Sagen der mittleren Werra 98
Der verfluchte Wald bei Wilhelmsthal
Zwischen Wilhelmsthal und Ruhla steht rechts und links vom Fahrweg ein Eichwald mit verdorrten Wipfeln. Die Sage erzählt darüber Folgendes:
Es soll einmal geschehen sein, dass sie in Eisenach einen Unschuldigen zum Strick verurteilten. Auf dem Weg zum Galgen beteuerte der Mann vor allen Leuten nochmals seine Unschuld. Als er jedoch sah, dass alles vergebens war, verfluchte er den Wald, aus dem das Holz für den Galgen eines Unschuldigen gezimmert worden war.
Seit jener Zeit verdorren hier die Wipfel des Waldes, weil das Galgenholz aus ihm genommen wurde.
Der Taubeneller Hans
Es kamen einmal zwei Studenten nach Taubenellen. Sie hatten schon viel vom Taubeneller Hans, einem gewaltigen Hexenmeister, gehört und wollten gern einen seiner Streiche miterleben. Man wies sie vom ehemaligen Jägerhaus in die Mühle, wo sie, ohne ihre Absicht kundzutun, um Nachtherberge baten. Hans empfing sie mit einem spöttischen Lächeln und bereitete ihnen ein Lager auf frischem Stroh, auf dem die beiden bald ruhig einschliefen. Als jedoch die Mitternachtsstunde gekommen war, wurden sie durch einen fürchterlichen Lärm auf dem Hof geweckt. Es klang, als hätten sich dort mehrere Regimenter feindlicher Reiter getroffen und einen schrecklichen Kampf begonnen.
Nach einer Stunde war es wieder totenstill.
Als die Studenten bei Tagesanbruch feststellten, dass alles wie vorher in der größten Ordnung war und sie nicht einmal die geringste Spur eines abgedrückten Pferdehufes entdecken konnten, baten sie ihren Wirt beim Abschied um Aufklärung. Der lächelte wieder spöttisch und meinte, sie hätten ja beim Taubeneller Hans übernachtet und hätten gerne einen Streich von ihm sehen oder hören wollen.
Auch wird noch vom Taubeneller Hans erzählt, dass er Freikugeln gegossen und vom Fenster aus in weiter Entfernung selbst im dichtesten Wald Hirsche und Rehe erlegt habe.
Von den Wichteln am Wackenhof
a) Der Schäfer von Kupfersuhl trieb einmal dort droben, nicht weit vom Wackenhof, auf der Trift an den alten Schächten vorbei. Da kam aus einem der Löcher in der Nähe des Teiches auf einmal ein kleiner Wichtel herausgehüpft, drehte sich auf dem Absatz herum und rief in das Loch hinein: »Werft mir mein schwarzes Käppchen heraus!« Und plautz! Kam es geflogen. Der Wichtel setzte es auf und – fort war er.
Da dachte der Schäfer: »Hm! Willst du es auch einmal probieren?« Er trat vor das Loch und rief: »Werft mir einmal mein schwarzes Käppchen heraus!« Und plautz! Hatte er auch eins. Er setzte es auf und sogleich sah er den Wichtel wieder vor sich stehen. Die beiden wurden Freunde und der Schäfer versprach, mit dem Wichtel zu ziehen. Darauf gab ihm der Kleine noch allerlei gute Ratschläge und meinte, es würde alles gut gehen, wenn er sich unterwegs nur vor Speisen hüten könne, in denen Kümmel sei. Der Schäfer versprach auch dies und so ging es weiter durch die Lüfte.
Als sie gegen Mittag hungrig auf einem Pächterhof einkehrten, setzten sie sich ungesehen zu den Leuten an den Tisch und ließen sich das Essen schmecken. Plötzlich wurde Zwiebelbrühe mit Kümmel serviert; der Wichtel legte den Löffel beiseite. Unser Schäfer aber vergaß sich völlig und nahm etwas davon zu sich. Kaum hatte er es getan, wurde er von der ganzen Tischgesellschaft bemerkt und der verblüffte Pächter nahm ihn gehörig her. Er musste beichten, woher er komme und wie er so plötzlich unter sie gekommen sei. Er war froh, dass er, obgleich verhöhnt und verspottet, den weiten Rückweg wieder antreten durfte.
b) »Mein Vater selig«, sagte Christian vom Wackenhof, »hat es oft erzählt, wie es vordessen auch hier von Wichteln gewiebelt und gewabelt hat; wer sie nur hätte sehen können. Bei uns hier auf dem Wackenhof hatten sie sich sonst auch eingenistet und waren den Knechten und Mägden bei der Arbeit behilflich. Hunde und Pferde dagegen mochten sie nicht leiden und übten an diesen allen Schabernack aus.
Nun hatte – ich glaube, es war mein Urgroßvater – dieser einen Schimmel im Stall. Den durfte er kämmen und striegeln, wie er wollte; am anderen Morgen war er wieder so struppig und widerhaarig wie zuvor. Mähne und Schwanz waren jedes Mal in so miserable Zöpfe geflochten, dass sie kaum wieder auseinander gekluppert werden konnten. Und das hatten nur die Wichtel getan.
In späterer Zeit aber muss etwas hinter sie gekommen sein, denn sie waren auf einmal auf und davon. Wohin? Wer kann das schon wissen.
Mein Vater hat nur Folgendes gehört: Zu jener Zeit sei ein kleiner Kerl zu einem Fährmann an die Werra gekommen und habe ihm eine Metze der kostbarsten Würze versprochen, wenn er die Nacht über Frachtgut, ohne zu fragen, was er überfahre, an das jenseitige Ufer schaffen würde. Der Fährmann sei darauf eingegangen und habe seine Schuldigkeit getan. Als nun der Morgen graute, wurde der Fährmann aber doch neugierig und fragte den Kleinen, was er denn für eine schwere unsichtbare Fracht über das Wasser geschafft habe. Da habe das Männlein gelächelt und gesagt: ›Tritt hinter mich und schaue mir einmal über die Schultern!‹ Da habe der Fährmann gesehen, wie es auf der ganzen Wiese von Wichteln gewiebelt und gewabelt habe.
Als er nach seinem Lohn fragte, überreichte ihm der Kleine eine Metze Salz als die kostbarste Würze, die es gäbe, und verschwand vor seinen Augen.«
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