Euch!«, sagte sie mit fester Stimme und einem glückseligen Lächeln. »Ich liebe Euch, nicht wie eine Königin, sondern wie ein Weib, und wenn diese Liebe uns beide vielleicht auf das Blutgerüst bringt, nun wohl, so werden wir mindestens zusammen sterben, um uns dort droben wieder zu begegnen!«
»Nein, denkt jetzt nicht an das Sterben, Catharine, denkt an das Leben, an diese schöne, entzückende Zukunft, welche uns winkt. Denkt an die Tage, welche bald kommen werden, und in denen unsere Liebe nicht mehr des Geheimnisses und der Schleier bedarf, sondern wo wir sie aller Welt werden sehen lassen, und unser Glück werden ausjauchzen können aus voller seliger Brust! Oh Catharine, wie lange, und dieser König wird nicht mehr sein, und der mitleidige und erbarmungsvolle Tod wird endlich diese unnatürlichen Fesseln lösen, welche Euch an diesen Greis heften; dann werdet Ihr mein sein, Catharine, mein mit Eurem ganzen Dasein, Eurem ganzen Leben, und statt der stolzen Königskrone wird dann die Myrtenkrone Euer Haupt zieren! Oh, schwört mir das, Catharine, schwört, dass Ihr meine Gemahlin werden wollt, sobald der Tod Euch frei gemacht hat!«
»Ach«, sagte Catharine schaudernd, »dies ist ein Frevel, der sich vielleicht einst bitter an uns rächen wird! Wir wollen unser Glück auf den Tod eines anderen bauen, wir wollen den Tod unsers Königs ersehnen, um, ich als treuloses Weib, Ihr als treuloser Untertan, sein Sterben für uns zu einem neuen Leben werden zu lassen? Seht, wie traurig und gefahrvoll es ist, mich zu lieben, Graf! Der Tod ist unsere Hoffnung und das Schafott vielleicht unser Ziel!«
»Und dennoch, Catharine, schlägt Euer Herz vor Wonne und Liebe in diesem Augenblick, und dennoch möchte ich die ganze Welt in meine Arme fassen, und ihr entgegenjauchzen: ›Ich bin selig über alle Seligen des Himmels, denn Catharine liebt mich!‹ Nein, Catharine, keine Furcht mehr. Denke an das Leben, an unsere Zukunft! Erfülle meine Bitte. Schwöre mir hier im Angesicht Gottes und dieser heiligen und stillen Natur, welche uns umgibt, schwöre mir, dass von dem Tag an, wo der Tod dich von deinem Gemahl befreit, du mein sein willst, mein Weib, meine Gemahlin! Schwöre mir, dass du, der Etikette nicht achtend und dieser tyrannischen Sitte nicht gehorchend, die Gemahlin Lord Seymours wirst, noch bevor die Trauerklänge um König Heinrichs Tod verhallt sind! Wir werden einen Priester finden, welcher unsere Liebe segnet und diesen Bund heiligt, den wir heute für die Ewigkeit geschlossen haben! Schwöre mir, dass du mir bis zu diesem ersehnten Tag deine Treue und deine Liebe bewahren und es niemals vergessen willst, dass meine Ehre auch die deine, dein Glück auch das meine ist!«
»Das schwöre ich!«, sprach Catharine feierlich. »Du kannst zu allen Zeiten und zu allen Stunden auf mich rechnen. Niemals werde ich dir ungetreu sein, niemals wird ein Gedanke in mir sein, der nicht dir gehört! Ich werde dich lieben, wie Thomas Seymour es verdient, geliebt zu werden, das heißt, mit einem andächtigen und gläubigen Herzen. Es wird mein Stolz sein, mich dir unterzuordnen, und mit freudiger Seele werde ich dir dienen und dir folgen, als dein treues und gehorsames Weib!«
»Ich nehme deinen Schwur an!«, sagte Seymour feierlich. »Aber ich schwöre dir dafür, dass ich dich ehren und hochhalten will, wie meine Königin und meine Gebieterin! Ich schwöre dir, dass du niemals einen gehorsameren Untertan, einen uneigennützigeren Ratgeber, einen treueren Gatten, einen tapfereren Verteidiger finden sollst, als ich es dir sein werde! Mein Leben für meine Königin, mein Herz ganz meiner Geliebten, das wird hinfort mein Wahlspruch sein, und möge ich von Gott und von Euch verstoßen und verachtet werden, wenn ich ihn jemals breche!«
»Amen!«, entgegnete Catharine mit einem bezaubernden Lächeln.
Dann schwiegen sie beide. Es war jenes Schweigen, wie nur das Glück und die Liebe es kennt! Jenes Schweigen, welches so reich ist an Gedanken und Empfindungen, und darum so arm an Worten ist!
Der Wind rauschte säuselnd in den Bäumen, in deren dunklem Gezweig hier und da ein Vogel seine schmetternde und flötende Stimme ertönen ließ. Die das dunkle Grün durchblitzende Sonne zog ihre smaragdenen Lichter über die weiche samtene Moosdecke des Bodens, der, in sanften Wellenlinien auf und niedersteigend, liebliche kleine Täler und Anhöhen bildete, auf denen zuweilen hier und dort sich die schlanke und stolze Gestalt eines Hirsches oder eines Rehs zeigte, das, mit seinen glänzenden Augen forschend umher blickend, erschreckt in das Dickicht zurückwich, wenn es diese beiden Menschengestalten und die Gruppe dieser hingelagerten Pferde gewahrte.
Plötzlich wurde diese Stille durch den lauten Klang des Hifthorns unterbrochen, und man hörte von fern verworrenes Schreien und Rufen, welches im Waldes Dickicht ein Echo fand und sich tausendstimmig wiederholte.
Die Königin hob seufzend ihr Haupt von des Grafen Schulter empor.
Der Traum war zu Ende, der Engel mit dem flammenden Schwert kam, sie aus dem Paradies zu vertreiben!
Denn sie war des Paradieses nicht mehr wert, das verhängnisvolle Wort war gesprochen, und indem es ihr die Liebe gab, hatte es sie zu einer Meineidigen gemacht!
Die Gemahlin Heinrichs, ihm angehörend durch ihren vor dem Altar geleisteten Schwur, hatte sie soeben sich einem anderen verlobt und ihm die Liebe gegeben, welche sie ihrem Gemahl schuldete!
Aber, obwohl sie sich ihrer Schuld bewusst war, bereute sie doch nicht, obwohl sie fühlte, dass von dieser Stunde an sie das Paradies der Unschuld und des Friedens überschritten hatte, fühlte sie sich dennoch selig und zukunftsgewiss!
Das Glück war gewonnen! Sie sagte sich, dass sie es eines Tages vielleicht mit bitteren Tränen bezahlen würde, aber immerhin gehörte es ihr nun doch, und was kümmerte sie die Zukunft, da die Gegenwart so schön war!
»Es ist vorbei!«, sagte sie traurig. »Diese Klänge rufen mich zurück zu meiner Sklaverei! Wir müssen beide unsere Rollen wieder aufnehmen! Ich werde wieder die Königin sein müssen!«
»Aber zuvor schwört mir, dass Ihr dieser Stunde nie vergessen wollt, dass Ihr immer der Schwüre gedenken werdet, welche wir einander gegeben haben!«
Sie blickte ihn fast erstaunt an. »Mein Gott, kann man denn der Treue und der Liebe vergessen?«
»Ihr werdet mir ewig treu bleiben, Catharine?«
Sie lächelte. »Seht doch, mein eifersüchtiger Herr, richte ich denn an Euch solche Frage?«
»Oh, Ihr Königin, Ihr wisst wohl, dass Ihr den Zauber besitzt, welcher auf ewig bindet!«
»Wer weiß!«, antwortete sie träumerisch, indem ihr schwärmerischer Blick sich zum Himmel emporrichtete und diesen lichten Silberwolken zu folgen schien, welche langsam über den blauen Äther dahin glitten!
Dann senkte sie den Blick auf ihren Geliebten nieder, und sanft eine Hand auf seine Schulter legend, sagte sie: »Die Liebe ist wie Gott, ewig, uranfänglich und allgegenwärtig! Aber man muss an sie glauben, um ihre Nähe zu fühlen, man muss ihr vertrauen, um ihrer Segnung würdig zu sein!«
Aber das Halali und Hörnerklingen kam immer näher. Man hörte schon das Bellen der Hunde und das Traben der Rosse.
Der Graf hatte die Pferde wieder losgebunden und führte Hector, welcher nun still und sanft war, wie ein Lamm zu seiner Herrin hin.
»Königin«, begann Thomas Seymour, es sind zwei Verbrecher, welche Euch nahen! Hector ist mein Mitschuldiger, und wäre die Fliege nicht gewesen, welche, wie ich jetzt an seinem hochgeschwollenen Ohr sehe, ihn rasend gemacht hat, so würde ich noch immer der beklagenswerteste und unglücklichste Mann Eures Königreichs sein, während ich jetzt dessen glücklichster und beneidenswertester bin!«
Die Königin antwortete nicht, aber sie legte ihre beiden Arme um des Tieres Hals und küsste es.
»Von heute an«, sagte sie dann, »werde ich nur den Hector reiten, und wenn er einst alt ist und des Dienstes untauglich …«
»So soll er in dem Marstall der Gräfin Catharine von Seymour gepflegt und behütet werden!«, unterbrach sie Thomas Seymour, indem er der Königin den Steigbügel hielt und ihr half, sich in den Sattel zu schwingen.
Beide ritten sie schweigend dem Geräusch der Stimmen und des Hörnerklanges entgegen, beide zu sehr mit ihren eigenen Gedanken beschäftigt, um sie durch ein gleichgültiges Wort unterbrechen zu mögen.
Er liebt mich!, dachte Catharine. Ich bin ein glückseliges, beneidenswertes Weib, denn Thomas Seymour liebt mich!
Sie liebt mich!, dachte er mit einem stolzen triumphierenden Lächeln. Ich werde also dereinst Regent von England werden!
Eben waren sie hinausgelangt auf die große Wiesenfläche, welche sie vorher durchritten hatten, und über welche nun in buntestem Gewirr das ganze königliche Gefolge, Prinzess Elisabeth an der Spitze, daher gesprengt kam.
»Noch eins!«, flüsterte Catharine. »Wenn Ihr jemals eines Boten zu mir bedürft, wendet Euch an John Heywood. Er ist ein Freund, dem wir vertrauen können!«
Und sie sprengte vorwärts, der Prinzessin entgegen, um ihr den ganzen Verlauf ihres Abenteuers und die glückliche Rettung durch den Oberstallmeister zu erzählen.
Elisabeth indessen hörte ihr finster blickend und zerstreut zu, und als die Königin sodann zu ihrem übrigen Gefolge sich wandte, und von ihren Damen und Kavalieren umringt, die Glückwünsche derselben empfing, rief ein leiser Wink der Prinzessin den Grafen Seymour an ihre Seite.
Sie ließ ihr Pferd einige Schritte vorwärts pirouettieren, wodurch sie und der Graf sich ein wenig abgesondert von den Übrigen befanden, und sicher waren, von niemand gehört zu werden.
»Mylord«, sagte sie mit heftiger, fast drohender Stimme, »Ihr habt mich oft vergeblich angefleht, Euch eine Zusammenkunft zu bewilligen und ich verweigerte sie Euch! Ihr behauptet mir vielerlei zu sagen zu haben, wozu wir allein sein müssten, und welches das Ohr keines Lauschers vertrüge. Nun wohl, ich bewillige Euch heute eine Zusammenkunft, und ich bin geneigt, Euch endlich anzuhören!«
Sie schwieg und erwartete eine Antwort. Aber der Graf blieb stumm. Er machte nur eine tiefe, ehrfurchtsvolle Verneigung bis auf den Hals seines Pferdes! Das war alles!
Die junge Prinzessin warf ihm einen zürnenden Blick zu und ihre Stirn legte sich in finstere Falten. »Ihr versteht es sehr, Eure Freude zu bemeistern«, sagte sie, »und wer Euch eben sieht, der sollte meinen …«
Dass Thomas Seymour besonnen genug ist, an diesem gefährlichen Hof selbst sein Entzücken nicht auf seinem Antlitz lesen zu lassen, unterbrach sie der Graf mit leisem Geflüster. »Wann, Prinzessin, darf ich Euch sehen, und wo?«
»Harrt heute der Botschaft, die John Heywood Euch bringen wird!«, flüsterte Elisabeth, indem sie vorwärts sprengte und sich wieder der Königin näherte.
»Wieder John Heywood!«, murmelte der Graf. »Der Vertraute beider, und also mein Henker, wenn er will!«
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