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Nick Carter – Band 17 – Das Gefängnis auf dem Meeresgrund – Kapitel 6

Nick Carter
Amerikas größter Detektiv
Das Gefängnis auf dem Meeresgrund
Ein Detektivroman

Nick und Chick bei der Arbeit

Nick Carter und sein erster Gehilfe waren inzwischen nicht minder geschäftig gewesen. Sie hatten ermittelt, dass Mr. Fillmore mit dem Glockenschlag neun Uhr sein Büro verlassen und mit dem Lift (Aufzug) nach unten gefahren war. Wie der Hausmeister bekundete, war unmittelbar zuvor ein geschlossenes Lab vor dem Wolkenkratzer angefahren und dessen Lenker hatte Mr. Fillmore mit Namen angesprochen und ihn gefragt, ob eine Fahrt gefällig sei. Mr. Fillmore sei in Eile gewesen und augenblicklich in das geschlossene Lab, dessen Wagenfenster dicht verhängt gewesen, eingestiegen, worauf der Wagen sich schnell in Bewegung gesetzt habe. Wie der farbige Portier weiter bekundete, hatte er die Wagennummer zufällig betrachtet und im Gedächtnis behalten.

Schnell ermittelten die beiden Detektive, dass die betreffende Nummer auf einen der größten Leihställe Chicagos hinwies. Chick begab sich daraufhin nach diesem, während der Meister selbst in seinen Bemühungen fortfuhr, die Fahrtrich­tung des verschlossenen Labs zu ermitteln.

Es fiel Chick nicht schwer, Lab und Kutscher ausfindig zu machen. Der Letztere war, wie der Besitzer des Leihstalls versicherte, ein alter, erprobter Angestellter, dabei aber, was man ein Profitchen zu nennen pflegt.

Chick nahm sich den Cabby beiseite und, nachdem er sich ihm als Detektiv zu erkennen gegeben hatte, rückte derselbe nach vielen Wenn und Aber mit dem Geständnis heraus, dass am Vor­abend ein ihm nicht bekannter Herr, den er aber unter allen Umständen wiedererkennen würde, an ihn mit der Frage herangetreten sei, ob er in einer knappen Stunde fünfzig Dollar zu verdienen wünschte.

»Well, er schlug mir vor«, berichtete der Kutscher weiter, ich sollte ihm heute früh mein Lab von dreiviertel neun bis etwa um halb zehn Uhr leihen.«

»Das heißt, Sie sollten den Wagen hergeben, ohne selbst Kutscherdienste zu leisten?«, erkundigte sich Chick.

Seine Vermutung traf zu. Wie der Kutscher beteuerte, hatte er sich auf den Handel nicht einlassen wollen – doch der Fremde habe ihm so lange zugeredet und dabei auch durchblicken lassen, es handele sich um einen Hochzeitsscherz und er wolle nur seinen jung verheirateten Freund mit dessen Frau zum Bahnhof fahren, bis der Cabby endlich, verlockt durch den reichen Ge­winn, eingewilligt hatte.

Pünktlich zur verabredeten Zeit übergab er den Wagen dem bereits auf ihn wartenden Unbekannten, der gleichfalls die übliche Kutschertracht angelegt gehabt, und um halb zehn Uhr bekam er seinen Wagen in unbeschädigtem, tadellosem Zustand zurück. Die verabredeten fünfzig Dollar hatte er schon zuvor erhalten. Endlich gestand der Kutscher auch noch, dass er dem Fremden versprechen musste, nichts über den Handel auszuplaudern – ein Versprechen, das er sicherlich gehalten haben würde, wenn Chick sich ihm nicht als Detektiv zu er­kennen gegeben und er somit gefürchtet hätte, selbst in heißes Wasser zu kommen.

Trotz seines Sträubens musste der Kutscher gemeinsam mit Chick den Weg zum Polizeihauptquartier antreten und er schickte sich schließlich ins Unvermeidliche, beruhigt durch die bestimmte Erklärung, dass er für sich nichts zu fürchten habe, sondern lediglich als Zeuge vernommen werden sollte.

Chick erreichte mit seinem Begleiter das Polizeihauptquartier, noch bevor Ida mit ihrer Gefangenen dort eintraf und Jim Baily, wie der Cabby hieß, wurde einstweilen auf Chicks Anordnung in Zeugengewahrsam genommen.

Chick selbst begab sich ungesäumt zur Telefonzen­trale, um zu ermitteln, von welchem Ort aus die beiden An­rufe, die fälschlich als von der Southwestern Surety Co. herrührend angegeben und über den Fernsprecher ver­mittelt worden waren.

Anhand des Tagesregisters konnten die Zentralbeamten feststellen, dass das Büro von Fillmore und Cadman zwei­mal vom nämlichen Ort – einem in der Adams Street gele­genen Saloon aus angerufen worden war. Der erste An­ruf war fünf Minuten vor neun Uhr und der zweite zehn Minuten später bewirkt worden.

Unverzüglich begab sich der junge Detektiv nach dem Sa­loon. Es war dies einer der größten und anständigsten Lokale von ganz Chicago – ein Restaurant, wo sich häufig Ge­schäftsmänner und dergleichen zu treffen pflegten. Der Eigen­tümer war selbst anwesend und ihm gab sich Chick zu erken­nen, indem er erklärte, er sei Detektiv und handele im Auf­trag der Southwestern Surety Co., deren Firmenname zwei­mal kurz hintereinander vom Fernsprecher des Saloons missbräuchlich angegeben worden sei. Der Wirt wusste bereits darum, denn einer seiner Bartender hatte ihn darauf auf­merksam gemacht, dass um neun Uhr vormittags ein sehr elegant gekleideter junger Mann das Telefon benutzt und dabei erklärt habe: »Hier Southwestern Surety Co. – wer dort?«

Zunächst war dies dem Bartender nicht weiter aufgefallen, da es sich ja um irgendeine geschäftliche Ansprache, die der Nähe nach erledigt werden sollte, gehandelt haben konnte.

Als aber der junge Herr nach weiteren zehn Minuten nochmals den Fernsprecher benutzt und die Partei am anderen Ende des Drahtes in den Glauben versetzt hatte, es sei die Southwestern Surety Co., mit welcher er verhandelte, da war der Bartender stutzig geworden und hatte dem Wirt heimlich einen Wink gegeben. Dieser hatte denn auch den unbe­kannten jungen Mann, als er ein drittes Mal sich zu der Fernsprechernische zu begeben gedachte, zurückgehalten und ihm bedeutet, er solle derartige fingierte Gespräche von irgendeinem anderen Ort aus halten, aber nicht sein anständig geführtes Lokal dazu missbrauchen. Schon die Minute darauf hatte der junge Mann sich unwillig entfernt. Wirt und Bartender er­klärten mit Bestimmtheit, den Fremden genau genug betrach­tet zu haben, um ihn jederzeit wiedererkennen zu können.

Als Nick Carter und Chick sich bald darauf wieder trafen und ihre bisherigen Ermittlungen austauschten, erklärte der Meister: »Wohin der Wagen gefahren ist, habe ich nicht mit Sicher­heit herausfinden können. Immerhin weiß ich, dass der Ort, wo der Unbekannte ihn in Empfang genommen hatte, nicht weit von dem Saloon in der Adams Street entfernt liegt, und zu demselben Platz brachte er ihn um halb zehn wieder zurück. Alles in allem war also der Unbekannte mit dem Wagen eine drei­viertel Stunde unterwegs. Folglich kann der Ort, wohin Mr. Fillmore gebracht wurde, sich nicht allzu weit von der Adams Street befinden – nun komm mit, Chick, ich will dir das Haus zeigen, wo die von mir dreimal verfolgte Spur immer wieder geendet hat.«

Sie begaben sich schnell zur Uferstraße, wo vor dem Fluss sich ein hohes Warenhaus neben dem anderen erhebt und ein guter Teil des Großhandels von Chicago sich ver­einigt.

Dort angekommen, deutete Nick Carter auf einen Warenspeicher, der sich sechs Stock hoch erhob und an dessen Vorder­seite ein mächtiges Geschäftsschild mit der Aufschrift ange­bracht war: Dunbar & Sons.

»Wir wären nun glücklich so weit«, fuhr Nick Carter be­dächtig fort, nachdenklich die mächtige Front des Warenhauses anschauend, dessen Rückseite nach dem Flussufer, unweit seiner Mündung in den Michigansee, wies, »um diese Dunbars ver­haften zu können, falls dein Kutscher sowie Wirt und Bar­tender in ihnen die betreffende Personen wiedererkennen. Doch

ein solcher Schritt bringt uns der Lösung unserer eigentlichen Aufgabe nicht näher, denn natürlich werden die Dunbars mit eiserner Stirn leugnen und um keinen Preis zu bewegen sein, den Aufenthaltsort Fillmores zu verraten. Was wir zunächst tun müssen, ist, dieses Versteck ausfindig zu machen.

»Natürlich, Nick, doch du sagtest bereits, dass die von dir verfolgte Fährte des Cabs dreimal hier am Dunbar’schen Warenhause endete. Folglich wird aller Wahrscheinlichkeit nach Mr. Fillmore in diesem massiven Backsteinhaus unfreiwilligen Aufenthalt genommen haben.«

»Ich glaube es nicht – die Leute, mit welchen wir es zu tun haben, sind zu klug und verschlagen, um ein derartiges Versteck zu wählen, dessen Geheimnis sie mit vielen Mitwissern teilen müssten.«

Nick Carter hatte sich als Schiffer verkleidet und sah täu­schend einem wettergebräunten Longshoreman ähnlich. Auf seine Veranlassung stattete auch Chick sich in einen nahegelegenen Laden, der mit derartigen Kleidungsstücken Handel trieb, ähn­lich aus. Beide schlenderten dann hinter den Warenhäusern an der Uferfront entlang. Dort knüpften sie unverfänglich ein Gespräch mit einem müßig herumlungernden Hafenarbeiter an.

»Was für ’ne Arbeit wird denn dort verrichtet?«, erkun­digte sich Nick, indem er auf einen großen Prahm deutete, welche in einiger Entfernung vom Strand im See verankert war und auf dessen Verdeck lebhaftes Treiben herrschte.

»Dort sank vor einiger Zeit ein Schoner«, berichtete sein Gewährsmann, »und nun sind Taucher an der Arbeit, um die Ladung zu bergen.«

»So! Da könnte ich vielleicht Arbeit bekommen.«

»Weiß nicht«, brummte der Arbeiter achselzuckend. »Bist du denn ein Taucher?«

»Will’s meinen!«

»Hm, mag sein, du kannst bei der Nachtschicht ange­stellt werden. Ich habe gehört, die Dunbars haben noch nicht so viele Leute, wie sie gern beschäftigen möchten.«

»Wer, … die Dun… Donnerwetter … was meinst du?«, fragte Nick.

»Aber Mensch, du musst doch die Dunbars kennen – Dunbar & Sons. Das sind doch mit die größten Kaufleute hier in der Stadt. Sie haben den Kontrakt für die Bergung der Ladung bekommen.«

»Well, ich kenne eine Bankfirma mit einem Büro in der Adams Street, das heißt so.«

»Mag sein, es sind dieselben – für die Taucherarbeiten aber haben sie ein Büro weiter unten … dort«, berich­tete der Arbeiter, indem er zum Warenspeicher deutete.

»Danke, ich werde es mir hinter die Ohren schreiben.« Als die beiden Detektive stillschweigend nebeneinander den Kai weiter hinunter geschritten waren, blieb der Detektiv plötz­lich wieder stehen und schaute Chick beunruhigt in das Ge­sicht.

»Weißt du, was ich glaube?«, versetzte er gedämpft. »Mr. Fillmore steckt nicht im Warenhaus, wohl aber dort«, damit nickte er in der Richtung nach dem See zu. »Und trügt mich meine Ahnung nicht, befindet er sich in tät­licher Gefahr!«

»Ich will gehängt sein, Nick wenn ich dich verstehe!«, brummte Chick kopfschüttelnd.

»Mein lieber Chick, ich sagte dir schon wiederholt, dass die Dunbars höllisch geriebene Burschen sind. Um den Warenspeicher dort bin ich stundenlang herumgelungert und habe bemerkt, dass unausgesetzt Wagen ein- und ausfahren. In dem Speicher würde noch nicht einmal ein Dummkopf einen geraubten Millionär zu verstecken suchen, geschweige solche Füchse. Nein, Chick, sie brachten ihr Opfer in dem Gab zur Vorderseite des Gebäudes, fuhren durch dieses, kamen hierher nach dem Kai mit Mr. Fillmore und versteckten ihn anderswo.«

»Mag sein, sie haben ihn nach dem entgegengesetzten Seeufer gebracht!«

»Möglich, aber nicht wahrscheinlich, wie wir erfahren haben, betreiben die Dunbars alle möglichen Geschäfte. Sie sind Bankiers, daneben Großkaufleute, Spediteure – und wie uns unser Gewährsmann vorhin gesagt hat, befassen sie sich auch mit der Bergung von gesunkenen Schiffsladungen.«

»Gewiss, dort liegt ihr Prahm verankert und an Bord sind sie ziemlich geschäftig!«, warf Chick ein.

»Nun, meiner Ansicht nach haben sie Mr. Fillmore dort versteckt«, versetzte Nick Garter bedeutsam.

»Der Prahms liegt ungefähr eine Meile von der Küste ab – ich denke, Nick, wir werden gut daran tun, ihm einen Besuch abzustatten.

»Ganz meine Meinung. Schau dich um, wo wir eine Jolle mieten können.«

»Ich denke auch, Nick!«

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