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Die Gespenster – Vierter Teil – 26. Erzählung

Die Gespenster
Kurze Erzählungen aus dem Reich der Wahrheit von Samuel Christoph Wagener
Allen guten Schwärmern, welchen es mit dem Bekämpfen und Ablegen beunruhigender Vorurteile in Absicht des Geisterwesens ernst ist, liebevoll gewidmet von dem Erzähler Friedrich Maurer aus dem Jahr 1798
Vierter Teil

Sechsundzwanzigste Erzählung

Ein Totenschädel erwacht zum Leben und packt den Kopenhagener Maler Darbes am Kopf

Der Porträtmaler Darbes erzählte mir während seines Aufenthaltes in Riga im Jahre 1784, dass er einst in Kopenhagen auf folgende, in der Tat sehr merkwürdige Weise mit einem Gespenst in Berührung gekommen sei:

»Ich studierte zu Kopenhagen die Zeichenkunst und bat einen meiner dortigen Freunde, der als Arzt viel mit den Leichen der Anatomie zu tun hatte, mir doch gelegentlich einen gut zubereiteten Totenkopf zu verschaffen, den ich nach der Natur zeichnen wollte. Er kam meiner Bitte bald nach, und ich schloss das willkommene Geschenk in meinen Schreibtisch ein. Das geschah am hellen Tag, und nur ihm, nicht meiner Furchtlosigkeit und meinen Prinzipien, verdankte ich, wie ich später überzeugt wurde, die Ruhe und Gleichgültigkeit, mit der ich das ernste Überbleibsel der untergegangenen Menschheit, den menschlichen Schädel, behandelte und betrachtete.

Als ich am späten Abend desselben Tages – es mochte schon Mitternacht sein – von einigen Bekannten in meine Wohnung zurückkehrte, dachte ich an meinen Schädel. Es war mir fast, als läge er mir auf dem Herzen. Ich ging ohne Laterne, schloss meine Stube auf, nicht ohne alle unbehagliche Furcht und sogar ein wenig zitternd im Dunkeln, tastete mich an den Schreibtisch heran, der den Totenkopf verschloss, um mir mit dem dort befindlichen Feuerzeug Licht zu machen. Ein ganz unwillkürlicher Schauer erfasste und überfiel mich.

Kaum hatte ich meinen Wachsstab angezündet, als plötzlich alle Furcht verflogen war.

Merkwürdig, dachte ich, ich bin ein größerer Freund des Lichtes, als ich bisher geglaubt hatte.

Um mich in dieser Tapferkeit und Furchtlosigkeit noch mehr zu bestärken, öffnete ich das Behältnis des Totenkopfes, nahm ihn heraus, betrachtete ihn von allen Seiten und wünschte ihm endlich scherzend eine gute Nacht.

Dann schloss ich die Stubentür und begann mich auszuziehen. Schließlich setzte ich mich aufs Bett, kämmte mir zuerst die Haare und band mir ein Halstuch um. Nun bückte ich mich nach vorne, um die Pantoffeln hervorzuholen, die unter dem Bett lagen. Diesen Augenblick benutzte das Gespenst, das um mich herumschwebte; es packte mich von hinten mit kalter Todeshand am Kopf; ich fühlte die Kraft seiner fünf Finger über Stirn und Augen nur zu deutlich und schrecklich, und so wurde ich von dem unbegreiflichen Etwas gepackt und ohnmächtig zu Boden geworfen.

Ich weiß nicht, wie lange ich in diesem Zustand hilflos dalag. Als ich wieder zu mir kam und das Bewusstsein wiedererlangte, brannte zu meinem Glück noch der Rest des Lichtes auf dem Nachttisch.

Obgleich der Schauder des Grauens, unter dem ich zusammengesunken war, noch nicht vorüber war, entschloss ich mich doch, aufzustehen. So demütig ich vorhin auf dem Boden gelegen hatte, so scheu und ängstlich blickte ich jetzt um mich. O wie angenehm war ich in diesem Augenblick überrascht, als ich nun das Gespenst über meinem Bette hängen sah. Ich hatte zufällig eine Klingelschnur, die ich zum Bett hingelegt hatte, in das Tuch gewickelt, das ich mir um den Kopf geschlungen hatte. Da mir beim Sturz auf den Boden das Tuch durch die im Tuch verknotete Schnur gewaltsam vom Kopf gerissen worden war, so hing es zu meiner Beruhigung und vollen Überzeugung von dem natürlichen Verlauf der Sache noch jetzt an der Schnur.«

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