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Die drei Musketiere – Zwanzig Jahre danach – 7. – 10. Bändchen – Kapitel XX

Alexandre Dumas
Zwanzig Jahre danach
Siebentes bis zehntes Bändchen
Fortsetzung der drei Musketiere
Nach dem Französischen von August Zoller
Verlag der Frankh’schen Buchhandlung. Stuttgart. 1845.

XX. Oliver Cromwell

»Kommt Ihr zu dem General?«, sagte Mordaunt zu d’Artagnan und Porthos, »Ihr wisst, dass er Euch nach dem Treffen beschieden hat.«

»Wir wollen zuerst unsere Gefangenen in sicheren Gewahrsam bringen«, sprach d’Artagnan zu Mordaunt. »Glaubt Ihr wohl, dass jeder von diesen Messieurs wenigstens fünfzehnhundert Pistolen wert ist?«

»Oh! seid unbesorgt«, erwiderte Mordaunt und schaute sie mit einem Auge an, dessen Wildheit er vergebens zu bemeistern suchte. »Meine Reiter werden sie bewachen, und zwar wohl bewachen, dafür stehe ich Euch.«

»Ich werde sie noch besser selbst bewachen«, versetzte d’Artagnan. »Was braucht man hierzu? Ein gutes Zimmer mit ein paar Posten oder ihr einfaches Wort, dass sie nicht zu fliehen versuchen wollen. Ich bringe die Sache in Ordnung, und wir werden sodann die Ehre haben, uns bei dem General einzufinden und ihn um seine Befehle für Seine Eminenz zu bitten.«

»Ihr gedenkt also bald abzureisen?«, fragte Mordaunt.

»Unsere Sendung ist vollbracht, und es hält uns nichts in England zurück, als das Belieben des großen Mannes, zu dem wir abgeschickt worden sind.«

Mordaunt biss sich auf die Lippen, neigte sich an das Ohr des Sergenten und sagte zu diesem: »Ihr folgt diesen Männern, Ihr verliert sie nicht aus dem Blick, und wenn Ihr wisst, wo sie wohnen, kehrt Ihr zurück und erwartet mich am Tor der Stadt.«

Der Sergent bedeutete durch ein Zeichen, man werde gehorchen.

Statt dem Haufen der Gefangenen zu folgen, die man in die Stadt führte, wandte sich Mordaunt nun zu dem Hügel, von wo aus Cromwell dem Kampf zugeschaut und wo er soeben sein Zelt hatte aufschlagen lassen.

Cromwell hatte verboten, irgendjemand bei ihm einzulassen; aber die Schildwache, welche Mordaunt als einen der innigsten Vertrauten des Generals kannte, glaubte, das Verbot betreffe den jungen Mann nicht.

Mordaunt schob also den Vorhang des Zeltes auf die Seite und sah Cromwell, den Kopf zwischen seinen Händen verborgen, an einem Tisch sitzen. Der General kehrte ihm überdies den Rücken zu.

Mochte Cromwell das Geräusch gehört haben, das Mordaunt durch seinen Eintritt verursachte, oder nicht, er wandte sich nicht um.

Mordaunt blieb an der Tür stehen.

Endlich, nach Verlauf einiger Minuten, erhob Cromwell seine niedergebeugte Stirn und wandte, als hätte er instinktartig gefühlt, es wäre jemand da, langsam den Kopf um.

»Ich hatte Befehl gegeben, mich allein zu lassen«, rief er, als er den jungen Mann gewahrte.

»Man glaubte, dieses Verbot ginge mich nichts an«, erwiderte Mordaunt. »Wenn Ihr indessen befehlt, so bin ich bereit, mich zu entfernen.«

»Ah! Ihr seid es«, sprach Cromwell, wie durch die Kraft des Willens den Schleier hebend, der seine Augen bedeckte. »Da Ihr es seid, so ist es gut, bleibt.«

»Ich bringe Euch meine Glückwünsche.«

»Eure Glückwünsche! Wozu?«

»Zu der Gefangennahme von Karl Stuart. Ihr seid nun der Monsieur von England.«

»Ich war es vor zwei Stunden vielmehr«, sprach Cromwell.

»Wieso, General?«

»England bedurfte meiner, um den Tyrannen zu fassen; nun ist er gefasst … Habt Ihr ihn gesehen?«

»Ja, Monsieur.«

»Wie benimmt er sich?«

Mordaunt zögerte, aber die Wahrheit schien mit Gewalt über seine Lippen zu treten und er erwiderte: »Ruhig und würdig.«

»Was hat er gesprochen?«

»Einige Worte des Abschieds an seine Freunde.«

»An seine Freunde!«, murmelte Cromwell, »er hat also Freunde?« Dann laut: »Hat er sich verteidigt?«

»Nein, Monsieur, er war von allen verlassen, mit Ausnahme von drei oder vier Männern, er konnte sich also unmöglich verteidigen.«

»Wem hat er seinen Degen übergeben?«

»Er hat ihn nicht übergeben, er hat ihn zerbrochen.«

»Daran hat er wohl getan, aber es wäre noch besser gewesen, er hätte sich desselben, statt ihn zu zerbrechen, mit größerem Vorteil bedient.«

Es trat einen Augenblick Schweigen ein.

»Der Oberste, der den König, … der Karl geleitete, wurde, wie mir scheint, getötet?«, fragte Cromwell, Mordaunt fest anschauend.

»Ja, Monsieur.«

»Von wem?«

»Von mir.«

»Wie hieß er?«

»Lord Winter.«

»Euer Oheim!«, rief Cromwell.

»Mein Oheim?«, versetzte Mordaunt, »die Verräter von England gehören nicht zu meiner Familie.«

Cromwell blieb einen Augenblick nachdenkend, schaute den jungen Mann an und sagte sodann mit der tiefen Schwermut, welche Shakespeare so gut zeichnet: »Mordaunt, Ihr seid ein furchtbarer Diener.«

»Wenn der Monsieur befiehlt«, sprach Mordaunt, »so lässt sich mit seinen Befehlen nicht feilschen. Abraham hat das Messer über Isaak erhoben und Isaak war sein Sohn.«

»Ja«, entgegnete Cromwell, »aber der Monsieur ließ das Opfer nicht vollbringen.«

»Ich schaute um mich her«, sagte Mordaunt, »und sah weder Bock noch Zicklein in den Gebüschen der Ebene.«

Cromwell verbeugte sich und sprach: »Ihr seid stark unter den Starken, Mordaunt … Und wie haben sich die Franzosen benommen?«

»Als Leute von Mut, Monsieur.«

»Ja, ja«, murmelte Cromwell, »die Franzosen schlagen sich und wenn mein Augenglas gut ist, so habe ich sie wirklich im ersten Glied gesehen.«

»Sie waren dort.«

»Jedoch nach Euch«, sagte Cromwell.

»Das ist der Fehler ihrer Pferde und nicht der ihre.«

Es trat ein abermaliges Schweigen ein.

»Und die Schottländer?«, fragte Cromwell.

»Sie haben ihr Wort gehalten und sich nicht gerührt«, antwortete Mordaunt.

»Die Elenden!«, murmelte Cromwell.

»Ihre Offiziere verlangen Euch zu sehen, Monsieur.«

»Ich habe keine Zeit. Hat man sie bezahlt?«

»In dieser Nacht.«

»Sie sollen abziehen, in ihre Gebirge zurückkehren und ihre Schmach dort verbergen, wenn ihre Gebirge hierzu hoch genug sind. Ich habe nichts mehr mit ihnen, sie haben nichts mehr mit mir zu schaffen. Und nun geht, Mordaunt.«

»Ehe ich gehe«, erwiderte Mordaunt, »habe ich noch einige Fragen an Euch zu richten, Monsieur, und eine Bitte an Euch zu tun, mein Meister.«

»An mich?«

Mordaunt verbeugte sich.

»Ich komme zu Euch, mein Held, mein Beschützer, mein Vater, und frage Euch, Meister, seid Ihr mit mir zufrieden?«

Cromwell schaute ihn erstaunt an.

Der junge Mann blieb unempfindlich.

»Ja«, erwiderte Cromwell, »Ihr habt, seitdem ich Euch kenne, nicht nur Eure Pflicht getan, Ihr seid ein treuer Freund, ein geschickter Unterhändler, ein guter Soldat gewesen.«

»Erinnert Ihr Euch, Monsieur, dass ich zuerst den Gedanken gehabt habe, mit den Schottländern darüber zu unterhandeln, dass sie ihren König verlassen?«

»Ja, der Gedanke kommt von Euch, das ist wahr; ich ging in der Verachtung der Menschen noch nicht so weit.«

»Bin ich ein guter Botschafter in Frankreich gewesen?«

»Ja, Ihr habt von Mazarin erhalten, was ich verlangte.«

»Habe ich stets eifrig für Euren Ruhm und Eure Interessen gekämpft?«

»Vielleicht zu eifrig, was ich Euch soeben erst zum Vorwurf machte. Aber worauf zielt Ihr mit all diesen Fragen ab?«

»Ich will Euch damit sagen, dass der Augenblick gekommen ist, wo Ihr mit einem Wort all meine Dienste belohnen könnt.«

»Ah!«, rief Oliver mit einer leichten, verächtlichen Bewegung, »es ist wahr, ich vergaß, dass jeder Dienst seine Belohnung verdient, dass Ihr gedient habt und noch nicht belohnt seid.«

»Monsieur, ich kann es sogleich sein, und zwar über meine Wünsche.«

»Wie dies?«

»Ich habe den Preis unter der Hand, ich halte ihn beinahe.«

»Und worin besteht der Preis?«, fragte Cromwell. »Hat man Euch Gold geboten? Verlangt Ihr einen Grad? Wünscht Ihr eine Statthalterschaft?«

»Monsieur, werdet Ihr meine Bitte gewähren?«

»Wir wollen zuerst sehen, worin sie besteht.«

»Monsieur, wenn Ihr mir sagtet, ›Ihr werdet einen Befehl vollziehen!‹, antwortete ich dann je: ›Wir wollen diesen Befehl sehen?‹

»Wenn es jedoch unmöglich wäre, Euren Wunsch zu verwirklichen?«

»Wenn Ihr einen Wunsch hattet und mich mit Erfüllung desselben beauftragtet, erwiderte ich dann je: ›Es ist unmöglich?‹«

»Aber eine mit so viel Vorbereitungen abgefasste Bitte …«

»Ah! Seid unbesorgt«, versetzte Mordaunt mit einem düsteren Ausdruck, »sie wird Euch nicht in das Verderben stürzen.«

»Nun wohl«, sprach Cromwell, »ich verspreche Euch, Eurer Bitte zu willfahren, so weit die Sache in meiner Macht liegt. Fordert.«

»Man hat diesen Morgen zwei Gefangene gemacht«, antwortete Mordaunt, »ich verlange sie von Euch.«

»Sie haben also ein bedeutendes Lösegeld angeboten?«

»Ich halte sie im Gegenteil für arm.«

Es sind Freunde von Euch?«

»Ja, Monsieur«, rief Mordaunt, »es sind Freunde von mir, teure Freunde, und ich würde mein Leben für das ihre geben.«

»Gut, Mordaunt«, sprach Cromwell, der mit einer gewissen freudigen Bewegung wieder eine bessere Meinung von Mordaunt fasste, »gut, ich gebe sie Euch, ich will sogar nicht einmal wissen, wer sie sind, macht mit Ihnen, was Ihr wollt.«

»Ich danke, Monsieur«, rief Mordaunt, »ich danke! Mein Leben gehört von nun an Euch, und wenn ich es verliere, bin ich immer noch Euer Schuldner. Ihr habt meinen Dienst herrlich bezahlt.«

Er warf sich vor Cromwell auf die Knie und küsste ihm die Hand, unerachtet des Widerstrebens des puritanischen Generals, welcher diese beinahe königliche Huldigung sich nicht erzeigen lassen wollte oder sich wenigstens den Anschein gab, als wollte er es nicht.

»Wie!«, sagte Cromwell, ihn in dem Augenblick, wo er sich erhob, zurückhaltend, »keine andern Belohnungen, kein Gold! Keine Grade!«

»Ihr habt mir alles gegeben, was Ihr mir geben konntet, Mylord, und von diesem Tage an erkläre ich Euch für das Übrige quitt.«

Mordaunt stürzte aus dem Zelt des Generals mit einer Freude, welche aus seinem Herzen und aus seinen Augen überströmte.

Cromwell folgte ihm mit dem Blick.

»Er hat seinen Oheim getötet!«, murmelte er. »Ach! Wie sind meine Diener beschaffen! Vielleicht hat dieser, welcher nichts von mir fordert oder nichts von mir zu fordern scheint, vor Gott mehr von mir verlangt als diejenigen, welche das Gold der Provinzen und das Brot der Unglücklichen verlangen werden. Niemand dient mir umsonst. Karl, der mein Gefangener ist, hat vielleicht noch Freunde, und ich habe keine.«

Er versank seufzend wieder in seine von Mordaunt unterbrochene Träumerei.