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Der Welt-Detektiv Band 6

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Slatermans Westernkurier 06/2023

Auf ein Wort, Stranger, warum wurde aus dem Postkutschenräuber George Parrot ein Paar Schuhe?

George Parrot, alias George Francis Warden, alias George Manuse, war trotz seiner Vielzahl an Falschnamen aufgrund seiner großen, beinahe riesenhaften Nase im ganzen Land hauptsächlich unter dem Namen Big Nose Georg bekannt. Als Mitglied einer Bande von Straßenräubern und Pferdedieben machte er in den späten siebziger Jahren des 19. Jahrhunderts zusammen mit ihnen weite Teile von Wyoming unsicher.

Die Bande war hauptsächlich entlang des Powder Rivers aktiv, raubte Lohnwagen und Postkutschen aus und »befreite« die Passagiere mit sichtlichem Vergnügen von ihrem Geld und Schmuck. Außer ihrem Anführer, über den auch heute so gut wie nichts bekannt ist, und Big Nose George bestand die Bande noch aus Frank McKinney, Jack Campell, John Wells, Tom Reed, Frank Tole und Dutch Charley Burress.

Am 16. August 1878 planten die Gesetzlosen, einen Zug der Union Pacific in der Nähe von Medicine Bow auszurauben, indem sie die Schienen so manipulierten, dass die Lokomotive entgleisen musste. Nachdem sie sich in den umliegenden Büschen versteckt hatten, kam jedoch zufällig eine Draisine mit einer Gruppe Schienenarbeiter vorbei, die den Auftrag hatte, die Gleise zu überprüfen und für einen störungsfreien Zugverkehr auf der Strecke zu sorgen.

Sie entdeckten die manipulierten Schienen sofort, und während der Vorarbeiter mit der Draisine vorausfuhr, um den herannahenden Zug aufzuhalten und den Sheriff von Medicine Bow über die Tat zu informieren, machten sich die restlichen Schienenarbeiter daran, die Gleise zu reparieren.

Frank McKinney war darüber derart außer sich, dass er die Arbeiter alle erschießen wollte. Doch der Rest der Bande, allen voran Big Nose George und Frank Tole, weigerten sich und erklärten, dass sie nicht hierhergekommen waren, um unschuldige Gleisarbeiter zu töten.

Damit war der Plan der Bande vereitelt und sie konnten nichts anderes mehr tun, als schweigend zuzusehen, wie die Strecke repariert wurde und die Arbeiter dann nach Medicine Bow gingen.

Von dort aus war inzwischen eine größere Gruppe aufgebrachter Bürger unterwegs, um die mutmaßlichen Zugräuber festzunehmen.

Das Aufgebot verfolgte die Bande bis zum Rattelsnake Canyon am Elk Mountain, wo zwei von ihnen von den Gesetzlosen erschossen wurden, worauf sie zurück in die Stadt flüchteten.

Danach verdoppelte die Union Pacific Railroad ihre Bemühungen, die Bande aufzuspüren, und die Bezirksbehörden lobten Belohnungen von insgesamt 10.000 Dollar für ihre Festnahme aus.

 

*

 

Einen Monat später wurde Frank Tole bei dem Versuch, eine Postkutsche der Black Hills Stage Line auszurauben, erschossen. Dutch »Charley« Burress wurde 1879 verhaftet und mit dem Zug gen Westen nach Rawlins gebracht, um ihm dort den Prozess zu machen. Doch kurz davor wurde der Zug von einem wütenden Mob in Carbon angehalten, Burress aus dem Waggon gezerrt und an einem Telegrafenmast aufgehängt.

Big Nose George befand sich zu dieser Zeit bereits in Miles City in Montana und wähnte sich in Sicherheit. Ein fataler Irrtum, denn die heimtückischen Morde an den beiden Männern vom Aufgebot aus Medicine Bow und die ausgelobten 10.000 Dollar Belohnung sorgten dafür, dass die Menschen den Fall nicht vergessen hatten, und so kam es, wie es kommen musste.

Irgendwann im Frühjahr 1880, als Big Nose George wieder einmal betrunken war, prahlte er mit dem versuchten Zugüberfall und den Morden in Wyoming. Prompt schickten ein paar Bürger der Stadt ein Telegramm nach Rawlins an den Sheriff des Carbon Countys und informierten ihn darüber. Im Juni reiste Sheriff Rankin dann nach Montana, um den dort inzwischen festgesetzten Big Nose George mit dem Zug zurück nach Wyoming zu bringen, wo man ihm den Prozess machen wollte. Doch dazu sollte es zunächst nicht kommen. Wieder war es das Städtchen Carbon, wo der Zug gestoppt wurde, und wieder war es derselbe Mob, der im Jahr zuvor an dieser Stelle bereits Dutch »Charley« Burress aus dem Zug geholt und gelyncht hatte. Big Nose jedoch war nicht nur ein Verbrecher, sondern auch ein Prahlhans und begnadeter Geschichtenerzähler, und so gelang es ihm tatsächlich, den Mob davon zu überzeugen, ihn nicht zu lynchen, sondern zusammen mit dem Sheriff nach Rawlins zu bringen, wo er vor Gericht alle seine Taten gestehen und den Rest der Bande verraten wollte. Nach kurzer Beratung ließ es der Mob tatsächlich zu, dass ihn Sheriff Rankin nach Rawlins bringen konnte, wo er dann verurteilt werden sollte.

Doch der Plan von Big Nose George ging nicht auf.

Die anderen Mitglieder der Banditenbande blieben trotz seines Verrats unentdeckt und ihn selbst verurteilte das Gericht am 15. Dezember 1880 zu seinem großen Entsetzen trotz aller Geständnisse zum Tode. Dem Urteil nach sollte er am 2. April 1881 im Hof des Gefängnisses von Rawlins hängen.

Am 22. März des Jahres 1881 versuchte Big Nose George deshalb zu fliehen. Doch es blieb bei dem Versuch. Kaum war es ihm gelungen, den Gefängniswärter Robert Rankin zu überwältigen, tauchte dessen Frau auf, um ihrem Mann das Essen zu bringen. Als die resolute Dame sah, was geschehen war, schnappte sie sich eine Pistole und drängte Big Nose wieder in seine Zelle zurück. Der Verbrecher ahnte an diesem Nachmittag nicht, dass er nach dieser Tat nicht erst am 2. April durch den Strick ums Leben kommen sollte, sondern wenige Stunden später noch in dieser Nacht.

Als sich die Nachricht von seinem Fluchtversuch in der Stadt verbreitet hatte, formierte sich alsbald ein maskierter Mob und stürmte das Gefängnis.

Sie zerrten Big Nose aus seiner Zelle und schleppten ihn in die Stadt zu einem Telegrafenmast in der Front Street unweit vom Gefängnis. Dort hatten sich bereits fast zweihundert Menschen versammelt, die Zeuge eines grausamen Spektakels wurden. Niemand war auch nur annähernd in der Lage, die Hinrichtung fachmännisch auszuführen, und so erlitt Big Nose Höllenqualen, bis er endlich nach dem dritten Versuch sein verpfuschtes Leben am Ende eines Stricks aushauchte.

 

*

 

Sein Leichnam blieb noch für mehrere Stunden hängen, bis ihn der Bestatter entfernen konnte.

Da es keine Hinterbliebenen gab, die die Leiche für sich beanspruchten, nahmen die Ärzte Thomas Maghee und John Osborne sie in Besitz, um das Gehirn des Gesetzlosen zu untersuchen. Sie wollten herausfinden, ob es darin einen Grund für sein kriminelles Verhalten geben könnte.

Nachdem die Schädeldecke grob abgesägt war – dabei war auch die erst fünfzehnjährige Lillian Heath anwesend, die als Assistentin von Doktor Maghee arbeitete – und sie das Gehirn untersucht hatten, kamen alle zu dem Ergebnis, dass zwischen Big Noses Gehirn und dem Gehirn eines normalen Menschen keine deutlichen Unterschiede vorhanden waren.

Obwohl das Ganze aus heutiger Sicht bizarr klingt, muss man diese sogenannten Forschungen in der Zeit sehen, in der sie geschahen. Damals handelten die drei durchaus im Rahmen der in diesen Jahren geltenden medizinischen Ethik. Absonderlich und ziemlich bizarr waren dann aber die Aktivitäten, die Doktor John Osborne danach an den Tag legte.

Zunächst formte er aus Gips eine Totenmaske von Big Noses Gesicht. Die Maske hatte keine Ohren, denn während der dilettantischen Versuche, ihn aufzuhängen, hatte das Seil dem Verbrecher während seines Todeskampfes diese abgerissen.

Als Nächstes entfernte Osborne die Haut von den Oberschenkeln und der Brust des Toten und schickte diese mit einer Reihe seltsamer Anweisungen zu einer Gerberei nach Denver, Colorado. Diese sollte die Haut einschließlich der Brustwarzen dazu verwenden, um ihm ein Paar Schuhe, eine Art Medizin- beziehungsweise Tabaksbeutel und eine Arzttasche anzufertigen.

Als Osborne die Schuhe danach erhielt, stellte er zu seiner Enttäuschung fest, dass auf ihnen trotz seines ausdrücklichen Wunsches keine Brustwarzen zu sehen waren. Trotzdem trug er sie auch Jahre danach immer noch voller Stolz.

Den Rest des zerstückelten Körpers bewahrte er danach noch etwa ein Jahr lang in einem mit einer Salzlösung gefüllten ehemaligen Whiskyfass auf. Osborne setzte seine Sektionen und Experimente so lange fort, bis schließlich die Überreste von Big Nose samt dem Whiskyfass im Hof von Maghees Praxis vergraben wurden.

Trotz des merkwürdigen Verhaltens vonseiten Osbornes bei der Schändung von Big Nose George Parrots Körper erlangte der Arzt bald eine hohe Position in der Politik des County. Im Jahr 1892 wurde er zum ersten demokratischen Gouverneur von Wyoming gewählt und soll nach Aussagen damaliger Zeitzeugen diese makabren Schuhe bei seinem Antrittsball 1893 getragen haben.

Irgendwann wurde die Schädeldecke von Big Nose dann an Lillian Heath, die inzwischen selbst Ärztin war, verschenkt. Die Frau soll diese erst als Aschenbecher und dann als Türstopper in ihrer Praxis benutzt haben.

Die ganze Geschichte um Big Nose geriet im Laufe der Jahre in Vergessenheit, bis Bauarbeiter am 11. Mai 1950 bei Ausgrabungen für ein neues Gebäude in der Cedar Street auf ein mit menschlichen Knochen gefülltes Whiskyfass stießen. Der Fundort befand sich hinter dem Gebäude, das vor Jahren Doktor Maghee als Büro und Praxis gedient hatte. Im Innern des Fasses befand sich außer den unzähligen Knochen auch noch ein Schädel mit abgesägtem Oberteil. Das sprach sich natürlich schnell herum und so hatte sich schon bald eine neugierige Menschenmenge um das Fass herum versammelt. Dabei fiel einem der ältesten der Anwesenden ein, das Lillian Heath einmal eine Schädeldecke geschenkt bekommen hatte. Obwohl sie bereits weit über achtzig sein musste, lebte sie noch und wurde sofort kontaktiert. Da sie zu gebrechlich war, brachte ihr Mann die Schädeldecke zum Fundort, die natürlich perfekt zu dem abgesägten Schädel passte. Spätere DNA Tests bestätigten, dass dies einwandfrei der Schädel von Big Nose war.

 

*

 

Heute zeigt das Carbon County Museum in Rawlins, Wyoming, stolz die Totenmaske von Big Nose George, seinen Schädel und die berüchtigten Schuhe, die aus seiner Haut gefertigt wurden. Zu sehen ist auch eine Uhr, die man damals Rosa Rankin geschenkt hatte, weil sie Big Nose an jenem 22. März des Jahres 1881 an der Flucht aus dem Gefängnis gehindert hatte.

Die Fesseln, die Big Nose George Parrot während seiner Erhängung trug, und die Schädeldecke wiederum befinden sich im Union Pacific Museum in Omaha, Nebraska.

Die restlichen Überbleibsel von Parrot wurden angeblich vor Jahren heimlich an einem geheimen Ort vergraben und auch der Medizinbeutel beziehungsweise Tabakbeutel, den Maghee damals aus seiner gebräunten Haut anfertigen ließ, ist seitdem verschwunden.

Quellenangabe: