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Der Detektiv – Band 26 – Der Saal ohne Fenster – Teil 4

Walter Kabel
Der Detektiv
Band 26
Kriminalerzählungen, Verlag moderner Lektüre GmbH, Berlin, 1920
Der Saal ohne Fenster

Teil 4

Harst war längst wieder im Freien … War den beiden Lauschern nachgeschlichen … hatte drei Meter von der Tür entfernt hinter einem Baum gestanden.

Sah wenig, hörte wenig … Hörte aber das Schluchzen und des einer Frau scheue Worte, durch die es wie Angst und Entsetzen zitterte.

Stand noch dort im Schutz des mächtigen Lindenstammes, als vom rückwärtigen Teil des Gartens Bröseke, Manz und die beiden Mädchen auftauchten.

Die vier gingen rasch …

Manz trug nun die längliche Rolle.

Harst sah, dass es Gegenstände waren, die man in eine dunkle Decke eingewickelt hatte.

Und die vier betraten das Haus durch die Hintertür.

Sie wurde leise eingeklinkt. Dann flammte im Flur das elektrische Licht auf.

Harst kehrte ins Zimmer zurück, wo Schraut wartend auf dem Bettrand saß.

»Wir können jetzt in der Nacht nichts mehr unternehmen«, meinte Harst im Dunkeln und begann sich auszuziehen. »Gehen wir schlafen. Morgen werde ich mich so weit erholt haben, dass ich an einem Stock umherhumpeln kann. Dann müssen wir versuchen, den Spuren der vier zu folgen.«

Schraut hatte sich erhoben, fragte ebenso leise: »Was, glaubst du, enthielt die Kiste?«

»Wie groß war sie?«

»Flach und lang … Fast wie … wie ein Sarg.«

»Sarg? Ich weiß nicht, was darin gewesen sein kann. Ich weiß nicht, was der Zuchthäusler Meyer-Merina hier treibt …«

Und plötzlich streifte er wieder die Weste über.

»Mein Alter, wir könnten in dieser Nacht doch noch etwas tun – einen Schritt vorwärts kommen … Wir werden versuchen, durch die Gartentür in den Saal einzudringen, nachdem ich festgestellt habe, wo die Bande sich jetzt aufhält.«

Auch die Jacke zog er wieder an.

Schraut warnte: »Das dürfte recht gefährlich sein, Harald, jetzt im Haus umherzuschleichen. Bedenke, dass du es noch zu wenig kennst …«

»Deine Zeichnung habe ich tadellos im Kopf, lieber Alter«, beruhigte Harst. »Sie war so sorgfältig mit ihren Schrittzahlen hergestellt, dass ich mich wie auf bekanntem Gelände bewegen werde. Sei ohne Sorge.«

Er schlich zur Tür, drehte den Schlüssel lautlos um.

Das Schloss, die Türangeln hatte er schon abends gut geölt.

Und wandte nochmals den Kopf …

»Erwarte mich hier an der Tür … Lasse sie zwei Handbreit offen …«

»Gut … Sei vorsichtig, Harald …«

Harst hatte seine kleine elektrische Lampe in die rechte Jackentasche geschoben. Nun ging er den Flur hinab, dessen schadhafte Kokosläufer das Knarren der Dielen etwas verhütete.

Nicht ganz …!

Harst war daher gezwungen, vor jedem neuen Schritt den Fußboden erst zu prüfen, indem er nur leicht die Stiefelspitze aufsetzte und die Last des Körpers allmählich auf dieses Bein verlegte.

Oft genug warnte ihn das leise Ächzen der Dielen. Dann suchte er eine andere Stelle, bis er einen geräuschlosen Fleck fand.

Schritt für Schritt arbeitete er sich so vorwärts, bog rechts ab, wo der Flur nach der Küche und der Tür des Saalanbaus hinlief.

Im ganzen Hause Totenstille …

Eine Stille, die sich wie Zentner auf die Schultern legte.

Unheimlich war dieses schweigende Gebäude, in dem doch zum mindesten zehn Menschen sich zurzeit befanden.

Zehn: Bröseke, drei Töchter. Viktor Manz, die drei aus der Jacht und … Schraut … und vielleicht das Stubenmädchen Hortensia.

Vielleicht …

Bevor Harst die Küchentür erreichte, kam er noch an drei Stubentüren vorüber.

Lauschte an jeder …

Nichts … nirgends ein Laut …

Und ein Blick durch die Schlüssellöcher zeigte ihm auch, dass diese Räume dunkel waren.

Nicht so die Küche.

Hier – hier an dieser Tür vernahm er die ersten Geräusche.

Bückte sich.

Hier im Schlüsselloch steckte kein Schlüssel. Und die Tür war alt, das Schloss ebenso, daher auch ein Schlüsselloch, dass man den kleinen Finger hätte hineinstecken können.

Harst kniete jetzt, umgeben von Finsternis.

Nur sein rechtes Auge schimmerte hell, beleuchtet durch den Lichtstrahl, der durch das Schlüsselloch fiel.

Bröseke stand da in der Küche – am alten mächtigen Herd, in dem ein Holzfeuer flackerte.

Er verbrannte Kleidungsstücke.

Er tat es mit einem Gesicht, als ob er dem leibhaftigen Satanas ins Antlitz geschaut hätte.

Harst richtete sich wieder auf, machte kehrt bis zur Treppe, die in die oberen Räume führte.

Am Geländer und auf der Treppenwange kletterte er empor, mied die Stufen.

Muffige Luft schlug ihm hier oben entgegen.

Die muffige Luft nie benutzter Stockwerke …

Und auch hier Kokosläufer …

Hier auch mit einem Male Stimmen …

Hier – ganz plötzlich die jähe Gefahr des Entdecktwerdens …

Denn dicht vor ihm ging mit einem Male kreischend eine Tür auf.

Breiter Lichtschein flutete in den Korridor.

Heraus trat Hanni, die schlanke, knabenhafte, mit dem Bubenkopf.

Ging zum Glück, die nach außen aufschlagende Tür weit offen lassend, sodass sie Harst deckte, den Flur nach der anderen Seite entlang, betrat das dritte Zimmer.

Und als sie die Tür öffnete, klangen lautere Stimmen, schwiegen sofort.

Die Tür klappte zu.

Harst hatte Hanni nachgeschaut …

Mit starrem Blick …

Hanni trug einen hellen Trikotanzug, der sich ganz eng an ihren Körper anschmiegte.

 

*

 

Schraut hatte einen Stuhl an die Zimmertür gerückt und darauf Platz genommen.

Vor ihm im Flur – hinter ihm im Zimmer das lauernde Dunkel …

Und in ihm die nervenaufpeitschende Spannung all solcher Nächte, die er in Harsts Gesellschaft in allen Teilen des Erdenrunds durchwacht hatte.

Da wird man nicht müde … Da singt das Blut fein in den Ohren … Da sind alle Sinne rege – liegen gleichsam auf der Lauer.

So wartete Max Schraut auf den Freund.

Befragte verschiedentlich seine Taschenuhr mit Leuchtzifferblatt …

Und als er es zum fünften Mal tat, als die leuchtende runde Scheibe mit den schwarzen Ziffern und Zeigern die erste Morgenstunde kündete, da fuhr er leicht zusammen.

»Ja – eine Uhr …«, kam ein Flüstern aus der Finsternis.

Harst war es.

Und er fügte hinzu: »Vieles habe ich zu berichten. Nichts leider, was die Sache klären könnte …«

Sie traten ins Zimmer, verschlossen die Tür.

»Ich möchte den Besuch der Brösekeschen Champignonplantage doch noch verschieben«, meinte Harald Harst und zog den Freund neben sich auf das Sofa.

Nahm eine Zigarette …

»Da – bitte, bediene dich, mein Alter … Hier ist Feuer … Zunächst also ein Bericht über meine Verfolgung des feinen Hausdieners Viktor Manz. Er wurde nicht nur von mir verfolgt. Auch Hortensia schlich ihm nach.«

»Wie? Das angebliche Stubenmädchen …?«

»Ja – dieselbe! Er aber fürchtete wohl Ähnliches und entzog sich ihr. Mit mir hatte er weniger Glück.«

Dann erzählte er, wie er stets dicht hinter Manz geblieben, wie er so bis zum Pfarrgarten von Reddin gelangt sei.

Und wieder fragte Schraut erstaunt: »Manz soll gestern Nacht im Zigeunerkostüm in Reddin gewesen sein!«

»Weshalb nicht? Eine alte Zigeunerin fällt hier nicht auf, wo doch eine Meile nördlich in Barrnberg eine ganze Zigeunerkolonie haust …«

»Und du glaubst, Manz unterhält ein Liebesverhältnis mit Helga Marling?«

»Ich weiß es … Ich belauschte sie von der Altantreppe aus … Es war das Gestammel Verliebter … – Ich weiß es ebenso gewiss, wie ich jetzt gesehen habe, dass Bröseke in der Küche ein blutiges Trikot verbrannte.«

Schraut packte des Freundes Arm.

»Trikot … blutig …?«

»Ja – ein Trikot, das er mit einer Schere zerschnitten hatte. Nachher rührte er mit dem Feuerhaken die Glut tüchtig durch, wusch sich mehrmals die Hände, reinigte die Waschschüssel, setzte sich neben den Herd auf einen Stuhl und trank Kognak aus einem Wasserglas.«

Schraut schwieg … sann … sann …

War noch wie betäubt von dem Gehörten …

»Und oben im Flur, mein Alter, hätte mich Hanni beinahe entdeckt … Hanni aber hatte ebenfalls ein helles Trikot an, dazu ganz leichte Schuhe – sonst nichts. Und oben stecken auch die anderen …«

Schraut hatte sich gefasst.

Fragte: »Wenn es ein blutiges Trikot war, kann dann in der Kiste nicht doch ein Toter gelegen haben?«

»Leider! Eine Tote, fürchte ich: Hortensia! Ich hatte eigentlich sofort vermutet, dass die Kiste vielleicht mit einer Eifersuchtstragödie zusammenhängen könnte. Hortensia liebt oder liebte Viktor Manz, wollte feststellen, wohin er sich nachts begab. Und als er dann zurückkehrte, mag es zum Streit zwischen beiden gekommen sein, bei dem Manz in der Erregung zugeschlagen haben mag. So reime ich mir die Dinge zusammen. Die Leiche hat man beseitigt. Und hierfür spricht, dass die eine der beiden eleganten Frauen aus der Jacht an der Hintertür des Saales flüsterte: ›Mir ist es auch an die Nerven gegangen …! Das geschah alles so plötzlich.‹ Ich nehme an, dass diese Sätze Hortensia galten. Wenn nun heute Vormittag Bröseke uns so nebenbei mitteilen sollte, dass Hortensia plötzlich den Dienst gekündigt und abgereist sei, dann wissen wir genau, wohin sie gereist ist: dorthin, woher es keine Wiederkehr gibt!«

Er rauchte ein paar Züge.

»Vielleicht ist all das auch grundfalsch, mein Alter … Vielleicht verhaue ich mich hier gründlich … Vielleicht enthielt die Kiste anderes … Trotzdem ich fürchte, ich werde mit alledem recht haben.«

Gleich darauf gingen sie zu Bett.

 

*

 

Die schlanke Hanni brachte dem Herrn Hermann Hartwich und seinem Freunde Schreiber um acht Uhr das Frühstück ins Zimmer, nachdem sie vorher angeklopft und gefragt hatte, ob die Herren schon wach seien.

»Gut geschlafen?«, fragte Hartwich munter, der bereits in der Sofaecke saß und nur noch einen kleinen Verband trug. »Wie gut ich geschlafen habe, Fräulein Bröseke, ersehen Sie ja daraus, dass ich das Bett verlassen konnte.«

Hannis Wangen zeigten die schöne Röte von Schminke und Puder. Aber ihre matten Augen straften diese frischen Farben Lügen.

Und recht bedrückt erwiderte sie nun: »Ich … ich habe schlecht geträumt, Herr Hartwich …«

Rasch deckte sie den Sofatisch und schlüpfte wieder hinaus.

Harst saß mit ernstestem Gesicht da und schaute den Freund bedeutungsvoll an.

»Hortensia!«, flüsterte er.

Und begann zu frühstücken – mit gesegnetem Appetit. Max Schraut desgleichen …

Bis es wieder klopfte und Herr Bröseke erschien.

Etwas lärmend – etwas zu vergnügt …

Und rückte einen Stuhl an den Tisch …

Platzte sehr bald heraus: »Gut, dass wir die Hortensia los sind! Es gefiel ihr hier nicht, heute um sieben Uhr schob sie ab.«

Herr Hartwich bekam einen Hustenanfall und meinte dann:  »Oh – sie machte so weit einen ganz netten Eindruck …«

Bröseke zuckte die Achseln. »Leichte Fliege …! Ich kann so was hier nicht brauchen, Herr Hartwich …«

Eine Stunde später humpelte Harst am Arm Schrauts in den Garten.

Der Garten war leer, und so konnten die beiden Freunde dann ohne Scheu durch die Pforte den schmalen Steg betreten, der von hier auf einem Feldrain bis zur Schonung lief.

Ganz langsam schritten sie weiter.

Die köstliche Luft der Wälder und Felder, der frische Wind, der vom See herüberstrich, belebte Harald Harsts nimmermüde Fantasie.

Er sagte zu Schraut: »Ich male mir aus, wie die vier in der verflossenen Nacht mit der Kiste und dem in die Decke gehüllten Spaten hier …«

»… Spaten?«

»Natürlich … Sie haben doch die Kiste vergraben – die Kiste mit der Leiche Hortensias. Also … wie die vier hier denselben Weg benutzt haben, der ja zu der Schonung führt. Gerade diesen Pfad, auf dem sie eine peinliche Begegnung nicht zu fürchten brauchten.  Dieses Feld und die kleine Schonung gehören ja mit zum Grünen See.  Prüfen wir also den Boden, mein Alter … Prüfen wir ihn sehr genau …«

Schraut war tief in Gedanken.

Und erklärte ohne jeden Zusammenhang: »Es sind Hoteldiebe, Harald …«

»Ah – des Trikots wegen? Es waren helle Trikots, lieber Alter, und der Grüne See ist doch kein fremdes Hotel! Wozu also ein Hoteldiebkostüm, noch dazu in solcher Nacht!«

Schraut schwieg. Er gab sich geschlagen.

Harst blieb stehen … Hob den Spazierstock, den ihm Bröseke geliehen hatte, senkte die Spitze wieder und zeigte auf einen kantigen Eindruck in einem Maulwurfshaufen dicht am Weg.

»Da hatten sie die Kiste niedergesetzt … Da ist noch ein Eindruck …«

Schraut nickte. »Ja …! Und in der Schonung werden wir vielleicht …«

Er hielt inne … Flüsterte: »Rütter steht hinter einem Busch … Er winkt – winkt sehr eifrig …«

»Desto langsamer gehen wir beide, mag er uns auch noch so sehr vorwärts treiben. Ich wette: Rütter hat nachts in der Schonung gelegen und etwas beobachtet!«

Der Landjäger war wieder verschwunden. Und erst als die Freunde in der Schonung hinter einem Hügel volle Deckung zu dem Wirtshaus hin hatten, tauchte er wieder auf.

Sein von Gesundheit strotzendes, gebräuntes Gesicht leuchtete förmlich. »Herr Harst – Herr Harst, jetzt kann ich die Herren überraschen …!«, sagte er überhastet, ließ sich nicht einmal zu einem Morgengruß Zeit.

»Ich kenne keinen Harst, Herr Rütter«, meinte der blessierte Lehrer mit einiger Schärfe. »Ich kenne nur Hermann Hartwich, und der steht hier vor Ihnen. Was aber Ihre Überraschung betrifft, so kommen Sie damit etwas zu spät.« Und Rütter die Hand hinstreckend fügte er hinzu: »Sie haben hier nachts gewacht und beobachtet, wie die Kiste vergraben wurde … In der Kiste lag eine Leiche: Hortensia, das Stubenmädchen!«

Da leuchtete Rütters Gesicht noch strahlender …

»Nein – keine Leiche, Herr Hartwich! Nur eine Schwerverletzte, die jene Verbrecher für tot gehalten haben mögen! – Mit diesen meinen Händen habe ich die Kiste dort drüben wieder herausgeschaufelt …! Und gerade noch zur rechten Zeit! Das Mädchen wäre sonst erstickt. Und – ich fühlte, dass der Puls noch ging. Da trug ich die in zwei Decken Gehüllte schleunigst zu meinem Häuschen unten am See, habe ihr die Kopfwunde gewaschen und sauber verbunden. Meine Schwester, die mir die Wirtschaft führt, half mir. Nun liegt das Mädchen mit hohem Fieber in meiner Schwester Stübchen. Nun frage ich Sie, Herr Harst: Was soll geschehen? Ich muss doch einen Arzt holen!«

Wieder hatte er Harst gesagt.

Diesmal folgte keine Berichtigung. Harald Harst hatte anderes zu denken.

Und bestimmte dann: »Sie holen einen Arzt – zu Ihrer Schwester! Dem Arzt legen Sie dringend nahe, das Geheimnis zu wahren: Nur Ihre Schwester ist krank! Sie verstehen …«

»Ich verstehe …«

»Dann beeilen Sie sich … Telefonieren Sie nach Werder … Ich bezahle alles …«

Rütter nickte. »Gut … gut …! Ich habe noch eine Neuigkeit, Herr Harst, des Motorbootes wegen. Ich weiß nun, wem es gehört …«

Und wem?«

»Der Filmdiva Gerda Gardani … Der Bucklige ist der Diener der Gardani …«

Harst war abermals sprachlos … Und das kam selten bei ihm vor.

»Die Gardani …?!«, meinte er. »So ist etwa eine der eleganten Damen der Filmstar?«

»Ja – die Hellblonde ist’s, die hier immer einen dichten Schleier trägt. Die andere aber ist die Trapezkünstlerin Hilda Novarra, die zuletzt im Wintergarten auftrat. Der bartlose Herr schließlich – nun werden Sie ein noch ungläubigeres Gesicht machen, Herr Harst, – ist der berühmte Kunstpfeifer Luigi Luisiano!«

Harald Harst schüttelte langsam den Kopf.

»Alles hätte ich vermutet: Das nicht!«, erklärte er ehrlich. »Jetzt tappen wir vollends im Dunkeln – vollends! Nun kommt mir der Saal ohne Fenster immer finsterer vor, mein lieber Rütter! Woher wissen Sie denn das alles?«

»Durch einen blanken Zufall erfuhr ich es gestern Abend, Herr Harst. Da saß ich unten auf der Anlegebrücke und angelte Barsche. Da lag auch ein Segelboot mit zwei jungen Leuten aus Berlin. Und die sprachen davon, dass sie dem Motorkutter Poseidon begegnet seien, der der Gardani gehöre … An Bord sei nur der Zwerg gewesen, der zuweilen auch im Film mitwirke … So kam alles heraus, Herr Harst, spielend einfach, ohne langwierige Nachfragen.«

Rütter eilte nun davon.

Harst und Schraut setzten sich auf den nadelbestreuten Waldboden.

»Diese Schonung gehört unserem Freund Bröseke-Merina«, sagte Harst mit seiner Ironie. »Wir dürfen hier also getrost rauchen … Und in dieser Schonung wird sich sein Schicksal entscheiden. Hier hatte er mit seinen Kumpanen die eifersüchtige Hortensia zur letzten Ruhe bestattet.«

Er rieb sein Feuerzeug an.

Und nach den ersten Zügen fuhr er fort: »Es ist mit Sicherheit anzunehmen, dass Hortensia infolge eines Nervenschocks von den Leuten tatsächlich für tot gehalten wurde. Ein starrkrampfähnlicher Zustand hat schon die besten Ärzte getäuscht, und Laien fallen einer solchen Täuschung noch leichter anheim. Immerhin bleibt dieses Beiseiteschaffen einer scheinbar Toten ein schweres Vergehen und ein unglaublicher Leichtsinn. Ich betone dies, mein Alter, um dir klarzumachen, dass eine Filmdiva wie die Gardani und ein Mann von der Berühmtheit Luigi Luisianos sehr gewichtige Gründe gehabt haben müssen, zu dieser geheimen Beerdigung ihre Zustimmung zu geben.«

»Welche?«, fragte Schraut gespannt.

»Wenn ich das wüsste! Ich weiß es aber nicht. Und um es herauszubringen, werden wir ganz systematisch vorgehen. Du erhältst also folgende Aufträge, mein Alter. Erstens: Du rufst Freund Fritz Bechert, Perle aller Kriminalkommissare, telefonisch an und bittest ihn, sich ganz genau über die Verhältnisse der drei Personen von der Jacht Poseidon zu erkundigen. Ganz genau! Vielleicht befinden die drei sich in sehr misslichen Vermögensumständen und sind daher moralisch abgerutscht. Die Gardani zum Beispiel verwettet am Toto Unsummen, und man sagt, dass ihr Schmuck zumeist auf dem Leihamt liegt. Dann soll Bechert uns einen seiner Beamten hier nach Dalchow schicken.  Näheres hierüber vereinbare du mit ihm. Zweitens: Du musst feststellen, wie der echte August Bröseke aussah, der in Pankow das Haus besaß. Es ist wohl schon erwiesen, dass unser Meyer-Merina die Legitimationspapiere dieses Bröseke sich angeeignet haben muss. Wer weiß, was für dunkle Geschichten noch mit diesem Pankower Hausverkauf zusammenhängen. Drittens und Letztens: Du musst dem Arzt auflauern, den Rütter zu seiner Schwester ruft, und zwar musst du ihn zu sprechen versuchen, nachdem er bei Rütter gewesen ist. Weise dich ihm gegenüber aus und frage ihn, was er von der Kopfverletzung Hortensias hält. Ich hoffe, wir werden nach Erledigung dieser drei Punkte etwas weiter sein als jetzt, zumal wir bestimmt in der kommenden Nacht dem Saal ohne Fenster einen Besuch abstatten werden.«

Schraut, der sich inzwischen eine Zigarre angezündet hatte, nickte zustimmend.

»Hoffen wir, dass wir in dem verwünschten ehemaligen Tanzsaal wirklich etwas Wichtiges entdecken. Vielleicht, Harald, vielleicht dient er zu Filmaufnahmen!«

Schraut schien nicht wenig stolz auf diese geistige Leistung zu sein. Erwartungsvoll blickte er seinen Freund an.

Harald Harst zog die Augenbrauen hoch und machte ein Gesicht, als ob er etwas Schlechtes röche.

»Hm …!«, meinte er sehr gedehnt. »Filmaufnahmen, und dies nur deshalb, weil die Gardani mit dabei ist?! Ebenso gut könntest du auf die Vermutung kommen, mein Alter, dass Luigi Luisiano den Herrschaften nachts Unterricht im Kunstpfeifen gibt oder dass die Trapezkünstlerin Hilda Novarra den Brösekes am Schwebereck Armwellen beibringt. Nein, lieber Alter, mit solchen aus der Luft gegriffenen Kombinationen verwirren wir die Sache nur. Für mich bleibt ausschlaggebend: Ein ehemaliger Zuchthäusler lebt hier unter falschem Namen unter sehr verdächtigen Umständen! Das ist gleichsam das Fundament des Ganzen.«

Er hatte noch mehr sagen wollen …

Aber seine geschulten Ohren, die trotz des feinen Rauschens der Kiefern deutlich das Knacken eines zerbrechenden trockenen Ästchens vernommen hatten, ließen ihn nun gähnend in anderer Art hinzufügen: »Mir ist da soeben ein Insekt ins rechte Auge geflogen!«

Schraut merkte sofort an dem veränderten Ton, dass hier in der Nähe irgendetwas nicht in Ordnung war.

Harst zog einen Taschenspiegel hervor und hob ihn in Augenhöhe.

Es war ein Hohlspiegel, der all das, was hinter den beiden Freunden geschah, als kleines Bild zusammendrängte.

So erblickte Harald Harst denn auch die blassen, verzerrten Gesichtszüge des auf dem Bauche liegenden August Bröseke-Merina, drehte den Kopf und nickte Bröseke freundlich zu.

»Sie auch da, Herr Bröseke?«, sagte er harmlos. »Sie haben uns wohl nicht erkannt … Sonst wären Sie doch nicht so vorsichtig näher geschlichen.«

Bröseke schoss das Blut in die Wangen. Er sprang auf, aber es fehlte ihm nicht an Geistesgegenwart, und so erklärte er denn leicht gereizt: »Ich roch es schon von Weitem, dass hier in meiner Schonung geraucht wurde, da wollte ich die Übeltäter eben abfassen. Und Sie, meine Herren, sollten doch als Angehörige eines Lehrberufes gerade anderen ein gutes Beispiel geben und auf den Genuss des Rauchens an so gefährdeten Orten wie im Walde verzichten.«

Diesen milden Vorwurf nahmen Harst und Schraut schweigend hin. Schweigend drückten sie die glimmenden Spitzen von Zigarre und Zigarette aus, und nur der Herr Lehrer Hartwich murmelte: »Entschuldigen Sie bitte, Herr Bröseke.«

August Bröseke setzte sich gleichfalls.

Sein Gesicht hatte die Röte der Verlegenheit verloren. Aber desto deutlicher trat nun wieder ein Zug von angstvoller Verstörtheit hervor, und wie zerstreut der Besitzer des Grünen Sees war, ging schon daraus hervor, dass er nun selbst ein Schächtelchen Zigaretten hervorholte und es geöffnet den Freunden hinhielt.

Hartwich und Schreiber lachten wie auf Kommando.

Bröseke wusste im ersten Moment nicht einmal, was ihre Heiterkeit erregt hatte. Dann aber schmiss er mit grimmen Fluch die Zigarettenschachtel ins Weite.

»Das kommt davon, wenn man so viel Ärger hier mit der Schonung hat«, erklärte er nun finster. »Das Lumpenpack aus dem Dorf stiehlt mir hier Holz … Ich hatte da einen Berg Reisig zusammengetragen, und der ist in der vergangenen Nacht zur Hälfte verschwunden.«

Ein seltsam lauernder Blick traf den Lehrer Michael Schreiber.

»Waren Sie vielleicht drüben an dem Reisighaufen, Herr Schreiber? Ich hatte ein paar Äste dort in besonderer Weise in den Boden gesteckt. Und dieses Zeichen ist verschwunden.«

Schreiber schüttelte den Kopf. »Nein, Herr Bröseke, wir beide sind geradeswegs hierher gegangen, um etwas Kiefernduft zu atmen. Das Zeichen hatten Sie wohl angebracht, um zu sehen, ob jemand Reisig weggenommen hatte.«

»Hm – ja, natürlich … ganz recht!« Diese überhastete Versicherung bestätigte den Freunden zur Genüge, dass das Zeichen auf dem Grab Hortensias hergestellt worden war und dass es Bröseke verraten sollte, ob etwa jemand dort nachgewühlt habe.

Seine Verstörtheit war nun hinlänglich erklärt: Er fürchtete eine Entdeckung der Ereignisse der verflossenen Nacht!

Dass er jedoch gegen seine Gäste keinerlei Argwohn hegte, bewies sein ferneres Verhalten.

»Haben Sie irgendjemand hier in der Schonung bemerkt, meine Herren?«, fragte er.

Harst, stets an jede Möglichkeit denkend, erwiderte diplomatisch, da es ja nicht ganz ausgeschlossen war, dass irgendeiner der Bewohner des Grünen Sees den Landjäger Rütter in der Nähe der Schonung erspäht hätte: »Hier in der Schonung war niemand, Herr Bröseke. Nur dort drüben glaube ich einen Mann in Uniform gesehen zu haben. Der ging gemächlich der Chaussee zu. Bemerktest du ihn nicht auch, Schreiber?«

»Ja … es kann der Landjäger gewesen sein … Wie heißt er doch gleich? Riemer … Rinter …«

»Rütter«, half Bröseke aus und starrte vor sich hin.

Schreiber-Schraut fügte lächelnd hinzu: »Na, der wird ja wohl ebenso wenig Reisig stehlen wie wir …!«

August Bröseke nickte nur … Sagte dann: »Hm – Sie könnten mir eigentlich den Gefallen tun und hier so ein wenig aufpassen … Ich habe im Haus zu tun.«

Er erhob sich. »Auf Wiedersehen, die Herren … Um halb eins ist Mittag.«

Er schritt davon, mit gesenktem Kopf und doch hastig, wie getrieben von unangenehmen Gedanken.

Harst meinte leise: »Wetten, dass die Bande in der Nacht die Kiste ausgräbt?«

»Ohne Zweifel, Harald … Und dann?«

»Dann wird uns das einen bösen Strich durch die Rechnung machen.«

Er stützte den Kopf in die Hand – sann und sann …

Murmelte: »Das muss verhindert werden – um jeden Preis!«

Und richtete sich mit einem Ruck empor …

»Mein Alter – noch ein Auftrag für dich!«

Als er diesen Auftrag dem Freund nun im Einzelnen mitteilte, war der gute Max Schraut im ersten Augenblick so vollkommen verblüfft, dass er Harst unsicher anstarrte.

Dann begriff er. Und hinter den runden Brillengläsern leuchteten seine Augen triumphierend auf.

Kurze Zeit danach wanderte er auf Umwegen dem Dorf zu.