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Die Gespenster – Vierter Teil – 14. Erzählung

Die Gespenster
Kurze Erzählungen aus dem Reich der Wahrheit von Samuel Christoph Wagener
Allen guten Schwärmern, welchen es mit dem Bekämpfen und Ablegen beunruhigender Vorurteile in Absicht des Geisterwesens ernst ist, liebevoll gewidmet von dem Erzähler Friedrich Maurer aus dem Jahr 1798
Vierter Teil

Vierzehnte Erzählung

Die drei Schatten

Als ich im Jahre 1770 das Berliner Gymnasium, damals das graue Kloster genannt, besuchte, hatte ich an einem meiner Mitschüler, Dilthey, der 1793 als Prediger in Friedrichswalde bei Joachimsthal starb, einen vertrauten Schulfreund. Er wohnte bei seinem Oheim, dem verstorbenen Oberkonsistorialrat Bülching. Meine Wohnung, bei dem damaligen Prorektor Schulze, war nur durch eine zweite Tür getrennt, sodass wir durch diese Nachbarschaft begünstigt uns oft sahen.

Den Abend vor Weihnachten kam mein Freund zu mir, um mir sein kleines Weihnachtsgeschenk zu bringen und dagegen das meine in Empfang zu nehmen. Jeder hatte sein Geschenk mit einer poetischen Epistel begleitet. Wir lasen diese, belachten unsere Einfälle, redeten von allerlei abergläubischen Gebräuchen, die zu dieser Zeit gewöhnlich wären. Und so schlug es sieben. Dilthey eilte nun zu seiner Wohnung, und ich begleitete ihn bis dahin. Sein Onkel kam eben aus seinem Zimmer von der Treppe, und da er mich bemerkte, nötigte er mich, zum Abendessen mit dazubleiben.

Gegen zehn Uhr ging ich in meine Wohnung zurück. Da ich nicht geglaubt hatte, solange wegzubleiben, so hatte ich auch meine Segnerische Lampe nicht ausgelöscht, und ich fand sie daher noch brennend. Kaum in die Stube getreten, erblickte ich an der Wand drei große menschliche Schatten. Es überfiel mich ein kleiner Schauer; indessen wurde ich bald gewahr, dass der mittlere von mir herrührte, weil er mit mir gleiche Bewegungen machte. Nur konnte ich nicht begreifen, wer in meiner Einsamkeit die beiden anderen verursachen könnte. Das Fenster, der beschatteten Wand gegenüber, ging nach einem Vorhof; es war Mondschein, und ich vermutete auf dem Hof zwei Menschen, welche die spukhaften Schatten veranlassten. Ich dachte an die beiden Söhne des Oberkonsistorialrats Büsching, die sich, vielleicht nach mir, heimlich hineingeschlichen hätten, um sich einen Spaß zu machen. Allein ich fand niemand, und doch wollten die Schatten in meiner Stube in mehr als Lebensgröße und zu meiner nicht geringen Furcht noch immer nicht verschwinden. Ganz ernsthaft fragte ich das Hausmädchen, wo die beiden Büschings wären, denn diese mussten, meiner Vermutung nach, notwendig die Ursache jener Erscheinung sein. Ich erhielt aber ebenso ernsthaft zur Antwort, dass ich ja wissen müsse, es sei niemand mit mir hereingekommen; und nachher habe sie die äußere Tür nicht wieder geöffnet. Weiter wollte ich mich ihr nicht erklären.

Ich kehrte nun, nicht ohne die Unbehaglichkeiten grauenhafter Empfindungen, zu meiner Stube zurück. Hier war es noch wie vorher. Die beiden Schattengestalten standen unverrückt da.

Nun erneuerte sich bei mir so manche, in meinen Kinderjahren mit Heißhunger vernommene Erzählung, von Erscheinungen usw., und ich fing an, den gewaltigen Einfluss, welchen sie unter solchen Umständen selbst auf vorurteillose Gemüter haben, höchst unangenehm zu empfinden. Ich blickte ängstlich-wild in der Stube umher; selbst unter dem Bett suchte ich Gespenster oder versteckte Menschen. Aber ich entdeckte überall nichts und machte mich auf eine fürchterliche Nacht gefasst.

Endlich nahm ich mit erkünstelter Gleichgültigkeit meine Zuflucht zu einem Buch, mit welchem ich mich, der Schreckenswand zur Seite hinstellte, um zu lesen. Ich stand unbeweglich, denn ich begann mich vor mir selbst, d. h. sogar vor dem kleinsten Geräusch, welches ich etwa mit dem Fuß machen könnte, zu fürchten. Dabei wusste ich, wie man mir gern glauben wird, nichts von dem, was ich las; denn fast mit jeder neuen Zeile wurde der Blick wenigstens einmal unwillkürlich zu jenen grauenvollen Gestalten hingezogen. Ich hatte eine Seite gelesen und wollte das Blatt umwenden. Der Raum aber, den das Buch auf dem Tisch entnahm, war so beschränkt, dass ich, um mit der Hand das Blatt umwenden zu können, erst etwas hinweg nehmen musste, was mich daran hinderte. Indem ich dies tat, schielte ich zugleich zur Wand hin; aber welch ein frohes Erstaunen erfüllte mich, als ich eben in diesem hinweggeräumten Hindernis die Ursache des einen Schattens entdeckte.

Dieses Hindernis mit der Hand wohl zwanzig Mal hin und her bewegen, unverrückt zur Wand, und dem einen nun willkürlich bewegten Schatten sehen, um mich von der Wahrheit meiner gemachten Entdeckung durch wiederholte Versuche zu überzeugen, das waren nun wohl sehr natürliche Beschäftigungen für mich. Die Natur der spaßhaften Schatten lag nun zutage, und ich konnte sie als ohnmächtige Wesen verbannen und belächeln.

Die bis dahin schrecklichen Gestalten waren zwei kleine Figuren von Holz, eben dieselben, welche ich meinem Freund zum Weihnachtsgeschenk gemacht und die er mitzunehmen vergessen hatte.

Das Thema zu meiner Epistel war: »Erhebe deine Stimme künftig als Prediger wie eine Posaune.«

Und so war denn die eine ungefähr sechs Zoll lange Figur ein Prediger und die zweite eine Trompete von nämlichen Größe. Das Mundstück an dieser bildete im Schatten den Kopf, der Griff an der einen Seite schien ein an den Körper gestemmter Arm zu sein, und der Schatten von dem unteren Teil konnte mir wegen des dort stehenden Bettes die Trompete nicht weiter verraten. Einzig die Stellung dieser Figuren gegen die Lampe verursachte die ungeheure Gestalt und Größe, und mir die wahrlich nicht geringe Angst.

Nun, wo ich nun die offenbarste Selbsttäuschung entdeckte und einsah, dass es mit diesen Schatten höchst natürlich zuging, nun war ich zweifelhaft, ob ich über den Trug lachen oder über mich selbst zürnen sollte. Ich begriff kaum, wie es auch nur möglich gewesen wäre, nicht sogleich an das auf dem Tisch stehende Geschenk und dieses nicht auf der Stelle in seinem Zusammenhang mit der Lampe und den Wandschatten gedacht zu haben. Es konnte fast nicht fehlen, ich musste bei dieser Gelegenheit zu ein paar ernsthaften Bemerkungen veranlasst werden.

Wenn man, dachte ich, mit den Gesetzen der Lichtstrahlen völlig bekannt, und ohne grobe Vorurteile in Augenblicken der Überraschung und der dadurch aufgeregten Furcht beobachten und irregeleitet werden kann, als wüsste man nichts, gar nichts von diesen Gesetzen der Natur, um wie viel mehr sind Trugschlüsse und das Festhalten an übernatürliche Geisterwirkungen denen zu verzeihen, deren kenntnisleeren Köpfe nur mit den Faseleien und den groben Vorurteilen einer verwahrlosten Erziehung angefüllt sind!

Und dann: Was würde aus der so ganz einfachen Geschichte dieser Schatten geworden sein, wenn ein Furchtsamer bei ihrem Anblick davongelaufen, die Lampe dann erloschen und die Figuren zufällig aus ihrem sie verratenen Standpunkt neben und zwischen der Lampe und jener spukenden Wand entfernt worden wären?