Secret Service Band 3 – Kapitel 1
Francis Worcester Doughty
Secret Service No. 3
Old and Young King Brady Detectives
The Bradys after a million
Oder: Ihre Verfolgungsjagd zur Rettung einer Erbin
Eine interessante Detektivgeschichte aus dem Jahr 1899, niedergeschrieben von einem New Yorker Detective
Wer kennt ihn nicht, den berühmten Detektiv Old King Brady, der mehr Rätsel gelöst hat als jeder andere Detektiv, von dem man je gehört hat.
In der Reihe der Geschichten, die in SECRET SERVICE veröffentlicht werden, wird ihm ein junger Mann zur Seite stehen, der als Young King Brady bekannt ist und dessen einziges Lebensziel darin besteht, Old King Brady darin zu übertreffen, gefährliche Fälle aufzuklären und die Verbrecher zur Strecke zu bringen. Wie gut ihm dies gelingt, wird in den folgenden, im SECRET SERVICE veröffentlichten Geschichten ausführlich geschildert.
Kapitel I
Ein seltsamer Fall
Eines Morgens veröffentlichte eine große New Yorker Zeitung unter einer fesselnden Überschrift folgende bemerkenswerte Geschichte:
Im vornehmsten Teil der oberen Fifth Avenue liegt die palastartige Residenz eines der größten Millionäre New Yorks, des ehrenwerten Mister Loyd Baron.
Mr. Baron ist Witwer, aber seine schöne Tochter, Miss Gladys, führt sein Haus und ist ein strahlender Stern in den höheren Kreisen der Metropole. Ihre Reize und ihr Millionenerbe haben zahlreiche Verehrer angezogen, doch bisher hat sie alle Angebote freundlich abgelehnt. Ihre Hingabe gilt ihrem liebevollen Vater und ihrem Zuhause.
Bis vor einem Monat zählte sich Loyd Baron zu den glücklichsten Vätern New Yorks. Doch seit Kurzem trübt eine dunkle Wolke den klaren Himmel seiner häuslichen Idylle.
Miss Gladys, so glaubt man, ist das Opfer einer seltsamen Halluzination geworden. Doch wenn es sich, wie sie behauptet, um eine Tatsache handelt, dann ist sie alarmierend. Sie behauptet, von einem unbekannten Anhänger verfolgt zu werden, den sie weder gesehen hat noch beschreiben kann. Wohin sie auch geht, diese unheimliche Präsenz folgt ihr. Ob beim Autofahren, in der Oper oder sogar zu Hause, diese geheimnisvolle, quälende Präsenz ist immer da.
Was sie noch mehr beunruhigt, ist, dass er einen seltsamen Einfluss auf sie ausübt, von dem sie befürchtet, dass er ihren Willen überwältigen und sie zwingen könnte, seinem unbekannten Drang zu gehorchen, ihm vielleicht in ein ungewisses Schicksal zu folgen. Ob es sich um eine psychische Beeinflussung oder eine okkulte Kraft handelt, ihre Freunde sind ratlos. Ärzte und Wissenschaftler, die der verzweifelte Vater konsultiert, stehen vor einem Rätsel und können keine schlüssige Erklärung liefern.
Inzwischen liegen die Nerven des Mädchens blank. Sie ist tapfer und stark, und ein paar Minuten Gespräch mit ihr zerstreuen jeden Verdacht auf geistige Unruhe. Was also kann diese seltsame Störung erklären? Detektive wurden eingeschaltet, und es gibt Gerüchte, dass die berühmten Detektive, die Bradys, heimlich in den Fall verwickelt sind.
Sollte sich das bewahrheiten, wird mit einer baldigen Lösung gerechnet. In der Zwischenzeit verfolgt die besorgte Öffentlichkeit die Entwicklungen mit großem Interesse und tiefem Mitgefühl für eine der beliebtesten jungen Damen der New Yorker Gesellschaft.
So lautete in Kurzform der Zeitungsbericht über den mysteriösen Fall Gladys Baron. Ganz New York interessierte sich sofort dafür. Einige waren geneigt, den Fall abzutun und die Nervenprobleme des jungen Mädchens einem Leben in Müßiggang und Luxus zuzuschreiben, das manchmal nervöse Schwächen hervorruft und oft zu der als Hypochondrie bekannten Störung führt.
Als die Angelegenheit dem Chef des Geheimdienstes vorgelegt wurde, erklärte dieser sofort: »Ich bin überzeugt, Mr. Baron, dass Ihrer Tochter von einem geheimen Feind auf unbekannte Weise eine gefährliche Substanz verabreicht wird. Diese Substanz verursacht eine seltsame Geistesstörung.«
»Mein Gott!«, rief der Millionär entsetzt aus. »Ich kenne keinen Feind auf Erden.«
Der Chief lächelte.
»Das beweist nicht, dass Sie keinen haben«, sagte er.
»Wer könnte es denn sein?«
»Vielleicht jemand, den Sie für Ihren engsten Freund halten.«
»Das ist schwer zu glauben.«
»Mr. Baron, Ihre Erfahrung mit menschlicher Verdorbenheit ist begrenzt, sonst würden Sie meiner Aussage eher Glauben schenken. Ich kann mit Zuversicht und aus langer Erfahrung sagen, dass die menschliche Verdorbenheit nicht nur unter den Armen oder den kriminellen Klassen zu finden ist.
Es gibt keine schlimmeren oder gefährlicheren Feinde als diejenigen, die die höheren Wege des Lebens beschreiten. Ihre Möglichkeiten sind größer, ihre Anständigkeit ist ein verschleiernder Mantel, und ihre Pläne sind die grausamsten und tödlichsten, weil sie über die ausschließlichen Mittel zu ihrer Ausführung verfügen.
Sie sind die härteste Klasse, mit der es die Detektive heute zu tun haben. Aber sie gehen genauso ins Netz wie alle anderen. Hat Ihre Tochter viele Verehrer?«
Der Millionär schauderte. Sein Gesicht wurde blass.
»Ach, jetzt, wo Sie es erwähnen, erinnere ich mich an einen Mann, dessen Antrag sie abgelehnt hat. Er wurde wütend und bedrohte sie.«
Der Chief war interessiert.
»Wie heißt er denn?«
»Bertrand Liscomb.«
»Ist er wohlhabend?«
»Nein. Er war in meiner Firma angestellt, aber ich habe ihn wegen Verdachts auf Unehrlichkeit entlassen.«
»Ist er anständig?«
»Ja. Er bewegt sich in der Gesellschaft und hat sich unter meiner Schirmherrschaft einen Namen gemacht.«
Der Chief machte sich einige Notizen in sein Buch. Er verhielt sich ruhig und nicht durchschaubar, wie es sich für einen Chief der Detektive gehörte.
»Gut, Mr. Baron«, sagte er höflich. »Ich glaube, ich habe das Wesentliche des Falles. Ich werde Ihnen bei nächster Gelegenheit Bericht erstatten.«
»Welche Vorgehensweise schlagen Sie vor?«
Der Chief lächelte.
»Detektive verraten ihre Methoden nicht«, erklärte er. »Aber ich kann es Ihnen sagen: Wenn die beiden Männer, die ich mit diesem Fall betraut habe, ihn nicht lösen können, dann liegt er außerhalb der Fähigkeiten eines Detektivs in Amerika, Ihnen eine Lösung zu geben. Das ist alles.«
Der Chief wandte sich wieder seinem Schreibtisch zu. Der Millionär verließ das Zimmer.
Einige Zeit verging. Dann klopfte es an der Tür.
»Herein!«
Die Tür öffnete sich. Auf der Schwelle stand ein Mann von bemerkenswerter Erscheinung. Er war groß und muskulös. Seine Gesichtszüge waren markant und zu vielen Verkleidungen fähig. Er trug einen engen blauen Mantel, der bis zum Hals zugeknöpft war. Seinen Kopf bedeckte ein weißer Filzhut mit breiter Krempe. Sein Blick war scharf und lebhaft. Sein Haar war ganz weiß. Er war der Typ, der in einer noch so großen Menschenmenge immer aus der Menge herausstach. Er war kein gewöhnlicher Typ. Das war Old King Brady. In den inneren Kreisen des Verbrechens war kein Mann besser bekannt oder mehr gefürchtet als dieser berühmte alte Spürhund. Old King Brady trat ein. Hinter ihm stand ein anderer. Es war ein junger Mann mit markanten, entschlossenen Zügen, der von derselben Intelligenz geprägt war wie Old King Brady. Abgesehen vom Altersunterschied glichen sich die beiden Männer in vieler Hinsicht. Sogar ihre Namen waren identisch: Beide hießen Brady, obwohl sie, soweit sie wussten, nicht miteinander verwandt waren. Harry Brady, oder Young King Brady, wie man ihn nannte, war Schüler und Protegé des alten Detektivs. Dieser, der eine aufrichtige Zuneigung zu dem jungen Mann hegte, hatte ihn in der Kunst des Detektivhandwerks unterwiesen. Und der junge Mann war ein begabter Schüler. Gemeinsam arbeiteten der alte und der junge Mann an einigen der berühmtesten und spannendsten Kriminalfälle des Landes. Und der Erfolg war ihnen gewiss. Wo immer sie zuschlugen, versetzten sie die professionellen Gauner und Diebe in Angst und Schrecken.
Der Chief drehte sich in seinem Stuhl um, als die beiden Detektive eintraten.
»Ah, willkommen, ihr beiden!«, rief er herzlich. »Ihr kommt gerade rechtzeitig. Ich wollte euch schon lange sehen.«
»Wie?«, fragte Old King Brady in seiner knappen Art. »Ein neuer Fall?«
»Genau«, antwortete der Chief. »Wie geht es Ihnen, Harry?«
»Gut, danke«, antwortete Young King Brady.
»Das freut mich zu hören. Haben Sie den alten Mann gesehen, der gerade rausgegangen ist?«
Die Detektive tauschten Blicke aus.
»Mr. Baron?«
»Richtig!«, sprach der Chief eifrig. »Sie kennen ihn also?«
»Ich beobachte ihn schon seit einer Woche«, sagte Young King Brady.
Der Chief starrte. »Donnerwetter!«, rief er aus. »Sind Sie schon an dem Fall dran?«
»Ist das der Fall?«, fragte Old King Brady lächelnd.
»Nun, ich bin sprachlos!«, keuchte der Chief. »Ihr seid allen voraus. Der alte Mann kann es nicht wissen. Er war gerade hier, um mit mir über die seltsame Verfolgung seiner Tochter zu sprechen.«
»Hm!«, kommentierte der alte Detektiv.
»Nun!«, bemerkte Young King Brady.
»Warum erklären Sie sich nicht?«, rief der Chief. »Warum haben Sie ihn verfolgt, Harry?«
»Wenn ich das nicht getan hätte, wäre er jetzt ein toter Mann«, antwortete der junge Detektiv grimmig.
Der Chief war verblüfft. Schließlich wiederholte er: »Ein toter Mann!«
»Ja.«
»Dann weiß ich wohl nichts von diesem Fall. Ich rufe Sie, um Ihnen Neuigkeiten mitzuteilen, und Sie übertreffen mich. Haben Sie übernatürliche Kräfte?«
»Reiner Zufall«, sagte Old King Brady. »Wir haben nur eine Gaunerbande verfolgt, und wie es der Zufall so will, waren sie einem Spiel auf der Spur, das das Leben des Millionärs Baron betraf.«
»Dann haben Sie das Rätsel noch nicht gelöst?«
»Wir wissen nicht, warum sie hinter Barons Leben her sind. Wir wissen nur, dass sein Leben bedroht ist.«
»Ah, es sieht so aus, als ob dieses seltsame Erlebnis von Gladys Baron nur ein Teil eines größeren kriminellen Komplotts ist.«
»Genau!«, antwortete Old King Brady. »Das ist es: Eine geheime Bande arbeitet an einem großen bösen Komplott. Ihr erstes Ziel ist es, den Baron zu ermorden. Auch seine Tochter ist ein Ziel, obwohl man nicht weiß, ob ihr Leben in Gefahr ist. Wer die treibende Kraft hinter dieser kriminellen Maschinerie ist und was das eigentliche Ziel ist, bleibt ein Rätsel.«
»Das muss aufgeklärt werden!«
»Das hoffen wir.«
»Gut!« sagte der Chief. »Ich bin überzeugt, dass Sie den Fall übernehmen werden?«
»Wir arbeiten bereits daran.«
»Das ist alles.«
Nach einem kurzen Gespräch verabschiedeten sich die beiden Detektive und verließen das Büro. Wenige Augenblicke später waren sie auf der Straße.
Sie wurden beim Verlassen des Büros des Chefs von einem Mann in zerlumpter Kleidung beobachtet, der vom gegenüberliegenden Eingang aus zusah.