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Die letzte Fahrt der FLYING SCUD – Kapitel 4

Die letzte Fahrt der FLYING SCUD
Eine spannende Geschichte aus alten Freibeuterzeiten
Von einem alten Hasen geschrieben

Kapitel IV.

Musik hat ihren Reiz

»Ich werde ihren Willen noch brechen!«, verkündete Kidd mit Nachdruck, während er sich auf einen bunt bezogenen Diwan in seiner Kabine warf. »Die jungen Halunken haben das Abkommen nach der Zerstörung der GRAMPUS unterzeichnet, aber keinen Deut haben sie ihren Teil davon gehalten.«

Kidd trank etwas von dem feinen alten Portwein, den er von einer spanischen Galeone erbeutet hatte. Der reichhaltige Wein ließ sein Blut schneller und schneller fließen, bis es schien, als würde es in seinen Adern kochen.

Der RED RAVEN glitt entlang der Küste von Long Island über das Meer. Er trotze allen Gefahren, aber allem Anschein nach war er so friedlich wie jedes Handelsschiff in den amerikanischen Gewässern.

Kidd liebte einen gewissen Luxus und hatte seine Privatkabine mit der Beute vieler Schiffe ausgestattet. So war sie zu einem Schauplatz barbarischen Prunks geworden.

Wie viele andere dachte er, dass lebhafte Farben und eine luxuriöse Umgebung Komfort ausmachten. Und wenn der Wein seine Wirkung in seinem System entfaltet hatte, stellte er sich vor, dass kein König auf Erden sich besser amüsierte als er.

Es mag seltsam erscheinen, doch dieser berüchtigte Pirat hatte eine poetische Veranlagung und liebte Musik, obwohl er selbst kein Musiker war.

Nach seinem Wortgefecht mit Thad Fergus wechselte er von einer Leidenschaft zur anderen. Wut und Hass wichen den weicheren Gefühlen, die zweifellos durch den reichen Wein hervorgehoben wurden.

»Cyrus! Cyrus!« rief er und ein Jüngling mit femininem Aussehen, dessen Geburtsort im fernen Osten lag, betrat die Kabine.

»Bring das Fräulein, Mademoiselle de Montagne, her.«

»Ja, Kapitän.«

»Öl deine Schuhe, damit du schnell mit ihr zurückgleiten kannst«, sagte Kidd und lachte über die poetische Ausdrucksweise.

Es dauerte nur wenige Minuten, bis Miriam zitternd, aber schöner denn je, die Kabine betrat.

»Lass uns allein, Cyrus.«

Die Tür wurde geschlossen, und Kidd verbeugte sich vor dem jungen Mädchen, während er einen kleinen Schluck des reichhaltigen Weins in ein goldgerändertes Glas goss, das er von einem prächtigen Schiff mitgebracht hatte.

»Trinken Sie, Mademoiselle«, sagte er.

»Lieber nicht, Monsieur«, erwiderte sie nervös.

»Aber ich wünschte, ich könnte. Sie sind vollkommen sicher. Ach, Sie denken vielleicht, es sei vergiftet, aber ich bin ein Gentleman und würde nie zu einer so niederen Tat greifen. Aber um Sie zu beruhigen, sehen Sie, ich werde es selbst trinken.«

Er trank den Wein hinunter, schenkte nach und reichte ihr das Glas.

Sie zögerte einen Moment, dann, aus Angst, er könnte unbedacht handeln, benetzte sie ihre Lippen mit dem Wein und entschuldigte sich, dass sie zu Hause nie etwas so Starkes wie Portwein trinke.

»Singen Sie?«, fragte er.

»Nein, oh nein, ich …«

»So schöne Lippen, so eine schöne Kehle erzählen eine andere Geschichte. Ich weiß, Sie können singen. Kommen Sie, singen Sie mir etwas in Ihrem heimatlichen Französisch.«

Wie sollte sie singen, wenn ihr Herz so schwer wie Blei war? Sie fühlte, wie ihr die Tränen in die Augen stiegen, und im nächsten Augenblick hätte sie nachgegeben, und ein Strom von Tränen wäre aus ihren Augen geflossen. Doch dann überkam sie eine plötzliche Wandlung. Etwas vom Geist ihres Vaters drang in sie ein, und indem sie den Kopf schüttelte, um ihre Schwäche zu vertreiben, sagte sie ganz leise: »In der Tat, mein Herr, ich bin keine Sängerin; aber ich will versuchen, etwas für Sie zu singen«.

»Das ist richtig, und damit basta! Verdammt nochmal! Es tut mir gut, in ein so strahlendes Gesicht zu schauen. Diese Vision darf nicht verschwinden.«

Miriam bemerkte das Kompliment nicht, aber in einer selbstbewussten, starken Stimme sang sie eines jener hübschen kleinen Chansons, die in jenen Tagen in den französischen Westindischen Inseln so populär waren.

»Bravo! Bravo! Sing noch eins, mein hübsches Fräulein!«

Wieder kam sie der Bitte nach und er gab erneut ein Zeichen der Zustimmung. Dann bat er sie, Platz zu nehmen, aber sie lehnte ab und sagte auf ihre naive Weise, dass sie nur eine Gefangene sei und nicht in Gegenwart des Königs sitzen könne.

Kidd lachte und erklärte, dass er noch nie einen so lieblichen Untertan gehabt habe. »Sie wünschen, frei zu sein?«, fragte er.

»Das tue ich, und ich bin bereit, dafür zu kämpfen! Ein Vogel kann sich nicht im Käfig erfreuen, auch wenn er vergoldet ist, wenn er an die Bäume des Waldes gewöhnt ist.«

»Ich werde Ihnen Ihre Freiheit geben, sobald ich sicher sein kann, dass ich es kann. Ich werde kein Risiko eingehen.«

»Ich will nur meine Freiheit, und Sie können sicher sein, dass ich den Gouverneur um Gnade für Sie bitten werde.«

»Ich weiß, dass ein Preis auf meinen Kopf gesetzt ist.«

»Ich habe es so gehört, aber Sie sind edelmütig und sie missverstehen Sie.«

Kidd lachte so schallend, dass Miriam Angst bekam, er könnte einen Anfall bekommen. »Ich edel? Du bist die Einzige auf der Welt, die so etwas sagen würde. Du bist eine Frau und Frauen sind stets Schmeichlerinnen. Ich kenne euer Geschlecht.«

»In der Tat, Herr, ich bin überzeugt, dass Sie missverstanden werden. Ich werde meinen Vater bitten, für Sie einzustehen.«

»Ich will kein Weibergeschwätz und kein Mitleid. Ich lebe für Rache und werde mich daran laben. Sie haben William Kidd geächtet. Das wird Konsequenzen haben, denn der Handel auf den weiten Meeren wird dafür bezahlen. Geh, Mädchen, bevor ich vergesse, dass du mir den Engel gegeben und göttlich in meine Ohren gesungen hast.«

Miriam versuchte zu gehen, aber die Tür war verschlossen. Dann kehrte ihre Nervosität zurück, und sie fühlte ihre Gliedmaßen zittern und ihre Augen sich mit Tränen füllen.

»Ah, du bist meine Gefangene. Komm her, mein hübsches Fräulein. Nein, nein, ich werde Ihnen nichts tun. Cyrus, Cyrus, sage ich, öffne die Tür.«

Die Tür wurde sofort geöffnet, und das Mädchen verließ die Präsenz des gefürchteten Piratenführers.

Als sie die ihr zugewiesene Kabine erreichte, fiel sie in Ohnmacht und verlor für viele Minuten das Bewusstsein. Kidd kämpfte nicht mit einem Feind, sondern mit sich selbst. Das Böse in ihm argumentierte, dass Miriam nur eine Gefangene sei, das Gute sagte, sie sei eine Frau, die mit Ehre und Respekt behandelt werden müsse, und ihr Schicksal hing in der Balance, als Dragon in die Kabine drängte und meldete, dass ein fremdes Segel in Sicht sei.

»Ein Segel, sagst du?«

»Ja, Kapitän, und ich mag den Anblick nicht.«

Kidd war sofort auf der Hut, suchte schnell den Horizont ab und fixierte seinen Blick auf einen winzigen Punkt, der kaum sichtbar war. »Meinst du diesen Punkt?«

»Sie war gerade eben deutlicher. Sehen Sie, sie steuert in diese Richtung.«

»Du hast recht. Da ist noch eines – zwei. Halte die RAVEN einen Punkt von ihrem Kurs ab und lasst uns sie auskundschaften«, fügte er hinzu und nahm sein Fernrohr, um die entfernten Objekte besser zu betrachten.

Als sich die Schiffe näherten, zeigte das Vorderste das Rahsegel einer großen Fregatte mit gesetzten Royals und Stagsegeln. In weniger als einer Stunde, nachdem sie erstmals von Dragon gesichtet worden waren, befanden sie sich eine halbe Meile leewärts der RED RAVEN. Kidd hatte durch Kursänderung die Fremden in eine nachteilige Lage versetzt und war froh darüber, denn das größere Schiff war unverkennbar ein Kriegsschiff.

Thad betrachtete das Schiff, jedoch mit anderen Gedanken als der Kapitän. »Ich hoffe, wir treffen auf sie und es kommt zum Kampf«, sagte er zu Simon.

»Warum?«

»Sie ist stärker, und unsere Chance wird gekommen sein.«

»Ich wünschte, es wäre so weit. Ich bin es leid, Pirat zu spielen, und manchmal bin ich versucht, den Job aufzugeben.«

»Und mich im Stich lassen?«

»Das hängt von einigen Dingen ab. Ich meine, dass ich fast geneigt bin, ernsthaft Pirat zu werden und nicht nur so zu tun.«

»Ich schäme mich für dich.«

Während dieses Gesprächs zwischen den Jungen ließ Thad die Augen nicht von dem Kriegsschiff, indem er sein Sehfeld durch teilweises Schließen seiner Fäuste fokussierte. Auf dem Achterdeck stand Kidd ebenso konzentriert, und Dragon stand an seiner Seite.

»Sie zeigt uns ihre Zähne«, sagte Letzterer.

»Ja, und sie grinsen wie die von Black Lem. Welche Flagge führt sie?«

»Ich vermute, sie ist Französisch. Ihre Rahen sind nicht quadratisch genug für einen Engländer.«

»Was sollen wir tun, Kapitän?«

»Ich habe keine Zeit, mich mit einem Ausländer herumzuschlagen, es sei denn, sie führt Schätze mit sich, also halte wieder Kurs.«

Die RED RAVEN näherte sich dem Wind und nahm den Kurs wieder auf, von dem sie abgewichen war, während das fremde Schiff mit seltener Majestät lautlos vorbeizog und offenbar die Bucht ansteuerte, die Kidd gerade verlassen hatte. Ihr Begleiter blieb dicht bei ihr und schien unbewaffnet zu sein.

»Es ist untypisch für Sie, Kapitän, einen Kampf zu vermeiden.«

»Was sollte ich gewinnen, Dragon? Das Schiff ist bewaffnet; wir würden kämpfen, vielleicht siegen, aber was würden wir gewinnen?«

»Kanonen. Einer der Heckkanonen kann jederzeit brechen; zwei der Breitseitekanonen sind fast wertlos.«

»Und mit solch einer Bewaffnung wolltest du, dass ich ein erstklassiges Kriegsschiff angreife? Nein, danke, Dragon, so ein Narr bin ich nicht.«

»Die Männer sehnen sich nach einem Kampf.«

»Sie werden bald einen haben, und wenn sie ein Schiff angreifen, werde ich Ihnen versichern, dass es eines sein wird, das es wert ist.«

»Wir haben kaum noch Rum.«

»Das ist eine andere Sache. Wir werden in einen Hafen einlaufen und Vorräte besorgen.«

»Welcher Hafen?«

»Das ist mir gleich. Einer ist so gut wie der andere.«

»Aber das Risiko?«

»Sie sprechen mit mir von Risiko! Warum, mein lieber Mann, besteht kein Risiko, wenn wir die Besatzung an Bord halten. Es ist der nichtsnutzige Klatsch, dem sie an Land frönen, der das Risiko verursacht.«

»Man muss einige an Land bringen, zumindest die Bootsbesatzung.«

»Eines der Flüche dieses Lebens ist, dass es keinen Mann gibt, dem man vertrauen kann.«

»Sie schließen mich nicht ein?«

»Doch, das tue ich. Ich glaube nicht, dass du zögern würdest, mir einen Streich zu spielen, wenn du daraus Profit schlagen könntest.«

»Es müsste eine große Summe sein, Kapitän.«

»Das weiß ich, aber du würdest es trotzdem tun, und der einzige Unterschied zwischen dir und Thad ist, dass der Junge es tun würde, weil er denkt, das Land wäre besser dran ohne mich, während du nicht den geringsten Gedanken an das Land verschwendest, solange deine Taschen gut gefüllt sind.«

»Was nützt mir das Land, wenn ich kein Geld habe?«

»Du bist ein Schurke durch und durch, Dragon.«

»Dank der Ausbildung, die ich unter dem hochverehrten Kapitän Kidd genossen habe.«

Kidd legte seine Hand auf sein Schwert, doch Dragon war die Treppe hinunter, bevor der Kapitän die Waffe ziehen konnte.

»Er ist so schlimm wie alle anderen. Keinem kann man trauen, aber ich kann auf mich selbst aufpassen und werde sie alle überleben.«

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