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Der Wildschütz – Kapitel 14

Th. Neumeister
Der Wildschütz
oder: Die Verbrechen im Böhmerwald
Raub- und Wilddiebgeschichten
Dresden, ca. 1875

Vierzehntes Kapitel

Trauernde Liebe

Käthchen war seit der Entfernung des Geliebten in tiefe Betrübnis gesetzt worden. Sein Schicksal beschäftigte sie Tag und Nacht in ihren Gedanken und bei der Erinnerung an ihn drohte ihr das Herz vor Gram zu brechen.

Wir dürfen nicht unerwähnt lassen, dass sie es gewesen war, die dem Gefangenen seine Freiheit verschafft hatte. Ihrer List war es gelungen, die Schlüssel seines Kerkers zu erspähen. Während der alte Christian schlief, stahl sie sich hinab und wie ein Geist huschte sie durch die öden unterirdischen Gänge des alten Schlosses, um denjenigen aus seiner Haft zu befreien, den sie mit treuem Herzen liebte.

Die ausgeführte Flucht des Wildschützen brachte den Grafen in heftigen Zorn. Er ließ seinen ganzen Grimm an den alten Christian aus, der es nicht begreifen konnte, wie der Geflüchtete aus dem Bereich des fest verwahrten Schlosses hatte hinauskommen können. Kein Mensch war imstande, das Rätsel zu lösen, außer Käthchen, welche indessen ein Betragen bewies, das nicht den geringsten Argwohn gegen sie erweckte, und Christian dachte auch nicht daran, das stille, anspruchslose Geschöpf einer solchen Intrige fähig zu halten.

Der Graf gab Befehl, die Gewölbe und Behältnisse des Schlosses genau zu durchsuchen; man ließ keinen Winkel unberührt und stöberte alles von einem Flügel bis zum anderen durch. Der Schlossbesitzer war selbst dabei tätig, und als seine Untergebenen lange genug vergebens gesucht hatten, gaben sie endlich auf Befehl des Grafen das Unternehmen auf.

Damit war jedoch die Sache noch nicht als abgemacht zu betrachten. Es erstreckte sich nun eine strenge Untersuchung auf die sämtlichen Mitglieder des Dienstpersonals; es musste ein Individuum nach dem anderen vor dem Grafen erscheinen. Er fragte dabei nach allen Umständen und forschte nach den geringsten Sachen; auch Käthchen wurde gefordert.

Sie trat mit zur Erde gesenkten Augen vor den Grafen und, nachdem er sie mit strengen Blicken längere Zeit betrachtete, sagte er zu ihr: »Wie ich vernommen habe, hat man dich in jener Nacht durch den Korridor schleichen sehen mit einer verdeckten Laterne in der Hand; was hast du darauf zu erwidern? Wage es nicht, diesen Umstand zu leugnen und rede die Wahrheit vor mir.«

Käthchen begann vor innerer Angst zu beben; sie vermochte anfänglich keine Erwiderung zu geben. Endlich versuchte sie sich zu fassen und entgegnete: »Ein besonderer Anlass war die Ursache, weshalb ich in jener Nacht die Räume des Schlosses durchging. Ich habe schon seit längerer Zeit, und zwar bei nächtlicher Weile, ein besonderes Geräusch vernommen, welches aus dem tiefen Schoß der Erde zu kommen scheint. Es ist oft tief um Mitternacht, wenn dieses rätselhafte Treiben beginnt. Ich kann nicht sagen, wann es wieder aufhört, da ich gewöhnlich darüber einschlafe. Ich habe bisher nichts davon gesagt, weil ich befürchtete, man würde mich nur deshalb verspotten. Verflossene Nacht hörte ich es besonders deutlich und es war, als ob sich dumpfe Schläge vernehmen ließen.«

Der Graf schüttelte zweifelnd mit dem Kopf. »Du willst mich hintergehen, Mädchen«, sagte er, mit dem Finger drohend, »aber ich lasse mich von dir nicht betrügen und will dich nicht veranlassen, in meiner Umgebung zu verweilen. Noch vor Untergang der Sonne verlässt du heute das Schloss. Du bist von mir entlassen und es steht dir frei, dich hinzuwenden, wohin es dir zu gehen gefällt.«

»Ach, gnädiger Herr Graf!«, bat das Mädchen, während eine Träne in ihr schönes Auge trat, »haben Sie Erbarmen mit mir; ich bin eine arme verlassene Waise und besitze keinen Freund, der sich meiner annimmt.«

»Ein Wort ist so viel wie tausend«, versetzte jener. »Räume mein Haus und gehe deinen eigenen Weg. Du hast mich belogen, und ich kann keinen Lügner in meiner Nähe dulden.« Käthchen stand einige Augenblicke ohne Bewegung; sie erhob die Hände bittend gegen den Grafen, allein der Letztere achtete nicht darauf. Er fasste sie am Arm und drängte sie mit Gewalt zum Zimmer hinaus.

Der alte Christian vernahm mit Staunen und Betrübnis die Nachricht von Käthchens Entlassung. Er bedauerte von Herzen ihr ungünstiges Schicksal und sann wiederholt nach, auf welche Art und Weise er der Verlassenen von Nutzen sein könnte.

Er half ihr sorgfältig beim Zusammenpacken ihrer geringen Habseligkeiten, die er ihr aufzubewahren versprach, bis sie dieselben bedürfen würde; und als der Nachmittag herankam, war das schmerzliche Geschäft beendet.

Käthchen hatte beschlossen, zu der Residenz zu wandern, um dort einen anderen Dienst zu suchen. Nachdem sie ihre Angelegenheiten geordnet hatte, nahm sie ein kleines Bündel, worin sich die nötigsten Sachen befanden, unter den Arm und wanderte aus dem Schloss, begleitet von dem alten ehrlichen Christian, der mit ihr bis an den Fuß des Berges hinabging. Hier trennten sie sich und nach einem traurigen Abschied begab sich der alte Diener zum Schloss zurück.

Mit einem Bündel unter dem Arm trat das verlassene Mädchen ihre ungewisse und mühevolle Wanderung an. Sie eilte rasch durch den großen Wald und blickte sich oft erschrocken um, als befürchte sie mit irgendeinem feindlich gesinnten Wesen zusammenzutreffen.

So waren wohl zwei Stunden vergangen, als sich endlich der Wald zu lichten begann. Diese Wahrnehmung erweckte einigermaßen ihren gesunkenen Mut und mit doppelter Schnelligkeit folgte sie dem Weg, welcher sich mehr und mehr besserte, je näher sie dem Städtchen kam, dessen wir bereits im ersten Kapitel gedachten.

In demselben Gasthof, wo wir den geheimnisvollen Reisenden kennen lernten, kehrte auch Käthchen ein, um hier die Nacht zuzubringen. Sie fand eine willige Aufnahme und wurde von den Wirtsleuten mit Aufmerksamkeit behandelt. Am folgenden Morgen setzte sie ihre Reise weiter fort, wobei sie sich wenig Ruhe gönnte. Sie war bemüht, die Residenz so bald wie möglich zu erreichen, wo sie den Geliebten gewiss zu finden hoffte. Der Gedanke an denselben bereitete ihr trübe Stunden. Nur das Bewusstsein, ihn in Freiheit zu wissen, erweckte den sinkenden Mut in ihrer gebeugten Seele. Im Vertrauen auf die waltende Vorsehung setzte sie ihren Weg glücklich bis zum Ziel fort.

Nachdem Käthchen eine unansehnliche Herberge erreicht hatte, die sich in einer entlegenen Vorstadt befand, übergab sie der Wirtin das Päckchen, welches sie bei sich führte. Dann entfernte sie sich, um vielleicht eine Gelegenheit zu finden, ihre Dienste bei irgendeiner Herrschaft anzubieten; allein ihr Wunsch ging nicht in Erfüllung. Sie kehrte am Abend zurück, ohne die geringste Aussicht auf eine Anstellung zu haben.

Missmutig gestimmt über das Fehlschlagen ihrer Hoffnung verließ sie das Schankzimmer und begab sich zu einem kleinen Gärtchen, welches an der Hintertür des Nebengebäudes befindlich war. Von hier aus konnte man den Hof des Nachbarhauses überblicken, dessen Raum einen geringen Umfang in sich fasste.

Käthchen vernahm bei ihrem Eintritt das Gespräch von zwei ältlichen Frauen und wie sehr fühlte sie sich überrascht, als sie in einer derselben Mutter Elisabeth, die Bewohnerin des Moorgrundes, erkannte. Sie eilte voll Freude an das Ende des Gärtchens. Mit dem herzlichen Ausruf »Grüß Euch Gott, Mutter Elisabeth!« reichte sie ihr die Hand über den niedrigen Zaun hinüber; Mutter Elisabeth schaute betroffen zu dem Mädchen.

»Ei, mein liebes Kind! Was führt dich den hierher«, entgegnete sie, nachdem sie den herzlichen Gruß erwidert hatte. »Sprich, mein gutes Mädchen, wie geht es im Schloss und hast du vielleicht meine verlassene Hütte einmal besucht. Ich sehne mich recht sehr danach.«

»O ja! Mutter Elisabeth«, versetzte Käthchen mit einem traurigen Blick auf den feuchten Boden, »ich bin oft dagewesen; ach, es ist gar nicht mehr wie sonst. Und wenn ich den Ort in seiner Einsamkeit besuchte, ach, da musste ich jedes Mal weinen.«

»Ich will es dir glauben, gutes Kind, doch«, fuhr sie schnell abbrechend fort, »hast du nichts von dem Gefangenen vernommen? Ach, sein Schicksal liegt mir so sehr am Herzen. Seinetwillen bin ich hierher gegangen und ich will die Stadt nicht verlassen, ehe ich sein Urteil gemildert habe.«

»Mutter«, sagte Käthchen, »tröstet Euch wegen seiner. Ich habe seinen Kerker geöffnet und die Banden gelöst, die ihn gefangen hielten. Curt ist frei.«

»Wie? Er wäre frei«, rief Elisabeth.

»Ja, er ist es!«, versetzte Käthchen, »aber seine Freiheit hatte meine Entlassung zur Folge. Der alte Graf jagte mich fort, weil er die Vermutung hegt, ich habe dem verhassten Wildschütz während seiner Flucht beigestanden. Ich kam hierher, um einen anderen Dienst zu suchen und danke es dem Himmel, dass ich Euch durch einen so glücklichen Zufall gefunden habe.«

»Gott sei Dank für seine Befreiung!«, sagte Elisabeth in gefühlvollem Ton. »O, du glaubst nicht, welche Freude diese Nachricht in meiner Seele erweckt. Ach, mein Kind, dass ich imstande wäre, auch dir genug dafür zu danken.« Die alte Frau ergriff Käthchens Hand und drückte sie an ihre Brust.

»Nun habe Geduld, mein Kind«, fuhr sie fort. »Ich glaube, dass uns beiden einmal die ersehnte Hoffnung erfüllt wird. Ich kenne deinen Kummer und werde es für die größte Freude meines Lebens halten, wenn ich zur Linderung desselben etwas beizutragen vermag. Was dein Unterkommen betrifft, so will ich dafür sorgen. Der Graf Falkland ist mir nicht unbekannt und seinen strengen Sitten will ich deine Tugend anvertrauen. Er bedarf eine Haushälterin und ich bin überzeugt, dass du diesem Posten gewachsen bist.«

Elisabeth hielt Wort. Denn schon am folgenden Tag wurde Käthchen von ihr zu der Wohnung des Kapitäns Falkland geführt und von demselben in Dienst genommen.

Der Kapitän hatte von seinem düsteren Wesen nichts verloren. Er wollte anfänglich Elisabeth nicht vor sich lassen; allein sie wich nicht von seiner Schwelle, bis er ihr eine Unterredung gestattete, in deren Folge sich die Sachen sehr änderten, und zwar zum Vorteil des jungen Curt, dessen Herkunft durch Elisabeths Beweise klar vor dem Kapitän erwiesen wurden. Der Letztere staunte und gab seine Verwunderung im höchsten Grade zu erkennen, als er vernahm, dass der Sohn der armen Amalie, die er ins Verderben gebracht, in seiner Nähe verweile.

»Ich fürchte seine Rache«, sagte er, »und sein verzweifeltes Handwerk, welches er treibt, gibt mir wenig Hoffnung, dass er diejenigen schonen wird, die seine Mutter ins Unglück stürzten.«

»Nein, nein«, sagte Elisabeth. »Der arme Junge hat ein gutes Herz, und wenn man ihn liebevoll behandelt, so wird aus ihm noch der beste Mensch. Das Blut seines stolzen Vaters wallt in seinen Adern und wir müssen ihn auf die Stufe stellen, die ihm von Rechtswegen gehört.«

»Der Jüngling ist noch in Unkenntnis mit seiner Herkunft, und ich will dieselbe erst später vor seinem Vater, dem Grafen Praßlin, enthüllen, der ihn bisher wegen einer Wilddieberei im Waldschloss gefangen hält (damals war Elisabeth von seiner Flucht noch nicht in Kenntnis gesetzt worden).«

Der Kapitän versprach, seinen ganzen Einfluss bei dieser Sache anzuwenden. Er beschloss, den Grafen Praßlin deshalb einen Besuch abzustatten, wozu er durch Elisabeth, die ihm die Nachricht von Curts Entweichung überbrachte, noch mehr angetrieben wurde. Nun war es die höchste Zeit, um den Entflohenen nicht der öffentlichen Verfolgung Preis zu geben. Um dies zu verhüten, musste der Graf von den etwa beabsichtigten Schritten gegen den Flüchtling abgehalten werden.

Nachdem der Kapitän die neue Haushälterin ernannt hatte, befahl er, seinen Wagen anzuspannen, und in weniger als einer halben Stunde fuhr er in Elisabeths Begleitung dem Waldschloss des Grafen zu.