Heftroman der

Woche

Download-Tipp

Der Welt-Detektiv Band 6

Neueste Kommentare
Archive
Folgt uns auch auf

Die drei Musketiere – Zwanzig Jahre danach – 7. – 10. Bändchen – Kapitel XVII

Alexandre Dumas
Zwanzig Jahre danach
Siebentes bis zehntes Bändchen
Fortsetzung der drei Musketiere
Nach dem Französischen von August Zoller
Verlag der Frankh’schen Buchhandlung. Stuttgart. 1845.

XVII. Man hat Nachricht von Athos und Aramis

D’Artagnan hatte sich unmittelbar in die Ställe begeben. Der Tag graute bereits. Er erkannte sein Pferd und das von Porthos. Beide waren an die Raufe gebunden, aber an eine leere Raufe. Er hatte Mitleid mit den armen Tieren und ging in eine Ecke des Stalles, wo er ein wenig Stroh glänzen sah, das ohne Zweifel der Razzia der Nacht entgangen war. Aber während er dieses Stroh mit dem Fuß zusammenhäufte, stieß er mit dem Ende seines Stiefels auf einen runden Körper, der, ohne Zweifel an einer empfindlichen Stelle berührt, einen Schrei von sich gab, sich auf die Knie erhob und die Augen ausrieb. Es war Mousqueton, welcher, da er kein Stroh mehr für sich selbst besaß, sich mit dem der Pferde begnügte.

»Mousqueton«, sprach d’Artagnan, »auf, auf, vorwärts, marsch!«

Mousqueton erkannte die Stimme des Freundes seines Herrn, stand rasch auf und ließ beim Aufstehen einige von den Louis d’or fallen, die er unrechtmäßiger Weise in der Nacht gewonnen hatte.

»Oh, oh!«, sprach d’Artagnan, einen Louis d’or aufhebend und daran riechend, »das ist sonderbares Gold, es hat ganz den Geruch von Stroh.«

Mousqueton errötete auf eine so ehrliche Weise und schien so verlegen, dass der Gascogner zu lächelt anfing und zu ihm sagte: »Porthos würde in Zorn geraten, mein lieber Monsieur Mouston, ich aber vergebe Euch; wollen wir uns erinnern, dass dieses Gold uns als Heilmittel für unsere Wunden dienen muss, und lustig sein.«

Mousqueton nahm sogleich ein sehr heiteres Gesicht an, sattelte behände das Pferd seines Herrn und bestieg das seine, ohne viel Grimassen zu machen.

Mittlerweile erschien Porthos mit einem sehr verdrießlichen Gesicht und war im höchsten Maße erstaunt, als er d’Artagnan in sein Schicksal ergeben und Mousqueton beinahe freudig fand.

»Oho!«, sagte er, »wir haben also, was wir wünschen, Ihr Euren Grad und ich meine Baronie.«

»Wir holen die Patente«, sagte d’Artagnan, »und bei unserer Rückkehr wird sie Meister Mazarin unterzeichnen.«

»Und wohin gehen wir?«, fragte Porthos.

»Zuerst nach Paris«, erwiderte d’Artagnan, »ich will dort einige Angelegenheiten in Ordnung bringen.«

»Also nach Paris«, versetzte Porthos.

Und beide schlugen den Weg nach Paris ein.

Bei den Toren anlangend, waren sie sehr erstaunt, als sie die bedrohliche Haltung der Hauptstadt wahrnahmen. Um eine in Stücke zerschlagene Karosse stieß das Volk Verwünschungen aus, während die Personen, welche hatten entfliehen wollen, nämlich ein Greis und zwei Frauen, festgenommen wurden.

Als dagegen d’Artagnan und Porthos Einlass verlangten, gab es keine Schmeichelei, die man ihnen nicht machte. Man hielt sie für Deserteure von der royalistischen Partei und wollte sie anwerben.

»Was macht der König?«, fragte man.

»Er schläft.«

»Und die Spanierin?«

»Sie träumt.«

»Und der Italiener flucht?«

»Er wacht. Haltet Euch nur fest, denn wenn sie abgereist sind, so ist es sicherlich aus einem bestimmten Grund geschehen. Da Ihr aber im Ganzen die Stärkeren seid«, fuhr d’Artagnan fort, »so hängt Euch nicht an Frauen und Greise. Lasst diese Damen und greift nach wichtigeren Dingen.«

Das Volk hörte diese Worte mit Vergnügen und ließ die Damen gehen, welche d’Artagnan mit einem beredten Blick dankten.

»Nun vorwärts!«, sprach d’Artagnan.

Sie setzten ihren Weg fort, durchzogen die Barrikaden, sprengten über die Ketten, stießen, wurden gestoßen, fragten und wurden befragt.

Auf dem Platz des Palais-Royal sah d’Artagnan einen Sergenten, welcher fünf- bis sechshundert Bürger exerzieren ließ. Es war Planchet, der zu Gunsten der städtischen Miliz seine Erinnerungen von dem Regiment Piemont her benutzte.

An d’Artagnan vorübermarschierend, erkannte er seinen ehemaligen Herrn.

»Guten Morgen, Monsieur d’Artagnan«, sagte Planchet mit stolzer Miene.

»Guten Morgen, Monsieur Dulaurier«, antwortete d’Artagnan.

Planchet blieb stehen und heftete seine weit aufgerissenen Augen auf d’Artagnan. Als die erste Reihe ihren Führer still stehen sah, blieb sie auch stehen, und so fort bis zu der letzten.

»Diese Bürger sind doch abscheulich lächerlich«, sagte d’Artagnan zu Porthos und ritt seines Weges.

Fünf Minuten danach stiegen sie vor dem Gasthaus Zur Rehziege ab. Die schöne Madeleine lief d’Artagnan entgegen.

»Meine liebe Madame Turquaine«, sagte d’Artagnan, »wenn Ihr Geld habt, vergrabt es rasch; wenn Ihr Juwelen habt, verbergt sie geschwind; wenn Ihr Schuldner habt, lasst sie bezahlen; wenn Ihr Gläubiger habt, bezahlt sie nicht.«

»Warum dies?«, fragte Madeleine.

»Weil Paris in Asche gelegt wird, gerade wie Babylon, wovon Ihr ohne Zweifel habt sprechen hören.«

»Und Ihr verlasst mich in einem solchen Augenblick?«

»Sogleich«, sagte d’Artagnan.

»Und wohin geht Ihr?«

»Ah, wenn Ihr mir das sagen könnt, erweist Ihr mir einen großen Dienst.«

»Ah, mein Gott! Mein Gott!«

»Habt Ihr Briefe für mich?«, fragte d’Artagnan und deutete seiner Wirtin mit einem Zeichen an, dass sie sich die Wehklagen ersparen sollte, insofern dieselben überflüssig wären.

»Soeben ist einer angekommen.«

Und sie gab d’Artagnan den Brief.

»Von Athos!«, rief d’Artagnan, die feste, große Handschrift ihres Freundes erkennend.

»Ah!«, sprach Porthos, »wir wollen ein wenig sehen, was er sagt.«

D’Artagnan öffnete den Brief und las:

Lieber d’Artagnan, lieber du Vallon, meine guten Freunde, vielleicht erhaltet Ihr zum letzten Male Nachricht von mir. Aramis und ich wir sind sehr unglücklich. Aber Gott, unser Muth und die Erinnerung an unsere Freundschaft halten uns noch aufrecht. Denkt an Raoul. Ich empfehle Euch die Papiere, welche in Blois liegen, und wenn Ihr in dritthalb Monaten keine Nachricht von uns erhalten habt, nehmt Kenntnis davon. Umarmt den Vicomte von ganzem Herzen für Euern ergebenen Freund

Athos.

»Ich glaube bei Gott wohl, dass ich ihn umarmen werde«, sagte d’Artagnan. »Überdies ist er auf unserem Weg, und wenn er das Unglück hat, unseren armen Athos zu verlieren, so wird er von diesem Tage an mein Sohn.«

»Und ich mache ihn zu meinem Universalerben«, sprach Porthos.

»Lasst doch sehen, was Athos noch sagt.«

Trefft Ihr auf Euren Wegen einen Monsieur Mordaunt, so misstraut ihm; ich kann Euch nicht mehr in meinem Brief sagen.

»Monsieur Mordaunt!«, sagte d’Artagnan sehr erstaunt.

»Es ist gut«, sprach Porthos, »man wird sich seiner erinnern. Aber seht, es ist noch eine Nachschrift von Aramis dabei.«

»In der Tat«, versetzte d’Artagnan, und er las:

Wir verbergen unseren Aufenthaltsort, teure Freunde, weil wir Eure brüderliche Ergebenheit kennen und wissen, dass Ihr kommen würdet, um mit uns zu sterben.

»Sacrebleu!«, unterbrach Porthos den Lesenden mit einem Ausdruck, der Mousqueton in die andere Ecke des Zimmers jagte. »Sind sie denn in Todesgefahr?«

D’Artagnan fuhr fort:

Athos vermacht Euch Raoul, und ich vermache Euch eine Rache. Wenn Ihr glücklicher Weise einen gewissen Mordaunt unter die Hand bekommt, so sagt Porthos, er solle ihn in eine Ecke führen und ihm den Hals umdrehen. Ich wage es nicht, Euch in einem Brief mehr zu sagen.

Aramis.

»Wenn es sonst nichts ist«, sprach Porthos, »das lässt sich leicht machen.«

»Im Gegenteil«, erwiderte d’Artagnan mit düsterer Miene, »das ist unmöglich.«

»Warum?«

»Gerade diesen Monsieur Mordaunt suchen wir in Boulogne auf und mit ihm gehen wir nach England.«

»Nun, wenn wir, statt Monsieur Mordaunt aufzusuchen, unsere Freunde aufsuchten?«, rief Porthos mit einer Gebärde, welche ein Heer in Schrecken zu versetzen imstande gewesen wäre.

»Ich habe wohl daran gedacht«, sagte d’Artagnan, »aber der Brief hat weder Datum noch Stempel.«

»Das ist richtig«, sprach Porthos.

Er fing an, wie ein Verrückter im Zimmer umherzugehen, machte allerhand Gebärden und zog alle Augenblicke seinen Degen zum dritten Teil aus der Scheide.

D’Artagnan blieb auf derselben Stelle wie ein Bestürzter und der tiefste Kummer war auf seinem Antlitz ausgeprägt.

»Ah, das ist schlimm«, sagte er, »Athos beleidigt uns. Er will allein sterben, das ist schlimm!«

Als Mousqueton diese zwei großen Verzweiflungen sah, zerfloss er in seiner Ecke in Tränen.

»Vorwärts«, sprach d’Artagnan, »alles das führt zu nichts. Wir wollen abreisen und Raoul umarmen, wie wir gesagt haben; vielleicht hat er Nachricht von Athos.«

»Das ist ein guter Gedanke«, sprach Porthos. »Mein lieber d’Artagnan, ich weiß nicht, wie Ihr es macht, aber Ihr seid voll Gedanken. Umarmen wir also Raoul.«

»Wehe dem, der meinen Herrn in diesem Augenblick schief ansehen würde«, sagte Mousqueton, »ich wollte keinen Pfennig für sein Leben geben.«

Man stieg zu Pferde und entfernte sich. Als die Freunde in die Rue Saint-Denis gelangten, fanden sie einen großen Volksauslauf. Monsieur von Beaufort war soeben aus Vendome angelangt und wurde von dem Koadjutor den freudigen Parisern gezeigt. Mit Monsieur von Beaufort hielten sie sich nunmehr für unüberwindlich.

Die zwei Freunde ritten durch eine kleine Gasse, um dem Prinzen nicht zu begegnen, und erreichten die Barriere Saint-Denis.

»Ist es wahr«, sagten die Wachen zu den zwei Reitern, »dass Monsieur von Beaufort in Paris angekommen ist?«

»Nichts kann wahrer sein«, sprach d’Artagnan. »Es diene Euch zum Beweis, dass er uns Monsieur von Vendome, seinem Vater, entgegenschickt, der ebenfalls kommen wird.«

»Es lebe Monsieur von Beaufort!«, riefen die Wachen und gingen ehrfurchtsvoll auf die Seite, um die Abgesandten des großen Prinzen vorüberzulassen.

Sobald sie vor der Barriere waren, wurde die Straße von diesen Männern, welche weder Ermüdung noch Entmutigung kannten, gleichsam verschlungen. Ihre Pferde flogen, und sie hörten nicht auf, von Athos und Aramis zu sprechen.

Mousqueton litt alle erdenklichen Qualen; aber der vortreffliche Diener tröstete sich mit dem Gedanken, dass seine zwei Messieurs noch ganz andere Leiden zu ertragen hätten. Er war dazu gelangt, d’Artagnan als seinen zweiten Herrn zu betrachten, und gehorchte ihm sogar schneller und pünktlicher als Porthos.

Das Lager war zwischen Saint-Omer und Lens. Die zwei Freunde machten einen Umweg zu dem Lager und erfuhren bei dem Heer mit allen einzelnen Umständen die Nachricht von der Flucht des Königs und der Königin, welche in der Stille hier angekommen war. Sie fanden Raoul bei seinem Zelt auf einem Bunde Heu liegend, von dem sein Pferd von Zeit zu Zeit ein wenig verstohlener Weise herauszog. Der junge Mann hatte rote Augen und schien niedergeschlagen. Der Marschall von Grammont und der Graf von Guiche waren nach Paris zurückgekehrt und das arme Kind fand sich ganz vereinzelt.

Bald schlug Raoul die Augen auf und sah die zwei Reiter, die ihn anschauten. Er erkannte sie und lief mit offenen Armen auf sie zu.

»Ah, Ihr seid es, teure Freunde!«, rief er. »Kommt Ihr, um mich zu holen? Nehmt Ihr mich mit Euch fort? Bringt Ihr mir Nachrichten von meinem Vormund?«

»Ihr habt also keine erhalten?«, fragte d’Artagnan den jungen Mann.

»Ach! Nein, Monsieur, und ich weiß in der Tat nicht, was aus ihm geworden ist; ich bin so unruhig, dass ich weinen muss.«

Und es rollten wirklich zwei schwere Tränen an den gebräunten Wangen des jungen Mannes herab.

Porthos wandte den Kopf ab, um auf seinem guten, dicken Antlitz nicht sehen zu lassen, was in seinem Herzen vorging.

»Den Teufel!«, sprach d’Artagnan, mehr bewegt, als er es seit geraumer Zeit gewesen war, »verzweifelt nicht, mein Freund. Wenn Ihr keinen Brief von dem Grafen erhalten habt, so haben wir doch einen erhalten.«

»Oh, wirklich!«, rief Raoul.

»Und zwar einen sehr beruhigenden«, sprach d’Artagnan, als er die Freude wahrnahm, welche diese Nachricht dem jungen Mann bereitete.

»Habt Ihr den Brief?«, fragte Raoul.

»Ja, das heißt, ich hatte ihn«, sagte d’Artagnan, indem er sich stellte, als suchte er. »Wartet, er muss hier in meiner Tasche sein. Er spricht von seiner Rückkehr, nicht wahr, Porthos?«

So sehr d’Artagnan auch Gascogner war, so wollte er doch die Last dieser Lüge nicht allein auf sich nehmen.

»Ja«, erwiderte Porthos hustend.

»Oh, gebt ihn mir«, sagte der junge Mann.

»Ah, ich las ihn doch vorhin erst. Sollte ich ihn verloren haben? Ei, verdammt! Meine Tasche hat ein Loch.«

»Oh! ja, Monsieur Raoul«, sagte Mousqueton, »und der Brief war sogar sehr tröstlich. Diese Messieurs haben ihn mir vorgelesen, und ich weinte darüber vor Freude.«

»Aber Ihr wisst doch wenigstens, wo er ist, Monsieur d’Artagnan?«, fragte Raoul halb erheitert.

»Oh! Bei Gott, gewiss weiß ich es. Aber es ist ein Geheimnis.«

»Hoffentlich nicht für mich.«

»Nein, nicht für Euch. Ich will Euch auch sagen, wo er ist.«

Porthos schaute d’Artagnan mit seinen großen, erstaunten Augen an.

»Wo Teufels soll ich sagen, dass er ist, damit er nicht das Gelüste bekommt, ihn aufsuchen zu wollen?«, murmelte d’Artagnan.

»Nun, wo ist er denn, Monsieur?«, fragte Raoul mit seiner sanften, schmeichelnden Stimme.

»Er ist in Konstantinopel.«

»Bei den Türken!«, rief Raoul erschrocken. »Guter Gott, was sagt Ihr mir da?«

»Nun, macht Euch das Bange?«, sprach d’Artagnan. »Bah! Was sind die Türken für Männer wie den Grafen de la Fère und den Abbé d’Herblay!«

»Ah, sein Freund ist bei ihm«, sagte Raoul, »das beruhigt mich ein wenig.«

»Wie viel Geist hat er doch, dieser Teufel von einem d’Artagnan«, sprach Porthos, ganz erstaunt über die List seines Freundes.

Es drängte d’Artagnan, den Gegenstand des Gespräches zu verändern, und er sagte daher zu Raoul: »Hier sind fünfzig Pistolen, die Euch der Monsieur Graf durch denselben Kurier geschickt hat. Ich setze voraus, dass Ihr kein Geld habt und dass sie Euch willkommen sein werden.«

»Ich habe noch zwanzig Pistolen, Monsieur.«

»Und wenn Ihr mehr wollt«, versetzte Porthos, die Hand an seine Tasche legend.

»Ich danke«, erwiderte Raoul errötend, »tausend Dank, Monsieur.«

In diesem Augenblick erschien Olivain am Horizont.

»Ei, sagt mir doch«, sprach d’Artagnan, so dass es der Lakai hörte, »seid Ihr mit Olivain zufrieden?«

»Ja, ziemlich wohl.«

Olivain stellte sich, als hätte er nichts gehört, und trat in das Zelt.

»Was habt Ihr diesem Burschen vorzuwerfen?«

»Er ist ein Fresser«, sagte Raoul.

»Oh, gnädiger Monsieur!«, rief Olivain.

»Er ist ein wenig Dieb.«

»Oh, gnädiger Monsieur, oh!«

»Und besonders ein feiger Prahler!«

»Oh! Oh! Oh! gnädiger Monsieur, Ihr entehrt mich«, sprach Olivain.

»Pest!«, rief d’Artagnan, »erfahrt, Meister Olivain, dass Leute, wie wir, sich nicht durch Feige bedienen lassen. Befiehlt Euren Herrn, esst sein Zuckerwerk und trinkt seinen Wein; aber bei Gottes Zorn seid kein Feiger oder ich schneide Euch die Ohren ab. Schaut Monsieur Mouston an, sagt ihm, er solle Euch seine ehrenvollen Wunden zeigen, und seht, welche Würde seine Tapferkeit seinem Gesicht verliehen hat.«

Mousqueton war in dem dritten Himmel und würde d’Artagnan umarmt haben, wenn er es gewagt hätte. Mittlerweile schwor er in seinem Inneren, sich für ihn töten zu lassen, wenn sich je Gelegenheit zeigen würde.

»Schickt diesen Burschen weg, Raoul«, sagte d’Artagnan, »denn wenn er ein Feiger ist, wird er sich eines Tags entehren.«

»Monsieur nennt mich feige«, rief Olivain, »weil er sich mit einem Cornet des Regimentes Grammont schlagen wollte, und ich mich weigerte, ihn zu begleiten.«

»Monsieur Olivain, ein Lakai darf nie ungehorsam sein«, sprach d’Artagnan mit strengem Ton.

Dann zog er ihn in einen Winkel und sagte zu ihm: »Du hast wohl daran getan, wenn dein Monsieur unrecht hatte, und hier ist ein Taler für dich. Ist er aber je beleidigt worden und du lässt dich nicht neben ihm vierteilen, so schneide ich dir die Zunge aus und fege dir das Gesicht damit. Behalte dies wohl.«

Olivain verbeugte sich und steckte den Taler in die Tasche.

»Und nun, Freund Raoul«, sprach d’Artagnan, »reisen wir, Monsieur Du Vallon und ich, als Botschafter ab. Ich kann Euch nicht sagen, zu welchem Ziel, denn ich weiß es selbst nicht; aber wenn Ihr etwas braucht, so schreibt an Madame Turquaine Zur Rehziege, Rue Tiquetonne, und zieht auf diese Kasse, wie auf die eines Bankier, jedoch mit etwas Schonung, denn ich sage Euch im Voraus, dass sie nicht so gut gespickt ist, wie die von Monsieur d’Emery.«

Nachdem er seinen Interimsmündel umhalst hatte, übergab er ihn den kräftigen Armen von Porthos, die ihn von der Erde emporhoben und einen Augenblick an das edle Herz des furchtbaren Riesen gedrückt hielten.

»Nun vorwärts«, sprach d’Artagnan.

Sie schlugen den Weg nach Boulogne ein, wo sie gegen Abend auf Pferden, bedeckt mit Schweiß und weißem Schaum, ankamen.

Zehn Schritte von dem Ort, wo sie Halt machten, ehe sie in die Stadt einritten, war ein schwarz gekleideter junger Mann, der jemand zu erwarten schien und von dem Moment, wo er sie erblickt hatte, die Augen unablässig aus sie geheftet hielt.

D’Artagnan näherte sich ihm und sagte, als er sah, dass er das Auge nicht von ihm abwandte: »He, Freund, ich liebe es nicht, dass man mich misst.«

»Monsieur«, sprach der junge Mann, ohne auf den Ruf von d’Artagnan zu antworten, »kommt Ihr nicht vielleicht von Paris?«

D’Artagnan dachte, es wäre ein Neugieriger, der Nachrichten von der Hauptstadt zu haben wünschte, und erwiderte mit sanfterem Ton: »Ja, Monsieur.«

»Sollt Ihr nicht im Wappen von England wohnen?«

»Ja, Monsieur.«

»Seid Ihr nicht mit einer Sendung von Seiner Eminenz, dem Monsieur Kardinal von Mazarin, beauftragt?«

»Ja, Monsieur.«

»Dann habt Ihr mit mir zu tun«, sprach der junge Mann, »ich bin Monsieur Mordaunt.«

»Ah!«, sagte d’Artagnan ganz leise, »derjenige, von welchem mir Athos sagt, ich solle ihm misstrauen.«

»Ah!«, murmelte Porthos, »derjenige, von welchem Aramis schreibt, ich solle ihn erdrosseln.«

Beide schauten den jungen Mann aufmerksam an.

Dieser täuschte sich in dem Ausdruck ihres Blickes.

»Solltet Ihr an meinem Worte zweifeln?«, sagte er, »ich bin in diesem Fall bereit, Euch jeden Beweis zu liefern.«

»Nein, Monsieur«, antwortete d’Artagnan, »wir sind zu Eurer Verfügung.«

»Wohl, Messieurs«, sprach Mordaunt, »wir werden ungesäumt abreisen. Es ist heute der letzte Tag der Frist, die der Monsieur Kardinal von mir gefordert hatte. Mein Schiff ist bereit, und wenn Ihr nicht gekommen wäret, so würde ich ohne Euch abgegangen sein, denn der General Oliver Cromwell muss meine Rückkehr mit Ungeduld erwarten.«

»Ah, ah«, sagte d’Artagnan, »wir sind also an den General Oliver Cromwell abgesandt?«

»Habt Ihr keinen Brief für ihn?«, fragte der junge Mann.

»Ich habe einen Brief, dessen doppelten Umschlag ich erst in London erbrechen sollte. Da Ihr mir aber sagt, an wen er adressiert ist, so halte ich es für unnötig, bis dort zu warten.«

D’Artagnan zerriss den Umschlag des Briefes.

Er war in der Tat adressiert: An Monsieur Oliver Cromwell, General der Truppen der englischen Nation.

»Ah!«, murmelte d’Artagnan, »ein sonderbarer Auftrag.«

»Wer ist dieser Oliver Cromwell?«, fragte Porthos leise.

»Ein ehemaliger Bierbrauer«, antwortete d’Artagnan.

»Will etwa Mazarin eine Spekulation mit Bier machen, wie wir eine mit Stroh gemacht haben?«, fragte Porthos.

»Vorwärts, Messieurs«, sprach Mordaunt ungeduldig, »gehen wir.«

»Oh, oh!« rief Porthos, »ohne Abendbrot? Kann Monsieur Cromwell nicht ein wenig warten?«

»Ja, aber ich …«, versetzte Mordaunt.

»Nun, Ihr?…«, sagte Porthos.

»Ich habe Eile.«

»Oh, wenn es Euretwegen geschehen soll!«, rief Porthos, »das geht mich nichts an, und ich werde mit Eurer Erlaubnis oder ohne dieselbe zu Nacht speisen.«

Der schwankende Blick des jungen Mannes entflammte sich und schien bereit, einen Blitz zu schleudern, aber er bezähmte sich.

»Monsieur«, sprach d’Artagnan, »man muss hungrige Reisende entschuldigen. Überdies wird Euch unser Abendbrot nicht lange aufhalten, wir reiten rasch bis zu dem Gasthaus. Geht zu Fuß zum Hafen, wir essen einen Bissen und sind beinahe zu gleicher Zeit mit Euch dort.«

»Wie es Euch gefällt, Messieurs, wenn wir nur reisen«, versetzte Mordaunt.

»Das ist ein Glück«, murmelte Porthos.

»Der Name des Schiffes?«, fragte d’Artagnan.

»Der Standard

»Gut, in einer halben Stunde sind wir an Bord.

Beide gaben ihren Pferden die Sporen und eilten zu dem Gasthof zum Wappen von England.

»Was sagt Ihr zu diesem jungen Menschen?«, fragte d’Artagnan während des scharfen Rittes.

»Ich sage, dass er mir nicht im Geringsten behagt«, erwiderte Porthos, »und dass ich das größte Gelüste in mir spürte, den Rat von Aramis zu befolgen.«

»Davor hütet Euch wohl, mein lieber Porthos; dieser Mensch ist ein Abgesandter des General Cromwell, und ich glaube, wir würden uns einen erbärmlichen Empfang bereiten, wenn wir dem General meldeten, wir hätten seinem Vertrauten den Hals umgedreht.«

»Gleichviel«, versetzte Porthos, »ich habe immer wahrgenommen, dass Aramis ein Mann von gutem Rat ist.«

»Hört«, sprach d’Artagnan, »wenn unsere Botschaft beendigt ist …«

»Hernach?«

»Wenn er uns nach Frankreich zurückführt …«

»Nun?«

»Nun, wir werden sehen.«

Die zwei Freunde gelangten hiernach zu dem Gasthof zum Wappen von England, wo sie mit großem Appetit zu Nacht speisten, und begaben sich dann ungesäumt zu dem Hafen.

Eine Brigg war bereit, unter Segel zu gehen, und auf dem Verdeck dieser Brigg erkannten sie Mordaunt, welcher ungeduldig auf und ab ging.

»Es ist unglaublich«, sprach d’Artagnan, während sie die Barke an Bord des Standard führte, »es ist erstaunlich, wie sehr dieser junge Mann irgendjemand gleicht, den ich gekannt habe, doch ich vermag nicht zu sagen, wem.«

Sie gelangten zu der Treppe und waren einen Augenblick nachher eingeschifft.

Aber das Einschiffen der Pferde dauerte etwas länger als das der Menschen, und die Brigg konnte erst um acht Uhr abends die Anker lichten.

Der junge Mann zitterte vor Ungeduld und befahl, die Masten mit Segeln zu bedecken.

Kreuzlahm von drei schlaflosen Nächten und einem ununterbrochenen Ritt von siebzig Lieues zog sich Porthos in die Kajüte zurück und schlief.

D’Artagnan überwand seinen Widerwillen gegen Mordaunt, ging mit ihm auf dem Verdeck auf und ab und gab hundert Geschichten zum Besten, um ihn zum Sprechen zu bringen.

Mousqueton hatte die Seekrankheit.