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Führer durch die Sagen- und Märchenwelt des Riesengebirges 18

Max Klose
Führer durch die Sagen- und Märchenwelt des Riesengebirges
Mit zahlreichen Abbildungen aus dem Riesengebirge
Verlag von Brieger & Gilbers. Schweidnitz (Świdnica). 1887.
Überarbeitete Fassung

IV. Görlitz und Umgegend

4. Der Wunderbaum

In alter Heidenzeit verkündete in Görlitz ein Priester die christliche Lehre. Die Heiden ergriffen aber den Mann Gottes und schleppten denselben hinaus auf die Flur. Dort zündete der wilde Pöbel einen Scheiterhaufen an und stellte dem Priester die Wahl, entweder seine Lehre zu widerrufen oder den Feuertod zu sterben. Der mutige Christ aber ergriff ein Bäumchen, riss es mit seinen Wurzeln aus dem Boden, pflanzte dessen Krone als Wurzel in das Land und rief: »So wahr, wie diese Wurzel einst Blüten und der Wipfel des Bäumchens im Boden Wurzel treiben wird, so wahr wird Christi Lehre bestehen und Euer Götzendienst vergehen!«

Die Heiden ergrimmten über diese Worte und warfen den heiligen Mann in die Flammen. Das Bäumchen wuchs zu einem kräftigen Baum heran, der heute noch am alten Friedhof steht. Des Priesters Wort hat sich erfüllt. Die Heidenlehre ist seit Jahr­hunderten in Stadt und Land ausgerottet und dafür hat das Christentum davon Besitz genommen.

5. Der Teufelsstein

Bei Görlitz liegt an dem Weg nach der Landeskrone ein Felsblock, der Teufelstein genannt. Wie derselbe dorthin ge­kommen ist, berichtet die Legende:

Die frommen Bewohner von Görlitz führten einst zu Ehren von St. Peter und Paul einen Dom auf. Der Teufel gewahrte mit Neid und Zorn das fromme Werk und erfasste in seiner Wut auf der Landeskrone einen großen Felsblock, um ihn auf den Dombau zu schleudern und diesen zu zertrümmern. St. Petrus aber sah gerade aus der Himmelspforte auf Görlitz herab und er­blickte die Gefahr, die seinem Tempel drohte. Sofort sandte er einen Cherub mit gezücktem Schwert gegen den Teufel ab, welcher bei dem Anblick des Engels den Felsblock fallen ließ. Auf dem­selben Platz ist nun der Stein liegen geblieben und die tief ein­gedrückten Teufelskrallen sind noch daran sichtbar. Wer daran zweifelt, darf sich den Felsen nur ansehen und wird von der reinen Wahrheit dieser Legende sofort überzeugt sein.

6. Der Schatz in der Landeskrone

Bei Görlitz liegt ein Bergkegel, welcher unter dem Namen Landeskrone jedermann bekannt ist. Im Inneren derselben hat seit alter Zeit ein unermesslicher Schatz gelegen. Auf demselben aber lastet ein Bannfluch, welcher an seinen Besitz Schande, Unglück und Tod knüpfte. Ein Hirtenknabe hatte im 16. Jahrhundert noch den Schatz gesehen, als er auf Seidenberger Grundmark die Dorfherde auf der Weide hütete und ihm ein Stück der Herde bis auf den Berggipfel entlaufen war. Er kannte jedoch den Bannfluch und rührte das glitzernde Gold nicht an, sondern eilte schnell wieder den Berg hinab. Als er in Begleitung vieler Dorfbewohner noch­mals auf den Berg stieg, fand er den Eingang zu den Reichtümern mit Gestrüpp überwachsen. Später kam aber ein Künstler an den Platz und sah die prächtigen Edelsteine und Goldstücke. Er rieb sich vor Freude die Hände und rief: »Solche Sorten kann ich eben brauchen, denn ich bin abgebrannt bis aus den letzten Heller.«

Eifrig raffte er sich die größten Goldklumpen und die schönsten Diamanten zusammen. Er bekam für seine Beute ein ungeheures Geld, aber es brachte ihm kein Glück. Der Bannfluch erfüllte sich an ihm; er vergeudete das Geld und starb einen schändlichen Tod am Galgen.

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