Deutsche Märchen und Sagen 198
Johannes Wilhelm Wolf
Deutsche Märchen und Sagen
Leipzig, F. A. Brockhaus, 1845
273. Karl lässt einen Brunnen graben
Nach der Eroberung von Goulette hatte Karls Heer großen Wasserbedarf. Da ließ Karl einen Brunnen graben. Die Soldaten gruben tief und fanden ein schönes Kreuz. Sie berichteten dem Kaiser davon, der kam hinzu und nahm das Kreuz mit großer Ehrerbietung aus dem Loch. Kaum hatte er es von der Stelle genommen, an der es gelegen hatte, da sprang ein klarer Quell hervor, und das ganze Lager labte sich daran. Das Kreuz sandte er seiner Kaiserin mit der Weisung, es als einen allerköstlichsten Schatz zu bewahren.
274. Karls Handzeichen
Kaiser Karl konnte, wie bekannt, nicht schreiben. Wenn er etwas unterzeichnen sollte, dann tauchte er seine Hand in Tinte, spreizte die Finger weit aus und schlug damit auf das Papier, sodass das Zeichen seiner Hand darauf zurückblieb. Darum nennt man eine Unterschrift bis heute Handzeichen.
275. Bischof Hildebold von Köln
Hildebold war der 19. Bischof von Köln und wurde im Jahr 784 gewählt.
Nachdem sein Vorgänger Ricolph gestorben war, entstand ein langer Streit über die Wahl eines neuen Bischofs. Davon hörte Kaiser Karl in Aachen. Er setzte sich auf sein Pferd und ritt nach Köln. In der Nähe der Stadt hörte er in einer Kirche zur Messe läuten. Der wollte er zuvor beiwohnen und dann nach Köln weiterziehen. Als er die Kapelle betrat, trug er einen Hornfässer um den Hals, wie ihn die Jäger zu tragen pflegten. Er opferte einen Gulden auf dem Altar. Als die Messe zu Ende war, nahm der Priester Hildebold den Gulden und sprach zu dem Kaiser, den er nicht kannte: »Freund, nehmt den Gulden zurück, hier opfert man nicht mit Gulden.«
Er glaubte nämlich, der Kaiser habe ihn verspotten wollen, denn er war ein sehr einfältiger Mann. Darauf antwortete der Kaiser: »Herr, behaltet den Gulden, ich gebe ihn Euch gern.«
Hildebold sprach: »Ich sehe wohl, Ihr seid ein Jäger. Darum bitte ich Euch: Schickt mir die Haut des ersten Rehs oder eines anderen Wildes, das Ihr erjagt. Mein Messbuch bedarf eines Überzugs sehr. Euren Gulden aber sollt Ihr behalten.«
Als der Kaiser diese offene und direkte Rede hörte, fragte er die Umstehenden über die Lebensweise des Priesters aus und erfuhr, dass er ein frommer und rechtschaffener Mann war. Dann ritt der Kaiser weiter nach Köln. Als die Wähler sich nicht einigen konnten, sprach er: »Ich will euch einen Bischof wählen.«
Er ließ den Priester herbeiholen, machte ihn zum Bischof und dieser regierte 34 Jahre lang. Als Kaiser Karls Sohn Ludwig Kaiser wurde, krönte er diesen. Als er starb, wurde er in Sankt Gereon zur Rechten neben dem ersten Altar begraben.
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