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Die Gespenster – Dritter Teil – 49. Erzählung

Die Gespenster
Kurze Erzählungen aus dem Reich der Wahrheit von Samuel Christoph Wagener
Allen guten Schwärmern, welchen es mit dem Bekämpfen und Ablegen beunruhigender Vorurteile in Absicht des Geisterwesens ernst ist, liebevoll gewidmet von dem Erzähler Friedrich Maurer aus dem Jahr 1798
Dritter Teil

Neunundvierzigste Erzählung

Die Fußtritte des Wunderbaren

Ich besuchte, als ich in Marburg studierte, während der Ferien meine Eltern. Zu meiner Schlafstelle wurde mir ein im Erdgeschoss befindliches Zimmer angewiesen, wo auch mein jüngerer Bruder, ein Knabe von fünfzehn Jahren, schlafen sollte. Über diesem Zimmer, eine Treppe hoch, logierte dessen Hauslehrer, der aber damals auf einige Tage verreist war.

Als wir des Abends zu Bett gehen wollten, hörten wir, dass in der Stube über der unsrigen eine Person leise auf und ab ging. Es lautete so, als ob jemand mit weiten Pantoffeln herumlatschte. Da wir den Bewohner dieses Zimmers über uns abwesend wussten, so machte uns diese unerwartete Erscheinung aufmerksam. Dass indessen so deutlich vorkommende Tritte etwas Übernatürliches sein könnten, dies fiel uns gar nicht einmal ein. Wir glaubten vielmehr, es würde jemand von dem Hausgesinde da oben noch ein Geschäft haben, und legten uns daher ruhig nieder.

Von ungefähr erwachte ich um Mitternacht und hörte, dass das Wandeln über uns noch immer andauerte. Nun kam es mir bedenklich vor. An ein Gespenst dachte ich aber doch nicht, sondern ich glaubte, es habe sich ein Dieb ins Haus eingeschlichen, der oben im Ausräumen begriffen sei. In dieser Vermutung wurde ich umso mehr bestärkt, je weniger Regelmäßigkeit in diesen Tritten zu sein schien. Bald folgten sie geschwind, bald langsam aufeinander und oft hörte ich sie auch, wiewohl nur in kurzen Zwischenräumen, gar nicht.

Ich weckte meinen Bruder, der meiner Vermutung, dass im Zimmer über uns ein Dieb sein müsse, beipflichtete. Wir beschlossen, aufzustehen und den Patron einzufangen. Da wir aber wohl einsahen, dass dieses nicht ohne Geräusch abgehen würde, so, dass unsere Eltern, wenn sie nicht vorbereitet wären, dadurch sehr beunruhigt werden könnten. So benachrichtigten wir diese zuvor von unserem Vorhaben. Auch mischte sich wohl der Wunsch mit ein, unseren Vater, wenn er wollte, bei dem Expeditiönchen zur Unterstützung mitzunehmen.

Der Vater wollte anfänglich der Richtigkeit unseres Gehörs nicht trauen, entschloss sich aber doch, uns in unsere Schlafstube zu begleiten, um sich vor allen Dingen mit eigenen Ohren von der Richtigkeit unserer Behauptung zu überzeugen. Zu seiner nicht geringen Verwunderung vernahm er die Fußtritte. Keiner von uns allen zweifelte einen Augenblick daran, dass in dem Zimmer über uns ein Dieb sei. Es war nur noch die Rede davon, wie man denselben am sichersten einfangen könne.

Wir bewaffneten uns in aller Stille mit Pistolen und Degen. Jeder nahm ein Licht in die Hand, und so zogen wir, drei Mann hoch, auf bloßen Strümpfen die Treppe hinauf, dem Fang entgegen. Oben vor der Tür des unrichtigen Zimmers nahmen wir die vorteilhafteste Stellung zum Angriff, die sich nehmen ließ, stießen dann mit einem Mal die Tür auf und fanden keinen Feind. Es war alles in der gehörigen Ordnung und mausestill. Wir beleuchteten und durchsuchten das ganze Zimmer, fanden aber weder den Wandelnden, den wir unten gehört hatten, noch die geringste Spur, dass einer dagewesen wäre. Auch hörten wir hier gar nichts von den unten vernommenen Fußtritten.

Verwunderungsvoll sahen wir einander an und konnten nicht begreifen, wie jemand auf einer Stube herumwandeln, und doch nicht da sein könne. Wir gingen wieder hinunter und hörten in der unteren Schlafstube abermals den Wandelnden über uns.

»Sollte uns«, hob der Vater an, »das Gehör dennoch betrügen und wir den Dieb, denn bis jetzt wagten wir es noch nicht, an etwas anderes als an Diebesgeräusch zu denken, nur nicht in dem Zimmer gesucht haben, worin er sich wirklich befindet?«

Wir traten also den Marsch nach oben hinauf zum zweiten Mal an, beleuchteten und durchsuchten das ganze Haus und fanden überall nichts Verdächtiges. Gleichwohl hörten wir, da das ganze obere Haus, den Dachboden nicht ausgenommen, durchsucht war, unten in meiner Schlafstube, dass das unbegreifliche Etwas nicht aufhörte, herumzuwandeln. Nun fing es an, unser ganzes Erstaunen rege zu machen. Zugleich bemächtigte sich unserer der Gedanke, dass es ein Gespenst sein müsse.

»Legt euch wieder zu Bett, Kinder«, sagte der Vater, »wer weiß, was das ist?«

Wir legten uns also mit der Überzeugung, ein Gespenst zu hören, wie hin und schliefen unter dem beständig fortdauernden Geräusch dieses Gespenstes endlich ein. Ich freute mich meiner unwiderlegbaren Erfahrung von der Wirklichkeit einer oft bestrittenen Sache und wollte alle Ungläubigen damit bekehren.

Am anderen Morgen wurde zu allem Überfluss auch das Gesinde herbeigerufen und befragt, ob eins von ihnen am vorigen Abend oder in der Nacht in der Stube des Informators gewesen sei. Alle verneinten es. Die Geschichte wurde nun beim Frühstück, wozu sich die Familie versammelte, kommentiert, paraphrasiert und gemutmaßt. Das Resultat unseres alten Vaters von diesem anscheinenden Wunder war: »Wir hätten die Tritte einer über uns befindlichen Person gehöret, ohne diese zu entdecken; aber gleichwohl sei es nur dem Abergläubigen zu verzeihen, wenn er dieses unbegreifliche Etwas, übereilter Weise, ein Gespenst nenne.

Es war an demselben Vormittag, als ich in meiner Schlafstube saß und las. Rund um mich her, so wie im ganzen Haus, herrschte ländliche Stille. Plötzlich glaubte ich nun, den Wandelnden zu hören, obwohl die Tritte undeutlicher und dumpfer waren als in der Nacht. Diesmal schien mir aber der Ton der Tritte nicht von oben herab, sondern vom Bett, welches einen guten Schritt von der Wand abstand, herzukommen. Ich trat daher leise in den Raum zwischen der Wand und dem Bett und hörte nun ganz deutlich, dass der Schall von dem, was wir alle für menschliche Fußtritte gehalten hatten, hier gleichsam aus der Wand hervorkam. Ich sage hervorkam; denn in der Stube selbst war überall keine Ursache davon zu finden. Hinter dieser Wand aber war die Küche und ein kleines Polterkämmerchen. Ich hoffte daher, hier die Ursache unserer nächtlichen Beunruhigung zu finden und fand sie wirklich. In dem Kämmerchen waren ein paar Gänse in einen engen Bretterverschlag gesperrt, um gemästet zu werden. Diese Tiere brachten mit ihren Schnäbeln an den vor ihnen stehenden Trog und an den Brettern des Verschlages Töne hervor, welche durch die Wand hindurch mit den Fußtritten einer oben herumgehenden Person unglaubliche Ähnlichkeit hatten: Gänse waren also das ganz natürliche Gespenst.